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Farblehre

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Natürlich haben auch Mütter in den 30ern die merkwürdigsten Ideen und Hobbys. Nur haben sie keine Zeit, sie auszuleben. Und oft ist das auch gut so. Sie werden nämlich nie die leidvolle Erfahrung machen, wie es ist, wenn die Erwartung von heute auf das Können von gestern trifft. Zum Beispiel beim Malen: Kinder malen gerne. Punkt-Punkt-Komma-Strich wird abgelöst von Das-ist-das-Haus-vom-Nikolaus. Irgendwann kommt dann »Malen nach Zahlen« dazu, und das war es dann auch oft schon.

Jahre später dringt, warum auch immer, der Wunsch ins Rampenlicht: Ich will malen. Nicht selten bricht diese Erinnerung als Wunsch nach Renovierungsarbeiten durch. Dann ist jede Wand eine Herausforderung. Tupftechnik oder Schwammarbeit? Marmorieren oder Krakellieren? Wie macht sich wohl eine Küche mit zwei gelben und zwei roten Wänden? Und wo gerade so viel Farbe übrig ist: Vielleicht ist ja auch der alte Schrank nach einer kleinen Farbbehandlung wieder wohnzimmertauglich. Dass die Wandfarbe auf der Wand gut aussieht, aber leider auf Holz überhaupt nicht sidolin-resistent ist, zeigt sich erst Wochen später.

Wochenlang hatte Stefan, mein Nachbar, nicht mit mir gesprochen. Ich hatte ihn davon überzeugt, dass weiße Raufaser eine Küche einfach ungemütlich macht. Dass weiße Tapete einfach steril wirke. Und ob er so wirken wolle? Ich hatte ihn ferner davon überzeugt, dass eine Küche gute Laune verbreiten müsse und einzig Sonnenblumen ein küchentaugliches Symbol für Leben und Laune seien. Ich hatte erst Schablonen benutzt. Das war mir aber erstens zu technisch und zweitens verschmierten die Ränder immer. Ich hatte dann frei gearbeitet. Nach seiner Rückkehr war Stefan sehr laut und brüllte gemeine Sachen. Er hat das florale Werk dann wieder weiß übermalt.

Dennoch: Farbe fasziniert. Und der Umgang mit Farbe symbolisiert Kreativität. Also wird nicht nur die Wohnung durch die gesamte Farbpalette gezogen, es wird auch eine Staffelei gekauft, um kleine weiße Leinwände aus dem Kreativmarkt mit Farbe zu verschönern. In öffentlichen Galerien heißt so etwas Expressionismus. Im eigenen Wohnzimmer sieht es aus wie »Ist noch nicht fertig«. Natürlich sind die ersten Versuche gegenständlich. Wobei die Gegenstände immer einfacher werden. Von »Verwinkelter Stadt vor dunstigem Abendhimmel« geht es über »Segelschiff auf blauem Meer vor blauem Himmel« zu »Flasche auf Tisch«. Aber selbst ein Tisch hat seine Ecken und Kanten. Und irgendwann endet die »Fluchtpunktperspektive« in der modernen Malerei, die selbst vollendet noch nach Grundierung aussieht. Im besten Fall.

Aber vielleicht ist das alles auch nur Kompensation. Während kleine Mädchen hemmungslos in Mamas Farbtöpfe langen dürfen, um mit einem Gesicht à la »großes Abend-Make-up« zum Kindergeburtstag zu gehen, werden wir im Laufe der Jahre immer dezenter. Der Kajal ist schon lange nicht mehr schwarz, weil das billig wirkt. Tiefroter Lippenstift wird für ganz seltene Nachtgelegenheiten aufbewahrt. Lidschatten nur als Hauch aufgetragen und Nagellack schon lange nicht mehr in Blau oder Grün.

Wir müssen auf die ganzen schönen Farben verzichten. Das heißt nicht, dass wir kürzer vorm Spiegel stehen. Im Gegenteil. Gesichtsdekoration, die jeder sofort sieht, ist schneller aufgetragen, als ein Ei hart wird. In der Zeit, die man für Kosmetik braucht, die jeder wahrnimmt, aber keiner sieht, kann ein Ei fast ausgebrütet werden.

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