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»Dreckiger Araber!«

Ahmed schaute aus den Augenwinkeln zu Fatima, die ungerührt vor sich hin sah. »Kanake!«

Jetzt blickte Fatima rasch zu ihm auf. Er erwiderte ihren Blick und lachte. Das waren hässliche Wörter, aber sie töteten nicht. Zumindest nicht auf der Stelle.

Doch dann kam der Stein. Er traf Fatima am Hinterkopf. Sie wankte und stieß einen Schrei aus. Sie wusste, dass man keine Angst zeigen durfte. Genau wie bei bissigen Hunden. Ahmed sah, wie das Blut zwischen ihren pechschwarzen Haaren hervorsickerte, es rot färbte und langsam den Nacken hinunterlief. Sie drehte sich um. Zwei Männer mit Glatzen und Lederjacken zeigten ihr den Mittelfinger. Ihre Gesichter fraßen sich in ihr Gedächtnis und die Wunden fanden Eingang in die Schreckenskammer, die einen immer größeren Teil ihres Kopfes einnahm.

»Kannst du gehen?«, fragte er.

Fatima nickte. Ihr Gesicht war angespannt. Sie hatte Schmerzen, weinte jedoch nicht.

Plötzlich hatte Ahmed seine Schwester vor Augen. Auch sie war stark gewesen. Allzu stark. Als sie starb, war sie in Fatimas Alter gewesen. Sie war keine fünfzehn, als sie von der DOP, der Sondereinheit der französischen Armee für operativen Schutz, zu Tode gefoltert wurde.

Als Fatima und er nach Hause kamen, war Mireille bereits da. Ahmed erzählte, was geschehen war. Gemeinsam reinigten sie Fatimas Wunde und legten einen Verband an. Danach setzten sich alle drei auf das Sofa und umarmten sich still. Nachdem Fatima aufgehört hatte zu zittern, stand Ahmed auf.

»Ich habe vergessen, Zigaretten zu kaufen. Ich bin gleich wieder da.«

Mireille schaute ihn an, sagte jedoch nichts.

»Soll ich dir etwas mitbringen?«, fragte Ahmed mit Blick auf Fatima.

»Ein Buch.«

Ahmed nickte. Neben dem Café, in dem er seine Zigaretten kaufte, befand sich eine Buchhandlung. Dort gab Fatima beinahe ihr gesamtes Taschengeld aus.

Ahmed lief die zehn Treppen hinunter und zum Park zurück. Schon aus großer Distanz erkannte er die beiden Männer. Sie standen immer noch an derselben Stelle wie vorhin, als er und Fatima an ihnen vorbeigegangen waren. Sie hatten wohl nichts anderes zu tun, als darauf zu warten, dass irgendein dunkelhäutiger Vater mit Tochter bei ihnen vorbeikam. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, ging er auf sie zu. Überrascht schauten sie zuerst ihn und dann einander an, bevor sich ein Lächeln auf ihren Lippen abzeichnete. Darauf hatten sie wohl von Anfang an gehofft. Gemeinsam dürften sie keine Schwierigkeiten haben, einen Ausländer mittleren Alters zusammenzuschlagen.

Ahmed trat einem von ihnen zwischen die Beine, so dass er mit einem Aufschrei zusammensank, dem anderen brach er mit einem Faustschlag das Nasenbein. Danach trat er erst dem einen, dann dem anderen auf die Kniescheibe, womit er sie für mehrere Wochen zu Invaliden machte. Schließlich nahm er einen Stein und schlug damit auf ihre Köpfe ein, bis das Blut über ihre kahlen Schädel lief. Alles war so rasch vorüber, dass sie kaum Zeit gefunden hatten, ihre Angst und ihren Schmerz herauszuschreien, bevor sie das Bewusstsein verloren. Auf dem Rückweg suchte Ahmed die Buchhandlung auf. Er kaufte eine Taschenbuchausgabe von Tausendundeine Nacht. Scheherezade hatte ihr eigenes Leben gerettet, indem sie Geschichten erzählte. Er machte sich keine Illusionen: Geschichten konnten nicht verhindern, dass Fatima einen Stein an den Kopf bekam. Doch wenn sie dazu führten, dass sie abgelenkt wurde, war dies auch etwas wert.

Manchmal hatte er sie schon fragen wollen, warum sie sich nicht lieber mit ihren Freundinnen verabredete, anstatt ständig zu lesen, doch wenn er gründlich nachdachte, war er sich keinesfalls sicher, ob die Realität der Fantasie vorzuziehen war. Außerdem hatte er Angst, Fatima würde seine Frage als Vorwurf empfinden. Und vielleicht sogar den Verdacht hegen, er sei im Grunde immer noch der Überzeugung, das Leben einer Frau sei weniger wert als das eines Mannes. Doch er hatte sich vom Islam losgesagt. Sich ein für alle Mal und ausnahmslos von allen Religionen distanziert. Gott, ob man ihn nun Jehova, Allah oder sonst wie nannte, war einfach von Übel.

Und die Imame wussten ganz genau, was sie taten. Sie verboten den Mädchen und Frauen das Lesen von Romanen, weil dies die Freiheit einschloss, sich vorzustellen, dass nicht alles zwangsläufig so sein musste, wie es war. Mit ein wenig Fantasie war es durchaus vorstellbar, dass eine Welt ohne den Koran, ohne die Sunna des Propheten, gar ohne den Propheten selbst existierte, zumindest eine Welt, in der die Männer kein Recht hatten, ihre Frauen mit Allahs Segen zu unterdrücken. Nein, Fatima sollte nicht auf den Gedanken kommen, er habe etwas dagegen, dass sie ihre Nase immerzu in Bücher steckte. Wenn es etwas gab, das Fatima brauchte, dann war es Hoffnung. Doch woraus sollte sie diese schöpfen? Jedenfalls nicht aus der Realität, die sie umgab.

Er beeilte sich, nach Hause zurückzukehren. Er bereute nichts, obwohl er wusste, dass ein Umzug nun unvermeidlich war. Nicht, weil die beiden Männer ihn identifizieren konnten. Rassisten betrachteten Araber niemals als Menschen, sondern immer als graue und formlose Masse. Doch Fatimas Aussehen war zu auffallend, um in der Menge zu verblassen. Manchmal hatte er sich gewünscht, sie wäre nicht so hübsch.

Mireille erzählte er nichts davon, was er getan hatte. Es gab keinen Grund, sie zu beunruhigen, bis alles geregelt war. Sie hatte schon genügend Anlass zur Sorge. Nachdem Mireille zu Bett gegangen war, setzte er sich mit einer Zigarette und einer Tasse Kaffee in die Küche. Er versuchte, an den morgigen Tag zu denken. In wenigen Stunden würde er mit Georges einen Rundgang machen und die Pumpen kontrollieren. Ahmed würde Georges nicht im Stich lassen. Er versuchte, sich mit dem Hohlraum unter der Erde zu beschäftigen, der seit beinahe fünf Jahren sein Arbeitsplatz und sein Versteck war, und den Gedanken zu verdrängen, dass es vor allem darauf ankam, Fatima und Mireille ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Das hatte er vergessen, als er die beiden Glatzköpfe zusammenschlug.

Der böse Blick

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