Читать книгу Das Blutsiegel von Isfadah - Carola Schierz - Страница 11

Finea

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Ismee erholte sich nur langsam von den Strapazen der Geburt. Finea fühlte sich jedes Mal schuldig, wenn sie der Königin den Säugling an die Brust legte, und wagte kaum, ihr dabei in die Augen zu sehen. Doch sie würde schweigen. Zumindest so lange, bis Sina die Chance dazu gehabt hatte, ihr alles zu erklären. Bisher hatte die Großpriesterin stets die richtigen Entscheidungen getroffen und das Wohl aller immer über das eigene gestellt. Darum glaubte Finea fest daran, dass es auch diesmal schwerwiegende Gründe geben musste, wenn sie zu solch ungewöhnlich drastischen Mitteln griff.

Ihr Blick fiel auf das schlafende Kind. Das kleine Mädchen war definitiv unschuldig. Es war bezaubernd, mit seinen rosigen Wangen und den dunkelblonden Haaren. Ismee hatte es sofort in ihr Herz geschlossen. Sie hatte zunächst kurz gestutzt, als man ihr 'ihre Tochter' präsentierte. Finea war sich nicht sicher, ob sie nur enttäuscht darüber war, nicht Ammons Erben geboren zu haben, oder, was wesentlich schlimmer wäre, doch etwas davon mitbekommen hatte, dass sie eigentlich einem Sohn das Leben geschenkt hatte. Aber mittlerweile gab es keinen Zweifel mehr. Ismee akzeptierte das Kind als das ihre und liebte es abgöttisch. In den Augen der jungen Witwe war das Mädchen alles, was ihr von ihrer großen Liebe geblieben war. Schon bald entdeckte die junge Mutter Ähnlichkeiten zum vermeintlichen Kindsvater, die natürlich nur Einbildung oder reiner Zufall waren. Fineas Herz schlug ihr jedes Mal hart gegen die Rippen, wenn sie die Königin in ihren Vergleichen bestärken musste. Sie war eine schlechte Lügnerin und fühlte sich in diesen Momenten furchtbar. In ein paar Tagen schon konnte sie in den Tempel zurückkehren. Dann würde sie endlich erfahren, was hinter all dem steckte. Plötzlich hörte sie Schritte und bald klopfte es leise. Als sie die Tür öffnete, stand ihr ein Diener mit einem Tablett gegenüber, auf dem ein Brief lag.

„Für Ihre Majestät“, sagte er knapp und wandte sich wieder ab.

Finea brachte Ismee das Schreiben.

„Bitte lies ihn mir vor!“, bat diese leise.

Rasch überflog sie die Zeilen und fasste das Gelesene mit ihren eigenen Worten zusammen. „Das ist unglaublich! Hier steht, dass der König ermordet wurde und dass man den Täter bereits dingfest gemacht habe. Prinz Farid soll auch schwer verletzt worden sein, sich aber schon wieder auf dem Weg der Besserung befinden. Sie werden bald hier eintreffen und dem Mörder den Prozess machen.“

Ismee sah Finea aus großen Augen an, in denen blankes Entsetzen stand. „Wer sollte so etwas tun? Ammon hatte keine Feinde! Jeder liebte ihn! Farid ebenso.“

Die Wächterin wich ihrem Blick aus und sah angestrengt auf das Papier hinab, in der verzweifelten Hoffnung, dass sie dort irgendwann eine andere Antwort finden könnte. „Lord Arko“, sagte sie schließlich leise und wartete angespannt auf die Reaktion der Königin. Zunächst geschah nichts. Dann begann Ismee ungläubig, mit Tränen in den Augen, den Kopf zu schütteln - ganz so, als könne sie damit alles ungeschehen machen, was in den letzten Tagen auf sie eingestürzt war. „Das kann ich nicht glauben! Arko, Farid und Ammon waren Weggefährten seit ihrer Kindheit. Sie haben einander immer vertraut. Welchen Grund sollte Arko haben, plötzlich so etwas Furchtbares zu tun? Das ergibt nicht den geringsten Sinn.“

Finea legte den Brief zur Seite und setzte sich an Ismees Bett. Einfühlsam ergriff sie die Hand der verzweifelten Frau und hielt sie sanft fest. „Beruhigt Euch, Majestät! Wir müssen Geduld haben und abwarten, bis sie zurück sind. Dann werden wir endlich Antworten bekommen.“

Sie griff nach einem Fläschchen mit einem Beruhigungstrank, das auf dem Nachttisch stand und gab eine kleine Menge davon in das Glas der Königin. Anschließend füllte sie es mit Wasser auf und reichte es der Unglücklichen. „Trinkt das! Es wird Euch helfen, etwas zu schlafen!“, sagte sie bestimmt.

Ismee sah auf das Getränk und zögerte kurz, um schließlich überraschend auszuholen und Finea das Glas aus der Hand zu schlagen. Klirrend zerbarst es auf den Ornamentfliesen des Fußbodens.

„Ich will nicht schlafen! Davon kommt mein Mann auch nicht wieder zurück!“, schrie sie die überraschte Wächterin an. Dann brach Ismee zusammen und schluchzte herzerweichend in die Kissen.

Finea ließ sie gewähren. Die Tränen würden den Schmerz in ihrer Brust etwas lindern. Es war gut, wenn sich die Trauer ihren Weg nach außen bahnte. Nur so konnte sie nach und nach vergehen. Doch das war noch ein weiter Weg.

Durch den plötzlichen Lärm unsanft geweckt, machte sich das Baby lautstark bemerkbar und zog bald die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich. Mit dem Säugling an der Brust beruhigte Ismee sich bald wieder. Ein paar Minuten später schliefen Mutter und Kind friedlich nebeneinander und Finea konnte endlich aufatmen.

Am nächsten Abend kam Unruhe im Schloss auf. Die Turmwache hatte gemeldet, dass man den Tross der heimkehrenden Truppe am Horizont gesichtet habe. Es wurde in den nächsten Stunden mit deren Ankunft gerechnet. Eilig bereitete man alles Notwendige vor, um die Männer mit einem ordentlichen Mahl zu versorgen. Die Familiengruft war bereits für die Bestattung Ammons hergerichtet. Ein prunkvoller Sarg, in dem der Tote seine letzte Ruhe finden sollte, war den Heimkehrenden entgegengeschickt worden. Da Ammons Leichnam nun schon seit einigen Tagen ungeschützt der heißen Tagessonne ausgesetzt war, nahm man von einer öffentlichen Aufbahrung Abstand. Die Trauernden aus Volk und Adel würden wohl oder übel am geschlossenen Sarg Abschied nehmen müssen. Dies jedoch erst, nachdem eine Gruppe von Medici und Mitgliedern des Hofstaats den Toten eindeutig identifiziert hatte. Das sollte bereits vor dessen Umbettung geschehen. Darum begaben auch sie sich auf den Weg.

Ismee bemerkte die wachsende Geräuschkulisse bald und fragte nach deren Ursache.

Nachdem Finea es ihr erklärt hatte, ließ sich die junge Frau nicht davon abbringen, sich ankleiden und herrichten zu lassen. „Ich werde am Schlossportal stehen und meinem Mann die Ehre erweisen, wenn er zum letzten Mal heimkehrt. Und das will ich nicht im Nachtgewand tun“, sagte sie fest entschlossen. Finea versuchte erst gar nicht, ihr das auszureden.

Das Ergebnis war beeindruckend. Ismee sah zwar blass aus und Ringe zeichneten sich deutlich unter den großen mandelförmigen Augen ab, aber ihre Schönheit war ungebrochen. Sie befahl nach der Amme zu rufen, damit diese bei dem Kinde bliebe. Erhobenen Hauptes begab sich Ismee an Fineas Seite zum Schlossportal und sah kurz darauf dabei zu, wie die sterblichen Überreste ihres Mannes, an ihr vorbei, in den Thronsaal getragen wurden. Dort hatte sich bereits der gesamte Hofstaat versammelt. Die angesehensten Männer waren für die Totenwache eingeteilt. In zwei Tagen würde die Abschiedszeremonie stattfinden, bei der der Sarg öffentlich aufgestellt werden sollte, damit auch die treuen Untertanen ihrem toten König huldigen konnten.

Wortlos folgte Ismee der Prozession. Sobald man den Leichnam abgesetzt hatte, befahl sie, den Deckel zu heben.

Nach einem Blick auf die verunsicherten Männer, redete Finea ihr dieses Vorhaben aus. „Majestät, nehmt Abstand davon. Behaltet Euren Gemahl in Erinnerung, wie er war. Es ist einige Tage her ...“ Zu ihrer Erleichterung gab Ismee bald nach und alle atmeten auf.

„Lasst mich allein!“, befahl die Königin leise, aber bestimmt. Alle zogen sich zurück, doch Finea verharrte noch für einen Moment unschlüssig.

„Ihr auch, Wächterin!“, fügte die junge Witwe entschlossen an. Als sich die Blicke der beiden Frauen trafen und Ismee Fineas sorgenvolle Miene bemerkte, fügte sie hinzu: „Keine Sorge, ich bin stark genug. Ich möchte nur noch eine Weile mit meinem Mann allein sein und Abschied nehmen.“

„Wie Ihr wünscht, Hoheit“, lenkte Finea ein. „Aber ich werde draußen vor der Tür warten. Wenn Ihr mich braucht, ruft einfach.“ Dann verließ auch sie den Thronsaal.

Sorgenvoll nahm sie auf einem Stuhl in der Nähe der Tür Platz und spitzte die Ohren, um ja kein Geräusch zu überhören, das darauf schließen ließ, dass sie gebraucht wurde. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis sich die schwere Eichentür endlich öffnete und Ismee mit rot unterlaufenen, geschwollenen Augen herauskam.

„Die Totenwache kann beginnen. Sagt den ausgewählten Männern Bescheid!“, wies sie einen Diener an. Dann wandte sie sich Finea zu. „Bitte bringt mich zurück in meine Gemächer!“, flüsterte sie mehr, als dass sie es sagte. Sie schwankte und Finea nahm schnell Ismees Arm, bevor ihr die geschwächte Frau noch zu Boden ging. Gemeinsam erklommen sie die breite Treppe, welche ins obere Stockwerk führte, wo sich auch die Privatgemächer der Königsfamilie befanden. Endlich dort angekommen, musste sich die Königin schnell hinlegen. Hier, in der Abgeschiedenheit ihres Zimmers, verließ sie ihre Stärke und gab Schmerz und Kummer freie Hand. Wimmernd wie ein kleines Kind rollte sich Ismee auf ihrem Bett zusammen. Finea blutete das Herz bei diesem Anblick. Voller Mitgefühl trat sie an die Unglückliche heran und setzte sich zu ihr. Sanft strich sie über das goldene Haar, so wie ihre Mutter es früher bei ihr getan hatte, wenn sie traurig war. Ismee drehte sich um und ließ sich in ihre Arme sinken. Langsam wiegte Finea die Trauernde hin und her, bis diese in einen leichten Schlaf fiel. Vorsichtig zog sie ihren Arm unter der Königin vor und sah nachdenklich auf sie hinab. Was würde nun aus Ismee werden? War sie eigentlich noch Königin? Ging ihr der Titel verloren, wenn in Kürze Prinz Farid den Thron bestieg? Finea hatte keine Ahnung von diesen Dingen. Und das war im Moment auch unwichtig! Vorsichtig lockerte sie die Verschnürung am Rücken der Schlafenden. Es konnte unmöglich bequem für sie sein, in diesem engen Korsett. Aber so sollte es gehen. Leise schlich Finea aus dem Raum, um nach der kleinen Prinzessin zu sehen, die ja strenggenommen gar keine war. Sie dachte über das Kommende nach. Vieles würde sich jetzt ändern. Manchmal hatte sie Träume, die ihr Hinweise oder eher Warnungen über künftige Ereignisse offenbarten. Zu gern hätte Finea jetzt die Fähigkeit besessen, gezielt in die Zukunft zu blicken, um zu erfahren, ob der rechtmäßige Erbe Isfadahs jemals hierher zurückkehren würde. Aber sie musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren.

Das kleine Mädchen lag selig schlummernd in seiner Wiege.

„Wer bist du wirklich?“, fragte Finea leise und strich ihr mit dem Finger über die rosigen Wangen. Mit Sicherheit hatte dieses Kind sein Schicksal verbessert. Finea nahm an, dass es eine kleine Waise war. Niemals würde Sina einer anderen Frau ihr Kind rauben. Selbst dann nicht, wenn sie damit den Prinzen schützen wollte. Aber wovor musste sie ihn überhaupt schützen und wo war er jetzt? Finea konnte es kaum erwarten, Sinas Erklärung zu hören. Doch jetzt war es an der Zeit, die Gunst der Stunde zu nutzen, um selbst etwas Schlaf zu finden. Nach einem letzten prüfenden Blick auf Ismee legte sie sich ebenfalls zur Ruhe.

Das Blutsiegel von Isfadah

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