Читать книгу Marisol und Nando - Carola Käpernick - Страница 6
ОглавлениеKlinikalltag
„Frau Doktor Eberle, können Sie bitte mal nach dem Patienten in Zimmer drei schauen?“
„Das kann ich gerne, aber ich bin keine Frau Doktor!“ Schwester Hildegard war die einzige Mitarbeiterin auf der HNO Station, die Marisol siezte. Mit allen anderen war sie per Du. Der Schwester, die kurz vor der Rente stand und nach ihren eigenen Angaben, einen Inventaraufkleber auf dem Po hatte, auch das Du anzubieten, traute sich Marisol nicht. Doch sie wollte nicht mit einem Titel angesprochen werden, den sie noch nicht hatte, obwohl das eigentlich gang und gäbe war. Hildegard hatte ihr zwar mal erklärt, dass sie fand, dass es die Patienten nur beunruhige, wenn sie von einem Assistenzarzt behandelt wurden und sie deshalb auch die AiPler früher schon mit Doktor angesprochen hatte. Doch für Marisol fühlte sich das wie Hochstapelei an.
In Zimmer drei stöhnte der junge Mann, dem heute die Mandeln entfernt worden waren, auf. Er hatte Schmerzen. Mari war immer wieder fasziniert, wie sehr Erwachsene unter diesem recht harmlosen Eingriff litten, während Kleinkinder ihn wegsteckten, als wäre es nichts. Sie beruhigte den Patienten, drehte den Schmerzperfusor auf und rief eine Pflegekraft dazu.
„Sie haben geklingelt?“ Eine Schülerin im Examensjahr steckte ihren Lockenkopf durch die Tür. Als sie Marisol sah, trat sie ein und stellte die Klingel ab. „Hast du geläutet?“
„Ja. Ich hab den Perfusor schneller eingestellt. Meinst du, ihr könntet Herrn Müller helfen, dass er sich frisch machen und umziehen kann? Dann fühlt er sich bestimmt gleich viel besser.“
„Ich ruf mir Annina dazu. Herr Müller, ist das in Ordnung für sie?“
Der junge Mann nickte. Seine Gesichtshaut rötete sich. Wahrscheinlich war es ihm ein wenig unangenehm, von so vielen jungen Frauen umsorgt zu werden. Mari bedankte sich und ging ins Arztzimmer. Dort dokumentierte sie die Medikation und den Grundpflegevorschlag, zur Unterstützung der Heilung durch positive Wirkung auf die Psyche.
Ein Blick auf die Zeitanzeige des Computers sagte ihr, dass sie nur noch eine halbe Stunde Dienst hatte. Ihr taten alle Knochen weh und sie hatte ein dickes Hämatom quer über den Steiß. Da war sie vermutlich auf die Steinkante geprallt, als der Hund sie am Vortag umgeworfen hatte. Komisch, dass sie das erst heute früh bemerkt hatte. Sie fühlte sich wie eine Zeitreisende. Als der Wecker geklingelt hatte, war sie schlagartig einige Jahrzehnte gealtert, so schwer kam sie aus dem Bett in das sie am Vorabend beschwingt von dem Treffen mit Nando hineingeschlüpft war.
Ein Oberarzt hatte bemerkt, dass sie den ganzen Tag in Schonhaltung herumlief und nachgefragt. Er hatte angeboten, mal abzutasten und mit einer Salbe einzureiben. Doch Marisol hatte dankend abgelehnt. Bei den Temperaturen schwitzte sie so schon genug, wenn sie sich jetzt noch mit Salbe zukleistern ließ, würde sie sich fühlen, als wenn sie Monate keine Dusche gesehen hatte. Und Abzutasten gab es nichts. Wäre dort etwas Gravierendes, hätte sie stärkere Beschwerden.