Читать книгу Jagd auf Cosima - Bärbel Junker - Страница 7
ERPRESSUNG
ОглавлениеDie ersten Takte des Boleros von Ravel vermischen sich mit dem leisen Rauschen eines Flusses. Der großformatige Flachbildschirm zeigt das Panorama des im milden Abendlicht glitzernden Bodensees. Späte Sonnenstrahlen überziehen das Wasser mit diamantenem Schimmer. Die weißen Segel der schnittigen Boote erglühen orangerot, faszinierend schön wie auf einem exquisiten Ölgemälde.
Ravels Bolero gewinnt an Substanz. Die Musik schwillt an. Das idyllische Bild des Bodensees vergeht.
Farbige, sich ekstatisch windende Kreise huschen über den Bildschirm. Die Musik spielt Fortissimo. Ein Tusch und ... ein Entsetzensschrei aus rauen Männerkehlen.
„Mein Gott! Was ist das?!“, stöhnt der Innenminister Randolph Stein.
Ravels Bolero verklingt, das Entsetzen bleibt, manifestiert sich in dem Bild auf dem Monitor.
Ein INSEKT!
Doch was für eine Scheußlichkeit! Größer als zwei Riesenschildkröten zusammen, aber chitingepanzert wie ein Insekt. Und dann der abscheuliche Kopf, auf dem die nach allen Seiten beweglichen Augen auf Stielen sitzen. Und das bizarre Geschöpf bewegt sich behände auf sechs stämmigen Beinen.
„Und das ist C O S I M A!“,
sagt eine elektronisch verzerrte Stimme in die atemlose Stille hinein. „Sie ist die Mutter meiner Wasservernichtungswanzen, die Sie gleich sehen werden. Danach gebe ich Ihnen meine Forderungen bekannt. Und nun viel Vergnügen, meine Herren.“
Wieder Cosima. Doch diesmal hockt sie in einem riesigen Aquarium. Eine behandschuhte Hand schiebt sich ins Bild und stellt eine Schale gefüllt mit einem undefinierbaren Brei vor das Insekt. Cosima macht sich darüber her und noch während sie frisst, werden aus ihrem Hinterteil wie am Fließband wallnussgroße Insekten gedrückt. Nachdem sie die Schale leer gefressen hat, schließt Cosima die Augen und schläft ein.
Eine Glasscheibe senkt sich zwischen sie und die walnussgroßen Insekten herunter die munter werden, als Wasser in ihre Aquariumhälfte sprudelt. Sie saugen es ein und stoßen es als Sand aus einer Öffnung am hinteren Ende ihres Körpers wieder aus.
Und sie arbeiten schnell! Sehr schnell!
Die Zuschauer sehen sprachlos zu wie sich Leben spendendes Wasser vor ihren Augen in Sand verwandelt.
Abrupter Szenenwechsel.
Das zauberhafte Panorama des Bodensees vertreibt die Wasser vertilgenden Scheußlichkeiten vom Monitor. Die Insel Mainau in ihrer ganzen Schönheit nimmt ihre Stelle ein. Sanft sich wiegende Palmenwedel im lauen Wind; Sonnenstrahlen vergolden das sich sanft kräuselnde Wasser. „Wie schön“, flüstert eine Stimme. Im Hintergrund ertönt leise Musik.
Ein gewaltiger Paukenschlag beendet jäh die Idylle! Gläser fallen aus zitternden Händen und zerschellen am Boden. Eine erschreckende Computersimulation vertreibt die eben noch dargebotene heile Welt.
Sandhügel schieben sich auf die Mitte des Sees zu, nehmen die Insel in Besitz, die jetzt inmitten mumifizierter Felchen und Forellen, Hechte und Barben liegt.
Abgestorbene Palmenwedel bewegen sich raschelnd wie altes Pergament im heißen Luftstrom des Windes. Birken und Eichen, Akazien und Linden, Ulmen und Eiben strecken ihre verdorrten Äste anklagend dem Himmel entgegen. Aus vertrocknetem Laub ist der Teppich, der die trockene, rissige Erde bedeckt.
Die sechs Männer starren entsetzt auf das unglaubliche Bild. Schreckliche Bilder verdurstender Menschenmassen, verendender Tiere und zerstörter Landschaften drängen sich ihnen auf. Könnte so etwas wirklich geschehen? Gab es wirklich eine so zerstörerische Macht?
„Können Sie sich vorstellen, meine Herren, was meine Wasservernichtungswanzen aus unserem blühenden Land machen können?“, fragt die Computerstimme spöttisch.
„Genau! Eine gewaltige Sandwüste bar jeglichen Lebens. Durch Cosima stehen mir jede Menge Wasservernichtungswanzen zur Verfügung. Mit ihnen könnte ich Flüsse und Seen und natürlich auch die Wasserversorgungssysteme in Deutschland und den Anrainerstaaten vernichten.
Sie glauben mir nicht und denken an die Milliarden von Wanzen, die dazu erforderlich wären? Ja und? Kein Problem. Schauen sie wie einfach das für mich ist. Ja, schauen Sie auf den Monitor! Sehen sie es?“
Die Wasservernichtungswanzen verändern sich! Sie dehnen sich, ziehen sich wieder zusammen und – teilen sich wieder und immer wieder, bis die erforderliche Anzahl für die jeweilige Wassermenge erreicht ist.
„Dieses System ist perfekter als alles, was Menschen jemals erschaffen haben“, sagt der Erpresser.
„Der Kerl ist verrückt! Völlig verrückt!“, keucht der Innenminister. „Mit diesen grauenhaften Viechern könnte alles Leben vernichtet werden. Und dieser Wahnsinnige ist davon auch noch begeistert! Ich glaube ...“
Die Stimme des Erpressers unterbricht ihn, als hätte er zugehört:
„Ja, meine Insekten wurden erschaffen, um zu vernichten. Aber ist der Mensch denn anders? Der Unterschied besteht doch letztendlich nur im Abwägen des Vorteils.
Meine Wanzen machen Wasser zu Sand, ohne dadurch einen Vorteil zu erringen. Im Gegenteil! Sie vergehen mit dem Wasser, kaum etwas bleibt von ihnen übrig.
Der Mensch jedoch vernichtet um des eigenen Vorteils wegen. Die Geschichte lehrt uns das ja zur Genüge. Von jeher war die Gier nach Reichtum und Macht die Triebfeder für unglaubliche Gräueltaten.
Unter dem Mäntelchen Gutes fürs Volk tun zu wollen wurden und werden die Menschen in Kriege und Hungersnöte, Armut und Verzweiflung getrieben, wobei der wirkliche Grund, der wahre Auslöser für all diese Scheußlichkeiten immer wieder die Machtbesessenheit einiger weniger ist.
Sie bereichern sich, saugen das Volk aus wie Vampire und wenn nichts mehr zu holen ist und alles zusammenzubrechen droht, verschwinden sie und lassen ihr Land ausgeblutet zurück.
Für mich gibt es keine gewissenlosere Kreatur als den Menschen“, zischt die Stimme voller Hass. „Dagegen ist meine Cosima ein Juwel an Reinheit, innerer Schönheit und Güte! Doch was soll´s. Sie, als Politiker, wissen das alles ja aus eigener Anschauung viel besser als ich.
Oder ist auch nur einer unter Ihnen, der ein ganz normales Leben in einer der üblichen, dem einfachen Volk vorbehaltenen Gegend, in einer schlichten Mietwohnung, mit durchschnittlichem Einkommen, führt?
Wohl kaum, meine Herren.
Unter einem feudalen Haus in bester Lage und anderen, lukrativen Vergünstigungen macht es doch keiner von Ihrer Sorte. Sie sind intelligent, clever und sehr gerissen. Sie besitzen die richtigen Verbindungen und Beziehungen und verstehen sie zu nutzen. Das Volk kann sehen wo es bleibt. Im Grunde ist es Ihnen sogar lästig.
Aber zum Zahlen und zum Wählen wird es benötigt. Deshalb muss es wohl oder übel einigermaßen gut behandelt, von Zeit zu Zeit eingelullt, beschäftigt und abgelenkt werden. Manipulation ist wichtig! Und auf die Intelligenz im Lande hat man ein waches Auge. Möglichst das Volk dumm halten, heißt die Parole. Solange es den Menschen nicht zu schlecht geht, halten sie still.
Allerdings hält sich mein Mitleid in Grenzen. Die meisten von ihnen haben es nicht besser verdient. Ohne die Menschheit wäre unsere Erde sicherlich weitaus besser dran.
Und jetzt, meine Herren Politiker, hören Sie gut zu, denn ich stelle meine Forderung nur dieses eine Mal. In genau sieben Tagen, also am 17. August, zahlen Sie an mich fünfzig Millionen Euro oder meine Wasservernichtungswanzen beginnen ihr Werk. Ort und Zeit der Übergabe erfährt Innenminister Stein rechtzeitig von mir. Er muss für mich ab dem 17. August in seinem Büro jederzeit telefonisch erreichbar sein.
Wenn alles zu meiner Zufriedenheit verläuft, erhalten Sie im Gegenzug Cosima und die bis dahin produzierten Wanzen. Aber geben Sie sich besser keinen machthungrigen Hoffnungen in Bezug auf meine Mutterwanze hin, denn ich werde Cosima im Moment der Übergabe vernichten.
Sie sind überrascht?
Haben Sie sich etwa wirklich eingebildet, ich überließe Ihnen ein derartiges Machtpotenzial zur freien Verfügung? Na ja, wahrscheinlich haben Sie das tatsächlich. Gewissenlos genug sind die Herren Politiker ja allemal!
Wenn Sie zahlen, haben Sie von mir nichts mehr zu befürchten. Wenn nicht, werde ich meine Wasservernichtungswanzen rücksichtslos zum Einsatz bringen und Deutschland in eine Sandwüste verwandeln“, droht der Erpresser.
Beschaffen Sie das Geld! Sie hören wieder von mir!“
Ein letztes Mal beherrscht Cosima den Monitor, ein Klicken und sie ist fort. Irgendjemand drückt auf den Knopf für die automatischen Jalousien. Es wird hell.
„Das gibt es doch nicht“, stöhnt der Innenminister. „Der Kerl will fünfzig Millionen aus uns herauspressen. Ob dieser Verrückte es wirklich ernst meint?“
„Selbstverständlich ist es dem Verbrecher mit der Erpressung ernst“, ertönt die sonore Stimme des Bundeskanzlers.
„Ob diese Wanzen wirklich so gefährlich sind oder blufft der Kerl?“, fragt Hajo Bentheim, der Leiter des Bundeskriminalamtes, kurz BKA genannt.
„Wenn ich an die Fotos von dem Forellenteich in Harsefeld denke und daran, der Kerl könnte diese Viecher wirklich in die Wasserversorgungssysteme einschleusen, dann bekomme ich ganz schönes Muffensausen“, sagt der Innenminister burschikos.
„Also, meine Herren, was schlagen Sie vor?“, will der Bundeskanzler wissen.
„Der Erpresser muss unschädlich gemacht werden; und wir müssen diese vermaledeite Mutterwanze finden“, knurrt Bentheim.
„Das ist wohl wahr. Sie wäre ein fantastisches Druckmittel anderen Staaten gegenüber“, meint der Verteidigungsminister verträumt. „Mit dieser Cosima im Hintergrund würden sich für uns herrliche Verhandlungsspielräume eröffnen.“
„Das wäre zwar nicht besonders nett, aber sicherlich sehr ergiebig“, murmelt Peter Baumgarten, der Außenminister.
Die wichtigsten Männer des Staates verhandeln und diskutieren, denn zahlen wollen sie natürlich nicht. Endlich schieben sie Hajo Bentheim den schwarzen Peter zu. Sie verlangen, dass der BKA-Chef den Erpresser bei der Geldübergabe fasst.
„Wir sollten die Professoren Wenzel und Schnieker einweihen. Vielleicht finden sie heraus, was für ein Lebewesen diese Cosima ist. Würden wir ihre Lebensbedingungen kennen, könnten wir vielleicht herausfinden, wo der Kerl sie versteckt hält“, schlägt Bentheim vor.
„Ausgezeichnete Idee“, lobt der Bundeskanzler. „Leiten Sie alles Nötige in die Wege und machen Sie für morgen Mittag, einen Termin“, befiehlt er.