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CONNIE UND TANJA

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Natürlich hatte Tanja nicht den Zweitschlüssel zu Connies Wohnung dabei. Also setzte sie sich auf die Treppe und wartete. Wie sollte sie es Connie sagen? Ihr graute so sehr davor, dass sie am liebsten davongelaufen wäre. Doch sie blieb natürlich, denn sie hatte keine Wahl.

Sie musste eingeschlafen ein. Das Klappen der Haustür schreckte Tanja auf. Connies Schritte auf der Treppe. Tanja stand auf und blickte übers Geländer.

„Hallo, Schwesterherz! Das ist aber ´ne Überraschung!“, rief die blonde junge Frau und eilte die Treppe hinauf. „Hallo, du Superjournalistin“, grinste sie.

Tanja stand vor ihr wie ein Stock und starrte sie an.

Connie trat einen Schritt zurück und musterte sie befremdet. „Was ist denn mit dir los? Du siehst ja schrecklich aus“, murmelte sie. „Was ist passiert?“

Tanja starrte sie aus erloschenen Augen an und brachte keinen einzigen Ton hervor.

Connie schloss die Tür auf. Sie hakte sich bei Tanja unter und führte sie ins Wohnzimmer. „Setz dich erst mal“, sagte sie und führte sie zum Sofa. Dann ging sie zum Barfach und schenkte Cognac in ein Glas. „Hier, trink das“, sagte sie und drückte Tanja das Glas in die Hand.

Tanja trank es in einem Zug aus.

„Und jetzt erzähle mir, was dich in diesen Zustand versetzt hat. Was ist passiert?“, fragte Connie leise.

Tanja versuchte sich krampfhaft zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken surrten so hektisch wie ein Hornissenschwarm durch ihren Kopf und sprangen so wild durcheinander, dass ihr die Worte immer wieder entglitten. Sie starrte auf den Teppich, ohne ihn zu sehen.

Connie füllte das Glas nach und Tanja trank es wieder auf einen Zug aus. Diesmal schoss der Alkohol wie glühende Lava durch ihren erstarrten Körper und riss sie aus ihrer Benommenheit.

„Besser?“, fragte Connie besorgt.

„Ja, danke.“

„Mein Gott, Tanja, du hast mich fast zu Tode erschreckt! Endlich bekommst du wieder ein bisschen Farbe. Du sahst ja wie ´ne wandelnde Leiche aus. Was, um Gottes Willen, hat dich bloß in diesen Zustand versetzt?“

Wie sage ich es ihr? dachte Tanja verzweifelt und starrte Connie an. Wie bringe ich ihr schonend bei, dass Piet nicht nur tot ist, sondern ermordet wurde? Sie versuchte es zwei Mal vergeblich. Dann kehrte ihre Stimme wieder zurück. „Setz dich zu mir“, flüsterte sie.

Connie kam ihrer Aufforderung nach, aber in ihre himmelblauen Augen trat ein wachsamer Ausdruck. „Was ist los?“, fragte sie leise.

Tanja setzte mehrmals zum Sprechen an, wollte trösten, erklären, aber die Worte kamen einfach nicht über ihre Lippen, sondern blieben daran haften, als wären sie festgeklebt, bis in alle Ewigkeit.

Connie erkannte instinktiv die Hilflosigkeit ihrer sonst so forschen und selbstbewussten Schwester. Furcht nistete sich auf dem Grund ihrer blauen Augen ein.

Sie strich fahrig ihre langen blonden Haare aus dem Gesicht. „Ist was mit Piet?“, fragte sie ängstlich. Und als Tanja immer noch nicht antwortete: „Nun sprich schon endlich! Ist etwas mit Piet? Hatte er einen Unfall?“

Tanja brachte keinen einzigen Ton hervor.

Da hielt es Connie nicht mehr an ihrem Platz. Sie sprang auf und schüttelte ihre Schwester grob. „Verdammt noch mal, Tanja! Sitz da nicht so stocksteif herum und starr mich an, sondern sag mir endlich, was los ist!“

„Er ist tot!“, murmelte Tanja kaum hörbar. Aber Connie hatte es dennoch gehört.

„Tot? Piet? Wieso?“, flüsterte sie kreidebleich, und ihre langen Fingernägel krallten sich schmerzhaft in Tanjas Arm.

„Er wurde ermordet.“

„Was?! Was sagst du da? Ermordet?! Mein Piet?“, keuchte Connie verstört. „Das glaube ich nicht! Das kann nicht sein! Was redest du denn da für einen Unsinn!“, schrie sie plötzlich wütend. Sie hämmerte mit den Fäusten auf ein Kissen und schrie bei jedem Schlag:

„Piet LEBT! Piet LEBT! Piet LEBT!“

Und die diesen zwei Worten innewohnende Angst und Verzweiflung riss Tanja endlich aus ihrer Lethargie. Sie stand auf und zog Connie sanft in ihre Arme.

„Beruhige dich, Kleines“, murmelte sie. „Alles wird wieder gut, du wirst schon seh´n.“

Nach einer Weile hörte Connies damit auf das Kissen zu malträtieren. Sie richtete sich auf und fragte mit schwankender Stimme: „Was ist passiert, Tanja? Bitte, sag es mir! Erzähl mir alles, sonst werde ich verrückt.“

Tanja nickte und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. Sie hatte ihrer Schwester das Schreckliche schonend beibringen wollen und war damit herausgeplatzt wie ein herzloser Tölpel. Sie hätte sich ohrfeigen können.

Aber ihr Kopf war noch immer so leer wie ein Swimmingpool ohne Wasser. Was sollte sie sagen? Wie erklären, was mit Piet geschehen war, wo sie es doch selber nicht begriff?

Sie wälzte Worte, Sätze in ihrem Kopf hin und her und fand doch nicht die richtigen, um das Entsetzliche zu erklären. Sie drückte Connie an sich und bevor sie es verhindern konnte, begann sie wieder zu weinen. Sie verfluchte ihre Schwäche, vermochte jedoch nichts dagegen zu tun.

Piets lebloser Körper auf dem Boden und die Erkenntnis seines Todes hatten ihr den Boden unter den Füßen weggezogen, hatten sie ausgelaugt und ihr die Kraft genommen Trost zu spenden. Sonst die Stärkere von ihnen beiden, versagte sie diesmal kläglich, war dieser Situation einfach nicht gewachsen.

Sie hatte Piet so viel länger gekannt als Connie und obwohl eine rein platonische Beziehung, war ihre durch gemeinsam erlittene Zeiten der Not und schwieriger Lebenssituationen gefestigte Freundschaft ungewöhnlich tief und sehr innig gewesen.

Wie oft hatten sie die letzten Münzen miteinander geteilt oder sich in aller Herrgottsfrühe im Versand eines Verlagshauses getroffen, um Werbematerial in die Zeitungen zu legen oder andere Gelegenheitsarbeiten zu verrichten; gemeinsam hatten sie morgens um vier Uhr Pflanzenkisten auf dem Blumengroßmarkt geschleppt; hatten zusammen in Wurstbuden auf dem Fischmarkt ausgeholfen; sich unzählige Male gegenseitig angepumpt, um die Miete bezahlen zu können.

Und jetzt war er tot! Ermordet! Von wem? Warum?

Sie kam damit einfach nicht zurecht. Wie sollte sie da ihre Schwester trösten, wo sie so sehr selbst des Trostes bedurfte?

Doch Connie spürte, was in Tanja vorging. Und obwohl sonst viel schwächer als ihre Schwester, überwand sie sich und wuchs diesmal über sich selbst hinaus, indem sie versuchte zu helfen, zu trösten.

Sie sprach sanft auf Tanja ein, darum bemüht, ihr aus ihrem Kummer, ihrem Entsetzen herauszuhelfen. Und obwohl Tanja kein einziges Wort von dem was Connie da unentwegt murmelte verstand, versiegten ihre Tränen und sie gewann ihre Fassung zurück. Und dann begann sie zu erzählen.

Mit den Vorfällen in Harsefeld begann sie und mit Piets gestammelten Worten endete sie. Sie sah in Connies leichenblasses Gesicht und begriff, dass sie des Guten zu viel getan hatte. Sie hatte beredt und so anschaulich wie sie ihre Artikel schrieb das entsetzliche Geschehen geschildert. Viel zu anschaulich! Wie sie zu spät erkannte.

Connie schlang die Arme um ihren Leib, als wolle sie in sich hineinkriechen und wiegte sich wimmernd wie unter grässlichen Schmerzen hin und her, wobei Tränenströme aus ihren halb geschlossenen Augen rannen. Sie hatte sich überschätzt, war lange nicht so stark, wie sie sich wünschte.

Tanja nahm ihre Schwester in den Arm und streichelte sie. Trost suchend schmiegten sie sich aneinander, trauernd um den toten Freund und den so plötzlich dahingegangenen Lebensgefährten.

„Warum nur, Tanja? Warum?“, murmelte Connie. Sie tupfte sich die letzten Tränen ab und richtete sich auf.

„Wer tut etwas so Barbarisches? Wir müssen es herausfinden! Diese Bestie, die meinen Piet tötete, wird nicht straflos davonkommen, das schwöre ich bei Gott“, zischte sie mit neu erwachender Energie, die ihr der Hass eingab. „Hilfst du mir diesen Dreckskerl zu finden?“

„Und ob ich dir helfe! Wir werden den Mistkerl noch vor Kommissar Heckert finden, das verspreche ich dir. Piet hat noch während seines Todeskampfes versucht mich zu warnen und mir Hinweise auf seinen Mörder zu geben. Wir finden ihn und dann gnade ihm Gott.“

Erschöpft begaben sie sich zur Ruhe, nachdem Connie für ihre Schwester die Couch hergerichtet hatte. Als sie das Zimmer verließ, schlief Tanja bereits.

Connie schlurfte in ihr Schlafzimmer und ließ sich auf das breite, französische Bett fallen, in dem sie zusammen mit Piet die glücklichsten Stunden ihres Lebens verbracht hatte. Das Gesicht in Piets Kopfkissen vergraben, weinte sie sich in den Schlaf.

Jagd auf Cosima

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