Читать книгу Der böse Blick - Björn Larsson - Страница 12

9

Оглавление

Alain wusste, dass er zu Dumas gerufen wurde, weil dieser ihm die Leviten lesen wollte. Georges hatte ihm sicherlich von dem morgendlichen Streit berichtet.

Konnte es auch etwas mit der Sabotage zu tun haben? Nein, niemand hatte ihn gesehen. Dass er so viel Zeit für die Kontrolle der Pumpen benötigt hatte, ließe sich damit erklären, dass ihn Thierrys Unfall sehr beschäftigte. Es war verdammtes Pech gewesen, dass sie den Schaden so schnell behoben hatten. Damit hatte Georges in letzter Minute den Kopf aus der Schlinge gezogen. Einige Minuten später wäre seine Karriere im Grundwasser ersoffen. Und Dumas wäre mit in die Tiefe gezogen worden. Aber noch war es nicht zu spät. Georges und Dumas durften nicht ungestraft auf ihm herumtrampeln. Vor allem nicht ein Verräter wie Dumas.

Alain lächelte Dominique strahlend an. Er starrte auf ihre Brüste. Hatte Dumas sie etwa schon ins Bett gekriegt? Daran würde er gegebenenfalls nicht mehr viel Freude haben. Wenn Alain mit ihm fertig war, würde Dumas’ Glorienschein ziemlich verblasst sein. Ihm ging durch den Kopf, dass er Dumas bei dieser Gelegenheit noch ein hübsches Sümmchen abpressen könnte. Mit ein paar Tausendern in der Tasche konnte er vielleicht auch Dominique einladen. Nichts schien unmöglich.

»Der Chef erwartet Sie«, sagte Dominique, ohne aufzublicken.

Schwarze Schlampe! Sie sollte ihn gefälligst ansehen, wenn sie mit ihm sprach. Typisch für Dumas, eine Farbige als Chefsekretärin einzustellen. Er hatte einfach keine Scham im Leibe. Das war die Crux bei den Franzosen; im Bett waren ihnen Rasse, Religion oder Hautfarbe völlig gleichgültig. Nicht einmal bei Arabern konnten sie ihre Finger im Zaum halten. Hätten sie nicht so große Angst davor, ein Messer in den Rücken oder die Kehle durchschnitten zu bekommen, hätte sich schon ganz Algerien mit ihnen vermischt. Ganz anders bei den englischen oder deutschen Kolonien. Dort herrschte Ordnung. Wenn die Weißen heimkehrten, blieben ausschließlich Schwarze zurück. In den französischen Kolonien hingegen gab es bald nur noch Café au lait. Sie besaßen einfach keine Moral, diese Franzosen. Dumas war genauso, war es immer gewesen.

Alain ging hinein, ohne anzuklopfen.

»Hallo, Bernard«, sagte Alain.

»Setz dich!«

Alain nahm Platz. Dumas hatte keine Miene verzogen, als Alain seinen alten Decknamen aus dem Algerienkrieg verwendet hatte.

Dumas ging um den Schreibtisch herum und stellte sich hinter Alain.

»Georges war vorhin bei mir. Er hatte schlechte Nachrichten. Ich denke, du weißt, wovon ich rede.«

»Mein Sohn liegt mit gebrochenem Kiefer und zertrümmerter Kniescheibe im Krankenhaus. Er wurde von vier Arabern angegriffen. Von hinten.«

»Das meinte ich nicht.«

Alain drehte den Kopf, um Dumas in die Augen zu schauen, doch Dumas ging hinter seinem Rücken auf und ab. Alain konnte doch nicht wie bei einem Tennismatch ständig hin und her blicken, also starrte er schließlich geradeaus auf die leere Tischplatte.

»Georges meint, du würdest deine Arbeit vernachlässigen und Konflikte vom Zaun brechen.«

»Georges lügt. Die Araber machen ständig Ärger. Es ist doch wohl nicht meine Schuld, wenn sie nicht tun, was ich ihnen sage.«

»Das ist der Punkt. Du bist dafür verantwortlich, dass sie tun, was du sagst. Das gilt für Araber und Franzosen.«

»Du verstehst nicht, worum es geht.«

»Nicht?«

Alain wusste, dass er einen Fehler begangen hatte. Dumas kannte die Araber in- und auswendig. Er hatte vom ersten bis zum letzten Tag am Krieg teilgenommen. Was wollte er von ihm? Warum strich er fortwährend hinter seinem Rücken herum?

»Leider verstehst du nicht, worum es geht«, fuhr Dumas fort. »Es geht darum, dass die Dinge funktionieren. Dieses Projekt muss in zwei Jahren fertig gestellt sein, wie geplant. Alles, was dieses Ziel gefährden könnte, muss aus dem Weg geräumt werden.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung. Die Araber müssen weg, damit hier endlich Ordnung herrscht.«

»Die Araber haben dieses Land aufgebaut. Sie haben gemauert, Beton gegossen, Armierungseisen zusammengeschweißt und Löcher gegraben. Nicht die Franzosen. Aber die Einwanderer der zweiten Generation sind sich für solche Drecksarbeiten zu schade. Wollen sich nicht die Finger schmutzig machen. Sind schon zu französisch geworden. Ich habe dir mit der Anstellung einen Gefallen getan. Ich dachte, du wächst mit den Aufgaben. Das tun die meisten. Ich dachte, du hättest aus sechs Jahren Krieg etwas gelernt, vor allem, die Araber nicht zu unterschätzen. Jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Alle haben ihre Mängel und Fehler, auch ich. Doch ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Deswegen habe ich es so weit gebracht. Du hingegen hast nichts gelernt. Du glaubst immer noch, wir hätten den Krieg gewinnen können, wenn de Gaulle nicht gewesen wäre. Härtere Folter und ein paar Fallschirmsoldaten mehr hätten deiner Meinung nach schon ausgereicht, nicht wahr? Der Unterschied zwischen uns ist, dass ich Realist bin, während du deinen Fantasien nachhängst. Von morgen an bist du nicht mehr Vorarbeiter, kannst aber in deiner Sektion bleiben, wenn du willst. Dann musst du machen, was Ahmed dir sagt.«

Dumas wollte ihn vernichten. Die Araber sollten Gelegenheit bekommen, ihm im Tunnel den Garaus zu machen.

»Ich lasse mir weder von Ahmed noch von irgendeinem anderen Araberschwein etwas sagen.«

»Wie du willst. Du bist fristlos entlassen.«

»Du dreckiger Verräter!«

»Ich glaube, du solltest mit der Wahl deiner Worte etwas vorsichtiger sein. Ich bin kein Araber.«

»Wie viele Franzosen hast du auf dem Gewissen, Bernard? Ein Dutzend? Hundert? Wie viele mussten sterben, damit du deine Haut retten konntest? Was, glaubst du, würde die OAS oder die Front National dazu sagen, wenn sie wüssten, dass du dir freies Geleit erkauft hast, indem du die ans Messer geliefert hast, die den Kampf gegen die FLN fortsetzen wollten? Du, der immer damit angegeben hat, dass die FLN ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt hatte! Du, der von so vielen für seine Kaltblütigkeit während der Strafaktionen in Casbash bewundert wurde! Wie viele hast du an Malik verraten?«

Alain schrie vor Schmerz auf. Dumas hatte seinen Kopf nach hinten über die Stuhllehne gebogen.

»Ich könnte dir genauso leicht das Genick brechen, wie ich eine Fliege erschlage. Du weißt, dass ich ohne weiteres dazu in der Lage wäre, noch dazu, weil es in meinem Interesse liegt. Und damit eins klar ist: Niemand wird auch nur einen Finger für dich krümmen, um mir etwas nachzuweisen. Einer wie ich ist für deine Freunde Millionen wert. Ich kann mir ihr Wohlwollen erkaufen, wann immer es mir passt. Du hingegen bist entbehrlich, bist Kanonenfutter. Daran solltest du denken, bevor du Drohungen ausstößt, denen ja doch keiner Glauben schenken wird. Die Welt wird nicht durch Worte vorangebracht, Alain, sondern durch Taten. Wie ich schon sagte: Die Dinge müssen funktionieren. Das tun sie nicht, wenn Typen wie du zu viel Macht erhalten. Hitler bediente sich mittelmäßiger Spießer, wie du einer bist, um an die Macht zu gelangen. Nur um sie später zur Infanterie zu schicken und abschlachten zu lassen. Lies, was Le Pen und Mégret schreiben. Weißt du, was du in ihren Augen bist? Ein Papiertaschentuch. Etwas, womit man sich schnäuzt, um es dann wegzuwerfen.« Dumas löste den Griff um Alains Hals. Der Schmerz pulsierte. Alain zitterte am ganzen Körper. Er konnte nichts dagegen tun.

»Feigheit«, sagte Dumas. »Dieselbe Feigheit wie früher. Und du hast dir eingebildet, mich einschüchtern zu können? Du hast dir doch schon in die Hose gemacht, wenn Leute der FLN in der Nähe waren. Warum, glaubst du eigentlich, habe ich diese Position? Weil ich mir einen nüchternen Blick bewahrt habe. Weil ich mich nicht von Gefühlen leiten lasse. Alles, was ich tue, ist gründlich durchdacht und wohl kalkuliert. Meine Äußerungen zum Krieg genauso wie alles andere. Als Salan die Armee nicht auf seine Seite ziehen konnte, war die Sache für mich entschieden. Die OAS bestand aus einem Haufen Narren, die plötzlich den Verlockungen der Macht erlagen. Aber sie verkannten die Realität und dachten nur an den eigenen Ruhm.«

Alain versuchte aufzustehen. Dumas half ihm auf die Beine.

»Du kannst mit demselben Gehalt als Bauarbeiter weitermachen. Denk bis morgen darüber nach.«

Alain sah Dumas’ eiskaltes Lächeln. Wie war er dazu nur in der Lage?

Dumas geleitete ihn zur Tür und öffnete sie mit höflicher Geste.

»Dominique, wären Sie so freundlich, ein Taxi zu rufen und Alain zum Fahrstuhl zu begleiten. Er hat einen Migräneanfall. Der Arme. Es muss sehr schmerzhaft sein. Außerdem ist ihm schwindlig.«

Dominique rief ein Taxi und packte Alains Arm. Der Duft ihres Parfüms und ihrer Weiblichkeit kitzelte Alain in der Nase. Er versuchte, sie abzuschütteln, doch dazu fehlte ihm die Kraft.

Dominique gab dem Taxifahrer Alains Adresse. Aber sobald das Auto außer Sichtweite war, bat Alain, ins Krankenhaus gefahren zu werden. Nach einer Viertelstunde waren die Kopfschmerzen so gut wie verschwunden. Gedankenspiele über die Art der Rache waren effektiver als die stärksten Kopfschmerztabletten.

Als das Taxi vor dem Krankenhaus stehen blieb, wusste er sofort, was zu tun war, obwohl er sonst stundenlang grübelte, um die geringsten Probleme zu lösen. Er wollte an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Er wollte auftreten wie ein geprügelter Hund, damit die anderen dachten, dass er klein beigab. Wenn sie am wenigsten damit rechneten, würde er zuschlagen, mit der Hilfe von Thierry und einigen anderen. Georges, Ahmed, Rachid und Dumas sollten sehen, dass er nicht ungestraft auf sich herumtrampeln ließ. Georges hatte keine Eltern. Na gut, dann sollten seine Kinder auch keine haben. Die anderen sollten so gepeinigt werden, bis sie ihn auf allen vieren um Gnade anflehten. Sie sollten im Staub kriechen und an seinen Stiefeln lecken. Genau wie die Araber, die er im Krieg verhört hatte. Er war der geschickteste Vernehmungsleiter der DOP gewesen. Für seine Tüchtigkeit im Dienst war er mehrfach ausgezeichnet worden. Niemand besaß so viel Talent wie er, die Moral und Widerstandskraft der Araber zu brechen, das konnten viele bezeugen. Durch die Informationen, die er auf diese Weise bekommen hatte, war es ihm gelungen, das Leben Tausender Wehrpflichtiger zu retten. Und was war der Lohn? Undankbarkeit. Dreißig Jahre lang hatte man ihn wie einen Aussätzigen behandelt, vor allem diejenigen, die früher seine Vorgesetzten gewesen waren und jetzt ihre Hände in Unschuld wuschen. Ausländer sollten unter allen Umständen integriert werden, ob sie wollten oder nicht. Dafür wandte man viel Geld und Energie auf. Aber wer kümmerte sich um ihn? Wo gab es Gerechtigkeit? Nirgends.

Der böse Blick

Подняться наверх