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WASSERKILLER!

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Als Tanja am nächsten Morgen in den Frühstücksraum kam und die Morgenzeitung nahm, sprang ihr die reißerisch aufgemachte Überschrift ihres Artikels förmlich ins Gesicht:

WASSERKILLER!

In Niedersachsens Gewässern!

Droht uns der Tod durch Verdursten?!

„Das war Bartels, dieser verdammte Mistkerl“, schimpfte Tanja. Wütend klatschte sie die Zeitung auf den Tisch, nachdem sie ihren aufgemotzten Artikel gelesen hatte. Das war ja die reinste Panikmache!

„Ich hoffe, Ihr Unmut gilt nicht mir, meine Liebe“, sagte Henrik van Cliff und blieb neben ihrem Tisch stehen. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

„Gern. Ich bin auf meinen Redakteur wütend. Er hat meinen Artikel völlig verschandelt mit seiner Panikmache. Ich wollte die Leser zwar informieren, aber doch nicht in den Herzinfarkt treiben“, knurrte sie böse.

Van Cliff setzte sich und griff nach der Zeitung. „Sie haben recht, Tanja. Solider Journalismus ist das nicht“, stimmte er ihr zu, nachdem er den Artikel gelesen hatte. „Ich darf Sie doch beim Vornamen nennen?“, fragte er. „Wo uns der Zufall doch zu Partnern gemacht hat“, fügte er lächelnd hinzu.

Sie musterte ihn misstrauisch. Wollte er sie etwa anmachen? Nein, entschied sie instinktiv. Er ist eher der väterliche Typ. Alter zwischen fünfzig und sechzig; volles graumeliertes Haar; markantes Gesicht; sportliche Figur. Alles in allem ein sehr sympathischer, Vertrauen erweckender Mann, beendete sie ihre Kurzanalyse zu seinen Gunsten. „Sie dürfen“, lächelte sie. „Sich mit dem Vornamen anzusprechen, hat mir schon während meiner Zeit in den USA ausnehmend gut gefallen. Es macht das Leben unkomplizierter.“

„Fein, Tanja. Ich heiße Henrik“, sagte van Cliff. „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja. Wie gesagt, ich kann Ihre Empörung über den Artikel zwar verstehen, doch ganz so überzogen geschrieben wie Sie glauben, ist er leider nicht.“

„Nicht? Wie meinen Sie das? Der Artikel ist doch die reinste Horrorgeschichte.“

„Das ist nur teilweise richtig wie Sie gleich feststellen werden.“

„Henrik, wissen Sie etwas, was ich noch nicht weiß?“, fragte Tanja. „Ich wollte Sie gestern Abend noch sprechen, aber Karl sagte mir, Sie seien nicht im Hause. Ist etwas passiert?“

Seine durchdringenden Augen musterten sie nachdenklich. „Also gut, Tanja. Ja, gestern Abend ist wirklich etwas passiert“, erwiderte er. „Aber Sie müssen mir versprechen, mich unbedingt aus Ihren Artikeln herauszuhalten. Kann ich mich darauf verlassen?“, fragte er eindringlich. „Sollten Sie sich nicht daran halten, könnte mich das nämlich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.“

Sie begegnete seinem Blick und erschrak vor der darin liegenden Intensität.

„Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Henrik. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, Ihren Namen in keinem meiner Artikel zu erwähnen, solange Sie es nicht ausdrücklich wünschen. Ist das für Sie okay?“

Er musterte sie so intensiv, als wolle er ihr Innerstes ergründen.

„Also gut, Tanja. Ich baue auf Ihre Loyalität. Also hören Sie gut zu: Nachdem ich gestern die Behörden informiert hatte, drangen zwei Männer mit dem Universalschlüssel des Wirtes bei mir ein und zwangen mich, sie zu begleiten. Sie brachten mich zu einer alten Villa, wo mich ein Mann namens Schmidt erwartete. Ein Deckname, vermute ich. Er befragte mich zwei Stunden lang zu den Geschehnissen in Harsefeld.

Er wollte wissen, wer mich zum Badesee und zum Forellenteich begleitet hat. Und ich sagte es ihm. Sie erwähnte ich allerdings nicht. Es sollte sich zeigen, dass ich gut daran getan hatte. Und dann erfuhr ich auch noch zufällig, warum dieser Schmidt so viel Aufhebens um mich machte.

Nach dem Gespräch wurde ich in ein Zimmer eingesperrt und mit Tee und belegten Broten versorgt. Doch ich traute diesen Leuten nicht und schüttete alles in die Toilette. Dann legte ich mich aufs Bett und stellte mich schlafend.

Ich muss eingeschlafen sein. Das leise Knarren der Zimmertür weckte mich. „Er schläft wie ein Murmeltier“, sagte Schmidt dicht neben meinem Bett.

„Kein Wunder, Chef. Er hat ja auch fast den ganzen Tee getrunken“, erwiderte einer der Männer.

„Sehr gut. Dann wird er mindestens bis morgen Abend durchschlafen. Bis dahin haben wir hoffentlich herausgefunden, wer hinter der Erpressung steckt“, sagte Schmidt zufrieden.

„Und wenn nicht? Was machen wir dann mit ihm?“

„Dann muss er eben fürs Erste weiterschlafen“, knurrte Schmidt unwirsch. „Hast du dich um die anderen Männer gekümmert, Jack?“, fragte er einen hageren, hochaufgeschossenen Mann.

„Selbstverständlich, Chef. Sie werden keine Gelegenheit haben etwas hinauszuposaunen. Obwohl ihnen wahrscheinlich sowieso niemand glauben würde.“

„Wir gehen lieber auf Nummer sicher. Nicht auszudenken, die Medien würden von der Sache Wind bekommen und den Forellenteich genauer in Augenschein nehmen. Die Schlagzeile möchte ich nicht sehen. Die Angelegenheit muss geheim bleiben, selbst dann noch, wenn wir den Erpresser geschnappt haben. Wozu die Bevölkerung unnötig beunruhigen, das schadet der Staatsräson und löst höchstens Panik aus“, sagte Schmidt energisch.

„Glauben Sie denn an die Existenz dieser seltsamen Wasservernichtungswanzen?“, fragte Jack.

„Du nicht?“

„Ich möchte es mal so ausdrücken, Chef: Eddy und ich können uns nicht vorstellen, dass diese Viecher in der Lage sein sollen, ganze Teiche, Seen, Flüsse oder noch größere Gewässer in Sand umzuwandeln.“

„Aber ihr habt doch den Forellenteich gesehen!“, sagte Schmidt kopfschüttelnd. „Was ist, wenn dieser verrückte Erpresser die geforderten fünfzig Millionen nicht erhält und die Insekten tatsächlich in die Wasserversorgungssysteme einschleust?

Könnt ihr euch vorstellen, was dann passiert? Du lachst, Eddy? Dann mangelt es dir wirklich an Fantasie. Was meinst du wie schnell dir das Lachen vergeht, wenn an Stelle von klarem Leitungswasser feiner Sand aus der Leitung rieselt!“

„Reine Science-Fiction, Chef“, grinste Eddy.

„Oder auch nicht, Eddy. Stell dir nur mal vor, in einem ohnehin schon wasserarmen Land versanden plötzlich die Trinkwasserreservoirs und die Schuld daran wird dem feindlichen Nachbarn gegeben. Was meinst du Schlauberger von einem Agenten, was dann passiert?“

„Hmm. Sie fallen übereinander her, um an das Trinkwasser des Gegners zu gelangen, richtig?“

„Genau, Eddy! Du kannst ja doch denken“, rief Schmidt sarkastisch.

„Aber, wenn das alles wirklich stimmt, dann besitzt dieser Erpresser eine Langzeitwaffe mit unglaublicher Durchschlagskraft“, sagten Eddy und auch Jack bestürzt.

„Endlich habt ihr das Problem begriffen“, erwiderte Schmidt. „Hat ja auch lange genug gedauert. Und deshalb müssen wir jeden Kontakt van Cliffs und der anderen Männer zu den Medien verhindern. So, und nun lasst uns verschwinden. Wir haben hier schon genügend kostbare Zeit vergeudet“, befahl Schmidt.

Eddy löschte das Licht, und die drei Männer verließen den Raum.

Ich hatte genug erfahren. Töten wollte man mich also nicht. Und sobald ihr Artikel erschienen war würde es keinen Grund mehr geben, mich noch weiter fest zu halten. Ich hatte gut daran getan, Sie aus der Sache herauszuhalten.

Gegen Morgen kehrten die Männer zurück, um den ihrer Meinung nach betäubten Gefangenen abzuholen. Sie legten mich auf eine fahrbare Bahre und brachten mich zu einem dunkelgrünen Lieferwagen.

„Sollen wir ihn wirklich freilassen, Chef?“, fragte Eddy.

„Ja, Order von ganz oben. Er scheint ein prominenterer Wissenschaftler zu sein, als ich dachte. Zudem ist er unwichtig geworden. Der Artikel über die Wasservernichtungswanzen steht heute in der Zeitung. Die da oben haben zu spät reagiert. Die Zeitung befindet sich bereits im Umlauf.“

„Und was passiert jetzt?“, fragte Jack.

„Was wohl! Wir fahnden weiter nach dem Erpresser. Viele Leute werden sowieso nicht glauben, was da in Harsefeld passiert. Seitdem die Fischkadaver fortgeschafft wurden, ist an dem Forellenteich nicht mehr viel zu sehen.

Den Badesee gibt´s nicht mehr und der Baggersee versandet zwar, aber das sieht man nur, wenn man es weiß. Die Neugierigen werden wohl glauben einer Zeitungsente aufgesessen zu sein.“

„Und wenn jemand dem Teich eine Wasserprobe entnimmt?“, wollte Eddy wissen.

Das werden wir zu verhindern wissen“, erwiderte Schmidt barsch.

„Und der Besitzer des Teichs? Wird der nichts erzählen?“, fragte Eddy, der sehr neugierig war.

„Den wird eine Geldzuwendung oder Drohung genau so ruhig halten wie seine Freunde“, sagte Schmidt abfällig.

Doch Eddy ließ nicht locker. „Und wie stellen wir van Cliff ruhig?“

„Durch Geld. Wenn ihm sein Leben lieb ist, dann hält er den Mund. So, und jetzt hör´ endlich mit der blödsinnigen Fragerei auf“, knurrte Schmidt genervt.

Dann wurde ich von der Trage gehoben und auf die Ladefläche gelegt. Schmidt gab mir eine Spritze, um die Wirkung des Schlafmittels aufzuheben, das ich nicht genommen hatte. Aber das konnte er ja nicht wissen. Sie fuhren mich hierher und schworen mich auf mein Stillschweigen ein. Dann verschwanden sie.“

„Eine tolle Geschichte“, sagte Tanja.

Van Cliff nickte. „Und eine tolle Story für Sie. Der Staat wird mit den Wasserkillern erpresst und nur Sie wissen es.“

Ja, dachte Tanja. Das könnte tatsächlich die Story meines Lebens sein! Und ausgerechnet Bartels, dieser Widerling, hatte sie darauf angesetzt!

„Schildern Sie bloß eindringlich die Gefahr, in die wir alle geraten, sollte die Regierung nicht zahlen. Die Menschen müssen gewarnt werden“, drängte van Cliff.

„So ist es, Henrik. Die Menschen haben ein Recht auf Informationen“, reihte sich Tanja unbewusst in die Riege Phrasen dreschender, sensationsgieriger Kollegen ein. Dass derartige Informationen auch Panik und Ängste schüren konnten, das interessierte sie im Moment nicht. Sie wollte ihre Story! Nur das alleine zählte.

„Gut so, meine Liebe. Ich wusste, dass Sie eine verantwortungsvolle Journalistin sind. Ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht“, sagte van Cliff lächelnd.

Sie sah in sein zufriedenes Gesicht und fragte sich plötzlich, weshalb er eigentlich so selbstlos ihre journalistische Arbeit unterstützte. Was hatte er davon? Sie fragte ihn.

„So selbstlos, wie Sie meinen, ist meine Hilfe gar nicht“, erwiderte er. „Ich will mehr über diese Wasserkiller herausfinden, um sie bekämpfen zu können. Sollte mir das vor den anderen Wissenschaftlern gelingen benötige ich vielleicht die Unterstützung der Presse, um berechtigte Forderungen anzumelden. Und dabei könnten Sie mir dann helfen. Ist das ein reeller Deal?“

Tanja nickte. „Wir alle streben nach Erfolg und Anerkennung. Ich denke, das geht in Ordnung“, sagte sie.

„Telefon für die Presse“, unterbrach Karl sie grinsend. „Hans möchte Sie sprechen. Er ist ziemlich aufgeregt!“

„Hans?“, fragte van Cliff erstaunt. „Dieser Schmidt glaubt doch, das Geld hätte Hans und dessen Freunde mundtot gemacht.“

„Er ist sehr aufgeregt“, flüsterte Karl, als er Tanja den Hörer in die Hand drückte.

„Hallo, was gibt es?“

„Sind Sie die Journalistin?“

„Ja. Wo brennt´s denn?“

„Können Sie zu mir kommen? Mein Hausmädchen Sylvia hat ´ne Mordsstory für Sie. Sie will aber nur mit Ihnen verhandeln. Ich soll Ihnen sagen, sie will aber Bares für ihre Information.“

„Wofür, Hans? Ich brauche einen Anhaltspunkt. Was hat Sylvia mir denn zu bieten?“

Einen Moment blieb es still in der Leitung.

„Hans! Sind Sie noch da?“

„Natürlich bin ich noch da. Ich musste nur kurz nachdenken.“

„Also, was hat Ihr Hausmädchen mir zu bieten?“

„Sie weiß, wer meinen Forellenteich mit den Wanzen verseucht hat, aber sie will es nur Ihnen erzählen“, sagte Hans aufgeregt.

„Sie hat den Mann wirklich gesehen?! Ist das sicher?“, fragte Tanja skeptisch.

„Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Was ist? Wollen Sie die Story nun oder sollen wir sie einer anderen Zeitung anbieten?“

„Natürlich will ich! Über den Preis werden wir uns schon einig. Ich muss nur noch nach Hamburg in meine Redaktion, bin aber am Nachmittag wieder zurück. Ich komme dann sofort zu Ihnen, abgemacht?“

„In Ordnung. Ich richte es Sylvia aus. Dann bis heute Nachmittag“, sagte Hans und legte auf.

„Was wollte er?“, fragte van Cliff neugierig.

„Sein Hausmädchen Sylvia will den Mann gesehen haben, der den Forellenteich verseucht hat, sagt Hans. Ich fahr´ am Nachmittag zu ihr.“

„Sie hat was?!“

„Sie hat den Kerl mit den Wasserkillern gesehen und will mir die Story verkaufen.“

„Aber Tanja!“, rief van Cliff aufgeregt. „Dann kann sie Ihnen eine Beschreibung des mutmaßlichen Erpressers liefern. Ist Ihnen das eigentlich klar?“

„Und ob mir das klar ist. Ich fahre sofort nach Hamburg in meine Redaktion und mache alles für meinen Bericht klar. Sylvias Aussage und die Erpressung sichern mir die Titelseite.“

„Mein Gott! Sie haben es wirklich geschafft! Sie werden berühmt“, flüsterte van Cliff beeindruckt.

„Es scheint so. Bartels wird sich vor Wut und Neid in den Allerwertesten beißen, falls er dazu elastisch genug ist“, erwiderte Tanja grinsend. „Machen Sie´s gut, Henrik. Bis heute Abend“, verabschiedete sie sich und eilte davon.

Jagd auf Cosima

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