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Sonntag

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Sonntage sind schön. Das höre ich auch neuerdings von Sabine immer öfter. Wie schön es sei, dass Martin am Sonntag endlich mal die Fahrräder auf Vordermann gebracht habe. Dass Martin am Sonntag die Steuererklärung gemacht habe. Manchmal freut sie sich auch einfach nur, dass Martin sonntags mal mehrere Stunden am Stück und wach zu Hause ist. Ex-Busenfreundin Anja hat es auf den Punkt gebracht: Nein, am Sonntag könnte ich nicht zu ihr kommen. Da sei ihr Mann doch zu Hause. Sonntage sind Duette.

Mein Sonntag beginnt gemeinhin mit einem pochenden Gefühl zwischen den Augen, die Zunge fühlt sich an wie eine Mischung aus verfilzter Wolldecke und toter Katze. Geschmack und Mundgeruch stützen den Eindruck, und meist wird es dunkel, ehe es so richtig hell geworden ist.

Nein, im Ernst, Sonntage sind sicher schön. Zumindest, wenn man neu und glücklich verliebt ist und Krümel im Bett mag. Dann ist der Sonntag ein einziges Grinsen und Glucksen und ein wohliges Wonnen. Dann schlägt das Herz noch lauter als das schlechte Gewissen, weil man doch am Montag ein Referat, einen Vortrag oder einen Rechenschaftsbericht halten muss. Ein Sonntag plus Verliebtsein ist wie eine einsame Insel mit Kabelanschluss. Dann ist es auch ganz egal, ob die Sonne scheint oder ein Wolkenbruch bricht. Solche Sonntage sind wie Mousse au Chocolat plus Sahne, minus schlechtes Gewissen.

Sabine wird bald vielleicht nicht mehr wissen, ob gerade Sonntag ist oder nicht, weil so ein Baby auch am siebten Tage schreit und pinkelt und Schlimmeres macht. Im wahrsten Sinne macht.

Für mich als 30-plus-Single-Frau wird dieser Tag – ob mit prasselndem Regen oder fröhlichem Frühlingsvogelgezwitscher – kurz hinter der Grenze des Erträglichen liegen. An kalten Wintertagen kuschele ich mich unter die Bettdecke und weiß ganz genau: Alle anderen kuscheln jetzt zu zweit. Brechen die ersten Sonnenstrahlen durch die winterverschmierten Fenster, kuschele ich mich noch tiefer unter die Decke, weil ich ahne: Alle anderen kuscheln jetzt im Grünen und holen sich den ersten wunderbaren Sonnenbrand des Jahres. Ich verstecke mich natürlich auch unter der Decke, weil ich den Anblick glasklarer Sonnenstrahlen, die sich durch das Grau der Fensterscheiben bohren wollen, nicht ertragen kann. Die pieksen direkt ins schlechte Gewissen. Ich fühle mich dann nicht nur einsam, sondern auch noch schlampig.

Sonntage sind Deckentage. Das fängt mit der Bettdecke an. Es ist ja gar nicht so, dass wir 30er-Solo-Frauen bis vier Uhr in irgendwelchen Discos rumhängen, weil wir uns dort so prächtig amüsieren. Wir wissen einfach: Je später im Bett, desto länger im Schlaf. Wir gehen spät ins Bett, weil wir spät aufwachen wollen. Ein freier Tag, der erst um zwei Uhr mittags beginnt, ist um sechs Stunden besser als ein freier Tag, der schon um acht Uhr in der Früh anfängt.

Ich ahne, noch ehe ein Jahr herum ist, wird Sabine stöhnen, dass sie endlich mal wieder einen Sonntag nur für sich will. Nur mal ausschlafen möchte. Dann werde ich sie daran erinnern, wie es ist, sich an der Bettdecke festzuklammern, sich noch einen Traum auszudenken, noch ein Stündchen zu dösen, um dem Tag nicht ins Auge blicken zu müssen.

Vor gar nicht allzu langer Zeit haben wir uns samstags erst um 23 Uhr getroffen. Dann war die Zeit bis zum gnädigen Morgengrauen nicht mehr so lang. Ich habe mich regelmäßig erst nach dem Torwandschießen im Aktuellen Sportstudio auf den Weg in die Stadt gemacht. Wenn das so weitergeht, werde ich mich mit irgendwelchen Freundinnen erst zur After-Show um drei Uhr in einem verräucherten Club treffen, um der Sonne beim Aufgang und uns beim Niedergang zuzusehen.

Irgendwann stehe natürlich auch ich an einem Sonntag auf. Irgendwann habe ich genug von der toten Katze. Ich schrubbe mir den Filz von den Zähnen und werde doch diesen schalen Geschmack nicht los. Ich simuliere dann gern – in Anlehnung an das Torwandschießen – sportliches Interesse, verfolge eine dreistündige Biathlon-Übertragung im Fernsehen oder lasse mich vom Plop-Plop eines Tennisspiels einlullen und hoffe auf den fünften Satz. Mir mangelt es nicht an Beschäftigungs-Alternativen. Ich könnte Bettwäsche bügeln, die schon mindestens drei Tage trocken und knittrig im Keller hängt. Ich könnte auch Quittungen für die Einkommensteuererklärung chronologisch oder nach Höhe ordnen. Ich könnte die Fotos der vergangenen sechs Urlaube einkleben und mit lustigen Kommentaren versehen. Ich könnte an so einem Sonntag auch sämtliche Abflüsse in Bad und Küche mit Zahnpasta blank scheuern. Ich könnte mal um den Block oder einfach gleich Amok laufen. Aber meist kann ich mich einfach nicht entscheiden. Dann kratze ich die allerletzten Energiereserven zusammen und schaffe es bis zum Zigarettenautomaten und meist auch wieder zurück.

Der Super-Gau eines solchen Tages ist der Anruf bei einer Freundin, die nicht da ist. Das heißt nicht nur: Wir werden unsere eigene Stimme heute gar nicht mehr hören. Das heißt auch: Die macht irgendwas. Womöglich etwas, was Spaß macht. Natürlich gönnen wir ihr das. Von Herzen. Aber uns würden wir das verdammt noch mal auch gönnen. Wir trösten uns mit dem Gedanken, dass sie wahrscheinlich gerade in der Badewanne liegt.

Ein ausgedehntes Schaumbad ist der Notausgang für jeden Sonntag unterhalb der 25-Grad-Celsius-Grenze. In der Wanne muss man nichts machen und hat doch die Illusion, man tue etwas für sich. Dass das nicht stimmt, merken wir spätestens nach dem Bad, wenn plötzlich nicht mehr nur das Haar schuppt, sondern auch die Haut. Dann cremen wir uns mit einem halben Liter Bodylotion ein und freuen uns, dass wir wenigstens einmal an diesem Tag so richtig glänzen können.

Erst gegen Abend normalisiert sich der Tag. Ab acht Uhr abends sehen die Sonntage – ob mit Familie, ob mit Freund, mit Kleinkind oder alleine – zumindest ähnlich aus. Die Verliebten setzen zur Landung an, die Körpertemperatur und die Stimmung kühlen ab. Schließlich droht der Montag. Die Mamas und Papas haben ihre Kinder zumindest schon im Schlafanzug, im besten Fall schon im Bett, und hoffen auf den W-Fragen-freien Abend. Und wir tauchen auf, stoßen zur Wasseroberfläche durch, schnappen nach Luft und erreichen langsam den Pegel, den man als Normalnull betiteln darf. Dass der Fernseher schon seit acht Stunden läuft, muss ja keiner wissen. Ab acht Uhr abends darf die Glotze flimmern. Muss sie quasi. Denn wenn morgen früh im Büro jemand über den Tatort philosophiert, will man ja mitreden können. Ansonsten sagt man das, was alle sagen. Den Standardsatz, der die Woche einläutet: »So ein Mist, schon wieder Montag. Das Wochenende ging wieder viel zu schnell vorbei. Also wenn ich an Samstagnacht denke ...«

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