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6.

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Schon der Anblick des Gebäudes lastet auf seinem Gemüt wie eine Zentnerlast Zementsäcke und drückt ihn dabei fast körperlich zu Boden. Willi Ringelnatz versucht sich zu erinnern, wie lange das schon so ist:

Er weiß noch genau, wie gern er am Anfang seiner Laufbahn zur Arbeit ging. Es war damals, als würde das große Haus mit den vielen Räumen ihn jeden Morgen an sich ziehen wie ein goldener Magnet, Erfolg verheißend, Zufriedenheit und – vor allem anderen – das Gefühl, gebraucht zu werden und jemand zu sein.

Das Haus ist noch dasselbe, aber dahinter ist ein anderes, größeres entstanden, Zeichen einer neuen Zeit für die Versicherung, und für ihn persönlich das Signal, irgendwann den Anschluß verpaßt zu haben. Die meisten der Kollegen, mit denen er früher zusammengearbeitet hat, haben nun ihre Büros in dem neuen, stahlblitzenden Hochhaus, in hellen, modernen Räumen, mit stilvollen, funktionellen Möbeln. Nur die wenigen, von denen die Insura nichts mehr erwartet, sind hiergeblieben: im Altbau. Der Altbau, das ist gleichbedeutend mit Abstellgleis: keine Ortsbeschreibung mehr, sondern eher eine Bewertung der Fähigkeiten.

Wenn er morgens hierher kommt, dann nur mit dem Gedanken, möglichst nicht aufzufallen, seine Bürotätigkeiten schnell hinter sich zu bringen, und dann wieder hinaus zu seinen Recherchen zu kommen. Im Außendienst, wenn er allein ist, geht es ihm besser; dann fühlt er sich unbeobachtet und frei.

Er betritt das Haus sehr leise, schleicht fast hinein. Leider ist er nicht unauffällig genug.

Heinz-Peter Drusen scheint schon auf ihn gelauert zu haben. Drusen ist einer seiner jüngeren Kollegen, wenig intelligent, ohne Esprit, ohne Perspektive, aber dafür mit einem ausgeprägten Hang zu bösartigem Spott: Ausgleich für die fehlende Anerkennung seiner Arbeit.

Sein Grinsen ist ölig und breit, aber durchsichtig wie Glas; dahinter lauern dunkel Frust und Enttäuschung. Und noch ein Schatten ist dort, dunkler als die anderen und diese überlagernd: Es ist die Angst. So unsensibel er auch ist, irgendein Teil seines Bewußtseins erkennt in dem älteren Kollegen ein Abbild seiner selbst, wie er in zwanzig Jahren sein wird.

»Na, Ringelnatz? Wieder auf brennend heißer Fährte? Da müssen die Fahrraddiebe der Stadt aber zitternde Knie bekommen. Oder geht es diesmal um gestohlene Pfandflaschen?«

Wenn es nicht so oft käme, wäre es vielleicht komisch. Aber die Anmachen ähneln sich zu sehr, zielen immer in die gleiche Richtung, als daß es noch Spaß machen würde, eine intelligente Antwort zurückzugeben. Außerdem – wer würde es hören?

So antwortet Ringelnatz erwartungsgemäß überhaupt nicht und geht schnell an ihm vorüber. Der andere lacht kalt in seinem kleinen Triumph. Später wird er den anderen erzählen, wie er den alten Ringelnatz mal wieder fertiggemacht hat, »der wußte überhaupt nicht, was er sagen sollte!«, und dann würden sie alle gemeinsam lachen, freudlos in kollektiver Mittelmäßigkeit.

Seufzend schließt er die Tür auf. Seit ihm vor einiger Zeit die Akten eines wichtigen Falles abhanden gekommen sind, hält er sein Büro abgeschlossen. Er hatte damals einen der anderen Ermittler in Verdacht, der ihm eins auswischen und sich selbst ein wenig in Szene setzen wollte, konnte aber nichts beweisen.

Da die Tür immer geschlossen ist, kommen auch die Putzfrauen nicht mehr hinein. Das Telefon ist, bis auf Hörer und Tastatur, staubbedeckt wie alles hier. Vorsichtig wählt er die Nummer der Bibliothek, sorgsam darauf achtend, nicht mit seiner Kleidung den Tisch oder ein anderes Möbelstück zu berühren. Irgendwann wird er aufräumen und saubermachen, nimmt er sich vor.

Eine weibliche Stimme meldet sich.

»Herzog August Bibliothek, Gründgens.«

Ringelnatz stellt sich vor, erklärt in knappen Worten die Situation und sein Anliegen.

»Und deshalb wäre es gut, wenn ich die Ausleihliste oder wie das heißt einsehen könnte. Von dem Buch, meine ich.«

Die Stimme ist freundlich, fast schmeichelnd.

»Natürlich können Sie das. Mit Genehmigung des Direktors, versteht sich.«

»Versteht sich.«

Also muß er doch noch mal mit Bilfinger sprechen. Der Gedanke ist ihm unangenehm.

»Können Sie mir die Liste faxen? Die Nummer ist . . .«

Die Frau unterbricht.

»Das geht leider nicht. Zunächst brauche ich die Genehmigung Doktor Bilfingers.«

»Können Sie ihn nicht schnell fragen? Er kennt mich, wir haben gestern miteinander gesprochen.«

Am anderen Ende der Leitung bleibt es still. Wahrscheinlich wägt seine Gesprächspartnerin jetzt ab, ob es mehr Anstrengung kostet, aufzustehen und zu fragen, oder ihn dazu zu bringen, noch einmal nach Wolfenbüttel zu kommen.

Dann ist sie wieder da.

»Das könnte ich schon tun.«

Na also.

»Aber wir dürfen grundsätzlich keine internen Materialien per Fax verschicken. Bibliotheksanweisung Nummer 234, Datenschutz.«

Eine wandelnde Dienstvorschrift. Willi Ringelnatz kennt den Typ, auch aus der eigenen Firma, und weiß, daß jeder Widerstand zwecklos ist. Niemals wird die Frau etwas tun, was nicht den Vorschriften gemäß ist, auch unter massiver Folter nicht. Resigniert legt er auf.

Er verläßt das Büro, wie er gekommen ist, schleichend, fast auf Zehenspitzen. Zwei Minuten später sitzt er in seinem alten Ford und biegt in die Wolfenbütteler Straße ein, froh darüber, beim Verlassen des Gebäudes niemandem begegnet zu sein.

Eine halbe Stunde später ist er am Ziel. Das wilhelminische Gebäude, erbaut Ende des neunzehnten Jahrhunderts für exakt den Zweck, dem es auch heute noch dient, empfängt ihn wie einen alten Bekannten.

Frau Gründgens entspricht nicht dem Bild, das er sich am Telefon von ihr gemacht hat. Sie ist nicht fünfzig, sondern Mitte Zwanzig, sie ist nicht dick und häßlich, sondern wohlproportioniert, und mit Beinen, die bis zum Himmel reichen, soweit er das von seinem Standort aus beurteilen kann.

Sie bemerkt seinen abschätzenden Blick, den Blick eines in ihren Augen sicherlich alten, unattraktiven Mannes, und preßt mißbilligend die Lippen aufeinander. Schlechter Anfang. Dann aber, als er sagt, wer er ist, ändert sich ihr Gesichtsausdruck, und sie ist sehr kooperativ. Ringelnatz nimmt an, daß sie nach dem Telefongespräch mit Bilfinger gesprochen und dieser sie auf die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit hingewiesen hat.

Er bekommt einen Platz am Rande des Lesesaals zugewiesen. Fünf Minuten später hat er die Liste vor sich, die sich als Computerausdruck herausstellt. Ganz oben steht der Titel des Buches, »Traktätlein von dem Kometen, der im November Anno 1638 gesehen worden ist«; daneben eine Registriernummer, gefolgt von einigen bibliographischen Daten wie Seitenzahl, Erscheinungsjahr und so weiter. Darunter beginnt die eigentliche Liste.

Es sind nur zwei Seiten. Offenbar gehörte das Werk nicht zu den Bestsellern der Bibliothek, denn seit Januar 1950 wurde es nur neunmal verlangt: Zweimal zwischen 1950 und 1960, einmal in den 80ern, die anderen sechs Mal nach 1990. Er notiert sich alle Namen, präzise mit Adressen und Ausweisnummern, und klappt sein Notizbuch zu, zufrieden, einen Anfang gefunden zu haben, vielleicht das Knäuel, an dem der rote Faden hängt.

Wie immer, wenn er bei einer Ermittlung nach einer Zeit des Schwimmens Land unter die Füße bekommt, spürt er Erleichterung. Ringelnatz haßt es, im Dunkelherumzustochern, sich auf Zufälle zu verlassen, ohne Struktur und ohne richtiges Ziel. Seine Arbeit braucht System, sein Denken braucht Ordnung. Er verläßt sich nicht auf Intuition und Gefühl, sondern ausschließlich auf Logik und die Ergebnisse seiner Denkarbeit. Ein konkreter Anfangspunkt gibt seiner Arbeit einen Rahmen, einen Fahrplan, in dem er sich bewegen kann; er fühlt sich sicher in diesem Rahmen, muß kein wirkliches Neuland betreten und muß nicht improvisieren.

Sein nächster Schritt ist, die Personen auf der Liste zu überprüfen und zu versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.

Nur eines bleibt im Moment noch zu tun, wenn er auch nicht damit rechnet, daß es ihn weiterbringt.

Frau Gründgens blickt auf, als er mit der Liste wieder vor ihrem aufgeräumt wirkenden Schreibtisch steht. Die Bluse der jungen Frau hat ein reichlich bemessenes Dekolleté, und einen Augenblick wandert sein Blick tief hinein; obwohl er in den letzten Jahren selten von ihm Gebrauch gemacht hat, hat sich sein Geschlechtstrieb offenbar noch nicht vollständig von ihm verabschiedet, jedenfalls spürt er ihn im Moment.

Wieder fängt sie seinen Blick auf, wieder hat sie ihn ertappt und verhärtet sich ihr Gesicht mißbilligend. Aber sie bemüht sich, freundlich zu bleiben, und er zieht sich schnell wieder von einem Gebiet zurück, auf dem er nichts verloren hat.

»Ich bin fertig, Frau Gründgens. Die Liste hat mir sehr geholfen. Etwas noch . . .«

Er schaut ihr ins Gesicht, abschätzend, wie sie weitere Fragen von ihm aufnehmen wird. Dann legt er den Computerausdruck vor sie hin.

»Die Liste hier beginnt 1950. Gibt es so etwas auch für die Zeit vorher?«

Sie überlegt nicht lange.

»Nicht in der EDV, die Mühe haben wir uns nicht mehr gemacht. Aber unser Archiv müßte die alten Daten noch haben. Es ist im Keller, nicht zu verfehlen.«

Sie beschreibt ihm genau, welchen Weg er nehmen muß, und entschuldigt sich, ihn nicht hinführen zu können. Ihre Schilderung klingt nicht sonderlich kompliziert, und so macht er sich guten Mutes allein auf den Weg.

Schnell findet er die richtige Tür. Dahinter ist eine Treppe, länger und breiter als alle Kellertreppen, die er bisher betreten hat. Dann beginnt der Keller, der eine Ausdehnung von ungeheuren Ausmaßen zu haben scheint. Der Gang, durch den er gehen muß, ist bestimmt fünf Meter hoch, die Länge ist nicht abzuschätzen. Gemauert aus großen roten Natursteinen, mit gewölbter Decke, macht er den Eindruck ewiger Beständigkeit und Unzerstörbarkeit. An den Wänden stehen vereinzelt Regale, Schränke oder Kisten, deren schlichtes Äußeres keinen Rückschluß auf den Inhalt zuläßt.

Ringelnatz schreitet voran, dringt immer weiter in die Tiefen des Hauses vor, so tief, wie er es nicht für möglich gehalten hätte. Bewegt er sich noch unter den Mauern der Bibliothek? Oder ist er schon unter dem Vorplatz oder den angrenzenden Gebäuden? Die Beleuchtung scheint schwächer zu werden und ab und an zu flackern; vielleicht spielen ihm aber auch seine Augen einen Streich. Er fühlt sich schlecht, ihm ist wieder heiß, er glaubt, nicht atmen zu können in der warmen, verbrauchten Luft des Korridors.

Je weiter er geht, desto unwirklicher wird die Umgebung. Wären da nicht das elektrische Licht an der Decke und die Zeugnisse neuzeitlicher Möbeltischlerei, die ihm gelegentlich noch begegneten, er wüßte nicht zu sagen, ob er sich noch in der Gegenwart befindet oder ob er durch ein Loch in der Wand der Zeit in die Vergangenheit hinübergestiegen ist, unbemerkt und ohne daß seine für diesen unwahrscheinlichen Fall nicht gerüsteten Sinne es registriert hätten. Er fühlt sich unsicher in dieser Umgebung, aber gleichzeitig auch auf eine seltsame Weise geborgen. Er ist jetzt weit weg von den Fährnissen des Alltages, tief unter Erde, und keiner kann ihn hier finden.

Kurz bevor er am Wahrheitsgehalt von Frau Gründgens’ Wegbeschreibung zu zweifeln beginnt, steht er vor einem grau gestrichenen eisernen Tor. »Eingang zum Archiv« steht darauf, in größer, roter Sütterlinschrift, und darunter etwas kleiner: »Man gehe hinein, ohne anzuklopfen.«

Die Klinke quietscht leise, als er sie hinunterdrückt.

Das Gewölbe dahinter ist gewaltig, wie alles hier unten. Es besteht aus vielen kleinen kuppelartigen Ausstülpungen, aus dem roten Stein, aus dem auch schon der Gang war, und wird von dicken, sich nach unten leicht verjüngenden Säulen aus dem gleichen Material gestützt. Dazwischen ziehen sich lange Regalreihen von einem Ende des Saales zum anderen, gerade und wie mit dem Lineal ausgerichtet. Akten stehen darauf, dicke Kladden, und Bündel von Papieren, säuberlich geschichtet und beschriftet. Es riecht leicht muffig und nach Staub.

Ringelnatz steht unschlüssig und unsicher neben der Tür. Der Raum, dessen Tiefe im Zwielicht zu schwacher Glühbirnen liegt, flößt ihm Angst ein. Er räuspert sich; als er spricht, ist seine Stimme ein heiseres Krächzen.

»Ist da jemand?«

Keine Reaktion. Er lauscht in den Raum hinein, mit angehaltenem Atem. Selten war es an einem Ort so still wie hier, in den Katakomben der Bibliothek tief unter der Stadt.

Schweiß perlt auf Ringelnatz’ Stirn.

»Hallo! Ist hier jemand?«

Es hustet hinter einem der Regale, rechts von ihm und ganz in seiner Nähe. Dann schiebt sich der Hustende in sein Blickfeld.

Der Mann ist nicht größer als einen Meter vierzig, mit einem kleinen Buckel. Er trägt einen grauen Kittel, der, für Normalgewachsene genäht, ihm beinahe bis zum Boden reicht. Das Gesicht ist faltig, mit einer Stirn, die vorspringt wie ein Erker. Eine gewaltige Nase sticht kühn aus einem wilden schwarzen Vollbart in Richtung des Betrachters.

Aus all der grotesken Seltsamkeit blitzen Ringelnatz zwei kluge und fröhliche Augen entgegen.

Die Stimme des kleinen Mannes ist angenehm tief und wohltönend.

»Kann ich etwas für Sie tun?«

Der Detektiv hat die Überraschung schnell überwunden. Während er dem Archivar, der sich als Eckart vorstellt, sein Anliegen vorträgt und auch ein wenig über den Hintergrund redet, sieht er sich mit routinierter Neugierde um.

Das Aktenmaterial scheint teilweise genauso alt zu sein wie die Bücher oben in den Bibliothekssälen. Einige der Kladden in den Regalen haben ähnliche Einbände wie die Bücher – schlichtes Weiß, leicht angegilbt und mit handschriftlichen Vermerken auf dem Rücken – und Ringelnatz hat das seltsame Gefühl, hier ein verzerrtes Spiegelbild der Oberwelt gefunden zu haben, mit all ihren Facetten. Der kleinwüchsige Archivar, ebenfalls verzerrtes Bild dessen, was der realen Normalität entspricht, paßt gut in diese Vorstellung.

Eckart – ist das der Vor- oder der Nachname? – hat natürlich vom Diebstahl des »Traktätleins« gehört und versteht sofort, worum es seinem Gast geht. Er bietet ihm Platz an seinem Schreibtisch an, den einzigen Sitzplatz in dem großen Raum. Dann bewegt er sich schnell wie ein Wiesel zwischen den Regalreihen entlang; er kennt sein unterirdisches Reich genau und weiß, wo er die alten Unterlagen suchen muß.

Der Detektiv setzt sich und stößt prompt mit den Knien unter die Tischplatte. Der Stuhl ist sehr niedrig und läßt sich nicht einstellen, und die Beine des Tisches sind so abgesägt, wie es den Körpermaßen des zwergwüchsigen Archivars entspricht.

Es ist angenehm kühl hier, Auswirkung der Isolierung durch den Erdboden und die dicken Steine. Mit zwei Fingern lockert er sich die Krawatte und öffnet den obersten Hemdknopf.

Nach wenigen Minuten ist der Archivar wieder da und legt einen flachen Karton vor ihn hin. Er öffnet ihn, kramt ein wenig darin herum und fördert schließlich ein Blatt Papier zutage, ebenso alt und vergilbt wie die Einbände der Akten, die das Archiv füllen.

»Das ist es. Irgendwann gegen Kriegsende hat offenbar jemand die Inhalte aller vorhandenen Entleihlisten auf diesem einen Blatt zusammengefaßt. Weiß der Kuckuck, wer zu dieser schlimmen Zeit noch ein Interesse an der Ordnung der Biblotheksunterlagen hatte. Können Sie auf dem Stuhl sitzen? Er ist mehr für meine Größe gemacht.«

»Es geht schon. Vielen Dank.«

Ringelnatz kramt nach seiner Brille, einem Ungetüm mit Hornrahmen und dicken Gläsern, und klemmt sie umständlich auf die Nase. Mit beinahe zoologischem Interesse beobachtet ihn der kleine Mann. Er ist die meiste Zeit des Tages allein hier unten, einsamer Herr der Bibliotheksvergangenheit, und hängt oft stundenlang seinen Gedanken nach. Besucher sind selten, und wenn mal jemand kommt, dann in der Regel mit langweiligen Verwaltungsdingen. Der Detektiv und seine Spurensuche sind eine Sensation in Eckarts friedlicher, stiller Welt, ein störender und gleichzeitig anregender Impuls, von dem er noch lange zehren wird.

Die Liste geht bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Sie ist detaillierter als der Computerausdruck, den er oben gelesen hat, und gibt neben Namen und Adresse auch das Alter und den Beruf des Ausleihers und den Grund für sein Interesse an.

Das »Traktätlein von dem Kometen, der im November Anno 1638 gesehen worden ist«, wurde vor 1950 etwa zwanzigmal angefordert. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich bei den Interessenten um Leute, deren Beruf schon den Grund für die Einsichtnahme liefert: Geologen, Meteorologen, in zwei Fällen Bibliothekare, einmal ein Astrologe.

Ringelnatz’ dicker Zeigefinger gleitet über die Jahre.

Die Jahre 1934 bis 1939. Er stoppt.

Ein Prickeln läuft seinen Nacken hinauf, das er lange nicht gefühlt hat. Früher, als er noch gut im Geschäft war, hatte er es öfter. Es war eine Art Instinkt, und immer ein sicheres Anzeichen dafür, auf etwas Wichtiges gestoßen zu sein.

Nur ein einziger Eintrag steht unter der Jahreszahl, der aber gleich elfmal. Ein Name, zu dem die Liste merkwürdigerweise keine Adresse angibt und auch keinen Grund für die Entleihe liefert.

Der alte Detektiv glaubt, sich dunkel an den Namen erinnern zu können; aber vielleicht unterliegt er auch einer Täuschung.

Ein Name nur.

Der Eintrag lautet auf Salomon Mergentheimer, Aushilfe.

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