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Das Tagebuch

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20. Ährengold 1713, Ruhenacht

Gestern besorgte ich mir Schutzhandschuhe, eine Schutzmaske, wie man sie beim Gasschmelzschweißen trägt, und Gehörschutz. Ich nahm die Dinge aus dem Labor von Professor Hunt – ein Delikt, für das man mich ohne Weiteres der Universität verweisen kann. Umso mehr verärgerte es mich, dass Emily mir nicht hatte verraten wollen, wozu ich diese Dinge benötigte.

(Ich rief mir in Erinnerung, was Emily zuletzt zu William gesagt hatte: „Unter dem Fensterbrett meines Schlafzimmers findest du eine Schatulle. Öffne sie und sieh, was dort drin ist. Aber trag auf alle Fälle die Schutzkleidung!“)

Ich wusste nicht, wovor ich mich mehr fürchten sollte: vor der Gefahr, die vom Inhalt der Schatulle ausging … oder dass ich nur ein Stück Schnur und einen vergammelten Apfel oder sowas darin finden würde.

Heute Morgen machte ich mich auf den Weg zu Emilys Wohnung. Ich fand den Schlüssel in einer Mauerfuge des Gebäudes, wie sie es mir beschrieben hatte. In ihrem Wohnzimmer holte ich die Schutzkleidung aus meinem Rucksack. Mit klopfendem Herzen betrat ich das Schlafzimmer. Das verdunkelte Glas der Schutzmaske machte mich fast blind. Ich tastete mich zum Fenster vor. Mit beiden Händen fasste ich das Fensterbrett und versuchte, es anzuheben. Es rührte sich nicht. Das Herz wurde mir schwer. Dann existierten das Versteck und die Schatulle also nur in Emilys Vorstellung. Ich klappte die Schutzmaske hoch und erst da sah ich den Riss. Ein Teil des Brettes war abgebrochen. Ich zog daran und er ließ sich herausnehmen. Darunter kam ein Fach zum Vorschein, in dem eine hölzerne Schatulle lag. Jemand hatte Runen in ihren Deckel geschnitzt. Mein Herz schlug wieder schneller. Ich nahm die Schatulle heraus und auch den kleinen Schlüssel, der darunter lag. Setzte mich aufs Bett und schloss sie auf. Anschließend klappte ich die Maske herunter und den Deckel auf.

In der Schatulle lagen elf tränenförmige Edelsteine. Von ihnen ging eine Kälte aus, die man hören konnte. Ein Ton, so schrill wie das Kreischen einer Banshee, und hätte ich keine Ohrenschützer getragen, hätte er mir die Trommelfelle zerfetzt. Die Kälte strahlte so hell wie eine Flamme beim Schweißen. Sie überzog die Schutzhandschuhe mit Eiskristallen. Mein Atem gefror zu Wolken, das Glas des Fensters erzitterte und binnen eines Herzschlags durchzogen feine Risse die Scheibe.

Ich schlug die Schatulle zu. Eine geschlagene Minute starrte ich auf den Deckel. Was waren das für Steine? Ein bislang unbekanntes Element? Sie sahen aus wie gefrorene Tränen. Aber warum schmolzen sie nicht? Ich fürchte, nur Emily kennt die Antworten.

Ich verstaute die Schatulle in meinem Rucksack. Als ich die Wohnung verließ, beschlich mich ein seltsames Gefühl. Zunächst glaubte ich, es rühre von der unmittelbaren Gefahr, die von den Steinen ausging. Doch ich irrte. Es war das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Mir war, als zöge ich die Aufmerksamkeit von etwas Bösem auf mich. Auf dem Heimweg glaubte ich, aus den Augenwinkeln zu sehen, wie man mir nachblickte. Doch es waren nicht die Menschen, die die Köpfe wandten, sondern ihre Spiegelbilder in den Fenstern. Wenn ich hinsah, verhielten sie sich normal. Werde ich jetzt paranoid?

Ich kehrte auf kürzestem Wege in meine Wohnung zurück. Verstaute die Schatulle unter meinem Bett und versuchte, mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich schlug ein Buch auf und ignorierte hartnäckig das Gefühl, dass mein Ebenbild im kleinen Wandspiegel mich eindringlich ansah. Schließlich gab ich mich geschlagen, nahm ihn herunter und legte ihn mit der Glasseite nach unten auf den Boden.

Trotzdem schiebe ich auch jetzt noch, während ich diese Zeilen schreibe, alle fünf Minuten die Vorhänge beiseite, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass jemand die Wohnung beobachtet. Aber ich sehe niemanden. Bloß mein eigenes Spiegelbild im Fensterglas vorm dunklen Hintergrund der Nacht. Mir ist, als deute es ein Lächeln an.

W. D. Walker

Dreizehn. Die Anstalt. Band 2

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