Читать книгу Orpheus Stufen - Kriminalroman - Burkhard Ziebolz - Страница 11
5.
ОглавлениеKönnen Sie sich ausweisen?«
Das Gesicht des Bankangestellten wirkt leicht angewidert, aber Felix ist ziemlich sicher, daß dies nichts mit seiner Person zu tun hat; es ist einfach das natürliche Mienenspiel dieses Mannes, angesiedelt irgendwo zwischen Ekel und Aristokratie. Er legt seinen Personalausweis auf den Tisch und tritt unwillkürlich einen Schritt zurück. Als ihm klar wird, was er getan hat, muß er grinsen. Die Angewohnheit sitzt tief, in langen Monaten antrainiert: Tritt an den Tresen, tu, was man von dir erwartet, und tritt zurück.
»Und die Vollmacht haben Sie auch?«
Er zieht den Umschlag aus der Tasche, den er in dem geheimen Fach des Schreibtisches gefunden hat.
Der Brief hat nicht viel enthalten: Ein kleiner, verchromter Schlüssel und die Vollmacht für ein Schließfach bei der Hausbank seines Großvaters. Schlüssel und Vollmacht waren allein, ohne erklärende Zeilen, und das verstärkt für ihn ihre Bedeutung. Sie vervielfacht sich, weil die Erklärung für die Gegenstände die Gegenstände selbst sein müssen. Sie tragen den Auftrag in sich, herauszufinden, was ihr Sinn ist.
Felix ist ein wenig traurig über das Fehlen von ein paar letzten persönlichen Zeilen. Aber der Alte hat nie viel Worte gemacht, aber was er sagen wollte, hat er immer gesagt. Er ist überzeugt, daß er dies auch jetzt tun wird, auf die eine oder andere Art.
»Ihr Großvater ist krank, sagen Sie?«
»Ja. Es geht ihm wirklich sehr schlecht. Wir wissen nicht, ob er sich noch mal erholt.«
»Das tut mir leid.«
Felix’ Lächeln an dieser Stelle der Unterhaltung bleibt dem Bankmann unverständlich, läßt ihn entfernt an die Aussicht auf ein großes Erbe denken. Er kann nicht wissen, daß das genau die Art von Humor ist, die der Alte geliebt hat. Aber Felix’ Witz ist nicht ohne Sinh: Er will die Schwierigkeiten nicht vergrößern, indem er auf das Ableben Heinrich Ringels hinweist. In diesem Fall würde die Bank bestimmt eine Kopie des Totenscheines sehen wollen, und bis er die besorgen kann, würde einige Zeit vergehen.
Der Bankangestellte blättert geschäftig in einer Mappe mit eingehefteten Formularen, vergleicht mit der gebotenen, vorschriftsmäßigen Sorgfalt die Unterschrift auf der Vollmacht mit der Unterschriftenprobe Heinrich Ringels in seiner Kartei.
»Wie lautet das Kennwort?«
Verdammt. Felix erstarrt, fühlt leichten Schweiß auf der Stirn. Welches Kennwort? Er kennt kein Kennwort; in dem Umschlag stand nichts davon. Sein Gehirn arbeitet so fieberhaft, daß er meint, der andere müßte es hören können, als eine Art mechanisches Klicken, wie wenn Zahnräder Zahnräder antreiben. Und wirklich schaut dieser auf, aber nur, weil er durch das spontane Ausbleiben einer Antwort leicht irritiert ist.
Der Blick wird forschend, die Stimme nachdrücklicher, fordernder.
»Das Kennwort?«
Einen Versuch. Mehr hat er nicht.
Dann der blitzschnelle Einfall, und bevor er noch darüber nachdenken kann, ist es heraus.
»Das Wort ist ›Felix‹.«
»Danke.«
Befreites Aufatmen, auf beiden Seiten. Der Test ist zufriedenstellend verlaufen, und nun verändert sich das Gesicht des Angestellten, wird freundlich, weich und strahlt eine Wärme aus, die ebensowenig echt ist wie vorher seine Ablehnung. Nur viel angenehmer.
»Bestellen Sie Ihrem Großvater die herzlichsten Wünsche für eine schnelle Genesung. Die Schließfächer sind im Keller. Wenn ich Sie bitten dürfte . . .«
Eine beflissen-richtungsweisende Handbewegung nach hinten, dann dreht er sich um und geht auf eine dicke, grauschimmernde Tür zu. Das Lesegerät an der Wand gibt ein leises Summen von sich, als er eine Magnetkarte hineinsteckt. Die gepanzerte Tür gleitet lautlos zur Seite, in die Wand hinein, und gibt den Blick frei auf eine Treppe, die ins Untergeschoß führt. Am Fuß der Treppe liegt der Raum mit den Schließfächern, etwa fünfzehn mal fünfzehn Meter. Neonröhren an der Decke erhellen die sterile Umgebung. Die Wände bestehen, vom Boden bis zu einer Höhe von etwa einssechzig, nur aus den schmalen Frontplatten der Fächer, stählern glänzend und Vertrauen auf ihre Sicherheit einflößend. In der genauen Mitte des Raumes steht ein hölzerner Tisch mit zwei Stühlen. Das ist die ganze Einrichtung.
Der Angestellte führt ihn an eines der Fächer.
»Hier ist es. Nummer 233. Haben Sie den Schlüssel? Dann stecken Sie ihn bitte in das linke Schlüsselloch.«
Felix tut, wie ihm geheißen. Der andere zieht aus der Uhrentasche der untadelig dunkelblauen Weste seines untadelig dunkelblauen Anzugs eine silberne Kette, sehr stilvoll. An ihrem Ende baumelt ein anderer Schlüssel, Bruder dessen, den Felix hat. Er schließt das zweite Schloß auf.
»Ich lasse Sie nun mit dem Inhalt allein. Wenn Sie etwas brauchen oder wieder heraus wollen, klingeln Sie bitte.«
Ein letzter Fingerzeig auf den Klingelknopf, dann sitzt Felix an dem kleinen Tisch, allein in dem kahlen Raum, dessen Tür sich wieder geschlossen hat.
Die metallene Schublade ist dreißig mal fünfzig Zentimeter, stabiles Stahlblech. Ein einfacher Klappdeckel, der die Oberseite zur Hälfte abdeckt, schließt ihren Inhalt hermetisch von der Außenwelt ab.
Ein kurzes Zögern, dann öffnet er den Deckel.
Der Blechkasten ist leer.
Die Enttäuschung überrieselt ihn wie Wasser einer heißen Dusche und nimmt von seinem Körper Besitz. Was hat er erwartet? Er ist sich nicht sicher, auf alle Fälle mehr als nichts.
Aber dann sieht er aus dem dunklen Teil der Schublade etwas hervorschauen, die Ecke eines Papierstücks. Er zieht es ans Licht und nimmt es heraus, neugierig und erleichtert.
Zwei Dinge hat der Alte an diesem Ort hinterlegt, damit sein Enkel sie findet. Sein Enkel und niemand anderes; und darum trägt er und kein anderer auch die Verantwortung, ihre Bedeutung zu enträtseln und das zu tun, was Heinrich Ringel ihm damit auftragen wollte. Es überrieselt ihn wieder, aber diesmal ist die Ursache eine andere: Es ist Spannung, Erwartung und eine Vorahnung von Gefahr.
Ein Blatt mit einer Bleistiftskizze, DIN A4. Vielleicht ein Stadtplan, denkt Felix, mit vielfach verzweigtem Straßensystem und Markierungen an verschiedenen Stellen. Eine dicke Linie in der Mitte, von der dünnere Linien abzweigen.
Und ein Zeitungsartikel, sauber ausgeschnitten, in italienischer Sprache. Das Papier ist vom Alter vergilbt und abgegriffen durch immer wiederkehrende Benutzung. Am oberen Rand hat jemand mit Tinte ein Datum vermerkt: 24. Januar 1932.