Читать книгу Das Blutsiegel von Isfadah - Carola Schierz - Страница 6

Arko

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Grob wurde Arko von seinem Lager gezerrt. Er hatte große Probleme damit, seine Umgebung wahrzunehmen und auf den Füßen zu bleiben. Sein Kopf dröhnte und drohte zu zerbersten. Die Stimmen um ihn herum drangen wie aus weiter Ferne zu ihm durch. Langsam sackte er wieder zusammen.

Was redeten sie da? Hatte ihn gerade jemand einen feigen Mörder genannt?

Er musste sich verhört haben ...

Doch - da war es wieder! Mörder!

Er hatte sich doch nicht verhört.

Jemand goss ihm den kalten Inhalt seiner Waschschüssel über den Kopf und zwang ihn auf die Beine. Langsam kehrten seine Sinne zurück. Verdammt, sie hatten gestern ausgiebig gezecht, aber keinesfalls so, dass er in diesen Zustand geraten konnte! Was war hier los?

Als er seine Umgebung endlich klar erkennen konnte, sah er in bekannte Gesichter. Aber sie alle hatten einen eindeutig alarmierenden Ausdruck. Er sah Abscheu, Wut und Hass in ihnen. Das Freundlichste, was er wahrnahm, war vielleicht noch Enttäuschung und Unglaube.

„Was ist los, verdammt nochmal?“, fuhr er die Männer an und setzte sich auf. „Seid ihr noch bei Sinnen? Habt ihr vergessen, wen ihr vor euch habt?“

Ein Offizier der Königsgarde, mit dem er noch vor ein paar Tagen fröhlich bei einem Würfelspiel zusammengesessen und geplaudert hatte, trat vor. Er griff nach Arkos Hemd, das achtlos auf dem Boden lag, und sagte in bedrohlichem Tonfall: „Bis gestern dachten wir, wir hätten einen Ehrenmann vor uns, doch nun deutet alles darauf hin, dass Ihr ein feiger Mörder seid.“ Er warf ihm das Hemd zu. „Zieht das hier über und folgt mir ohne Widerstand!“

Arko verstand die Welt nicht mehr. Mit zusammengezogenen Brauen erhob er sich von seinem Lager und kleidete sich an. Zu seiner Verwunderung entdeckte er mehrere kleinere Blutflecke am Ärmel und am Vorderteil des Hemdes, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen, wie sie dort hingekommen waren.

„Was in Gottes Namen geht hier vor? Und was faselt ihr da von Mord? Wer ist ermordet worden?“

Nun trat der Offizier vor, und während er Arko die Hände mit einem Seil auf dem Rücken fesselte, sagte er: „Arko von Thura, ich beschuldige Euch, unseren König Ammon den Dritten und seinen Bruder Prinz Farid mit einem Messer angegriffen zu haben, um sie zu ermorden. Für unseren König kam leider jede Hilfe zu spät und Prinz Farid überlebte nur durch ein Wunder.“

Als Arko endlich verstand, was der Mann ihm da gerade eröffnet hatte, zogen sich seine Eingeweide zu einem kalten Klumpen zusammen.

„Was sagt Ihr da? Ammon ist – tot?“ Er wollte nicht glauben, dass sein Vetter, König und bester Freund, nicht mehr am Leben sein sollte.

Ermordet? Wer konnte so etwas ...? Moment, was hatte der Irre da behauptet?

„Ihr glaubt, ich hätte das getan? Wie um alles in der Welt kommt ihr auf diesen kranken Schwachsinn?“

Er sah sich unter den Anwesenden um und folgte deren Blicken. Das Blut! Wo zum Teufel kam dieses Blut auf seinem Hemd her? Der Verzweiflung nahe schüttelte er den Kopf und sah jedem Einzelnen in die Augen.

„Ich habe nichts damit zu tun! Nie würde ich Ammon etwas zuleide tun, das schwöre ich, bei meinem Leben! Genauso wenig wie Farid. Er wird euch das sicher bestätigen.“

Die Männer, welche ihm bisher immer mit Achtung begegnet waren, senkten zum Teil den Blick oder sahen ihn anklagend an.

Der Offizier trat dicht an ihn heran und zog die Stirn in Falten. „Prinz Farid schwebt noch in Lebensgefahr, aber er war kurz ansprechbar. Er hat eindeutig Euren Namen genannt, als wir ihn nach dem Täter fragten.“

Arko schöpfte dennoch Hoffnung. „Vielleicht hat er nur im Delirium geredet. Hat er viel Blut verloren? Dann kommt so etwas doch vor, oder? Es ging beiden gut, als ich gestern das Zelt verließ! Die Wachleute haben mich doch gehen sehen.“

„Dann bliebe immer noch die Frage, woher das Blut auf Eurem Hemd stammt“, erwiderte der Offizier emotionslos. „Solange Prinz Farid bewusstlos und die Sache nicht geklärt ist, werdet Ihr in Gewahrsam genommen!“ Damit gab er den Soldaten ein Zeichen und sie führten den verzweifelten Arko ab.

Er musste kurz eingenickt sein, denn inzwischen war die Dämmerung einem tiefen Schwarz gewichen. Arko hatte zunächst große Mühe damit, die Umrisse seines provisorischen Gefängnisses und die davor postierten Wachen zu erkennen. Man hatte aus Mangel an Alternativen einen Käfig aus dicken Ästen und derben Seilen gebaut. Er bot seinem Insassen gerade so viel Platz, dass dieser mit angezogenen Beinen sitzen oder zusammengerollt wie ein ungeborenes Kind darin liegen konnte. Jeder Knochen und jeder Muskel in seinem Körper schmerzten, doch das Schlimmste waren die seelischen Qualen, die ihm die Eingeweide zu verbrennen drohten. Scheinbar glaubte niemand hier im Lager an seine Unschuld und er konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Alle Indizien sprachen gegen ihn, so dass er selbst langsam ins Zweifeln kam, ob er noch alle Sinne beieinander hatte. Immer wieder ging er im Geiste die Ereignisse der letzten Nacht durch. Ammon, Farid und er hatten den Durchbruch bei den Verhandlungen gefeiert und ein paar Becher Wein getrunken. Weit entfernt davon betrunken zu sein, jedoch extrem müde, hatte Arko sich schließlich verabschiedet und war in sein Zelt gegangen. Davor hatte er noch ein paar scherzhafte Worte mit den Wachen gewechselt, die vor der Unterkunft des Königs postiert waren. Er hatte ihnen zur Feier des Tages, und mit Ammons Einverständnis, etwas Wein angeboten, den sie auch dankbar annahmen. Diese Männer hatten bestätigt, ihn gesehen zu haben, konnten sich aber nicht daran erinnern, ob sich Blutflecke auf seiner Kleidung befanden. Doch es war zu diesem Zeitpunkt stockdunkel gewesen. Bis auf die kleinen Lagerfeuer zwischen den Zelten gab es keine nennenswerten Lichtquellen. Darum maß man diesem Umstand keinerlei Bedeutung bei.

Zu der Sorge um seine eigene Situation kam die tiefe Trauer um seinen Vetter und besten Freund. Alles schien vor einem Tag noch so hoffnungsvoll. Sie wollten bald nach Isfadah zurückkehren und den Menschen die Lösung des jahrzehntelangen Problems präsentieren. Ismee sollte ihr Kind zur Welt bringen, ohne fürchten zu müssen, dass ihr Gemahl in einen sinnlosen Krieg ziehen muss. Ammon war so voller Freude und frei von Sorge ...

Und nun, keine vierundzwanzig Stunden später, war alles einem grauenhaften Albtraum gewichen. Was zum Teufel war hier geschehen? Unter normalen Umständen wäre er überzeugt davon gewesen, dass Farid ihn bald hier herausholen würde. Jedoch nach allem, was Arko gehört hatte, war dieser selbst sehr schwer verletzt und schwebte in Bewusstlosigkeit. Dass Farid seinen Namen genannt hatte, war mit Sicherheit seinem Zustand zuzuschreiben. Daran bestand für Arko kein Zweifel. Wenn er jedoch auch noch starb, hatte er niemanden mehr, der ihm helfen konnte.

Vor seinem geistigen Auge tauchte das schöne Antlitz Ismees auf. Oh Gott! Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie sie das alles aufnehmen musste. Und er selbst könnte ihr keine Hilfe sein, denn auch sie würde in ihm unweigerlich den Mann sehen, der ihr den Gemahl und ihrem ungeborenem Kind den Vater genommen hatte. Wieder schnitt sich die Verzweiflung tief in seine Eingeweide. Zur Kälte in seinem Inneren kam die Kälte dieser sternenklaren Nacht und er rollte sich zitternd zusammen.

„Frierst du?“, fragte einer der Wachleute mit gespieltem Mitleid. Arko ignorierte ihn, in der Hoffnung, dass das Interesse des Mannes so am schnellsten wieder nachlassen würde. Doch weit gefehlt ... „Ich habe dich was gefragt, du Mördersau!“, schrie dieser nun.

„Wie oft noch? Ich bin kein Mörder“, stieß Arko zwischen zusammengepressten Kiefern hervor.

„Sieh an, die Mördersau spricht zu uns“, rief der Wachmann jetzt seinen Kameraden zu. „Oh entschuldige, du bist ja unschuldig!“, sagte er nun wieder mit drohendem Unterton zu Arko. „Vielleicht sollten wir dir das Leben etwas leichter machen und dir ein heißes Bad bereiten.“

Betont langsam ging er zu einer der Feuerstellen in der Nähe und schöpfte mit einem Krug heißes Wasser aus dem Topf, der dort schon eine ganze Weile zum Kochen hing und deutliche Dampfschwaden absonderte. Dann schlenderte er zurück zum Käfig und grinste widerlich. „Das sollte dich etwas aufwärmen“, sagte er, bevor er Arko den heißen Inhalt des Kruges über den Leib schüttete.

Der schrie auf, als ihm die Flüssigkeit die Haut verbrühte.

„Na, schon wärmer?“, fragte sein Peiniger grinsend. Dann spuckte er Arko ins Gesicht und wandte sich unter den größtenteils zustimmenden Kommentaren der Umstehenden ab.

Zu dem Schmerz, den Arkos geschundene Haut fühlte, kam wenig später die Kälte. Nachdem die Hitze aus seiner nassen Kleidung gewichen war, fror er nun wie ein junger Hund.

Er wachte auf und saß unversehrt und wohlauf in seinem Feldbett. Gott sei Dank, es war alles nur ein übler Traum gewesen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und nur langsam kam sein Puls zur Ruhe. Unfassbar, was ihm sein Kopf da für ein Horrorszenario vorgetäuscht hatte …

Er wollte sich gerade erheben, als Ammon sein Zelt betrat.

„Großer Gott“, begrüßte Arko den Freund erleichtert, „du hast keine Ahnung, was ich für eine beschissene Nacht hinter mir habe.“

Doch als Ammon ihn anlächelte und etwas erwidern wollte, quoll ein dicker Schwall Blut aus seinem Mund.

Wieder schreckte Arko aus dem Schlaf, wurde diesmal jedoch von der grausamen Realität eingeholt. Durch die Gitterstäbe seines Käfigs hindurch sah er die aufgehende Sonne.

Das Blutsiegel von Isfadah

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