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Finea

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Im Tempel der Blutwächterinnen machte sich Schwester Finea auf den Weg zum abendlichen Kontrollgang. An jedem Tag, vor dem Zubettgehen, begab sich eine der autorisierten Wächterinnen zum Brunnen, um das Blutsiegel und die ihm unterstellten Proben zu begutachten. Heute war sie an der Reihe. Besonders in Zeiten, da ein Mitglied der Königsfamilie abwesend war, gewann jenes Ritual an Wichtigkeit. Finea hatte voller Stolz diese Aufgabe übernommen, denn es war eine der höchsten Ehren, die einer Dienerin dieses Tempels erteilt werden konnte. Es war schon tief in der Nacht, da sie sich nicht hatte von ihren Lehrbüchern losreißen können.

Im Alter von sechzehn Jahren war sie dem Orden beigetreten, so wie sie es sich schon seit frühester Kindheit wünschte. Ihre Familie hatte sie voller Stolz zu der festlichen Weihfeier begleitet. Damals entsagte Finea dem weltlichen Leben. Sie würde nie einen Mann ehelichen oder Kinder gebären dürfen. Doch darauf hatte sie gern verzichtet, denn ihr ganzes Streben galt der Wissenschaft.

Sie war eine Frau und stammte aus armen Verhältnissen, was eine umfassendere Bildung als Lesen, Schreiben und Rechnen, in einfachster Form, unmöglich machte. Hier im Tempel bekam sie Antworten auf ihre Fragen. Sie erhielt eine umfangreiche Ausbildung in Heilkunde, Astronomie, Astrologie, Philosophie und Geschichte. Auch Teile der weißen Magie wurden gelehrt. Obendrein konnte sie stets die riesige Bibliothek des Tempels nutzen. Finea lebte nun schon fast fünf Jahre hier. Die Großpriesterin war mehr als zufrieden mit der jungen Frau und hatte erst kürzlich zu verstehen gegeben, dass Finea in der engeren Wahl stünde, wenn es um ihre Nachfolge ging. Dies würde hoffentlich noch lange nicht zur Diskussion stehen, doch als 'Rechte Hand' von Sina würde sie ihr Wissen nur umso schneller vermehren können.

Endlich hatte sie die Felswand mit der geheimen Pforte erreicht. Vorsichtig zog sie den kostbaren Dolch aus ihrem Gewand, versetzte sich routiniert einen Schnitt und legte die Hand gegen das Gestein. Als sich der Durchgang geöffnet hatte, trat Finea ein und begab sich zum Brunnen. Nacheinander nahm sie die Fläschchen in die Hand und überprüfte den Inhalt eines jeden. Es war nichts Auffälliges zu erkennen, bis die Probe von König Ammon an der Reihe war. Der Inhalt zeigte eine tief dunkle Färbung. Fast wäre ihr das Gefäß aus der Hand geglitten. Zitternd und den Tränen nahe, stellte sie es zurück und lief, so schnell sie ihre Beine trugen, zu den Räumlichkeiten der Großpriesterin.

Mutter Sina hatte gerade ihre abendliche Toilette beendet und war dabei, ihr Nachtgewand anzulegen, als es heftig gegen ihre Tür klopfte.

„Wer ist da?“, fragte sie ein wenig gereizt, wegen der späten Störung.

„Ich bin es! Macht auf - bitte! Es ist etwas Furchtbares geschehen!“, rief Finea von draußen und rüttelte an der Tür.

Die Großpriesterin wusste, dass ihr Zögling nicht derart die Fassung verlor, wenn es sich nicht um eine sehr ernste Angelegenheit handeln würde. Eilig schob sie den Riegel zurück und ließ die junge Frau eintreten. Deren schönes Gesicht war kreideweiß und Strähnen ihres welligen dunkelroten Haares klebten an der schweißnassen Stirn. Sie war außer Atem vom schnellen Laufen und die großen grünen Augen ertranken in Tränen.

„Was hast du, Finea?“, stieß die Großpriesterin geschockt hervor und versuchte, ihre böse Vorahnung zu verdrängen.

„Die Probe des Königs ... sie ist dunkel! Fast schwarz ...!“

Nun wurde auch das Antlitz der Großpriesterin fahl. Wenn das stimmte, und an Fineas Worten hegte sie keinen Zweifel, dann war König Ammon tot!

Das Blutsiegel von Isfadah

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