Читать книгу Dreizehn. Die Anstalt. Band 2 - Carl Wilckens - Страница 13

End

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Ich las den Eintrag noch einmal. Amrei hatte Recht. Es stand ziemlich verrücktes Zeug darin. Allerdings nichts Neues über den Verbleib meiner Schwester. Ich faltete die Seite zusammen und steckte sie in die Hosentasche.

„Ich weiß, wer du bist, Godric.“ Ich wandte mich um. An Deck der Fleute stand Amrei und traktierte mich mit düsterem Blick.

Ich begegnete ihr mit argloser Miene. „Ich heiße Albert.“

„Das hat Derek auch behauptet. Aber das hat meinen Verdacht nur bestärkt. Du bist Godric End.“ Einen Augenblick schwiegen wir. Sollte ich ihre Worte abstreiten?

„Du hast eine blühende Fantasie, Mädchen.“

„Auf deinen Kopf sind eintausend Liberty ausgesetzt“, sagte Amrei mit blitzenden Augen. „Von dem Geld könnte ich mir eine neue Geige kaufen.“ Ich schwieg. Amrei war gewiss nicht gekommen, um mir das zu sagen. „Ich möchte dir etwas vorschlagen“, fuhr sie fort, wobei sie nervös am Ärmelsaum ihrer Bluse nestelte. „Wenn du nach meiner Geige suchst, verrate ich niemandem, wer du bist.“

Ich hob die Brauen. „Das klingt aber so, als sei die Geige mehr wert als eintausend Liberty.“

„Darum geht es nicht“, erwiderte Amrei gereizt. „Ich weiß nicht, was sie wert ist, und es ist mir egal. Sie ist eben mein Instrument. Mehr als das: Sie ist mein Freund.“ Die letzten Worte sagte sie leise, als schäme sie sich. Ich musterte sie. Ob sie wegen der Linien im Gesicht gehänselt wurde? Oder fürchtete man sich gar vor ihr? So oder so hatte sie gewiss nicht viele Freunde. „Du verstehst das nicht“, fuhr Amrei fort und klang wieder gereizt. „Die Geige hat meinem Opa gehört. Ich will sie wiederhaben.“

„Ich verstehe sehr wohl.“ Auch ich hatte meine Instrumente verloren – Mordinstrumente. Mein Revolver war kein Unikat gewesen. Ich könnte mir einen neuen kaufen und er würde ebenso gut funktionieren. Nein, der Grund, weshalb ich meine Waffe vermisste, war, dass sie der erste Revolver war, den ich mir erkämpft hatte. Ich hatte mit ihm schon unzählige Feinde getötet, allen voran seinen Vorbesitzer. Ich hatte sie besser gepflegt als mich selbst. Mir war, als wäre sie mittlerweile zu einem Teil meines Körpers geworden. Mit keiner anderen Waffe würde ich je so gut schießen wie mit dieser. Abgesehen davon: Eine Geige zum Freund zu haben, war gewiss nicht so verrückt wie eine Halluzination von Hunger, die versucht, einen dazu zu bringen, Menschenfleisch zu essen. Doch meine Miene blieb ungerührt. „Ich lasse mich nicht erpressen, Mädchen. Niemand wird dir glauben. Wieso sollte Godric End die Swimming Island verlassen haben und durch Dustrien spazieren?“

„Ich könnte dir außerdem einen Schlafplatz anbieten“, fügte Amrei zähneknirschend hinzu. „Nichts Besonderes. Eine Matte unten im Schiffsrumpf, aber immerhin hast du ein Dach über dem Kopf.“

Ich dachte kurz nach. „Und dein Vater?“

„Wird nichts davon erfahren.“

Das Angebot war nicht schlecht. „Was, wenn die Diebe die Geige verkauft haben? Sie könnte längst im Besitz irgendeines Überseehändlers sein.“

„Dann habe ich Pech. Ich möchte bloß, dass du es versuchst. Komm in der Nacht und kletter auf das Deck, wenn gerade niemand hier ist. Ich öffne dir die Tür.“

„Abgemacht.“ Ich spuckte mir in die Handfläche und hielt sie ihr hin.

Amrei verzog angeekelt das Gesicht. „Ich möchte lieber nicht einschlagen.“

„Wie willst du dann wissen, dass ich mich an die Abmachung halte?“, fragte ich eine ernste Miene wahrend.

„Also gut“, meinte Amrei nach kurzem Zögern, lehnte sich über die Reling und schlug ein.

Ich grinste. „Fühlt sich gut an, nicht?“

„Arschloch“, murmelte Amrei und wischte sich die Handfläche am Rock sauber.

Ich lachte. Mein eigener Sinn für Humor überraschte mich. „Nimm es mir nicht übel. Wenn ich wirklich der bin, für den du mich hältst, weißt du ja, dass ich in meinem Leben nicht viel zum Lachen hatte. Bis heute Abend.“ verließ den Bootssteg.

Während ich der Promenade nach Norden folgte, sah ich mich im Hafen um. Ich sah die Gaslaternen und fragte mich, ob William und Emily hier das Medusajunge bewundert hatten. Hatten sie in einem der Lokale gesessen, deren Fenster nun mit Brettern vernagelt waren, und Limonade getrunken? Gewiss hatte es nicht so sehr nach Pisse gerochen wie jetzt. Und gewiss waren nicht so viele Hunde umhergestreunt. Ich warf im Gehen einen Blick über die Schulter und sah in der Ferne den Leuchtturm von Treedsgow. Dort war Diane in die Tiefe gestürzt. Kurz verharrte ich und lauschte dem Wind und den Wellen. In meiner Vorstellung hatte alles so anders ausgesehen. Und doch wirkte es vertraut.

Dreizehn. Die Anstalt. Band 2

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