Читать книгу Marisol und Nando - Carola Käpernick - Страница 4

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Marisol

Marisol schlendert quer über den Platz am Bertoldsbrunnen. Die Innenstadt von Freiburg war voll wie immer und sie kommt nur langsam voran. Aber sie hat es auch gar nicht eilig. Schaut den Familien zu, wie sie versuchen, die Kinder davon zu überzeugen, dass sie zu Hause doch schon mindestens fünf Holzboote haben, die sie beim nächsten Mal auch alle mitbringen, um sie in die Bächle zu setzen. Die freundliche Verkäuferin am Stand des Reha-Vereins lacht und sagt zur Mutter: „Ach, eins geht noch. Habt ihr denn schon ein Rotes?“ Die Kinder rufen „Nein!“, während die Mutter nickt und sich ergibt. Sie bezahlt und bevor sie den Kindern das Freiburger Bächleboot gibt, besteht sie darauf, dass es keinen Streit um das Boot geben darf. Die Geschwister würden vermutlich alles versprechen und nicken lammfromm, reißen der Mutter dann enthusiastisch das Holzboot aus der Hand und stürmen in die Salzstraße hinein.

Die Assistenzärztin in der Facharztausbildung ist so vertieft in dieser Szene, dass sie nicht bemerkt, wie hinter ihr eine etwa Zehnjährige mit einem Labrador vorbei möchte und ihr dabei die Hundeleine in Höhe der Kniekehle die Beine wegzieht. Ein „Autsch“ und ein „Platsch“ und Marisol liegt in dem kleinen Wassergraben, der als Freiburger Wahrzeichen gilt. Ehe sie das Mädchen rufen kann, ist die mit ihrem Hund schon weiter und hat das vermutlich gar nicht bemerkt. Von hinten tritt ein junger Mann an Marisol heran und fragt, ob sie sich wehgetan hat. Dabei hat er den charmanten Freiburger Slang, in den sich Mari sofort verliebt hatte und der letztendlich auch ein Entscheidungskriterium war, hierher zu gehen. Sie lächelte den Mann an und versuchte aus dem Wassergraben aufzustehen. Er reichte ihr die Hand und zog sie hoch.

„Du weischt, dass du jetzt verwunsche bischt?“

„Verwunschen?“

„Ja. Es gibt eine Legende, die sagt, dass jeder, der ins Freiburger Bächle fällt, einen Freiburger heiratet. Einige meinen, in Freiburg heiraten, reicht auch aus.“ Nando hatte gemerkt, dass sein Gegenüber keinen Dialekt sprach und wechselte ins Hochdeutsche.

„Na dann kann ich mir ja noch überlegen, für welche Option ich mich entscheide.“

Marisol stand zwar wieder, von ihrem Sommerkleid tropfte aber das Wasser nur so herunter und sie versuchte, es notdürftig auszuwringen. Eigentlich fand sie es ganz erfrischend, in dem nassen Kleid, sie befürchtete nur, dass das Kleid jetzt von seiner Blickdichtigkeit eingebüßt hatte. Und sie wusste, dass sie Gefahr lief, eine Blasenentzündung zu bekommen, wenn sie sich die nassen Klamotten nicht bald ausziehen würde.

„Nando! Und wer bist du?“

„Marisol, aber alle nennen mich Mari.“

„Schöner Name!“

„Danke. Auch wenn’s blöd klingt, aber das dachte ich bei deinem Namen auch.“

„Wieso sollte das denn blöd klingen?“

„Ach ich weiß auch nicht.“ Mari sah an sich hinunter. Ihre Straßenbahn in Richtung Zähringen fuhr gerade an ihr vorbei. Es würde also noch eine Weile dauern, bis die nächste käme.

„Soll ich dir meine Telefonnummer geben, falls noch was ist? Ich mein, ich hab ja gesehen, dass dich der Hund quasi umrasiert hat.“

„Ja, das wäre nett. Aber eigentlich ist ja nichts passiert. Das bissel Wasser.“

„Zauberwasser immerhin! Willkommen als angehende Freiburgerin.“

„Na, da wäre ich mir nicht so sicher. Ich bin nur vorübergehend hier.“

„Ach? Das ist aber schade. Gefällt es dir nicht?“

„Doch. Tolle Stadt, aber ich muss noch eine Weile studieren, bis ich richtig fertig bin und wer weiß, wo es mich da noch hin verschlägt.“

„Hast du Lust, dass wir uns noch irgendwo hinsetzen und was trinken? Ich würde mich freuen.“

„Gute Idee. Aber ich sollte mir was Trockenes anzuziehen besorgen. Auch wenn es ziemlich heiß ist, nasse Klamotten mag ich nicht so lange anhaben. Ich husche mal schnell hier in den Laden. Magst du warten?“

„Klar!“

Mari lief schnell in die Sportabteilung und griff einen schwarzen Bikini. Dazu nahm sie ein leichtes Strandkleid mit Kapuze. In Windeseile ging sie in die Umkleide, behielt alles gleich an und bezahlte. Nando war überrascht, wie schnell sie zurück war. Sie gingen Richtung Martinstor. In der Gartenstraße gab es entlang der Straße kleine Tische mit Stühlen und beim Kaffeehaus auch Loungemöbel. Sie suchten sich einen Platz und bestellten jeder ein Wasser mit Zitrone und ganz viel Eis.

Im Gespräch bemerkten sie gar nicht, wie schnell die Zeit vergangen war. Nando wollte alles über Marisol wissen. Und er wirkte aufrichtig interessiert, nicht einfach nur neugierig.

Marisol war mit Ende des Wintersemesters letztes Jahr in die beschauliche Universitätsstadt gekommen. Im Medizinstudium war sie bereits so weit, dass sie ihr praktisches Jahr absolvieren konnte. In der Universitätsklinik arbeitete sie auf einer HNO Station. Das gefiel ihr sehr gut. Sie durfte, gemessen an anderen in ihrer Position, schon ganz schön viel eigenverantwortlich machen. Das war der Vorteil bei so großen Häusern. Es gab immer viel zu tun und wenn man sich erst einmal bewährt hatte, wurde das mit einem Vertrauensvorschuss belohnt. Sie schloss dann nach dem Staatsexamen gleich die Assistenzarztzeit mit Fachausbildung an. Hier stand sie nun ziemlich am Anfang.

Sie hatte lange überlegt, sich ein WG-Zimmer zu suchen. Aber die unregelmäßigen Arbeitszeiten verlangten nach einem gewissen Schlafluxus, den es in einer Wohngemeinschaft einfach nicht gab. Als es dunkel wurde, glimmten überall Solarleuchten und die Bedienungen zündeten Windlichter an. Es sah romantisch aus, wie die in Reih und Glied am Rand der Bächle standen. Nando und Mari hatten jedes Zeitgefühl verloren. Es war, als würden sie sich schon ewig kennen. Erschrocken blickten sie auf die Uhr, als Jemand an den Tisch trat und meinte: „Ihr müsst jetzt zahlen. Wir schließen. Wenn ihr wollt, könnt ihr noch hier sitzen, bis wir drinnen fertig sind. Aber wenn wir die Möbel anketten, müsst ihr gehen.“

Das taten sie auch. Als dann die Ketten klirrten und Schlösser knackten, standen sie auf. Sie schlenderten vor auf die Ka-Jo, damit Mari ihre Straßenbahn nehmen konnte und nicht umsteigen musste. Telefonnummern hatten sie bereits getauscht. „Soll ich dich heimbringen?“ Nando war ganz Gentleman.

„Nicht nötig, ich brauche an der Reutebachgasse nur über die Straße. Danke aber, für die Nachfrage.“

Als die Türen der Straßenbahn sich hinter Marisol schlossen, legte sie von innen die Hand an die Scheibe und Nando seine von außen drauf. Mari lächelte noch, als sie an der Reutebachgasse ausstieg.

Marisol und Nando

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