Читать книгу Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie - Страница 8

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Wer Tod verlangt, wird Tod erhalten.

Vielleicht sieht es so aus, als wäre ich das Monster in dieser Geschichte.

Möglicherweise stimmt das auch.

Aber ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich niemals willkürlich töte. Mein Hass auf meine Feinde ist berechtigt. Und vergessen wir nicht, das Carapuhr das Land der Barbaren ist, hier ging es schon immer ziemlich rau zu. Wir sind wilde Hunde, verzottelt und ungezähmt, und unsere Frauen sind stark und füllig, damit sie sich gegen uns wehren können. Der Stärkere siegt. So einfach ist das.

Ich erwähnte bereits, dass die Elkanasai unser Volk versklavten? Gut! Hierzu möchte ich kurz etwas detaillierter berichten.

In Elkanasai gibt es keine armen Bürger, wie es sie in Carapuhr gab. In Elkanasai wurde die niedere Arbeit von Sklaven verrichtet, Menschensklaven. Es gibt also im Reich der Spitzohren nur Adelige und Soldaten. Um die Nachfrage an Menschensklaven zu decken, unterwirft Elkanasai andere Kontinente. Aber sie schlachten uns nicht willkürlich ab. Nein. Dank König Amon ist jede Stadt, jedes Dorf, jede noch so kleinste Siedlung verpflichtet, einen gewissen Anteil an Kindern abzugeben, die von den Elkanasai versklavt werden.

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass über die Hälfte davon zu Lustsklaven alter Männern gemacht wurden.

Alle anderen, die nicht versklavt werden, erhalten einen kleinen Gewinn. Eine Abfindung für den Verlust, sozusagen.

Sie rotteten uns nicht aus, sie benötigten Nachschub, aber sie hielten uns damit klein. Sie stielten uns unsere Kinder, immer und immer wieder, damit wir nicht zu zahlreich wurden, um eine große Rebellion anzuführen.

Ihr denkt, ich sei grausam? Ein Monster? Oh nein, ich bin nur unglaublich wütend. Ihr denkt, ich hätte ohne Derrick einen unschuldigen alten Mann niedergestreckt? Ihn ohne triftigen Grund getötet?

Meint ihr?

Ich fragte den alten Mann, ob er ein Anhänger des Verräterkönigs sei – dem König, der es zuließ, dass man sein Volk versklavte –, und er sagte mehr oder weniger, ja, als er mich als Rebell beschimpfte.

Anhänger der Elkanasai sind jene Bürger, die vom Sklavenhandel profitierten. Dieser alte Mann hatte zugelassen, dass Soldaten seinen Nachbarn die Kinder noch aus den Kindsbetten wegnahmen. Er hatte ja nichts zu befürchten, denn er lebte in keiner Siedlung. Gasthäuser außerhalb, die nur von einer Familie betrieben wurden, wurden verschont, wenn die Anzahl der Kinder nicht fünf überstieg.

Und die Bewohner der Steinstadt Bons? Deren Wachen ich nur zu gerne getötet hätte? Sie gaben ihre Kinder freiwillig ab, weil sie zu feige zum Kämpfen waren.

Ich hatte also gute Gründe, zum Schwert zu greifen. Einen unschuldigen Bauern hätte ich nicht erschlagen. Zumindest nicht aus reinem Vergnügen.

Es ist unnötig zu lügen, jedem ist bewusst, dass ich Freude am Töten habe. Man braucht nur wenige Augenblicke mit mir zu verbringen um das zu wissen. Der Unterschied zwischen mir und einem Sadisten ist, dass ich dieses Vergnügen nur an jenen auslasse, die ich ohnehin opfern muss.

Aber vertraut mir, ich habe Gründe. Gute Gründe. Denn ich wurde einst übel verraten, und ich habe weiß Gott genug mit ansehen müssen.

Oh versteht mich nicht falsch, ich will mich nicht rechtfertigen. Ich bin durch und durch ein Barbar, das liegt in meiner Natur. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass meine Feinde ebenso blutrünstig sind.

Also hört euch meine Geschichte an, hört euch an, was ich zu erzählen habe. Ich bin sicher, am Ende werdet ihr verstehen. Vielleicht hättet ihr anders gehandelt, aber ihr werdet verstehen. Reisen wir weiter und ihr werden erkennen, wer die wirklichen Monster sind.

***

Drei Tage nachdem wir das Gasthaus verlassen hatten, hielt ich mein Pferd auf einem Hügel mit dem Blick auf eine kleine Siedlung an.

Ich hatte meinen Feinden eine Nachricht hinterlassen. Am Scheunentor des letzten Gasthauses standen mit dem Blut einer geschlachteten Ziege – die übrigens köstlich geschmeckt hatte – meine üblichen Worte: »Die Pest auf euer aller Häuser, Verräter!«

Die Kinder und die Frau des alten Mannes hatten wir natürlich am Leben gelassen. Nicht weil ich gütig gewesen wäre, ich wollte nur, dass sie meinen Feinden von mir und meinen Männern berichten konnten.

Derrick saß neben mir auf seinem Pferd und blickte mit düsterer Miene auf die Siedlung hinab. Es begann wieder leicht zu schneien und vereinzelte Schneeflocken verfingen sich in seinem gelockten Haar.

Die Hufe unserer Pferde standen in tiefen Matsch. Jedes Mal, wenn eines der Tiere ein Bein anhob, gab der Boden ein Schmatzen von sich.

Wir befanden uns weit im Westen Carapuhrs, hier war der Boden stets so warm, dass der Schnee nicht lange liegen blieb, daher der viele Schlamm.

Vor uns erstreckte sich eine aufgeweichte Hügellandschaft, die von armen Bauern besiedelt war. Ich konnte den Dunst der Schweine von unserem Aussichtsplatz aus riechen.

Kalt war es auch ohne Schneedecke auf dem Boden, das erkannte ich an den Atemwölkchen, die aus Derricks großen Nasenlöchern und seinen leicht geöffneten Lippen drangen.

Ich starrte ihn an, starrte die rote Nase und die feuchten Lippen an.

Derrick wandte mir sein Gesicht zu und bat mich leise: »Lass uns gehen.«

»Nein«, beschloss ich trocken und wandte meine Augen wieder ab.

Derrick blickte mich befürchtend von der Seite an.

Rauch stieg von der Siedlung auf, ich konnte die verbrannten Gerüste einiger zerstörter Hauser erkennen. Elkanasaisoldaten füllten die Gassen. Ich konnte die Frauen schreien hören, ich konnte zusehen, wie sie die Bewohner der Siedlung in – auf Karren befestigte – Käfige zwängten, die von kräftigen Pferden gezogen wurden.

»Bitte ...«

»Ich sagte, nein«, zischte ich Derrick an.

Mein alter Freund verstummte, er wirkte genervt. Er wusste, was mir durch den Kopf ging.

Wieder blickte ich hinab auf die Siedlung, die überrannt worden war. Es widerstrebte mir, einfach weiter zu reiten.

Ich hatte kein Mitleid mit den Bewohnern, es ärgerte mich nur, wie andere mit meinem Volk umgingen. Die Elkanasai hatten einfach kein Recht auf diesem Land Blut zu vergießen, denn es war mein Land!

Ich nahm an, dass die Elkanasai gekommen waren, weil die Bewohner der Siedlung sich geweigert hatten, ihre Kinder herauszugeben. Das kam öfter vor. Und jede Siedlung, die sich weigerte, wurde niedergemetzelt. Dann setzten die Elkanasai einen der ihren als Oberhaupt ein und rissen das Landstück an sich.

Uns wurde immer mehr unsere Heimat genommen.

Wind wehte mir durch mein goldenes Haar, das ich nicht ganz so lange trug wie Derrick. Es hing mir über den Ohren und kitzelte mich oft auf der Stirn und im Nacken, aber ansonsten hielt ich meine glatten Strähnen kurz, indem ich sie ab und an einfach willkürlich mit dem Dolch abschnitt.

Derrick lachte immer, weil ich hinterher aussah wie ein verlauster Hund. Er vergaß dabei, dass wir alle verlauste Hunde waren. Und die Drecksviecher hatten wir leider nicht nur auf dem Kopf.

Lazlo ritt neben uns und überblickte das schlammige Hügelland, das sich unter uns erstreckte. Mit unbeteiligter Miene beobachtete er das Geschehen in der Siedlung.

Für gewöhnlich umgingen Derrick und ich die Elkanasai, Menard hatte uns verboten, sie anzugreifen.

Aber ich war wütend auf Menard, weil er mir nichts von dem Königskind erzählt hatte.

Derrick wusste, was mir durch den Kopf ging und seufzte unzufrieden. »Es sind zu viele.«

Lazlo schnaubte abfällig. »Ein paar Elkanasai werden wir schon niederstrecken.«

»Das sind aber nicht nur ein paar«, warf Derrick unglücklich ein.

»Achtzig, neunzig, was meins du?« Ich blickte Derrick fragend an.

Derrick nickte, während er nachdenklich die Truppen der Elkanasai betrachtete. »Hundert, hundertfünfzig können es schon sein.«

»Zu viele«, mischte sich nun auch Conni ein, die sich zu uns gesellte.

Ich überlegte. Für mich gab es nichts, was unmöglich war. Für jedes Problem gab es eine Lösung. Und jede Schlacht war irgendwie zu gewinnen. Ich musste nur herausfinden, wie.

Derrick quatschte mich von der Seite an: »Das ist Selbstmord!«

Ich grinste und wendete mein Pferd. »Kommt, Brüder, ich habe eine Idee.«

***

»Wer, bei den Göttern, seid Ihr?«

Ich starrte den Mann mit offenem Mund völlig entgeistert an. Meine langen Wimpern klimperten, als ich wie der größte Vollidiot mit offenem Mund dastand.

Mit den Händen hinter dem Rücken wandte ich meinen Kopf zu Derrick, der schräg hinter meiner rechten Schulter stand, und fragte nach: »Götter

Derrick lehnte sich zu mir und erklärte: »Die Elkanasai glauben an mehrere Götter.«

»Ah«, machte ich. Diese armen Narren, dachte ich bei mir. Götter waren nichts weiter als uralte magische Wesen. Sehr alte Schamanen oder Zauberer, die zuviel an Macht erlangt hatten. Nichts, was man anbeten sollte, ihnen folgen schon gar nicht.

Ich war nicht gerade ein religiöser Mann. In Carapuhr glaubten wir Barbaren an einen Gott und an den Teufel, davon abgesehen gab es böse Geister und Dämonen. Sterben wir, kommt unsere unsterbliche Seele entweder zu unseren gefallenen Brüdern und Schwestern in die Halle der Ehre, unserem Paradies und Himmel, oder in die Unterwelt, in die Hölle. Kling einfacher als sich einen Haufen Namen von uralten Magiewesen zu merken, denen man huldigen und opfern soll. Man konnte über uns Barbaren sagen was man wollte, aber wir hatten noch nie einen Krieg aus religiösen Gründen geführt. Wir belächelten den Glauben anderer, hatten jedoch nicht den Wunsch, andere Religionen auszulöschen. Was wohl daran lag, dass wir genug andere Gründe hatten um Krieg zu führen. Barbaren wurden eben schnell wütend.

»Nun denn.« Ich trat mit einer ästhetisch winkenden Hand vor unseren Gastgeber und lächelte charmant zu dem Spitzohr auf. »Ich bin ... inkognito.«

Der große schlanke Mann mit dem langen braunen Haar, das er zurückgebunden trug, verzog sein feingliedriges Gesicht zu einer verständnislosen Maske. »Wie bitte

Derrick stupste mich von hinten an, mein Titel kam geflüstert aber warnend über seine Lippen: »Namenloser!«

Ich musste schmunzeln, besann mich aber und stellte mich vor: »Ich bin der Namenlose, werter Freund. Ich habe keine anderen Namen. Und meine treuen Gefährten sind meine Schattenwölfe, ich bezweifle, dass unsere harsche Truppe Euch bekannt ist.«

Der spitzohrige Mann verengte argwöhnisch seine Augen.

»Ich bin niemand«, betonte ich freundlich. »Nur ein einfacher Söldner auf der durchreise. Ich und meine Wölfe waren auf der Suche nach warmen Betten.«

Ich deutete auf die Schar Männer hinter mir, die in dem beengten Raum des Ratshauses – wo wir empfangen worden waren – von Elkanasaisoldaten eingekreist wurden. Die Speere, die drohend auf sie gerichtet waren, schreckten sie nicht ab. Im Gegenteil, Lazlo begutachtete, ungeachtete der Bedrohung, die Sperrspitze eines Soldaten, als wolle er die Waffe gleich an sich nehmen.

Ich wandte mich charmant lächelnd wieder dem Elkanasai zu. »Ich nehme an, Ihr seid nun der Landbesitzer? Der edle Herr dieses bescheidenen Dörfleins?«

Das Spitzohr überlegte einen Moment. Offenbar konnte er mich nicht richtig einschätzen, denn er nickte seinen Soldaten zu, und sie senkten die Waffen und traten zurück.

Erst jetzt fiel mir der halbnackte Mann auf, der mit Ketten an den Armen schlaff neben uns von der Decke baumelte. Er hatte hellbraunes, seidenglattes Haar, das ihm fast bis zur schmalen Hüfte reichte. Es handelte sich um keinen Menschen, es war ein Elkanasai.

Neugierig runzelte ich meine Stirn.

Der spitzohrige Mann setzte sich auf den Stuhl des ehemaligen Jarls, den er gestürzt hatte. Neben ihm stand ein junges Mädchen, ich schätzte sie auf etwa siebzehn, vielleicht auch achtzehn, Sommer. Sie hatte dickes, dunkles Haar und eine dunkle Hautfarbe. Es durchzuckte mich wie einen Blitz bei der Betrachtung der Farbe ihrer Haut.

Ihr zierlicher Körper steckte in einem – für diese Temperaturen – viel zu knappen Gewand aus Leinenstoff, um ihren schmalen Hals lag ein dicker Eisenring der mit einer Eisenkette an der Wand hinter ihr befestigt war.

Elkanasai kamen nie ohne Sklaven, stellte ich fest.

Woher sie wohl stammte?, fragte ich mich, während ich mir die Farbe ihrer Haut ansah, die mich an das Leder meiner Rüstung erinnerte ... und an meine Mutter. Sie stammte jedenfalls nicht aus Carapuhr oder Elkanasai. Vielleicht aus der Wüste Nohvas oder aus Zadest, wo meine Mutter auch herstammte.

»Söldner, sagt Ihr?« Der Unterton in der Stimme des Spitzohrs gefiel mir ganz und gar nicht.

»Ja«, gab ich betont freundlich zurück.

Das Spitzohr schüttelte den Kopf. »Aber Ihr seid kein einfacher Söldner.«

»Bin ich nicht?« Ich zog meine blonden Augenbrauen hoch, dann sah ich an mir herab und zuckte mit den Achseln. »Ich sehe doch aus wie ein einfacher Söldner.«

»Haltet mich nicht für dumm«, gab der Elkanasai barsch zurück.

Derricks Hand wanderte bereits zu seinem Schwert, ich konnte die Bewegung im Rücken spüren.

»Das tue ich nicht«, warf ich ein.

– Natürlich hielt ich ihn für dumm. Er hatte mich passieren lassen, also war er dumm.

»Ihr seht aus wie ein einfacher Söldner«, stimmte das Spitzohr zu. Doch er grinste und wies mich daraufhin: »Aber ihr gebt Euch nicht wie einer.«

Meine Gesichtszüge wurden hart.

»Wie Ihr sprecht, wie Ihr Euch bewegt ...« Der Elkanasai wedelte mit seiner schmalen Hand in meine Richtung. »Man sieht Euch an, Ihr seid hochgeboren.«

Ich spuckte aus, direkt auf den Boden seiner hübschen, neuen Residenz. Zu gerne wäre ich nach vorne gestürmt und hätte ihn mit meiner Klinge durchbohrt. Ich wollte zusehen, wie sich seine weiße Tunika mit den goldenen Verzierungen durch sein Blut rot färbte.

Aber es war mein Fehler, dass er mich durchschaut hatte. Ich konnte aussehen wie ein Straßenköter, aber ich konnte meine angelernten adeligen Attitüden einfach nicht ablegen.

Ich begann, gezwungen zu lächeln. »Ich lief vor zehn Jahren von Zuhause fort.«

Der Elkanasai runzelte die Stirn. »Vor zehn Jahren? Wie alt seid Ihr?«

»Ich bin neunzehn Jahre jung«, erklärte ich geradeheraus, mein Lächeln wurde breiter. »Ich war neun, als ich fortlief.«

Mit verengten Augen wurde ich betrachtet und konnte spüren, wie es in dem Kopf meines Gegners ratterte. Wie es arbeitete.

»Wie ist Euer Name?«, fragte er mich.

Ich zuckte mit den Achseln.

»Wollt Ihr hängen?«, fragte der Elkanasai mit gefährlichem Unterton in der ansonsten samtweichen Stimme. »Verratet mir Euren Namen, oder sterbt.«

»Ihr wollt mich grundlos aufknüpfen?«, fragte ich teils amüsiert, teils spöttisch.

»Ihr verweigert Befehle.«

Erneut zuckte ich mit den Achseln. »Und wenn schon? Ich muss Euren Worten keine Folge leisten.«

Bedrohlich erhob sich der Elkanasai aus seinem Stuhl. »Ich vertrete die Gesetze des Kaisers von Elkanasai, Ihr habt zutun, was ich Euch-«

»Ja, ja. Schon gut.« Ich winkte ihn ab und drehte mich zu dem, von der Decke hängenden, gefolterten Mann. »Wer ist das, frage ich mich.«

Während ich unbeirrt zu dem Gefoltertem ging, zogen meine Männer ihre Waffen und übernahmen die Kontrolle.

Ich hörte Speere zu Boden fallen und erschrockenes Einatmen. Keiner wurde getötet, aber die Elkanasaisoldaten befanden sich schnell in der Gewalt meiner Männer.

»Ihr wagt es ...« Der Elkanasai brach sein wütendes Schreien ab, als Derrick mit der Armbrust auf ihn zielte.

Ich umrundete den schlaffen Körper des gefolterten Mannes und betrachtete ihn wie ein Fleischer ein Stück Fleisch betrachtete. Er war gut gebaut, trotz seiner schmalen Erscheinung. Unter der hellen Haut sah ich feste Muskelstränge, sein Rücken war breit.

Ich zog meinen Dolch und legte ihn unter das Kinn des Gefolterten, um sein Gesicht anzuheben.

Er hatte eine blutige Lippe und es blutete aus seiner Nase, ich glaubte, sein Wangenbein war gebrochen, es leuchtete violett.

Blaue Augen sahen mich erbost an.

»Wie ist dein Name?«

»Janek«, wurde mir geantwortet.

Mir gefiel, dass er sofort antwortete.

Ich drehte mich zu dem Elkanasai um, der von Derrick bedroht wurde, und wollte von ihm wissen: »Wieso hängt dieser Mann hier? Welchen Grund habt Ihr, einen der Euren derart zu erniedrigen?«

Es kümmerte mich nicht wirklich, ich hatte meinen eigenen Männern, wenn sie sich mit mir anlegten, schon wesentlich Schlimmeres angetan. Aber ich hatte Interesse an Janek.

Wenn ein Mann unter meinen Feinden zum Feind meiner Feinde wurde, ist dieser Mann dann mein Verbündeter?

Der Elkanasai auf dem Podest atmete geräuschvoll aus, dabei zuckten seine langen Spitzohren. Ich wollte sie ihm abschneiden und sie mir als Trophäe um den Hals hängen.

Geduldig wartete ich ab, bis er mir eine Erklärung gab.

»Janek war Soldat«, berichtete der Elkanasai schließlich. »Er verstieß wiederholt gegen Gesetze und dafür wurde er bestraft.«

»Verstehe.« Ich nickte, wollte aber wissen: »Was hat er verbrochen?«

»Er ... verweigerte Befehle und verstieß gegen Gesetze.«

»Welche Befehle?«

»Befehle, die Sklaven betreffen.« Der Elkanasai knirschte mit den Zähnen. »Er hat versucht, Gefangene zu befreien.«

Ich starrte den Elkanasai einen Augenblicklang reglos an.

Dann sagte ich: »Vielleicht habt Ihr Eure Männer einfach nicht gut erzogen, hm?«

Mit einem arroganten Heben meiner Augenbraue wandte ich mich von dem Elkanasai ab und betrachtete wieder den gefolterten Soldaten.

Nachdenklich fragte ich: »Und gegen welche Gesetze verstieß er?«

»Gegen Gesetze der Ethik«, wurde mir geantwortet.

Ich sah wieder hinauf zu dem Elkanasai. »Die da wären?«

»Das ist eine Angelegenheit des Kaiserreichs Elkanasai«, blockte dieser ab.

»Zu schade«, murmelte ich, ehe ich ihn anlächelte. »Aber ... nun ja, vielleicht möchte mir Euer Freund hier später davon erzählen.«

»Dazu wird er keine Gelegenheit haben, fürchte ich«, erklärte der Elkanasai. »Er wird hängen, gemeinsam mit Euch, weil Ihr meine Soldaten angegriffen habt und mich bedroht.«

»Es sind nicht Eure Soldaten, die ich angreifen wollte«, entschuldigte ich mich.

Ich begann, den Gefolterten zu umrunden, bis ich hinter ihm stand.

Argwöhnisch wurde ich von den schmalen Augen des Elkanasais verfolgt.

»Soldaten befolgen nur Befehle«, sagte ich laut. Dann legte ich meine Lippen an das Ohr des verurteilten Soldaten und fragte: »Nicht wahr, mein neuer Freund?«

Der Soldat nickte schwach.

Ich lächelte zufrieden, als ich weiter im Flüsterton fragte: »Ihr verweigerte Befehle des Kaiserreichs, bedeutet das, Ihr stellt Euch gegen Eure Heimat?«

Janek war nicht dumm, er wusste, welche Antwort er mir geben musste, um zu überleben. Durch vor Schmerz zusammen gebissenen Zähnen presste er so hasserfüllt, wie ich es selbst nicht gekonnt hätte – und ich hatte wirklich viel Hass für die Elkanasai übrig – hervor: »Elkanasai ist nicht meine Heimat!«

»Ihr trag viel Hass in Euch.« Es war eine Feststellung und keine Frage. Ich kratzte mich mit der Dolchspitze an meinem Kinn, das von blonden Bartstoppeln überzogen war. Das Schaben über meinem Bart klang überlaut, weil es ansonsten toten still blieb.

»Draußen warten hundert Soldaten, die Euch sofort den Kopf von Euren Schultern trennen werden«, wies mich der hochgeborene Elkanasai auf meine augenscheinlich verzwickte Lage hin. Denn in diesem Raum möge zwar ich die Oberhand an mich gerissen haben, doch außerhalb dieses Gebäudes sah es für mich und meine zwanzig Mann, die ich mitgenommen hatte, ehe düster aus.

Den Kommentar ignorierend, beugte ich mich erneut zum Ohr des Gepeinigten: »Wie viel Hass steckt in Euch?« Es interessierte mich wirklich. »Zeigt es mir!«, verlangte ich, blitzschnell hob ich meine Hand mit dem Dolch und schnitt Janek los.

Ich tat es nicht, weil mir dieser Mann etwa Leid getan hätte, um ehrlich zu sein, hätte mich sein Schicksal nicht weniger interessieren können, aber ich war eben sehr ... neugierig. Schon in frühster Kindheit hatte Menard immer über mich gesagt, ich sei experimentierfreudig, wenn es um das Verhalten von Lebewesen ginge, insbesondere intelligenter Lebewesen, wie Menschen und Elkanasai. Ständig wollte ich herausfinden, wie dieser oder jener in unterschiedlichen Situationen und mit unterschiedlichen Launen reagierte. So war es auch jetzt. Ich wollte sehen, was ein gepeinigter Mann, der von seinen eigenen Waffenbrüdern gefoltert worden war, eben jenen antun konnte. Ich wollte es nicht nur sehen ... ich wollte mich daran erfreuen.

Es geschah alles ziemlich schnell. Janeks Körper kam mit einem dumpfen Geräusch auf dem kalten Steinboden der Halle auf, ähnlich wie ein nasser Sack voller alter Kleider. Doch er war ebenso schnell wie er unten war wieder auf seinen langen, flinken Beinen.

Es überraschte mich etwas, das in jenem Moment, als Janek befreit worden war, alle Elkanasai im Raum einen Schritt zurückwichen, als sei eine Druckwelle durch den Raum gegangen. Sie ahnten bestimmt, wozu ihr ehemaliger Bruder bereit war, aber niemand wusste, auf welchen der Elkanasai sich Janek zuerst werfen würde.

Zu meinem eigenen Vergnügen, sprintete Janek ungehalten auf den hochgeborenen Elkanasai zu, der von der Armbrust in Derricks Armen bedroht wurde. Darauf hatte ich gehofft, denn es ersparte mir die Drecksarbeit, obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte, Elkanasai-Blut zu vergießen.

Unbewaffnet, gefoltert, verletzt und am Ende seiner Kräfte, sammelte Janek seine letzten Energiereserven und stürzte sich mit einer Geschwindigkeit auf seinen ehemaligen Landsgenossen, wie ein Falke auf eine Maus. Ich hätte nicht einmal die Möglichkeit gehabt zu reagieren, selbst wenn ich gewollt hätte – was ich aber nicht habe.

An dieser Stelle könnte ich nun ausführlich erzählen, wie dieser menschlich aussehende Pfeil mit spitzen Öhrchen auf das andere Geschöpf mit ebenso spitzen Ohren zustürmte und ihn umriss. Ich könnte erwähnen, dass der Elkanasai, der dieses Land besetzen wollte, unter den Augen seiner Soldaten umgemäht wurde wie eine Salzsäule von einem Amboss. Vermutlich sollte ich in jeder Einzelheit beschreiben, wie und warum und weshalb ... Doch sind wir mal ehrlich, die Geschehnisse liegen lange zurück und ich erinnere mich nicht an jeden einzelnen Augenblick oder an jedes kleinste Detail.

Aber ich weiß noch wie befreiend es war, zuzusehen, wie sich Janeks lange Finger um die zarte Kehle des Elkanasai schlossen, wie er mit hochrotem Kopf zudrückte, der vor Anstrengung fast zu zerbersten schien. Ich erinnere mich noch an die Sehnen und die angespannten Muskeln unter Janeks heller Haut, die wegen des angewandten Kraftaufwandes deutlich hervortraten.

Mir die Lippen leckend, stellte ich mich wieder neben Derrick, der die Armbrust senkte und weniger begeistert dem Spektakel zusah. Nicht, dass er sentimental gewesen wäre, wenn es ums Morden ging. Zwar tat Derrick gerne mal so, als steckte ein aufrichtiger Mann in ihm, doch das Töten war ein Teil von ihm, ein Teil von uns allen. Es schockierte Derrick nicht, das und wie Janke tötete, nein, sein Missfallen und sein Argwohn bezogen sich ganz allein auf die Tatsache, dass ich Janek befreit hatte, statt ihn mit den anderen niederzustrecken.

Ich steckte den Dolch weg. Noch immer kauerte Janek über seinem Peiniger, seine Lippen waren zurückgezogen und präsentierten weiße Zähne, sein langes Haar war über seine nackten Schultern nach vorn gefallen und rahmten sein Antlitz ein, Schweiß tropfte von seiner Stirn und landete im Gesicht des anderen Elkanasais, der langsam blau anlief.

Ich lächelte boshaft, während ich mit immer schneller schlagendem Herzen wie im Wahn dabei zusah, wie das Leben aus den Augen des Elkanasais wich. Langsam. Qualvoll. Janeks Methode war genau nach meinem Geschmack.

Derrick schüttelte den Kopf, er hatte die Armbrust zwar gesengt, doch sie lag noch schussbereit in seinen Händen. Er sah mich von der Seite an. »Was hast du vor?«

Ich gab ihm die gleiche Antwort, die ich ihm gegeben hatte, als ich ihn und die anderen mit zu diesem Dorf genommen hatte: »Ich weiß es noch nicht.«

Diese Antwort entsprach der Wahrheit, ich ließ mich allein von meinen Gefühlen und meiner Intuition leiten. Es war dumm, das wusste ich selbst, denn draußen warteten hundert Soldaten, die hinter uns her sein würden, sobald wir den Raum verließen.

Ich hätte anordnen können, die Soldaten, die unter der Kontrolle meiner Männer standen, zu fesseln und zu knebeln, damit wir uns rausschleichen und mit etwas Glück viel Land zwischen uns und diesem kleinen Heer hätten bringen können, um mir selbst und auch meinen Männern das Leben zu retten.

Doch ich tat es nicht. Stattdessen sagte ich, ohne über die Schulter zu blicken: »Tötet auch den Rest.«

Lazlos Schwert war das erste, das den Feind durchstieß, ich hörte es daran, wie er es tat: mit einem Aufkeuchen, ähnlich wie der Laut den er von sich gab, wenn er beim Akt mit einer Frau zum Höhepunkt kam. Von all meinen Leuten, mich eingeschlossen, hatte Lazlo die größte Freude an unserem Handwerk. Das Töten ist unsere Natur, wie ein angeborener Instinkt, den wir zum Überleben benötigen. Ich sage nicht, dass es in Ordnung ist – verdammt, ich sage nicht einmal, dass es schön ist, so zu fühlen –, aber die Wahrheit ist, dass unsere Welt rau und brutal ist. Düster. Schattig. Wir können nicht darin überleben ohne selbst etwas Düsteres mit uns herum zu tragen. Diese schreckliche Lektion hatte mir mein Vater mit auf meinen Weg gegeben.

Als die toten Soldaten zu Boden fielen und sich ihr Blut zu sammeln begann, als Janeks Finger auch das letzte bisschen Leben aus seinem Peiniger gepresst hatten, wie Saft aus einer Frucht, packte ich Derricks Armbrust.

Janek schien mit eben jener Reaktion gerechnet zu haben, denn er hatte die Hände schon ergebend in die Luft gerissen, als er mit dem Erwürgen fertig war. Schnaufend, aber ansonsten beherrscht, starrte er mir mit einer tödlichen Ruhe entgegen.

Ich lächelte gespielt entschuldigend über die Armbrust hinweg, der eingelegte Bolzen zeigte vollkommen still auf Janeks Brust, die sich unter tiefen und schnellen Atemzügen ausdehnte und wieder zusammenzog. »Nur ein toter Elkanasai, ist ein guter Elkanasai.«

Derrick hielt mich an dieser Stelle nicht auf, im Gegenteil, er legte zufrieden seine Hände auf den Knauf seines Schwerts, das an seinen Hüften baumelte, und wartete darauf, dass ich den letzten verbliebenen Elkanasai im Raum tötete.

»Ich bin kein Elkanasai!«, erwiderte Janek.

Es war nicht sein Einwand, der mich innehalten ließ, es war die Ruhe in ihm. Er schien den Tod nicht zu fürchten. Keiner meiner Männer fürchtete den Tod, es war das einzige Kriterium, das sie erfüllen mussten, bevor ich sie aufnahm. Bisher waren es aber stets nur Menschen aus Carapuhr gewesen, denen ich einen Beitritt in meinen Söldnertrupp gewährt hatte.

Trotzdem senkte ich die Armbrust nun ein Stück und verengte interessiert meine Augen.

Janek fuhr langsamer fort: »Ich weiß, für euch Barbaren sehen wir alle gleich aus. Ja, ich bin ein Spitzohr, doch stamme ich ursprünglich nicht aus Elkanasai, sondern aus Nohva. Aus der südöstlichen Wildnis von Nohva, um genau zu sein. Die Nohvarianer nennen uns die wilden Elkanasai-Stämme.«

Ich senkte die Armbrust gänzlich, musste aber spöttisch lächeln. »Dann seid Ihr also doch ein Elkanasai. Nur ein Wilder.«

»Für die Nohvarianer schon«, stimmte Janek zu, noch immer waren seine Arme weit erhoben, doch allmählich glitten seine Augen immer wieder nervös zu den verschlossenen Ratshallentüren hinter mir.

Lazlo trat zu mir und Derrick heran, er wischte das Blut von seiner Klinge an seinem eigenen Umhang ab, obwohl ich ihm schon mehrfach daraufhin gewiesen hatte, dass man nicht da scheißt, wo man isst. Aber sogar für Straßenschläue war Lazlo zu blöd. Das hatte man eben davon, wenn man sich auf Räuber und Mörder einließ, rückte ich mich selbst. Nun denn, mir sollte es egal sein, aber wenn das Blut an Lazlos Kleidern zu stinken begann, konnte Lazlo gut und gerne außerhalb des Lagers nächtigen. Meine Nase war nicht empfindlich, aber meine Männer stanken auch ohne Blut an ihren Kleidern genug, Lazlo ganz besonders. Ein nasser Hund, der sich in Dung gewälzt hatte, roch im Vergleich zu Lazlo wie eine Sommerwiese.

»Tötest du ihn jetzt?«, drängelte er mich genervt und ließ das Schwert zurück in die Scheide gleiten. »Ich bin am Verhungern.«

»Noch ein Wort, und das einzige Essen, das du für eine ganze Weile sehen wirst, werden die Läuse in deinen Sackhaaren sein, Lazlo.«

Hasserfüllte funkelte mich das Narbengesicht an, hielt aber brav seine Klappe und verschränkte die Arme abwartend vor der Brust.

Ich wandte mich wieder an Janek. »Wenn du aus Nohva stammst, warum bist du dann in der Kaiserlichen Armee?«

Janeks Augen wurden dunkel, als er erklärte: »Manchmal fallen die Soldaten des Kaisers in die südöstliche Wildnis Nohvas ein. Mein Stamm wurde von ihnen ausgelöscht ... niedergebrannt.« Janek senkte den Blick, harte Furchen zeichneten seine sonst zarten Gesichtszüge. Es war, als könnte ich die Flammen des Feuers aus seiner Erinnerung in seinen Augen züngeln sehen.

Ich verstand seinen Schmerz.

»Mein jüngster Bruder und ich ...«, er sah mir wieder in die Augen, » ... wir waren noch Kinder. Sie verschonten unsere Leben, nahmen uns mit ... mit nach Elkanasai. Dort wurden wir ausgebildet.«

»Ihr hättet euch wehren können«, warf ich ihm vor.

Janek hielt meinem Blick stand. »Ich hätte es getan, hätte nur mein Leben auf dem Spiel gestanden. Lieber wäre ich mit meinem Stamm gestorben, als für den Kaiser zu kämpfen.« Er runzelte ärgerlich die Stirn. »Doch dann hätten sie auch meinen Bruder ermordet.«

– Ich glaube bis heute, dass keiner in diesem Raum Janeks Entschluss besser nachvollziehen konnte als ich.

Meine Augen glitten an Janek hinab zu dem toten Elkanasai, über den Janek noch immer rittlings kniete. Der Kopf des Toten hing über einer Stufe, die Haut schimmerte bläulich, eine geschwollene Zunge hing aus offenen Lippen und leblose Augen starrten verkehrt herum zu mir hinab, aufgerissen und den qualvollem Moment des Erstickens bis in alle Ewigkeit in einem starren Blick festgehalten.

»Auch ich verlor Brüder«, gestand ich plötzlich.

Derricks Kopf flog herum. Aber nicht nur er war überrascht von meinen Worten, ich selbst war es auch. Noch nie hatte ich es offen ausgesprochen, und nun da ich es getan hatte, wurde mein Hass nur noch größer.

Ich hob wieder meinen Blick zu Janek und ignorierte Derrick. »Allerdings waren daran nicht nur die Elkanasai schuld.«

Nachdem ich tief Luft geholt hatte, gab ich Derrick die Armbrust zurück und erklomm langsam die Stufen zu Janek, der mich mit argwöhnischen Augen verfolgte.

»Du hast Befehle verweigert?«, fragte ich.

Janek nickte stumm.

»Nimm doch die Hände endlich runter«, bat ich.

Sofort fielen Janeks Arme kraftlos an seinem Körper hinab, sie schienen so schwer zu sein, dass sie ihn fast zu Boden zogen.

»Gegen welche Gesetze der Ethik hast du verstoßen?«

Nun zeichnete sich auf Janeks Gesicht jenes schiefe und heimtückische Lächeln ab, das ich auch täglich in den Gesichtern jedes einzelnen Mannes sah, der mich begleitete. »Gegen reichlich Gesetze der Ethik.«

»Wieso haben sie dich nicht sofort hingerichtet?«, wollte ich wissen.

»Mein Bruder«, antwortete Janek. »Sie wollten ihn herbringen lassen, damit er bei meiner Hinrichtung zusehen kann.«

Als ich oben auf dem Podest ankam, stand ich zwischen Janek und der noch immer angeketteten Sklavin. Ich sah an beiden vorbei und starrte die fleckige Wand hinter dem Stuhl des Jarls an. Dieser würde fortan vermutlich leer bleiben, ging es mir durch den Kopf.

»Namenloser!«, rief Derrick zu mir auf. Die Art und Weise wie er es sagte, deutete auf etwas Drängendes hin, das er unbedingt loswerden musste, als wüsste ich nicht, in welcher Lage ich mich befand. Denn auch ich hörte den Trubel, der sich hinter den Türen auftat. Vermutlich fragten sich die Soldaten, weshalb sie solange nichts mehr von ihren Befehlshabern gehört hatten.

Ich ignorierte Derrick und die Gefahr weiterhin und ging stattdessen vor der Sklavin mit der dunklen Haut in die Hocke und betrachtete sie.

Hinter mir hörte ich Derrick fluchen, er wandte sich ab. »Los! Versperrt die Tür!«, trug er meinen Wölfen auf. Und wenn ich nicht lautstark widersprach, taten sie alle, was Derrick sagte. Es gehörte einfach zur Hackordnung der Straße. Ich stand an der Spitze, dicht gefolgt von Derrick. Und das nicht ohne Grund. Hätte ich mir nicht durch Skrupellosigkeit den Respekt dieser Männer verdient, stünde ohne jeden Zweifel Derrick weit über mir. Allerdings war meine Position über Derrick, in der Welt aus der wir beide stammten, unanfechtbar, aber das wussten meine Brüder nicht. Für sie alle war ich nur der Namenlose und Derrick nur die verschmähte Laibwache eines niederen Lords. Beides war sowohl Lüge, als auch ein Fünkchen Wahrheit. Ich war gewissermaßen wirklich Namenlos und Derrick war wirklich eine Leibwache gewesen ...

»Tötet ihr mich?« Die Melodie der klaren und hellen Stimme war von einem exotischen Akzent durchzogen.

»Ihr sollte es tun«, forderte die Sklavin furchtlos. Sie hob den Blick zu mir und ihre braunen Augen sahen mir entschlossen entgegen. Kein Fehlen, kein Bitten, nur pure Entschlossenheit und eiserner Willen. »Tötet mich lieber gleich, denn ich werde mich nicht erneut von Männern benutzen lassen, die glauben, Frauen wären Objekte und keine lebenden Wesen.«

Ich musste lächeln. Spöttisch. »Wer nicht im Stande ist, sich zu wehren, muss mit den Konsequenzen leben.«

»Mein Bruder!«, rief Lazlo zu uns hinauf. »Lass sie mir. Als Entlohnung für die Todesfalle, in die du uns geführt hast.«

Ich streckte einen Arm aus und löste die Ketten, die die Sklavin gefangen hielten. »Du bist frei«, sagte ich gelangweilt zu ihr. »Geh und versuch dein Glück allein. Vielleicht gerätst du erneut in die Fänge der Elkanasai, vielleicht schaffst du es ja zu einem Hafen und kannst dich auf ein Schiff schmuggeln, wo dich Piraten nach langen Monaten auf See vergewaltigen .... Oder du bleibst bei uns und genießt unseren Schutz.«

Eine dunkle Hand griff an eine zierliche Kehle, die Sklavin rieb sich die wunden Stellen, die von dem eisernen Halsband verursacht worden waren. Sie sah mir wieder in die Augen, als sie unsicher fragte: »Wer seid Ihr?«

Ich lächelte schief, ohne jegliches Gefühl. »Ich habe meinen Namen vor langer Zeit verloren.«

Verwirrt runzelte sie ihre feminine Stirn.

Ich stand auf, drehte ihr den Rücken zu und wandte mich verständnislos an Lazlo: »In eine Todesfalle geführt? Ich

Lazlo verdrehte die Augen.

Die Stufen wieder nach unten steigend sprach ich weiter: »Sag mir, mein Bruder, wann habe ich euch je in eine auswegslose Situation geführt?«

Lazlo zog eine buschige Augenbraue hoch. »Andauernd!«

»Hm.« Ich setzte einen dummen Gesichtsausdruck auf, über den Derrick schmunzelte, obwohl er wütend auf mich war.

Fragend sah ich in die Runde. »Seltsam. Wenn ich euch je in eine Situation geführt hätte, die keinen Ausweg bot ... wie können wir dann alle hier und noch am leben sein?«

Naiv wie er war, rief Corin: »Weil du immer einen Ausweg hattest.«

Ich lächelte ihn an wie ein Vater ein geistig eingeschränktes Kind anlächelte, wenn es etwas richtiggemacht hatte. »Eben jene Tatsache widerspricht sich mit der Aussage von Bruder Lazlo.«

Corin runzelte die Stirn und sah zu Boden. »Der Namenlose hat recht ... glaube ich.«

Die restlichen Brüder nickten, während Lazlo mit den Zähnen knirschte und mich genervt anfunkelte.

»Und wie willste uns jetzt hier rausbringen, mein Bruder?«, fragte Egid und spuckte auf den Boden. Er stand ganz hinten, direkt neben der Tür und hatte seine doppelköpfige Axt bereit über der Schulter liegen. Er würde mit einem Brüllen die ersten zehn Soldaten alleine niedermetzeln, sollten sie es wagen, hineinzukommen. Bisher hielt jedoch die Türverriegelung, die aus den Speeren der getöteten Elkanasai Soldaten bestand.

Ich konnte ihm nicht antworten, denn ich hatte noch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie wir alle lebend aus dem Gebäude entkommen sollten.

Ein Kampf wäre nach meinem Geschmack gewesen, und meine Brüder wären mir gefolgt, egal, wie aussichtslos es gewesen wäre. Doch ich war nicht dumm und ich wusste, wann es klüger war, sich zurückzuziehen. Überschätzung war ein häufiges Todesurteil großer Männer und eine Schwäche, die ich nicht zu meinen zählen wollte.

Grübelnd sah ich mir das Deckengewölbe an. Es war in der Mitte hoch, doch das Satteldach reichte an den Seiten ziemlich tief. Vielleicht könnten wir ein Loch schlagen und über das Dach entkommen noch bevor die Soldaten die Tür eintraten. Jedoch würden uns von dort aus Bogenschützen sehen und wir wären leichte Beute. Wir trugen nur Lederharnische und keine Kettenhemden, keine gepanzerten Rüstungen, ein Pfeil konnte viel Schaden anrichten.

»Was ist mit ihm?«, wollte Derrick wissen und nickte auf die Sklavin und Janek, die ich beide am Leben gelassen hatte. »Du willst ihn doch nicht gehen lassen, oder?«

Belustigt stellte ich fest, dass Derrick nichts gegen den weiblichen Zuwachs hatte, jedoch wollte er sich bei Janek querstellen.

Noch bevor ich ein Urteil fällen konnte, erhob Janek erneut das Wort an mich. »Wenn ich mich einmischen dürfte ... ich wüsste da einen Ausweg.«

Ich sah erst ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann wandte ich mein Gesicht Derrick zu, der stumm die Lippen zusammenpresste.

»Schätze, er zeigt uns den Weg.« Obwohl es wie eine reine Vermutung klang, war es ein Beschluss meinerseits. Ich ging an Derrick vorbei.

Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen

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