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Saturday Night

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Es gibt Samstagabende, einige wenige, an denen muss ja gar nicht viel passieren. Tag eins nach dem Urlaub zum Beispiel ist meist ein Samstag. Dann heißt es erst mal: ankommen, nicht weggehen. Oder auch, wenn der Freitagabend erst am Samstagmorgen – vielleicht sogar mit einem Kuss im Auto – geendet hat, dann ist der Samstagabend auch schon gerettet. Dann reicht mir die Erinnerung voll und ganz. Jeden Moment vom ersten Hallo bis zum allerletzten »Ich melde mich« gilt es noch einmal zu durchleben. Jeder Augen-Blick, jedes Räuspern und das Lächeln erst! Hach. Da muss der Samstagabend nicht noch künstlich gefüllt werden. Er könnte auch gar nicht. Denn die Augen, vor allem die Hautpartien um die Augen, sagen jedem sofort: Hier hat ein Mensch die letzte Nacht durchgemacht. Hier ist ein Mensch sehr müde und noch gar nicht so alt, wie er gerade aussieht. Solche Abende sind hinter einem Buch oder vor dem Fernseher definitiv besser verbracht. Dann kann ich mich sogar mit meiner Jogginghose inklusive Hängearsch-Schritt sehr sexy fühlen.

Aber es gibt die anderen Samstagabende. Und die sind in der Überzahl. Unzählige haben Sabine und ich schon bestritten. In der jüngsten Vergangenheit hat sie sich auch so manchen erstritten – gegen Martin. Natürlich hat er Verständnis dafür, dass seine Ehefrau auch ihre Freiheit braucht. Warum sie die ausgerechnet Samstagnacht einfordert, ist ihm verdächtig. Dass sie diese auch noch mit mir in obskuren Läden verbringt, findet er hochgradig dubios.

Als es Martin noch nicht gab, also zumindest nicht in Sabines Leben, haben wir uns manchmal ausgemalt, wie schön es wäre, Kinder zu haben. Dann könnten wir am Samstagabend zu Hause bleiben. Wir könnten nicht nur, wir müssten quasi. Wir müssten gar keine Entscheidung fällen. Wir haben uns vorgestellt, wie wir uns dann in dem schönsten Selbstmitleid und den schönsten Illusionen suhlen: Wie ungerecht es sei, dass wir an Herd und Hof gekettet wären und was wir nicht alles verpassten.

Sabine wird sich bald in den wenigen Minuten Nichtstun suhlen, wenn sie gerade keine volle Windel in der Hand oder ein hungriges Baby am Busen hat. Und ich werde weiter alle Energien, die am Ende einer Arbeitswoche noch da sind, bündeln und mich in die Nacht der Nächte stürzen.

So ein Samstagabend beginnt plus minus sieben Uhr. Dann hat die durchschnittliche Single-30-Frau ihre Einkäufe erledigt und die Wohnung in einen Zustand gebracht, den die Mutter zumindest als akzeptabel einstuft. Die Wäsche wurde gewaschen, und dann beginnt die Zeit des Telefons. Wohin? Vor ein paar Jahren war alles anders. Ein paar Jahre vor den 30ern, da fing so ein Samstagabend einfach irgendwo an und endete irgendwo. Es ging erst in die Kneipe oder auf eine Party, weil mit Mitte 20 immer irgendwo Parties sind. Oder man traf sich im spanischen Begegnungszentrum, wo es gutes Essen zu guten Preisen gab, wo feurige Blicke an allen Ecken funkelten und multikuturelles Leben total angesagt war. Oder wir haben einfach den ganzen Abend vertelefoniert. Wenn ich demnächst am Samstagabend mit Sabine telefonieren will, wird sie zwischendurch dauernd so Sätze sagen wie »Putz dir doch schon mal die Zähne«, und ich würde mich fragen, ob sie wohl mich meint.

Ich scheue mich vor der Vorstellung, mir eine neue Samstagsabend-Ausgehfreundin zu suchen, und überlege, ob ich nicht auch einfach zu Hause bleibe. Dass ich es mir mit leckerem Käse, Ciabatta und einer Flasche gutem Wein vor dem Fernseher bequem mache und einen Film sehe, den ich im Kino verpasst habe.

Am Sonntagmorgen hätte ich dann keinen Belag im Mund, der die Zunge wie ein pappiges Brötchen das Würstchen umhüllt. Ich hätte keine Arbeiter mit schwerem Gerät hinter den Augen und bestimmt keine Erinnerungslücken – ich würde mich zu Tode langweilen. Ich würde morgens nachsehen, ob ich schon Spinnweben unter den Achseln habe.

Also werde ich mich weiter umtreiben, rumtreiben. Dazu ist der Samstagabend da. Samstagnacht ist Discozeit, und so ignorieren wir 30er-Zone-Frauen die Tatsache, dass 85 Prozent der Anwesenden – Geschäftsführer und Kellnerinnen eingeschlossen – mindestens ein Jahrzehnt jünger sind als wir. Die wissen nicht, dass »Wetten dass« irgendwann nicht von Thomas Gottschalk moderiert wurde und dass Twix mal Raider hieß. Wir ignorieren diese Wissenslücken. Solange wir uns gut amüsieren, spielt das keine Rolle. Wir werden respektiert oder zumindest geduldet. Wir denken einfach nicht drüber nach. Wir hoffen. Hoffen, dass diese Kinder irgendwann nach Hause gehen. Oder zumindest irgendwo andershin. Wir möchten durchhalten, längeren Atem beweisen. Im Alter braucht man doch weniger Schlaf, oder? Doch nicht nur unser Fleisch zeigt langsam die ersten Anzeichen von Erdanziehungskraft. Auch unsere Augenlider singen schwere Lieder. Wir haben eben doch noch nicht die Kraft der zwei Herzen. Wir haben einfach nur Kopfschmerzen. Oder tränende Augen. Oder Depressionen. Und wie oft bin ich schon mit dröhnenden und pfeifenden Ohren aus der Disco gekommen und konnte meine Hörfähigkeit schwinden spüren?

Um wie viel Uhr kann man nach Hause gehen, ohne dass es nach Abbruch klingt? Ein Uhr klingt gar nicht gut. Halb zwei ist so naja. Ab zwei Uhr ist man eigentlich auf der sicheren Seite. Ab vier Uhr geht es uns richtig gut. Ab vier Uhr kann man am nächsten Tag was erzählen.

Und so stehen wir in irgendwelchen Läden, die in sein sollen. Wir versuchen, in Technosongs einen Hauch von Melodie zu erkennen. Und wenn dann endlich ein Song aus den 80ern kommt, sind wir uns nicht sicher: Sollen wir uns nun freudig Richtung Tanzfläche aufmachen oder outen wir uns dann endgültig? Ich bin schon so manches Mal bei einem richtig guten Oldie auf der Tanzfläche angekommen, um dann festzustellen: Das ist eine neue Version. Eine Version, die im mittleren, rund einstündigen Teil nur aus Rhythmus besteht. Der Rückzug war mir jedes Mal unangenehm. Wenn ich aber versucht hätte, mich dazu zu bewegen, wäre es für alle Beteiligten peinlich geworden. Also beschränke ich mich darauf, einfach nur mit dem Fuß im Takt zu wippen, wenn ich dann endlich mal einen Song erkenne. Und natürlich singe ich schon lange bei »Leuchtturm« von Nena nicht mehr mit.

Eigentlich gehen die wenigsten zum Tanzen in die Disco. Tanzen ist einfach nur ein Fortbewegungsmittel zwecks Standortwechsel. Manchmal ist es auch einfach nur eine Bewegungsform, um das eingeschlafene Bein mal wieder zu beleben. Aber eigentlich ist Disco – ob man 17 ist oder 35 – immer noch Flirt. Ist Materialschau.

Nur: Früher durften wir schon so lange weg. Heute müssen wir so lange weg, um fündig zu werden. Also stehen wir am Rand der Tanzfläche und fragen uns: Wie sieht eine Frau aus, von der ein Mann sagt, dass sie es nötig habe? Und das in einem Tonfall, der sich anhört, als sei Körperkontakt mit einer solchen Frau quasi schon Leichenschändung. Manchmal sehen wir solche Frauen. Die sind uralt, also so Mitte 40, und haben nicht selten ihren schon lappigen Oberkörper in eine Lederimitation geschnürt. Oft tragen sie Stiefel, die erst über dem Knie enden, und trinken süßen Sekt. Und wir fragen uns leise: Sind auch wir schon so eine Randerscheinung geworden? Wir tragen noch keine Stiefel, mit denen man auch angeln kann. Aber wir zwängen uns auch nicht in Hosen, die mühsam die Schambehaarung bedecken und Lichtjahre unterhalb des Bauchpiercings sitzen. Wir tragen auch keine Tops, die genau verraten, wie die Träger unseres BHs aussehen. Und da wir einen BH tragen müssen, tragen wir das, was die Mode zwischen Anglerstiefeln und Piercings sonst noch so hergibt. Und das ist oft völlig geschlechtsneutral.

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