Читать книгу Dreizehn. Der Gletscher. Band 4 - Carl Wilckens - Страница 7
ОглавлениеStaub und Stürme
Ganz Dustrien erlebte in dieser Nacht Momente des Schreckens. Hatte die Wissenschaft in den letzten Jahren den Thron der Religion erobert, fielen die Menschen nun auf die Knie und beteten zu Zuris. Vielerorts nicht sichtbar, weil dunkle Wolken den Blick versperrten, weitete sich der Riss im Himmel aus. Er verzweigte, und ein Netz feiner Äderchen schwebte über Dustrien, das sich mondsilbern vor dem Nachthimmel abhob. Schließlich gab ein herausbrechender Splitter preis, was hinter dem Himmel lag: Dunkelheit.
Die Insassen von Zellenblock 13 sahen weder die herabfallenden Splitter, noch das Loch im Himmel. Wohl aber spürten sie das Beben, wenn ein Bruchstück auf die Erde stürzte. Sie sahen den Putz, der von den Decken ihrer Zellen bröckelte, und atmeten den Staub, der von den Himmelssplittern aufgewirbelt wie eine Kavallerie grauer Geister über das Land galoppierte.
Drei Mal weckte sie das Lärmen der herabstürzenden Trümmer. Beim ersten Mal glaubten sie, ein Donnerschlag hätte sie wachgerüttelt. Die meisten begaben sich in eine andere Position und schliefen weiter. Arwin setzte sich auf, allerdings nur, um einen Blick in die Zelle seines Genossen Ronald zu werfen. Die Gestalt des jungen Mitstreiters der Arbeiterrevolution verharrte reglos auf seiner Pritsche. Lediglich Kenan Rutter fuhr aus dem Schlaf, als hätte ihm jemand einen Dolch ins Bein gestoßen, und blickte starr vor Schreck aus dem Fenster in der Zelle seines Gegenübers. Nachdem er einige Zeit lang vergeblich mit Blicken in der nächtlichen Schwärze gewühlt hatte, ließ er sich mit hämmerndem Herzen zurück auf die Pritsche sinken. Es dauerte lange, bis er sich soweit beruhigt hatte, dass er wieder schlafen konnte.
Bald darauf weckte ihn das nächste Donnern. Dieses Mal wurde es von einem Beben begleitet, das nicht länger dem Wetter zugeschrieben werden konnte. Mehrere bange Sekunden lang fürchteten die Insassen in ganz Blackworth, die ehemalige Fabrik würde über ihnen einstürzen und sie unter ihren Trümmern begraben. Als im Anschluss ein Sturm über das Gefängnis hinwegfegte, der die Zellen mit Staub füllte und die Insassen husten ließ, dachten nicht wenige an Ends unheilvolle Prophezeiung, dies sei das Ende der Welt. Als wäre ein Aschesturm aufgekommen, banden sie sich Stoffstreifen vor Münder und Nasen und verhängten die Fenster mit ihren Hemden. So, wie sie anschließend mit offenen Augen auf ihren Pritschen lagen und darauf warteten, dass jemand ausspräche, was alle dachten, ersetzten sie die bislang natürlich nächtliche Stille durch Schweigen. Nach einiger Zeit begleitete ein beklemmendes Gefühl die Insassen zurück in den Schlaf.
Erst als das Land zum dritten Mal erbebte, brach jemand das Schweigen. Ein Stöhnen drang aus einer der Zellen, gefolgt von den Worten: »Wie soll man sich bei diesem Lärm erholen?«
Arwin setzte sich auf und blickte in die Zelle seines Gegenübers. »Ronald? Du lebst!«