Читать книгу Jagd auf Cosima - Bärbel Junker - Страница 4
TANJAS AUFTRAG
ОглавлениеTanja saß in Gedanken versunken vor dem leeren Bildschirm ihres Computers und träumte den immer wiederkehrenden Traum von der ganz großen Story ihres Lebens und nichts und niemand warnte sie vor den kommenden Ereignissen, die sie in den Strudel einer unglaublichen Geschichte reißen sollten. Ein derber Schlag auf die Schulter riss sie abrupt aus ihren Tagträumen.
„He, Tanja! Hör auf vom Pulitzerpreis zu träumen, dein Typ wird verlangt. Du sollst zum Boss kommen“, krähte ihr die helle Stimme ihres besten Freundes und künftigen Schwagers Peter Holznagel, genannt Piet, ins Ohr und ließ sie zusammenzucken.
„Was will Bartels von mir?“
„Hab gehört, du sollst in irgend so ein Kaff für ´ne mickrige Recherche. Beeil dich lieber, Bartels hat mal wieder ´ne Stinklaune.“
Seufzend machte sie sich auf den Weg zu ihrem Redakteur, der sie nicht ausstehen konnte und ihr ständig die langweiligsten Aufträge zuschanzte. Widerstrebend öffnete sie die schwere Glastür.
Bartels glupschte sie aus seinen vorstehenden Augen niederträchtig grinsend an. „Ich habe eine tolle Story in Harsefeld für Sie“, sagte er heiser und schob ihr mit seinen dicken Wurstfingern einen Zettel zu.
„Harsefeld? Wo soll das sein?“, fragte Tanja desinteressiert.
„In Niedersachsen bei Buxtehude. Denen ist plötzlich ihr Badesee abhandengekommen. Klären Sie die Sache, damit endlich diese nervtötenden Anrufe aufhören.“ Mit einer wedelnden Handbewegung wies er sie hinaus.
„So ein verdammter Mistkerl“, fluchte Tanja. Wütend nahm sie ihre kleine Reisetasche aus dem Schrank und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen. Wenn das so weiterging, würde sie in der Bedeutungslosigkeit versinken, bevor sie jemals einen interessanten Artikel veröffentlicht hatte. Tanja Thorn die Versagerin!
Stinksauer fuhr sie mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage, warf die Reisetasche in den Kofferraum ihres Golfs und startete wütend mit viel zu viel Gas und quietschenden Reifen.
Erst nachdem die Hamburger Innenstadt hinter ihr lag und sie ihren weißen Golf auf die nach Harsefeld führende Bundesstraße 73 lenkte, verrauchte ihr Zorn. Sie konzentrierte sich auf den dichten Verkehr und bemühte sich, Bartels zu vergessen.
Anderthalb Stunden später erreichte sie Harsefeld. Zum Dorfkrug hieß der Gasthof vor dem sie hielt. Vielleicht konnte sie hier etwas über diesen verschwundenen Badesee erfahren. Sie öffnete die geschnitzte Eichentür, trat ein und steuerte auf den langen Eichentresen zu. Sie setzte sich. Unauffällig musterte sie die drei Männer, die zwei Hocker weiter saßen und sich lautstark unterhielten.
„Ich sag dir, Alfons, das geht nicht mit rechten Dingen zu, da hat der Teufel seine Hände im Spiel“, meinte der eine.
„So ein Unsinn! Der Teufel hat damit bestimmt nichts zu tun. Irgend so ein Mistkerl hat bei Nacht und Nebel den Badesee zugeschüttet, aus welchen Gründen auch immer“, entgegnete Alfons und stürzte sein Bier in einem Zug hinunter.
„Karl, noch ´ne Runde“, verlangte ein kleiner, schmächtiger Mann, dessen verarbeitete Hände nervös sein leeres Bierglas auf dem Tresen hin und her schoben.
„Hör auf mit dem Glas zu spielen, Hans, das macht mich nervös“, knurrte der Wirt gereizt.
„Karl hat recht. Du wolltest uns doch was erzähl´n, oder?“, fragte ein grobschlächtiger Mann, der Dritte im Bunde.
Tanja spitzte neugierig die Ohren.
Der schmächtige Hans räusperte sich. „Tja, das ist so. Das Wasser in meinem Forellenteich verschwindet nämlich. Es wird einfach zu Sand“, sagte er leise.
„Zu Sand? Das gibt´s doch nicht! So warm, das ein ganzer Teich austrocknet, ist es ja nun auch wieder nicht“, rief Alfons.
„Ihr habt mich nicht richtig verstanden“, sagte Hans. „Mein Forellenteich trocknet nicht aus, vielmehr wird das Wasser einfach zu Sand. Und bei dem Baggersee am Ende meines Grundstücks fängt es auch schon an.“
„So ein Unsinn!“, entfuhr es Tanja, bevor sie es verhindern konnte. Vier Augenpaare starrten sie unfreundlich an.
„Meinen Sie etwa uns?“, knurrte der Grobschlächtige.
„Ich wollte Sie nicht beleidigen“, versicherte Tanja. „Aber wie kann Wasser einfach zu Sand werden? Das ist unmöglich.“
„Und wer sagt so was? Was geh´n Sie unsere Probleme überhaupt an? Wer sind Sie eigentlich?“, fragte der Wirt ärgerlich.
„Ich heiße Tanja Thorn und bin Journalistin in Hamburg. Ich soll über den verschwundenen Badesee schreiben.“ Sie nahm die Baseballmütze ab und schüttelte ihr schulterlanges, dunkles Haar.
„Oha! Eine Journalistin aus der Großstadt! Welch Glanz in meinem bescheidenen Gasthaus. Vielleicht finden Sie ja heraus, wo der See abgeblieben ist, denn uns einfachen Leuten vom Land will das einfach nicht gelingen“, meinte der Wirt ironisch und stellte ein Bier vor sie hin.
„Haben Sie schon was rausgekriegt?“, fragte der grobschlächtige Bruno neugierig.
„Nein, ich bin gerade erst angekommen. Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht was sagen.“
„Wir?! Da haben Sie aber mit Zitronen gehandelt, junge Frau“, sagte Alfons. „Wir wissen nur, dass unser schöner Badesee plötzlich ein riesiger Sandhaufen ist.“
„Aber das Wasser muss doch irgendwo geblieben sein!“
„Ist es ja auch“, sagte Hans. „Es wurde zu Sand, genauso wie mein Forellenteich langsam dazu wird! Was, wenn wir plötzlich kein Wasser mehr haben?“
„Jetzt übertreib aber mal nicht, Hans“, knurrte Bruno. „Aber merkwürdig ist die ganze Geschichte schon.“
Es wurde still im Schankraum.
Was ist das nur für eine absurde Geschichte? dachte Tanja frustriert. Daraus lässt sich ja noch nicht mal ein Zweizeiler machen.
„Wollen Sie sich meinen Forellenteich mal ansehen?“, fragte Hans neben ihr.
Tanja nickte. „Gleich?“
„Ja“, sagte Hans und rutschte von seinem Hocker.
„Bruno und ich kommen auch mit“, rief Alfons und bezahlte hastig.
„Dürfte ich die Herrschaften begleiten?“, fragte eine kultivierte Stimme vom anderen Ende des Tresens.
Tanja musterte überrascht den schlanken Mann, der auf sie zukam. Er hatte versteckt hinter einem Sichtschutz aus Eichenholz in einer Ecke gesessen. Sie hatte ihn nicht bemerkt.
Freundlich lächelnd reichte er ihr die Hand. „Mein Name ist Henrik van Cliff. Ich bin zu Gast in diesem schönen Ort“, stellte er sich vor. „Ich bin Biologe. Vielleicht kann ich Ihnen bei Ihrer Recherche nützlich sein. Was hier passiert beunruhigt mich. Wasser wird zu Sand. Wenn das stimmt, sollte man die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen“, sagte er ernst.
„Das ist wahr, falls es stimmt!“, erwiderte Tanja.
„Können wir fahr´n? Mir brennt nämlich die Zeit unter den Nägeln“, drängte Hans.
Tanja setzte die Baseballmütze wieder auf und hängte sich ihre Tasche über die Schulter. „Wenn Sie wollen, können Sie mit mir fahren, Herr van Cliff“, bot sie dem Wissenschaftler an.
In dem Golf war es so heiß, dass Tanja hastig die Scheibe runter drehte. Van Cliff stieg ohne mit der Wimper zu zucken ein und stellte seine lederne Aktentasche zwischen seine Füße. „Von mir aus kann es losgehen“, sagte er.
Hans klemmte sich hinters Lenkrad eines alten Geländewagens Marke Eigenbau. Alfons und der grobschlächtige Bruno stiegen in einen dunkelblauen Ford, dessen linker Kotflügel ein großflächiger, dottergelber Fleck zierte.
Ratternd setzten sich die beiden Fahrzeuge in Bewegung, gefolgt von Tanjas weißem Golf.