Читать книгу Secret Service - Carol Leonnig - Страница 7

Kapitel 1 Schutz für Lancer

Оглавление

Win LawsonLawson, Win spürte an diesem besonderen Tag in Buffalo, wie seine Brust ein wenig breiter wurde, wie das Anspannen der Schultern seinen schlaksigen Körper noch ein wenig größer und aufrechter wirken ließ. Stolz. Ja, das durfte er sich sehr wohl eingestehen. Win LawsonLawson, Win, der schüchterne, schweigsame Krieger, empfand Stolz.

Der 34-Jährige war in einem Städtchen an den Ufern des Eriesees aufgewachsen, in dem es noch nicht einmal eine Ampel gab und von dem außerhalb von Upstate New York die wenigsten jemals gehört hatten: Portland, New York. Die Gemeinde, knapp hundert Kilometer südlich von Buffalo gelegen, war, wenn überhaupt, bekannt für ihre kühle Seeluft, Rebflächen und Apfelplantagen, und für Familien, die so winterfest waren wie die Früchte, die sie anbauten.

Lawson, WinLawson, Sohn einer Grundschullehrerin und eines örtlichen Bankangestellten, war im Sommer nach dem Abschluss der Highschool in Richtung College aufgebrochen. Er machte seinen Abschluss, heiratete die Schwester eines Freundes aus seiner Studentenverbindung und schloss sich zu Beginn des Koreakriegs einer geheimdienstlichen Abteilung der Army an.

Heute, zwölf Jahre später, an diesem Herbsttag im Jahr 1962, kehrte LawsonLawson, Win zurück in heimatliche Gefilde, allerdings in einer prestigeträchtigen neuen Rolle: Er war Agent beim Secret Service, und er hatte die Aufgabe, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu beschützen.

Fast zweihunderttausend Menschen drängten sich auf dem größten Platz im Zentrum von Buffalo und wollten einen Blick auf den berühmtesten Mann auf dem Planeten erhaschen, John Fitzgerald KennedyKennedy, John F.. Und Win LawsonLawson, Win stand neben ihm.

Kennedy kam am 14. Oktober 1962 nach Buffalo, am Tag der in der Stadt so beliebten polnischen Traditionsparade. Als er die Menschenmassen sah, die in acht Reihen hintereinander entlang der Route der Präsidentenlimousine Spalier standen, dachte sich LawsonLawson, Win: Ob polnisch oder nicht, heute ist ganz Upstate New York auf den Beinen, um den schicken neuen Präsidenten zu sehen.

LawsonLawson, Win und die sieben anderen Mitglieder der persönlichen Schutztruppe des Präsidenten hatten eine Aufgabe, die ihre volle Konzentration verlangte: KennedyKennedy, John F. von der ersten bis zur letzten Sekunde dieses Trips zu beschützen. Sie schirmten ihn ab, als er aus der Air Force One stieg, als er in seiner Limousine auf der letzten halben Meile der Parade dem Volk zuwinkte, und auch jetzt zum Schluss, als er sich an die riesige Menschenmenge wandte, im Herzen der Stadt – auf dem Niagara Square.

Diese Kerntruppe des Personenschutzkommandos erledigte eine einzigartige Bewachungsaufgabe, die größtenteils auf sensorischen Instinkten und angespannten Muskeln beruhte. Sobald »der Boss« – so titulierten sie den Präsidenten intern – die Bühne betrat, hielten die Bewacher Augen und Ohren offen, um in der Menschenmenge irgendwelche seltsamen Gestalten, ungewöhnlichen Bewegungen oder Leute mit den Händen in den Hosentaschen auszumachen. Kennedy, John F.Kontakt mit der ÖffentlichkeitWenn Kennedy Hände schüttelte, was er sehr gerne tat, flankierten ihn die Spezialagenten von beiden Seiten und behielten diese ausgestreckten Hände im Auge, immer auf der Suche nach potenziellen Gefahrenquellen. Ihre Pflicht: im Ernstfall den eigenen Körper zwischen den Präsidenten und eine Schusswaffe, ein Messer oder irgendwelche anderen Bedrohungen zu werfen.

LawsonLawson, Win stand am Sockel der Holzbühne vor der City Hall, wendete den Kopf von links nach rechts und suchte den Platz ab, ein menschliches Periskop, dessen Blick über zahllose Köpfe, Gesichter und Arme strich, aufmerksam für jedes Anzeichen von Gefahr.

Bei diesem Besuch hatte LawsonLawson, Win die zusätzliche Aufgabe, als Chef der Sicherheitsplanung des Secret Service zu dienen. Er war drei Tage zuvor eingetroffen, um die Sicherheit jedes einzelnen Schritts zu bewerten, den der Präsident bei dem Besuch tun würde, eine ausgeklügelte Choreographie, bekannt als »die Vorhut«. Er hatte entschieden, welche Straßen für die Wagenkolonne abgesperrt werden, wie nahe an der Straße die Schaulustigen stehen durften und welche Posten im Umkreis die örtliche Polizei und die Fahrer der Motorradeskorte beziehen sollten.

Aber LawsonsLawson, Win akribische Planung konnte an den Gesetzen der Physik nichts ändern: Er und seine Agentenkollegen waren letztendlich nicht mehr als winzige Punkte in den wuselnden Menschenmassen, die auf den Platz strömten.

Jubel kam auf, als KennedyKennedy, John F. der Menge versicherte, sie hätten Polen in ihren Herzen behalten, und als er sie aufforderte, dafür zu beten, das polnische Volk möge eines Tages frei von kommunistischer Herrschaft leben können.[1] »Und wie es in dem alten Lied heißt: ›Solange du lebst, lebt Polen‹«, fuhr Kennedy fort. Donnernder Applaus erfüllte den Platz. Kennedy lächelte, weil er so lange warten musste, bis er seine Rede fortsetzen konnte.

Kennedy, John F.Kennedy eroberte die Herzen und – wie seine politischen Mitstreiter hofften – die Wählerstimmen. Um den Demokraten zum Gewinn von Sitzen bei den Kongresswahlen im November zu verhelfen, wollte das Weiße Haus, dass möglichst viele Wähler den Präsidenten zu sehen bekommen. Insgeheim waren die Agenten des Secret Service nicht damit einverstanden, wie nahe KennedyKennedy, John F.Kontakt mit der Öffentlichkeit seinem Volk kommen wollte, aber sie hatten nicht die Macht, sich über seine Pläne hinwegzusetzen. Jedenfalls war den Agenten klar: Je länger die Route der Parade und je mehr Hände der Boss an den Seilabsperrungen schüttelte, desto größer war die Gefahr, dass etwas passiert.

So schwer auch zu glauben war, dass der Präsident des Schutzes vor den jubelnden Massen auf dem Niagara Square überhaupt bedurfte, mussten LawsonLawson, Win und die anderen Personenschützer doch zu jedem Zeitpunkt davon ausgehen, dass irgendwo im Gedränge ein Feind lauerte. KennedyKennedy, John F. mag ja gut aussehend, reich und umwerfend charmant gewesen sein, aber viele Menschen im Land verachteten ihn. Und einige wenige wollten ihn tot sehen.

Der 43-jährige Politiker war eine Bedrohung für den Status quo. Er war der erste Katholik im Präsidentenamt, ein Schock für eine ältere Generation, die in den Protestanten von jeher den Adel der Nation gesehen hatten. Viele Amerikaner waren auch zutiefst verunsichert, weil Kennedy darauf beharrte, dass Schwarze es verdienten, dieselben Schulen zu besuchen, dieselben Toiletten zu benutzen und in denselben Restaurants zu speisen wie Weiße.

Einige Wochen nach KennedysKennedy, John F. Wahlsieg 1960 lud Richard PavlickPavlick, Richard, ein pensionierter Postangestellter von 73 Jahren mit einer von psychischen Problemen und Tiraden gegen Katholiken geprägten Vorgeschichte, sieben Stangen Dynamit in den Kofferraum seines Buick. Er fuhr vom heimatlichen New Hampshire nach Palm Beach, wo sich der Präsident vor seiner Amtseinführung aufhielt. Pavlick, RichardPavlick wollte Kennedy in die Luft jagen, indem er dessen Fahrzeug rammte, wenn dieser zum Besuch des Gottesdienstes aufbrach, aber er ließ den Plan fallen, als er sah, dass Kennedy in Begleitung von Frau und Kindern unterwegs war. Die Polizei von Palm Beach nahm PavlickPavlick, Richard ein paar Tage später fest; sie hatten einen Tipp von einem besorgten Kollegen bekommen, der verschiedene Puzzleteile zu der Schlussfolgerung zusammengefügt hatte, dass PavlickPavlick, Richard hinter Kennedy her war.[2]

In KennedysKennedy, John F. ersten sechs Wochen im Amt gingen im Weißen Haus dreimal mehr Drohbriefe gegen den Präsidenten ein als durchschnittlich üblich. »Wir haben genug von den dreckigen schwarzen Katholiken«, hieß es in einem anonymen Brief mit Poststempel aus Los Angeles. »Die nächste Bombe ist für Sie, Mr. Kennedy, John F.MorddrohungenKennedy.«

Die für den Personenschutz des Präsidenten rund um das Weiße Haus zuständigen Agenten fürchteten insgeheim um Kennedys Sicherheit – und das nicht bloß deshalb, weil eine gewisse Paranoia zu ihrem Job gehörte. Für die Öffentlichkeit war Präsident KennedyKennedy, John F. ein eleganter und kluger Führer mit einer Bilderbuchfamilie. Insgeheim sahen Kennedys Secret-Service-Agenten in ihm einen Mann, der die Gefahr magisch anzog.

Kennedy drückte im Vergleich zu seinen Vorgängern unablässig aufs Tempo, und seine Personenschützer brachte er damit an den Rand der Erschöpfung. Er ging auch extrem fahrlässig mit seiner eigenen Sicherheit um. Sein Gebaren gab einigen seiner Bewacher ein ungutes Gefühl, andere machte es schlicht wütend. Die Personenschützer Kennedys mochten den neuen Präsidenten persönlich, aber aus professioneller Sicht war er ihr bislang schwierigster Fall.

Als KennedyKennedy, John F. mit seiner jungen Familie im Januar 1961 ins Weiße Haus einzog, war der Service so klein, dass er weniger wie eine Bundesbehörde wirkte, eher schon wie die Polizeitruppe einer harmlosen Kleinstadt. Der oberste Beamte des Service hieß tatsächlich auch noch »Chief«. Die Behörde hatte ein Budget von fünf Millionen Dollar und beschäftigte gerade einmal gut dreihundert Agenten, die meisten davon waren an irgendwelchen Außenstellen stationiert und über sämtliche fünfzig Bundesstaaten verteilt. Nur 34 Agenten waren für den Schutz des Weißen Hauses eingeteilt – der Teil der Truppe, der den PräsidentenKennedy, John F. zu beschützen hatte. Sie arbeiteten üblicherweise in Teams von sechs Leuten im Umfeld des Präsidenten, in Wechselschichten von acht Stunden.

Diese Agenten – allesamt Männer, die meisten stammten aus Arbeiterfamilien – waren im Schatten des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen und verfügten über ein ausgeprägtes Pflichtgefühl gegenüber ihrem Land. Der typische Vertreter war ein athletischer, sittenstrenger College-Absolvent Ende zwanzig oder Anfang dreißig, im Militärdienst oder bei einer örtlichen Polizeiabteilung beschäftigt.

Neue Agenten wurden stets zuerst in eine Außenstelle geschickt, aber Kandidaten für den unmittelbaren Personenschutz wurden zur Probe innerhalb der ersten ein oder zwei Jahre ins Weiße Haus beordert. Der Service schloss einen Deal mit der Bundesregierung, um den quotierten Einstellungspool der Bundesstaaten zu umgehen und stattdessen jeden Agenten zu verpflichten, den der Chief haben wollte.[3] Im Rahmen dieser Vereinbarung musste der Secret Service diese relativ neuen und jungen Agenten innerhalb von zwei Jahren für den Personenschutz des Präsidenten abstellen, wenn der Service sie in dem Job halten wollte.

Die Agenten erhielten kein spezielles Training für den Personenschutz, sie lernten bei der Arbeit von erfahrenen Kollegen, worauf es ankam. »So lief das beim Secret Service. Sie führten dich in den Job ein und stellten dir einen guten Kollegen an die Seite«, sagte Tim McIntyreMcIntyre, Tim, ein ehemaliger Personenschützer KennedysKennedy, John F.. »Der Service teilte dich üblicherweise für eine bestimmte Aufgabe ein und erwartete, dass du entsprechend reagierst. Wenn du an verschiedenen Stellen eingesetzt wirst, konnte das überall sein, zum Beispiel auch in einem Auditorium. Sie haben keine Zeit, dir alles zu erklären. Sie spielen dir einfach den Ball zu und erwarten dann, dass du den Ball aufnimmst und losrennst.«

Die Arbeit eines Agenten, an einem festen Posten Wache zu schieben, war aufreibend – und zugleich langweilig. Aber an der Seite des leutseligen, höflich-eleganten KennedyKennedy, John F. zu arbeiten, verlieh dem Job ein besonderes Gütesiegel. Und anders als sein Vorgänger, der General, gab sich dieser Präsident wirklich Mühe, seine Agenten persönlich kennenzulernen, er grüßte sie mit Namen. Sein mondänes Leben, bei dem man auch regelmäßig Größen wie Frank SinatraSinatra, FrankMonroe, Marilyn, Marilyn Monroe und die Königin von England zu sehen bekam, ließ auch das Sicherheitsteam ein wenig an dem Glamour teilhaben. Die Agenten genossen es, in nächster Nähe des historischen Geschehens tätig zu sein.

»Ich fahre zur Ranch von LBJ, ich habe die Nachtschicht. Ich stehe unter einer dieser riesigen Eichen vor dem Anwesen. Und es ist zwei Uhr morgens, und es ist kalt.« LawsonLawson, Win verzog das Gesicht bei der Erinnerung an einen solchen Einsatz. »Du denkst dir, ›Was um alles in der Welt tue ich hier? Ich habe immerhin einen College-Abschluss, und jetzt stehe ich hier und schiebe Wache, mitten in der Nacht im Nirgendwo. Ich bin schon lange von zu Hause weg, es ist Weihnachtszeit‹, solche Sachen.

Und dann, vielleicht zwei Wochen später, bist du bei einer Veranstaltung, die zu besuchen du dir nie im Leben leisten könntest. Ich war in Cape Canaveral … für den ersten Start zum Mond. Ich war dabei, als sie in den Himmel stiegen«, sagte er. »Du denkst, ›Oh Mann, ich bin bloß ein Typ aus einem Kaff im Westen von New York, und jetzt schau mal, wo ich gerade dabei war.‹«

Auch die polnische Traditionsparade war einer dieser Tage für LawsonLawson, Win. Als die Parade vorbei war, sprang der Präsident der Vereinigten Staaten in seine offene Limousine und fuhr wieder weg aus Buffalo – keine besonderen Vorkommnisse.

Danach traf LawsonLawson, Win, wie vorher abgemacht, seine Eltern und seinen Bruder auf dem Parkplatz des Flugplatzes von Niagara Falls und brachte sie rasch an einer ausgewählten Stelle am Absperrzaun unter. Er wusste, dass der Präsident dort Hände schütteln würde, das berühmte Bad in der Menge, bevor er in sein Flugzeug nach Washington stieg. Kennedy, John F.Kontakt mit der ÖffentlichkeitKennedy liebte diesen Teil seiner Ausflüge in die Öffentlichkeit ganz besonders: der direkte Kontakt mit Wählern, die stundenlang gewartet hatten, um ihn persönlich zu begrüßen.

Als sich der Präsident LawsonsLawson, Win Familie näherte, stand er hinter der linken Schulter KennedysKennedy, John F. und nickte kurz seinen Eltern zu. LawsonsLawson, Win Schichtführer Floyd BoringBoring, Floyd hielt an ihrem Abschnitt der Absperrung kurz inne.

»Mr. President«, sagte BoringBoring, Floyd, »das ist die Familie von Agent LawsonLawson, Win.«

Zuvorkommend wie immer setzte der Präsident sein strahlendstes Lächeln auf, reichte LawsonsLawson, Win Bruder und Vater die Hand und dankte ihnen für den Dienst, den Win leistete. LawsonsLawson, Win Mutter hatte sich extra in Schale geworfen, trug Pillbox-Hut mit Blumendekoration in Pink und Lavendel, und streckte ihm entschlossenen Blicks die rechte Hand entgegen.

»Es tut mir leid, wie sehr wir Ihren Sohn mit Arbeit überhäufen«, sagte KennedyKennedy, John F.Kontakt mit der Öffentlichkeit und ergriff den blassen weißen Arm von LawsonsLawson, Win Mutter. Und dann das Markenzeichen KennedysKennedy, John F.: sein spontaner Humor. »Er scheint seine Arbeit gut zu machen, schließlich hat mich noch niemand erschossen«, meinte der Präsident staubtrocken.

Bizarrerweise hatten die Personenschützer Kennedys just an dem Tag in Buffalo eine überdeutliche Erinnerung an die Gefahren vor Augen, denen Präsidenten der Vereinigten Staaten bei ihren alltäglichen Ausflügen immer ausgesetzt sind. Das McKinley-Monument ragte in der Mitte des Platzes wie ein steinerner weißer Finger in die Höhe – Präsident KennedyKennedy, John F. blickte bei seiner Rede direkt in Richtung des Denkmals. Die Stadt hatte den marmornen Obelisken als eine Art Entschuldigung an William McKinleyAttentateMcKinley, WilliamMcKinley, William errichten lassen, den 25. Präsidenten, der im Jahr 1901 genau hier von einem arbeitslosen Einsiedler ermordet worden war. Sein Tod war der Grund, warum der moderne Secret Service eingerichtet wurde. Die Kugel eines Attentäters, abgefeuert am Anfang des 20. Jahrhunderts, hatte LawsonLawson, Win und seine Kollegen just auf die Posten gebracht, auf denen sie heute Dienst taten.

Leon CzolgoszCzolgosz, Leon, der Sohn polnischer Einwanderer, die sich in Detroit niedergelassen hatten, hatte den größten Teil seines Lebens in schrecklicher Armut verbracht. Seine Mutter starb, als er zehn Jahre alt war, und er hatte schon als Teenager in Glasfabriken und Stahlwerken gearbeitet. Mit 28 Jahren lagen wegen der Wirtschaftskrise von 1893 mehrere Jahre Arbeitslosigkeit hinter ihm. Von einer Atemwegserkrankung geplagt zog er auf die Farm seines Vaters und wurde dort immer isolierter und verbitterter wegen der – in seinen Augen – sozialen Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems in Amerika. Er las die Flugblätter sozialistischer und anarchistischer Gruppen, und er war überzeugt, die Regierung helfe reichen Geschäftsleuten und Unternehmern dabei, die unteren Klassen auszubeuten, und sie würde deren Verarmung ignorieren. Nachdem er eine Rede der berühmten amerikanischen Anarchistin Emma GoldmanGoldman, Emma in Cleveland im Mai 1901 gehört hatte, erfuhr er, dass einige Monate zuvor ein anderer Anarchist König Umberto I. von ItalienAttentateUmberto I. von ItalienUmberto I. von Italien erschossen hatte.[4] Dieses Verbrechen wurde zu seiner Inspiration. Der Attentäter erklärte, diese kühne Tat begangen haben zu müssen, um auf die Misere der kleinen Leute aufmerksam zu machen.

Im September 1901 fuhr CzolgoszCzolgosz, Leon nach Buffalo, stellte sich in eine Warteschlange und erschoss McKinleyAttentateMcKinley, WilliamMcKinley, William aus nächster Nähe auf der Weltausstellung von 1901.[5]

Kongressabgeordnete waren zu jener Zeit schockiert, wie leicht es dem Täter gefallen war, McKinleyMcKinley, William zu töten, und beklagten, das Land hätte nun, nach den Morden an LincolnAttentateLincoln, Abraham und GarfieldGarfield, JamesAttentateGarfield, James, innerhalb von 36 Jahren bereits drei Präsidenten durch Attentate verloren. Der Kongress beauftragte bald darauf den Secret Service, ein kleines bundesstaatliches Team der Exekutive, das damals in erster Linie für den Kampf gegen Geld- und Scheckfälscher zuständig war, von nun an den Schutz des Präsidenten zu übernehmen. Aber der Kongress bürdete dem Service diese Mission zusätzlich auf – auf die Schnelle und ohne durchdachte Strategie.

In einer ähnlich schludrigen und übereilten Reaktion war der Secret Service im Frühjahr 1865 ins Leben gerufen worden. Präsident LincolnLincoln, Abraham und sein Finanzminister waren noch immer dabei, sich von der dreisten Flucht des Pete McCartneyMcCartney, Pete, eines Geldfälschers in großem Stil, und dessen Rückkehr zu seinem lukrativen Verbrecherleben zu erholen. Der Bürgerkrieg war gerade erst überstanden, was Anlass zu großen Feierlichkeiten gab, aber die Geißel der GeldfälschereiGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg destabilisierte auch weiterhin die fragile Wirtschaft des auf dem Weg der Erholung befindlichen Landes. Während des Krieges hatten die Bundesstaaten größtenteils ihr eigenes Papiergeld ausgegeben, ein unüberschaubarer Flickenteppich, der es Händlern und Banken schwer machte, bei den vielen Variationen auf dem Laufenden zu bleiben, und entsprechend einfach für Fälscher, ihre Produkte in die Wirtschaft zu schleusen. 1862 hatte das FinanzministeriumFinanzministerium begonnen, bundeseinheitliche Banknoten von 1 bis 1000 Dollar auszugeben. Diese hießen im Volksmund Greenbacks, wegen der grün bedruckten Rückseite der Geldscheine. Aber die Fälscher stellten sich zügig auf die Neuerung ein und kopierten sogleich das Siegel der Bundeswährung: Sie stellten kurzerhand ihre eigenen Druckplatten her. Experten des Bundes schätzten, dass im Jahr 1865 ein Drittel bis die Hälfte des im Umlauf befindlichen Papiergelds Falschgeld war.

Jahrelang war McCartneyMcCartney, Pete ein besonders tiefsitzender Stachel im Fleisch der US-Finanzbehörden gewesen. Er war ein intelligenter Mann der leisen Töne, der vielleicht auch die väterliche Farm in Illinois hätte erben können. Er nahm als Teenager aber lieber eine Arbeit bei einem Graveur namens William JohnsonJohnson, William an. Johnson war heimliches Oberhaupt eines GeldfälscherclansGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg aus Lawrence im Bundesstaat Indiana. Und in Pete McCartneyMcCartney, Pete erkannte JohnsonJohnson, William ein Naturtalent. Der junge Mann hatte einen scharfen Blick für Details und Schattierungen, und er war auch ein begabter Zeichner und Drucker. Außerdem war er ein gut aussehender und freundlicher junger Mann. Ab den 1840er Jahren bildete JohnsonJohnson, William McCartneyMcCartney, Pete zu einem wahren Meisterfälscher aus.

Als der Bürgerkrieg begann, war McCartneyMcCartney, Pete ein reicher Mann, mit einer eigenen Fälscherbande in Indianapolis und einer unübertroffenen Fertigkeit, Blüten zu drucken. Er war entschlossen, die kriegsbedingte Inflation zu seinem Vorteil zu nutzen, als der schiere Umfang des in Umlauf befindlichen Geldes erwarten ließ, dass Händler seinen Fälschungen nur schwer auf die Schliche kommen würden. Er überschwemmte Indiana regelrecht mit falschen Zehn- und Zwanzigdollarnoten und behielt das sich immer weiter anhäufende Wechselgeld schön für sich. Im Sommer 1864 nahm man an, dass McCartneyMcCartney, Pete und seine Bande Greenback-Blüten im Wert von hunderttausend Dollar in Umlauf gebracht hatten, ein Betrag, der 1,5 Millionen Dollar in heutiger Kaufkraft entspricht.

Mit seiner Blütenwerkstatt hatte sich McCartneyMcCartney, Pete einen eindrucksvollen Spitznamen eingehandelt: Er war der »König der GeldfälscherGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg«, aber er war natürlich auch zum Ziel der Strafverfolgungsbehörden geworden. Agenten des FinanzministeriumsFinanzministerium unter Führung eines bärbeißigen staatlichen Ermittlers und ehemaligen Kavallerieoffiziers namens William P. WoodWood, William P. verstärkten ihre Nachforschungen zu den Banden von JohnsonJohnson, William und McCartneyMcCartney, Pete. Wood leitete eine doppelte Durchsuchungsaktion, der im Sommer 1864 McCartneyMcCartney, Pete im Postamt von Indianapolis ins Netz ging, Mitglieder der Johnson-Bande wurden in Lawrence festgenommen. Man schaffte die Gefangenen in einen Zug nach Washington, aber McCartneyMcCartney, Pete hatte andere Reisepläne. Nach Einbruch der Dunkelheit, als die Wachen gerade in eine andere Richtung schauten, rannte McCartneyMcCartney, Pete, noch immer mit Ketten an Armen und Beinen, davon und sprang von der hinteren Plattform des Zuges, während dieser mit rund 55 Stundenkilometern weitertuckerte. Wood, William P.Wood ließ den Zug anhalten und stellte einen Suchtrupp zusammen, aber die Agenten konnten den Gesuchten nicht finden.

Die Flucht führte zu peinlichen Schlagzeilen in der Presse und zu weiterem Murren innerhalb der Lincoln-Regierung wegen der fortbestehenden Gefahr, dass Dollarblüten das US-Finanzsystem aus den Angeln heben könnten. Präsident LincolnLincoln, Abraham verlangte alsbald nach einer Kommission, die das Problem in Angriff nehmen sollte.

Finanzminister Hugh McCullochMcCulloch, Hugh hatte eine Idee, wie man die Sache dauerhaft in Ordnung bringen könnte: durch Schaffung einer »regulären und permanenten Truppe, deren Aufgabe es wäre, diesen Fälschern das Handwerk zu legen«. Er schlug eine Spezialeinheit innerhalb des FinanzministeriumsFinanzministerium vor, die die Bösewichte finden, festnehmen und vor Gericht stellen sollte.

Aber LincolnLincoln, Abraham lebte nicht lange genug, um McCullochsMcCulloch, Hugh Idee in die Tat umzusetzen. Am Abend des 14. April 1865 besuchte LincolnLincoln, Abraham mit seiner Frau MaryLincoln, Mary das Theaterstück Our American Cousin im Ford’s Theatre im Zentrum von Washington. Der Präsident hatte schon vielfach TodesdrohungenMorddrohungen gegen PräsidentenLincoln, Abraham erhalten, und seine Helfer hatten ihn nach Jahren davon zu überzeugen vermocht, dass er einen Leibwächter brauchte. Ein Team von vier Polizisten, die man bei der örtlichen Polizeiabteilung ausgeliehen hatte, begleitete ihn abwechselnd auf seinen Reisen, bei denen er mit der Öffentlichkeit in Kontakt kam. Aber der an jenem Theaterabend diensthabende Polizist war der schwächste des Teams, bekannt dafür, dass er gerne einen über den Durst trank und bei der Arbeit einschlief. Er verließ den Korridor zur Präsidentenloge, um sich selbst das Stück anzusehen, dann schlenderte er über die Straße in den Star Saloon, um sich einen Schluck zu genehmigen. John Wilkes BoothBooth, John Wilkes, ein Schauspieler, der mit den Konföderierten sympathisierte und vom bevorstehenden Theaterbesuch des Präsidenten erfahren hatte, schlich sich in die Loge links von der Bühne, trat hinter LincolnAttentateLincoln, AbrahamLincoln, AbrahamAttentat und schoss ihm in den Kopf. Nach Sonnenaufgang am nächsten Morgen war der Präsident tot.

Über die Jahre entstand der Mythos, LincolnLincoln, Abraham hätte ein Gesetz zur Schaffung des Secret Service unterschrieben, und zwar bei einem Treffen mit McCullochMcCulloch, Hugh just am Morgen des Tages, an dem er von den Kugeln des Attentäters tödlich getroffen wurde. Die Geschichte ist natürlich reich an Ironie, allerdings ist sie auch zweifelhaft. Möglich ist jedoch, dass LincolnLincoln, Abraham die Idee grundsätzlich gebilligt hatte. Einige Historiker glauben, McCullochMcCulloch, Hugh hätte seinen Vorschlag zum Kampf gegen die Fälscher unterbreitet, als er sich mit LincolnLincoln, Abraham an jenem Nachmittag traf, und LincolnLincoln, Abraham solle positiv auf den Gedanken des Finanzministers reagiert und ihn grundsätzlich ermutigt haben, die Sache weiterzuverfolgen.[6] Andere bestreiten vehement, dass es ein derartiges Gespräch jemals gegeben hat.

Was auch immer jedoch LincolnLincoln, AbrahamAttentatAttentateLincoln, AbrahamLincoln, AbrahamMcCulloch, Hugh und McCulloch an jenem Nachmittag besprachen, das Land veränderte sich in dieser Nacht. Die Ermordung des Präsidenten im Ford’s Theatre führte zu einer massiven Verbrecherjagd durch Agenten, die den Killer zur Strecke bringen wollten. Das Attentat löste auch eine tiefergehende monatelange Untersuchung aus, die mögliche Mitverschwörer ausfindig machen sollte, wobei ein interessanter Detektiv eine zentrale Rolle spielte. William WoodWood, William P., der schlaksige, bärbeißige Ermittler des FinanzministeriumsFinanzministerium, der McCartneyMcCartney, Pete dingfest gemacht und dann wieder verloren hatte, wurde mit der Unterstützung bei der Untersuchung des LincolnLincoln, AbrahamAttentatAttentateLincoln, AbrahamLincoln, AbrahamWood, William P.-Attentats beauftragt. Wood hatte sich als gefeierter Kavallerieoffizier im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg einen Namen gemacht, war danach ins FinanzministeriumFinanzministerium gewechselt und wurde zum Experten für die Jagd auf Geldfälscher. Er hatte einen gewissen Ruf als Schaumschläger, und er war auch bekannt für brutale Methoden, mit denen er Verdächtige dazu brachte, sich gegenseitig zu verpfeifen. Unter LincolnLincoln, Abraham wurde er zum Leiter des Old Capitol Prison ernannt, in dem Spione und Verräter der Konföderierten einsaßen und verhört wurden. Dennoch betraute das Finanzministerium WoodWood, William P. auch weiterhin mit investigativen Spezialaufträgen, wann immer es Bedarf hatte.[7]

Zwölf Tage nach den Schüssen fanden und erschossen Agenten des Kriegsministeriums John Wilkes BoothBooth, John Wilkes in einer Scheune in Port Royal, Virginia. Die Mission der staatlichen Agenten wandte sich danach einer neuen Frage zu, bei der WoodWood, William P. eine entscheidende Rolle spielen sollte: War die Tat BoothsBooth, John Wilkes möglicherweise Teil einer viel größeren Verschwörung der Konföderierten, vielleicht sogar unter der Regie von Jefferson DavisDavis, Jefferson, dem Präsidenten der Konföderierten Staaten von Amerika? Wood, William P.Wood schnappte und verhörte zuerst Dr. Samuel MuddMudd, Samuel, dann befragte er den Rest der mutmaßlichen Mitverschwörer in seiner Haftanstalt. Im Juni desselben Jahres wurden vier von ihnen zum Tod verurteilt.

Am 5. Juli 1865 wurde WoodWood, William P. als erster Chief der Secret Service Division des FinanzministeriumsFinanzministerium von Minister McCullochMcCulloch, Hugh vereidigt. Zehn weitere Männer – die sogenannten Operatives – schlossen sich seinem Team an und erklärten sich bereit, ihre Arbeitszeit in beliebigem Umfang für die Aufgabe zur Verfügung zu stellen, für einen Tageslohn von höchstens drei Dollar. Der Secret Service wurde spontan und ganz beiläufig ins Leben gerufen, ohne schriftliche Dokumente, die seine genauen Pflichten beschrieben. Zukünftige Präsidenten und Kongresse sollten die Mission des Secret Service in gleicher Weise um neue Aufgaben erweitern.

Der Secret Service war eine zu jener Zeit einzigartige staatliche Institution – und wurde entsprechend mit einigem Argwohn betrachtet. Zu dem Zeitpunkt verfügte die Bundesregierung nur über wenige Exekutivorgane, teils wegen des anhaltenden Widerstands der noch jungen Demokratie gegen alles, was irgendwie Ähnlichkeit mit europäischen Institutionen oder zentralisierten Bürokratien hatte, die in die Privatsphäre oder die Freiheiten der Bürger eingreifen könnten. Innerhalb von zwei Jahren jedoch beschloss LincolnsLincoln, Abraham Nachfolger, Präsident Andrew JohnsonJohnson, Andrew, dieses Ermittlerteam könnte auch zur Ausmerzung anderer Probleme dienlich sein, die das Land quälten. 1867 erhielt der Secret Service die neue Aufgabe, »Personen ausfindig [zu] machen, die zum Schaden der Regierung Betrug begingen«. Diese Macht sollte den Service später in die Lage versetzen, kriminelle Aktivitäten einer großen Bandbreite von Verdächtigen unter die Lupe zu nehmen. Dieses umfangreiche neue Mandat war ganz nach dem Geschmack des stellvertretenden Leiters des Secret Service, Hiram C. Whitley, Hiram C.Whitley.

Whitley, Hiram C.Whitley legte 1869 seinen Amtseid ab und begann fast augenblicklich mit dem Umbau des Service nach dem Vorbild einer professionellen Bürokratie. Er führte auch einiges von der militärischen Ordnung ein, die er in seiner Zeit als Offizier der Union verinnerlicht hatte. Der mit seinen zwei Metern und acht Zentimetern ausgesprochen imposante Chief, ein ehemaliger Ermittler im Bereich Schwarzbrennerei und Schmuggel, ernannte einen stellvertretenden Chief und eine Reihe untergeordneter Beamten, die sein Team von zwanzig Agenten führen sollten. Er säuberte die eigenen Reihen von einigen ehemaligen Kriminellen, die zu Informanten und dann zu Operativen geworden waren, und startete dann seine Bemühungen, Agenten mit möglichst weißer Weste zu rekrutieren. Whitley, Hiram C.Whitley stellte eine Reihe neuer Regeln für Agenten auf, um Konflikte und Fehlverhalten möglichst auszuschließen, er verlangte tägliche Berichte von den Agenten, die ihre Aktivitäten und Ausgaben stundengenau zu dokumentieren hatten, und er schuf ein Beförderungssystem auf der Grundlage von Verhaftungen und gerichtlichen Verfahren. Außerdem dehnte er die Aktivitäten des Service auch auf andere Ermittlungsbereiche aus, die in seinen Augen hohe Priorität besaßen: Banküberfälle, Postraub, Schwarzbrenner- und Glücksspielringe, Schmuggel und mehr. Für ihn lag in der Erweiterung des Mandats eine Aufwertung des Secret Service und auch eine Zunahme seiner eigenen Macht innerhalb der Regierung.

Diese Macht sollte zur Folge haben, dass sich der Kongress an WhitleyWhitley, Hiram C. wandte, als im Süden erneut die Gewalt um sich griff, diesmal in den Händen des in weiße Kutten gekleideten Ku-Klux-KlanKu-Klux-Klan. Die Nachforschungen über den KKKKu-Klux-Klan durch den Service begannen im Jahr 1871, kurz nachdem der Kongress eine Resolution vorgelegt hatte, die die Organisation und ihre Lynchmorde verurteilte.[8] Präsident GrantsGrant, Ulysses S. Justizminister wies WhitleyWhitley, Hiram C. an, acht neue Agenten für die KKKKu-Klux-Klan-Ermittlungen einzuteilen.[9] In den nächsten drei Jahren beschatteten sie Klan-Anführer im gesamten Süden, von North Carolina bis Florida, und brachten über fünfhundert Personen vor Gericht, denen die Verwicklung in Aktivitäten des Klans zur Last gelegt wurde, und weitere stellten sich selbst den Behörden.

Aber diese ehrenvolle Arbeit, und damit auch ein großer Teil des guten Rufs des Secret Service, geriet unter Beschuss, als Chief WhitleyWhitley, Hiram C. im Jahr 1874 selbst in einen Skandal verwickelt wurde. Im Verlauf einer Ermittlung gegen einige örtliche Beamte, die beschuldigt wurden, Bundesmittel im District of Columbia abgezweigt zu haben, wurden mehrere Kontobücher – wichtige Beweismittel in dem Fall – aus dem Safe des örtlichen US-Staatsanwalts entwendet. Mit den Ermittlern kooperierende Zeugen beschuldigten WhitleyWhitley, Hiram C., mitgeholfen zu haben, für die Verdächtigen in dem Fall einen verlässlichen Dieb zu organisieren, der den Safe für sie ausräumen sollte. Whitley, Hiram C.Whitley bekannte sich zu keinerlei Fehlverhalten und wehrte sich zunächst standhaft gegen die angeblich haltlosen Vorwürfe, aber der damalige Finanzminister bestand auf seinem Rücktritt, um den Service vor Schaden zu bewahren. Er folgte der Aufforderung im September 1874.

Der Skandal schwächte die Schlagkraft des Service für die nächste Dekade ganz erheblich.[10] 1880 musste die Abteilung eine 40-prozentige Kürzung ihres Budgets verkraften, und eine umfassende Untersuchung durch den Generalstaatsanwalt noch dazu. Der Kongress verabschiedete darüber hinaus eine Zusatzklausel, die die Agentur wieder auf ihre einzige ursprüngliche Mission begrenzte: den Kampf gegen GeldfälscherGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg. In ihrer Hochzeit hatte die Agentur 47 Operative beschäftigt, aber 1880 war sie wieder auf durchschnittlich 25 Mann zusammengeschrumpft.[11]

Die dramatischen Einschnitte in die Finanzierung und Reichweite des Service stellten sich kurz vor einer weiteren nationalen Krise ein. Sechzehn Jahre nach dem AttentatAttentateLincoln, Abraham auf LincolnLincoln, AbrahamAttentat wurde ein weiterer Präsident niedergestreckt.

Am 2. Juli 1881 eilte Präsident James GarfieldAttentateGarfield, JamesGarfield, James mit seinen Helfern zur Bahnstation Baltimore and Potomac im Zentrum Washingtons, wo er einen Zug besteigen und zu einem Sommerurlaub an der Küste von New Jersey aufbrechen wollte. In der Menschenmenge dort wartete auch Charles GuiteauGuiteau, Charles. Dieser meinte, GarfieldGarfield, James zum Wahlsieg verholfen zu haben, und war nun wütend, weil ihm der Präsident nie einen Posten in seiner Regierung angeboten hatte. Er hatte von den Reiseplänen des Präsidenten aus der Zeitung erfahren. Guiteau, CharlesGuiteau feuerte aus nächster Nähe zwei Kugeln auf ihn ab – in den Arm und in den Rücken. Der Präsident verharrte mehrere Monate in einer ungewissen Phase der Erholung, starb aber im September an einer schleichenden Blutvergiftung und letztendlich an einem massiven Herzanfall.

Es mag aus heutiger Sicht überraschend anmuten, aber nach GarfieldsGarfield, James Tod konnten sich weder der Kongress noch die Regierung dazu durchringen, eine permanente Schutztruppe für den Präsidenten einzurichten. Die Morde an LincolnAttentateLincoln, AbrahamGarfield, JamesAttentateGarfield, James und Garfield hatten zwar Diskussionen im Kongress über die Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen für den Präsidenten ausgelöst, aber die Amerikaner und ihre Politiker blieben auch weiterhin politisch allergisch gegen alles, was für sie den Ruch einer »königlichen Garde« besaß. Stattdessen überredeten die Helfer im Weißen Haus die jeweiligen Präsidenten, viele davon widerwillig, sich von ein paar örtlichen Polizisten bei ihren Reisen in der Öffentlichkeit bewachen zu lassen.

Als sich der Secret Service endlich des Schutzes von Präsidenten annahm, war dies eine inoffizielle Funktion, die ohne Erlaubnis erledigt wurde. Im Frühjahr 1894 wurde William HazenHazen, William, damals Direktor des Secret Service, zunehmend unruhig, als er von seinen Einsatzkräften in Colorado hörte, dass einige Glücksritter und Anarchisten dort Todesdrohungen gegen Präsident Grover ClevelandMorddrohungen gegen PräsidentenCleveland, GroverCleveland, Grover von sich gegeben hatten. Er wies zwei seiner Leute an, sich sofort im Weißen Haus zum Dienst zu melden, um dem Präsidenten unbegrenzten Schutz zuteilwerden zu lassen. Nur eine Handvoll Leute in der Abteilung wussten über diese heimliche, informelle Bewachungspflicht Bescheid.

Später in jenem Sommer weilte die First Lady am Urlaubsort der Familien in Buzzard’s Bay, Massachusetts, und dort hörte sie von einem Gerücht über ein Komplott zur Entführung ihrer Familie. Sie wusste Bescheid über HazensHazen, William inoffiziellen Schutz für ihren Gatten. Ganz verzweifelt wandte sie sich direkt an HazenHazen, William und bat ihn um Hilfe beim Schutz ihres Heims in New England. Er schickte drei Agenten, die sich für den Rest der Urlaubssaison einsatzbereit hielten. Der Präsident kehrte von einer Reise zurück und akzeptierte stillschweigend den zusätzlichen Schutz für seine besorgte Ehefrau. In den folgenden Jahren hielten die Clevelands, HazenHazen, William und ein paar wenige Eingeweihte des Service das Geheimnis unter Verschluss: Sie hatten Agenten für einen Zweck eingesetzt, der weder vom Kongress noch von der Regierung abgesegnet war, ja, der, wie manche meinten, sogar ausdrücklich verboten war.

Sobald dieses heimliche Arrangement – nach dem Einzug von William McKinleyMcKinley, William ins Weiße Haus – aufgedeckt war, wurde HazenHazen, William degradiert und der missbräuchlichen Verwendung von Bundesmitteln beschuldigt. Im selben Jahr allerdings, mit Beginn des Spanisch-Amerikanischen Krieges, erlangte der Secret Service die Berechtigung auf Basis einer Notverordnung, vier seiner Agenten für den Schutz von McKinleyMcKinley, William abzustellen. Nach dem Krieg erlosch diese Notfallberechtigung wieder, aber ein paar Agenten begleiteten den Präsidenten weiterhin auf seinen Reisen. AttentateMcKinley, WilliamMcKinley, WilliamAls McKinley 1901 ermordet wurde, während er Besucher bei der Pan-Amerikanischen Ausstellung in Buffalo, New York, begrüßte, war tatsächlich ein Agent mit ihm unterwegs gewesen, der eigentlich an seiner Seite hätte stehen sollen, aber er erklärte sich einverstanden, etwas mehr Abstand zu halten, als der Direktor der Ausstellung darum bat, für die Begrüßung der Öffentlichkeit neben dem Präsidenten stehen zu dürfen.

Erst nach McKinleysAttentateMcKinley, William Tod – der dritte ermordete Präsident innerhalb von 36 Jahren – stimmte der Kongress endgültig der Schaffung einer permanenten Schutztruppe für die Sicherheit des Präsidenten zu. Die Abgeordneten wiesen den Secret Service formell an, seine Schutzfunktion als Vollzeittätigkeit zu übernehmen. Erst 1906, nach weiteren fünf Jahren, autorisierte der Kongress offiziell die Geldmittel für die Entlohnung der Zwei-Mann-Schichten, die den Präsidenten rund um die Uhr zu bewachen hatten.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hielt die doppelte Aufgabe, Geld und Präsidenten zu beschützen, den Service gehörig auf Trab. Diese kleine Abteilung des FinanzministeriumsFinanzministerium investierte auch weiterhin den Großteil ihrer Zeit in den Kampf gegen Geldfälscher, und die Abgeordneten waren davon ausgegangen, der Schutz des Weißen Hauses würde nur einen Bruchteil der Arbeitslast des Service ausmachen. Aber die Mannstunden, die für die Sicherheit des Präsidenten anfielen, wurden immer mehr. Zwei Weltkriege und eine ganze Serie von Attentaten in Europa veranlassten den Service, die Zahl seiner Agenten im speziellen Personenschutz zu erhöhen, damit potenzielle Attentäter ihre finsteren Pläne nicht in die Tat umsetzen konnten. Die Agenten erlegten der Bewegungsfreiheit ihrer Staatsführer zudem weitere neue Restriktionen auf.

Theodore RooseveltRoosevelt, Theodore, der erste Präsident, der den Schutz durch den Secret Service genoss, nannte seine neuen Agenten »einen kleinen, aber sehr notwendigen Stachel im Fleisch«.[12] Natürlich setzte er nicht sehr viel Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Er erzählte seinem Freund Henry Cabot LodgeLodge, Henry Cabot im selben Brief, sie hätten »nicht den geringsten Nutzen«, wenn ein ernsthaft entschlossener Attentäter ihn umzubringen gedachte. Aber das nächste Mal, als ein amtierender Präsident mit einer Schusswaffe konfrontiert war, zeigten die Beamten des Secret Service, die fürs Gelände des Weißen Hauses zuständig waren und damals als Polizei des Weißen Hauses tituliert wurden, und die Agenten in seiner persönlichen Schutztruppe, dass sie eben doch ihr Geld wert waren.

Im Herbst 1950, als im Weißen Haus Renovierungsarbeiten liefen, wurde Präsident Harry S. TrumanTruman, Harry S. vorübergehend im nahe gelegenen Blair House einquartiert. Am Nachmittag des 1. November fanden zwei Nationalisten aus Puerto Rico Trumansversuchte AttentateTruman, Harry S.Truman, Harry S. Aufenthaltsort heraus und beschlossen, sich den Weg ins Blair House freizuschießen und zu versuchen, den Präsidenten zu töten. Die Attentäter in spe, Oscar CollazoCollazo, Oscar (36) und Griselio TorresolaTorresola, Griselio (25), hofften damit die Aufmerksamkeit auf die Frage der Unabhängigkeit ihrer Insel von den Vereinigten Staaten zu lenken. Sie gingen aus entgegengesetzten Richtungen die Pennsylvania Avenue hoch, TorresolaTorresola, Griselio von Westen, CollazoCollazo, Oscar von Osten.

Floyd BoringBoring, Floyd, Agent des Secret Service, der später einer der leitenden Personenschützer von Präsident KennedyKennedy, John F. werden sollte, hatte in der östlichen Kabine des Sicherheitsdienstes in der Nähe der Eingangstür des Blair House Dienst. Sein Kollege, Officer Leslie CoffeltCoffelt, Leslie von der White House Police, befand sich in einem Wachhäuschen an der Westseite, wandte sich um und sah einen Mann mit einer Pistole auf sich zukommen.

»Der PräsidentTruman, Harry S.versuchte AttentateTruman, Harry S. war im oberen Stockwerk und machte ein Nickerchen, bevor er in Arlington einen Termin für eine Kranzniederlegung hatte«, erzählte BoringBoring, Floyd später. »Wir waren draußen auf den Stufen, als sich zwei Männer dem Gebäude näherten, einer zog eine Waffe und zielte damit auf mich. Ich hörte einen Knall, zog meine Waffe und schoss zurück. Dann schossen alle zugleich.«

Boring, FloydBoring und ein weiterer Beamter verließen die östliche Kabine des Wachdiensts, zogen ihre Pistolen und eröffneten das Feuer auf CollazoCollazo, Oscar. Eine Kugel durchschlug CollazosCollazo, Oscar Brustkorb, und er fiel auf die vorderen Stufen. Secret-Service-Agent Stewart StoutStout, Stewart, der zum Personenschutz TrumansTruman, Harry S. gehörte, vernahm die Schüsse draußen und holte eine Maschinenpistole aus einem Waffenschrank. versuchte AttentateTruman, Harry S.Truman, Harry S.Truman war von der Schießerei aufgewacht und ans Fenster gegangen. Eine Wache draußen erblickte das Haupt des Präsidenten und schrie TrumanTruman, Harry S. an: »Zurück! Zurück!«

Draußen richtete TorresolaTorresola, Griselio seine Luger auf CoffeltCoffelt, Leslie und schoss ihm zweimal in die Brust und einmal in den Bauch. Coffelt, LeslieCoffelt taumelte in der Wachstube zu Boden. TorresolaTorresola, Griselio schoss auf zwei weitere Beamte, sprang über eine Hecke und rannte auf den Hauseingang zu.

Aber CoffeltCoffelt, Leslie war noch nicht ausgeschaltet. Er zog sich wieder hoch und zielte mit seinem Revolver auf TorresolasTorresola, Griselio Kopf. Er feuerte, und der Angreifer fiel tot auf den gepflasterten Fußweg. Danach brach CoffeltCoffelt, Leslie wieder in seinem Wachhäuschen zusammen.

Mehrere Agenten und Beamte waren getroffen worden und überlebten. Coffelt, LeslieCoffelt wurde eilig ins Krankenhaus gebracht, erlag aber vier Stunden später seinen Verletzungen. Er ist der erste und bis heute einzige Beamte des Secret Service, der im Dienst zum Schutz eines Präsidenten zu Tode kam.

In der Öffentlichkeit gab sich Trumanversuchte AttentateTruman, Harry S.Truman, Harry S. unbeeindruckt. »Ein Präsident muss mit solchen Dingen rechnen«, erzählte er Reportern bei einer Lagebesprechung am Tag nach der Schießerei.

Als Hauptmann im Ersten Weltkrieg hatte TrumanTruman, Harry S. Soldaten unter seinem Befehl sterben gesehen, aber privat schien ihm CoffeltsCoffelt, Leslie Tod auf andere Weise nahezugehen. Er versicherte CoffeltsCoffelt, Leslie Witwe und Freunden, er sei zutiefst betroffen; CoffeltCoffelt, Leslie war eine der beliebtesten Wachen im Weißen Haus gewesen.[13] Er schrieb eine persönliche Nachricht an seinen Außenminister und beschrieb darin CoffeltsCoffelt, Leslie Tod als »höchst unnötigen Vorfall«, und »die Menschen, die schwer verletzt wurden, waren großartige Männer«.[14] Seit seinem ersten Tag im Amt hatte er täglich einen Spaziergang durch die Innenstadt von Washington gemacht, begleitet von seinen Agenten. Immer wieder hatten seine besorgten Bewacher versucht, ihm das auszureden, aber er wischte ihre Bedenken jedes Mal beiseite. Jetzt gab er nach.

»Weil zwei Spinner, zwei Verrückte, vor ein paar Tagen versucht haben, mich umzubringen, sind meine guten und wirkungsvollen Wachen nervös«, schrieb er ein paar Tage später. »Deshalb versuche ich, so hilfreich wie möglich zu sein.«

CoffeltsCoffelt, Leslie Schwester, Mildred GoodGood, Mildred, erfuhr in ihrer Heimatstadt in den Shenandoah Mountains aus dem Radio vom Tod ihres Bruders. Sie sagte, er sei immer stolz darauf gewesen, Teil des Korps zu sein, dem die Sicherheit des Präsidenten anvertraut ist, und ihm sei klar gewesen, dass jeder Beamte oder Agent des Secret Service eines Tages berufen sein könnte, sein Leben zu geben, um das Leben des Präsidenten zu retten.

»Wissen Sie«, sagte sie, »er liebte seinen Beruf, er hätte keinen anderen Weg gewählt. Ich bin sicher, er bereute nichts.«

Secret Service

Подняться наверх