Читать книгу Mord beim Gloriasingen - Birgit Davidian - Страница 12
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Оглавление„Morgenstund hat Gold im Mund.“
Meik Schulte fühlte die angenehme Genugtuung des pflichtbewussten Mannes: Trotz des Feiertags war er um sechs Uhr dreißig aufgestanden, denn er wollte bereits um acht Uhr die Wohnung der Verstorbenen zu inspizieren. Um zehn Uhr würde er den Pfarrer treffen und kurz darauf die vier Bläser. Er hatte alles perfekt organisiert. Der Staatsanwalt in Dortmund wollte bis sechszehn Uhr informiert werden. Ihm graute schon vor einem anstrengenden Telefonat, aber dank seiner hervorragenden Arbeit würde er bis dahin den Fall – vor allem wenn es Selbstmord war - vielleicht schon gelöst haben und in die wohlverdiente Urlaubswoche gehen können. Seine Frau Ute wollte mit ihm und den Kindern direkt nach dem Fest ein paar Tage Urlaub in Willingen verbringen. Die Kinder würden in die Skischule gehen und er könnte mit Ute Wellness machen. So etwas Entspannung tat dem Eheleben doch richtig gut. Er hatte sich nicht lumpen lassen und ein Superior Zimmer im Hotel Sauerlandstern gebucht. Da gab es immer die besten Silvester-Partys. Ute würde begeistert sein und sich hoffentlich anerkennend und anschmiegsam zeigen.
Er parkte an einer der großen Ausfallsstraßen außerhalb der Stadtmauer und betrat die Mietskaserne, in der Herta Schneider die letzten vierzig Jahre gelebt hatte. Hier lebten viele Aussiedler, Migranten und sozial Benachteiligte. Im Treppenhaus roch es nach Kohl. Schulte schimpfte über ein an der Wand lehnendes Kinderfahrrad, an dessen angerostetem Stützbein er mit der Hose hängenblieb.
Die Wohnung lag im zweiten Stock. Nachdem er aufgeschlossen hatte, fand er sich in einem kleinen Flur wieder, in dem sorgfältig auf Bügel gezogen eine Strickjacke, eine Regenjacke und darüber ein kleiner schwarzer Hut an der Garderobe hingen. Er ging weiter ins Wohnzimmer. Die Einrichtung war geschmackvoll, die hellen Farben von Tapeten und Vorhängen wirkten freundlich. Ein Adventskranz schmückte den kleinen Couchtisch, daneben standen ein einladender Sessel mit einer Leselampe und ein großes Bücherregal. Er war erstaunt, keinen Fernseher in der Wohnung zu finden.
„Viel zu vererben hat die wohl nicht.“ dachte Schulte. Er ging weiter ins Schlafzimmer. Auf dem Nachttisch lag ein aufgeschlagenes Buch, das er zur Hand nahm: „Berühmte Frauen der Zwanziger Jahre“.
„Alter Schinken, dass Frauen immer im Bett noch lesen müssen.“ dachte er kopfschüttelnd und ging weiter ins Badezimmer. Es war klein, ohne Fenster und gelb gefliest. Ein Strauß getrockneter Blumen stand neben dem Waschtisch. Darüber ein Kosmetikschrank, den er öffnete. Hier fand er einige Medikamente: Aspirin, Venendragees, Anafranil. Das letzte trug den Aufdruck „Antidepressivum“.
„Sieh einer an. Da hatte der Bruder also recht.“ dachte Schulte. Er steckte die Schachtel ein und ging weiter in die Küche. Neben dem Herd standen eine reich gefüllte Obstschale, in der eine Banane bereits erste braune Flecken bekam, sowie ein mit orientalischen Schnitzereien verziertes dunkles Holztablett mit unzähligen exotischen Gewürzen. Auf dem kleinen Esstisch lag DIE ZEIT vom letzten Donnerstag, aufgeschlagen war der Kulturteil. Das Volumen der Zeitung irritierte Schulte etwas. Er las täglich den Soester Anzeiger, so wie seine Frau, seine Eltern und alle seine Freunde. Da war für jeden was dabei: Er las den Sportteil, seine Frau den Lokalteil mit den neuesten Nachrichten über die Veranstaltungen der Landfrauen, der Bürgerschützen und Kleintierzuchtvereine. Erst letzte Woche war wieder ein Bild seiner Tochter darin gewesen, vom Schulfest. Das war eine richtig gute Zeitung. Oft klebten auch Rabattmarken vom Metzger auf dem Titelblatt.
Zerstreut griff Schulte nach dem handgeschriebenen Zettel, der halb von der Zeitung verdeckt war. In krakeliger Schrift stand da: „Ich kann nicht mehr. Entschuldigt. Herta.“
„Bingo!“ dachte Meik Schulte und konnte sich ein siegessicheres Lächeln nicht verkneifen.