Читать книгу Das Blutsiegel von Isfadah - Carola Schierz - Страница 3

Ismee

Оглавление

Königin Ismee stand an der Brüstung des Balkons, welcher direkt an ihre Gemächer grenzte, und sah gedankenverloren auf den Horizont. Die 'Weiße Stadt' Isfadah lag, in das warme Licht der untergehenden Sonne getaucht, zu ihren Füßen. Der atemberaubende Anblick ließ ihr das Herz noch immer höher schlagen. Seinen Beinamen hatte Isfadah dem hellen Marmor zu verdanken, aus dem sämtliche Bauwerke errichtet worden waren. Davon gab es in den angrenzenden Gebirgen genug, um die Stadt uneingeschränkt zu vergrößern. Ihr Blick blieb an der beeindruckenden Silhouette des Tempels hängen, welcher das Blutsiegel von Isfadah beherbergte. Er befand sich am Rande eines Felsmassives direkt über einem Wasserfall und war durch eine lange Bogenbrücke mit dem Schlossberg verbunden. Von hier aus hatte man den Eindruck, der Tempel würde über den tosenden Wassern schweben, weshalb er vom Volk ehrfurchtsvoll Himmelstor genannt wurde.

Ismee strich sich zärtlich über ihren geschwollenen Leib. Schon bald würde sie König Ammon ein Kind gebären. Lächelnd nahm sie die kräftigen Bewegungen in ihrem Inneren wahr und dachte an den Augenblick, als sie ihrem Gatten die frohe Kunde überbracht hatte. Wie groß war seine Freude gewesen. Dieser hochgewachsene, starke Mann war zu Tränen gerührt und hatte sie mit Küssen und Liebesbekundungen nur so überhäuft. Ammon und Ismee verband eine große Liebe und diese sollte nun durch dieses Kind gekrönt werden. Leider lagen im Moment unzählige Meilen zwischen ihnen, da ihr Gemahl zu wichtigen Verhandlungen gereist war. Sie hoffte inständig, dass er bis zur Geburt des Kindes wieder heimkehren würde.

Sie war gerade fünfzehn und er zwanzig, als sie sich zum ersten Mal begegneten. Damals lebte König Tibon noch und Ammon war der Prinz von Isfadah. Ismees Vater gehörte zu den angesehensten Männern des Reiches und diente König Tibon als Berater. Bei einem gesellschaftlichen Treffen hatte man die jungen Menschen einander vorgestellt und es dauerte nicht lange, bis der zarte Funke zwischen ihnen übersprang.

Dann kam der Krieg, der Tibon das Leben kostete. Ammon, der an der Seite seines Vaters kämpfte, hatte ihn noch am Sterbebett um die Erlaubnis gebeten, Ismee heiraten zu dürfen und diese bereitwillig erhalten. Sie nahm seinen Antrag voller Freude an. Der Termin für die Hochzeit wurde auf sechs Monate nach den Trauerfeierlichkeiten und der darauffolgenden Krönung des jungen Prinzen festgesetzt.

Eine Hürde hatte das Paar allerdings noch bewältigen müssen: Den Besuch im Tempel der Blutwächterinnen – dem Himmelstor! Zu den Aufgaben der Wächterinnen gehörte es, über Wohl und Leben der Königsfamilie zu wachen und die Legitimität eines Thronfolgers zu prüfen.

Wollte ein Mitglied des Herrscherhauses den Bund der Ehe eingehen und somit neues Blut in die Familie einbringen, musste sich das Paar im Tempel vorstellen. In einer geheimen Zeremonie wurde festgestellt, ob sich beide Blutlinien miteinander vertrugen und dieser Verbindung gesunde Kinder entsprießen könnten.

Traditionell bestiegen Braut und Bräutigam die Anhöhe zum Himmeltor und baten um Einlass an der Pforte. Ismee hatte sich klein und verletzlich gefühlt angesichts der gewaltigen Mauern, die sich vor ihr auftürmten. Hinzu kam die Furcht, den Ansprüchen nicht zu genügen, die das Blutsiegel an die neue Königin stellte.

Großpriesterin Sina empfing das Paar in der großen Halle des mächtigen Bauwerkes. Sie war eine schöne Frau mittleren Alters und lächelte ihnen milde entgegen. Sie trug ein Gewand aus hauchdünnem roten Stoff, unter dem sich die Formen ihres anmutigen Körpers erahnen ließen. Ihr schwarzes Haar war zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengesteckt.

„Habt keine Furcht, Ismee“, sagte sie, während ihre Augen auf der jungen Braut ruhten. „Es ist keine schmerzhafte Prozedur. Nur ein kleiner Stich und alles ist vorbei.“

Dann waren sie ihr ins Untergeschoss gefolgt. Sie passierten ein Labyrinth aus Gängen, die in den Felsen gehauen waren, auf dem der Tempel thronte. Vor einer unscheinbaren Wand aus grauem Gestein blieb die Großpriesterin plötzlich stehen. Zu Ismees Entsetzen holte sie unter ihrem Gewand einen kleinen Dolch hervor, der aus einer Art Kristall geschliffen zu sein schien. Sie hob ihren Arm, sprach ein paar fremdartige Formeln und schnitt sich diagonal in die Handfläche. Als ein dickes Rinnsal ihres Blutes hervorquoll, berührte Sina den Fels. Geräuschvoll öffnete sich ein Durchgang zu einem dahinter verborgenen Raum. Sofort schloss sich die Wunde der Priesterin wieder, was Ismee das ganze Schauspiel noch unheimlicher machte. Gemeinsam betraten sie den heiligen Ort.

Hier befand sich das legendäre Blutsiegel von Isfadah.

In der Mitte erblickte sie eine Art Brunnen, auf dessen Oberfläche eine schlichte Schale schwamm. Im Rand des Brunnens waren Vertiefungen eingearbeitet, in denen kleine Fläschchen steckten, die aus demselben kristallinen Material bestanden wie Sinas Dolch und die Schale. Das Wasser im Becken war von einer seltenen Klarheit und ein geheimnisvolles Leuchten strahlte über allem. Am Boden konnte man deutlich ein Symbol erkennen, welches auch an anderen Stellen im Tempel zu finden war. Es bestand aus einem Tropfen, den ein Kreis umschloss - ein Tropfen Blut im heiligen Wasser.

Gebannt hatte Ismee beobachtet, wie Sina an den Brunnen trat und eines der Fläschchen herausnahm, in dem eine wässrig rote Flüssigkeit zu erkennen war.

„Dies ist Wasser aus dem Brunnen der Wahrheit, vermischt mit etwas Blut des jungen Königs - Eures zukünftigen Ehemannes“, erklärte sie der jungen Braut. „Von jedem Mitglied der Königsfamilie existiert eine dieser Proben. Solange sie von dieser Klarheit sind, muss nicht um Gesundheit oder Leben des Spenders gefürchtet werden. Bei Krankheit oder gar Tod der Person färbt sich die Flüssigkeit dunkel. Als König Tibon, Ammons Vater, einst im Kampf gefallen war, kannten wir die traurige Wahrheit schon, bevor der Rabe mit seiner schrecklichen Botschaft eintraf. Dies war ein schwarzer Tag für Isfadah! Dennoch, aus vielen vorangegangenen Schlachten war er unversehrt zurückgekehrt und niemand brauchte sich unnötig zu sorgen, solange die Flüssigkeit klar war.“ Sie stellte das Fläschchen wieder zurück. „Ihr seht also, dass es durchaus seine Berechtigung hat, dieses kleine Opfer zu bringen.“

Milde lächelte Sina der jungen Frau zu.

„Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb wir heute hier sind.“ Erneut zog sie den Kristalldolch hervor und bat das Paar, an den Brunnen heranzutreten.

„Ich werde jetzt von Euch und dem König je einen Tropfen Blut nehmen. Dann werden wir die Gewissheit haben, ob Eure Vereinigung Kinder hervorbringen kann, die den hohen Ansprüchen an ihre zukünftige Position genügen.“

Ismees Herz begann schneller zu schlagen. Was, wenn sie sich nicht würdig erwies, Ammons Kinder zu gebären. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als seine Frau zu werden.

Gebannt sah sie zu, wie der Dolch der Priesterin in die Haut ihres Bräutigams stach und ein dicker Tropfen seines Blutes in eine flache Schale aus Bergkristall fiel. Der Stich verheilte sofort.

Danach war sie selbst an der Reihe. Zu ihrer Verwunderung verspürte sie kaum Schmerzen, da der Dolch von größter Schärfe war und auch ihre Wunde sich sofort wieder schloss. Voller Sorge beobachtete sie, was nun vor sich ging. Ihre Zukunft entschied sich in diesem Augenblick. Wie rote Perlen lagen beide Tropfen in der Schale. Plötzlich begannen sie, sich aufeinander zuzubewegen und einander zu umkreisen.

Angespannt blickte Ismee in die Gesichter der anderen und stellte erleichtert fest, dass beide einen zufriedenen Eindruck machten.

„Bin ich deiner würdig?“, fragte sie, um ihre letzten Sorgen zu verdrängen.

„Daran habe ich keine Sekunde gezweifelt!“, antwortete Ammon, dem man dennoch seine Erleichterung anmerkte. Seine Liebe zu ihr stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Nun, da wir diesbezüglich Gewissheit haben, steht Eurer Hochzeit nichts mehr im Wege“, brachte Sina das Paar wieder in die Gegenwart zurück.

Als sich Ismee vom Brunnen abwandte, hielt sie die Großpriesterin jedoch zurück. „Einen Moment noch!“ Sina griff abermals in die Taschen ihres Gewandes und holte ein leeres Fläschchen hervor, das sie mit dem leuchtend klarem Wasser füllte. Dann nahm sie Ismees Hand in die ihre. Ehe die glückliche Braut sich versah, hatte Sinas Dolch sie erneut geritzt und ein weiterer Tropfen Blut sickerte in das zierliche Gefäß. Sofort nahm der Inhalt die gleiche Farbe an, wie der in Ammons Fläschchen. Auch ihres fand nun seinen Platz in einer der Vertiefungen.

Schon am nächsten Tag wurde ihre Vermählung gefeiert und Ismee schwebte wie auf Wolken. Das Fest blieb allen Einwohnern von Isfadah als ein Tag des Glückes und der Liebe in Erinnerung ...

Mit einem kräftigen Tritt brachte das Ungeborene Ismee in die Gegenwart zurück und sie beschloss, noch einen Abendspaziergang durch den Schlossgarten zu machen.

Das Blutsiegel von Isfadah

Подняться наверх