Читать книгу Das Blutsiegel von Isfadah - Carola Schierz - Страница 7

Isfadah

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Auch in Isfadah waren zwei entsetzte und ratlos dreinblickende Augenpaare auf die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne gerichtet. Sowohl Sina als auch Finea sahen dem anbrechenden Morgen mit Sorge entgegen. Es war ihre Aufgabe, der Königin die grauenvolle Nachricht zu überbringen. Doch sie waren sich unschlüssig, wie sie vorgehen sollten. Die vorgeschriebene Verfahrensweise besagte, dass die Wächterinnen jede Abweichung von der Normalität der Proben unverzüglich im Schloss melden mussten. Es gab so viele Faktoren, die das eh so Grauenvolle noch verschlimmerten. In Zeiten des Krieges rechnete jeder mit dem Schlimmsten. Doch Ammon war jung, gesund und im Frieden abgereist. Niemand hatte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass er nicht wieder zurückkehren könnte. Und - Ismee war schwanger! Wie würde sie es in ihrem Zustand aufnehmen? Würde sie am Ende ihr Kind verlieren? Das musste verhindert werden! Dieses Kind könnte der nächste König sein, vorausgesetzt es wäre ein Knabe.

Jedoch … in einigen Tagen sollten die Männer heimkehren. Wenn Ismee bis dahin nicht Bescheid wüsste und ihrem vermeintlich heimkehrenden Gemahl voller Freude entgegeneilte ... Das durfte auf keinen Fall geschehen!

Sina atmete tief ein. „Bereite dich vor!“, sagte sie entschlossen zu Finea. „Wir werden in einer Stunde aufbrechen und es ihr so schonend wie möglich beibringen … sofern das überhaupt möglich ist.“

„Aber ihr Zustand!“, wandte Finea ein.

„Ihre Schwangerschaft ist schon weit fortgeschritten. Sollte das Schlimmste eintreten, hat das Kind gute Chancen zu überleben. Du wirst bei ihr bleiben, bis alles überstanden ist. Egal wie lange es dauert“, wies sie Finea in einem Ton an, der keinen Widerspruch duldete.

„Wie Ihr wünscht, Großpriesterin“, antwortete diese voller Demut. „Ich werde sofort das Nötigste zusammenpacken. Habe ich freie Hand, alles an Heilmitteln mitzunehmen, das in diesem Fall vonnöten sein könnte?“

„Natürlich!“, antwortete Sina mit einem zufriedenen Lächeln und sah der davoneilenden jungen Frau voller Zuneigung hinterher. Finea war für sie so etwas wie die Tochter geworden, die sie, aufgrund ihrer Entscheidung für ein Leben im Tempel, nie haben würde. Ungeahnte Fähigkeiten steckten in dem schönen, liebenswerten Geschöpf. Geistige ebenso wie spirituelle. Finea hatte in relativ kurzer Zeit so viel gelernt wie keine andere, seit Sina hier lebte. Und keine andere würde sich für ihre Nachfolge besser eignen. Alle Wächterinnen liebten und respektierten die junge Frau schon jetzt. Die Götter hatten etwas Besonderes mit ihr vor, davon war Sina überzeugt. Und wo könnte sie ihrer Bestimmung besser folgen als hier, an diesem magischen Ort?

Heute mussten sie sich gemeinsam einer großen Herausforderung stellen. Voller Trauer und Mitleid zog sich Sinas Magen zusammen und das Herz wurde ihr schwer. Noch zu gut konnte sie sich an die glücklichen Gesichter des liebenden Paares erinnern, als feststand, dass ihrer Heirat nichts mehr im Wege stand. Und nun, nur wenige Jahre später, musste sie diesem Glück ein Ende bereiten. Unfassbar! Doch sie konnte es sich nicht aussuchen. Es war ihre Pflicht und sie dankte den Göttern, dass sie damit nicht allein war, sondern jemanden wie Finea an ihrer Seite hatte.

Ein paar Stunden später erreichten sie ihr Ziel. Mit ernsten Gesichtern und Herzklopfen bis zum Hals verlangten die beiden Wächterinnen von den wachhabenden Soldaten, sie zu melden.

„Wir müssen mit Ihrer Majestät der Königin sprechen. Sofort!“

Die Männer musterten die beiden Frauen zunächst skeptisch. Nach kurzem Zögern bat man sie, am Tor zu warten. Eine quälende viertel Stunde später passierten die Wächterinnen das Schlossportal. Jeder Schritt, der sie näher zu den Empfangsräumen der Königin brachte, steigerte ihr Unwohlsein ins Unermessliche.

Sina fing sich als Erste wieder. „Wir müssen uns zusammenreißen! Wir müssen stark sein für Ismee. Wenn wir sie jetzt nicht stützen, dann endet alles in einer noch größeren Katastrophe.“

Sina war es auch gewesen, die einst die Nachricht vom Tode König Tibons überbringen musste. Damals befand sich nur Farid als nächster Verwandter im Schloss. Er war gerade sechzehn geworden und darum noch zu jung für den Feldzug, während Ammon schon an der Seite seines Vaters kämpfte. Er hatte trotz seiner Jugend große Stärke gezeigt und die Nachricht gefasst und sehr tapfer aufgenommen.

Einer schwangeren Frau hingegen sagen zu müssen, dass ihr Gemahl nicht mehr am Leben ist, dürfte eine andere Reaktion hervorrufen ...

Als sich die schwere Eichentür öffnete, nickten sie sich noch einmal aufmunternd zu und atmeten tief ein.

Ismee, durch die Schwangerschaft schöner als je zuvor, kam ihnen lächelnd ein paar Schritte entgegen. „Welche Freude Euch zu sehen, edle Wächterinnen. Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches? Falls Ihr Euch nach dem Befinden des Kindes erkundigen wollt, kann ich nur Gutes berichten.“ Sie strich sich liebevoll über die ausladende Wölbung ihres Leibes.

Sinas Herz zog sich erneut zusammen. „Das freut uns zu hören, Majestät. Jedoch sind wir leider aus einem anderen Grund hier.“

Sie machte eine Pause und betrachtete das Mienenspiel der Königin. Zuerst versiegte ihr Lächeln, dann zog sie fragend die Augenbrauen hoch, um sie schließlich sorgenvoll zusammenzuziehen. Ihre klaren blauen Augen blickten zwischen ihnen hin und her. Mit ahnungsvoller ängstlicher Stimme fragte sie: „Ist etwas mit Ammon? Ist er krank?“

Als die Wächterinnen nicht antworteten, sondern Sina nur langsam begann den Kopf zu schütteln, brach Ismee ohnmächtig zusammen.

Ein paar Stunden später saß Finea neben der schlafenden Königin an deren Bettstatt. Die dramatischen Szenen, die sich in den letzten Stunden abgespielt hatten, liefen unentwegt vor ihrem geistigen Auge ab und ließen sie nicht zur Ruhe kommen.

Nach Ismees Zusammenbruch hatten sie sofort um Hilfe gerufen. Zusammen mit zwei Dienern hatten sie die Bewusstlose in ihr Schlafgemach gebracht und sie so bequem wie möglich gebettet. Dann war Ismee zu sich gekommen. Sobald sie die beiden Wächterinnen wahrnahm und ihr klar wurde, dass dies kein Albtraum, sondern bittere Wahrheit war, hatte sie zu weinen und zu schreien begonnen. Finea zog sich noch jetzt das Herz zusammen, als sie nur daran dachte. Sie hatten die Hilfe der Diener in Anspruch nehmen müssen, um die vor Trauer wild um sich schlagende Frau zur Ruhe zu zwingen und ihr einen Schlaftrank einzuflößen.

Nachdem dieser endlich Wirkung zeigte, schickten sie die verstörten Diener hinaus und machten sich daran, die Schwangere zu untersuchen. Zu ihrer Erleichterung schien es dem Kind noch gutzugehen. Doch das war kein Grund zur Entwarnung. Oftmals führten solch traumatische Ereignisse auch noch später zu vorzeitigen Wehen.

Nachdem alles zur Ruhe gekommen war, brach Sina auf, um ihren Pflichten im Tempel nachzukommen.

Man hatte Finea ein einfaches Lager neben dem Bett der Königin errichtet. Unruhig ließ sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Der Mittelpunkt des schlichten und trotzdem sehr edlen Raumes war das große Himmelbett. Zarte Vorhänge hingen links und rechts von einem kunstvoll geschnitzten Baldachin herab. Große Fenster und Türen gaben den Weg nach draußen auf den Balkon frei. An den Wänden hingen Spiegel und einige Landschaftsbilder. Eine Sitzgruppe und ein Frisiertisch rundeten die weibliche Seite des Ganzen ab. Man erkannte eindeutig Ismees Handschrift.

Sorgenvoll wanderte Fineas Blick zurück zum Gesicht der jungen Witwe. Sie schlief noch fest, jedoch zog sich immer wieder ihre Stirn in Falten. Ein Zeichen dafür, dass sich ihr Unterbewusstsein mit der Tragödie auseinandersetzte. Eigentlich hätte Finea die Zeit nutzen müssen, um selbst etwas zu schlafen, doch sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, wenn sie sich jetzt hinlegte. Sie war noch viel zu aufgeregt, um an Schlaf auch nur zu denken. Wenn Finea ehrlich war, hatte sie auch Angst vor dem, was geschehen würde, sobald Ismee wieder erwachte. Dann wäre sie ganz allein deren Verzweiflung und Trauer ausgesetzt. Auch wenn sie sich geehrt fühlte, wegen des Vertrauens, das ihr die Großpriesterin entgegenbrachte, konnte sie sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich sehnlichst wünschte, Sina wäre noch hier.

Die Königin regte sich und ein leises Stöhnen kam über ihre spröden Lippen. Dann schlug sie die schönen blauen Augen auf und blickte Finea voller Kummer an.

Diese griff instinktiv nach ihrer Hand und versuchte sich an einem aufbauenden Lächeln.

„Mein Kind ...?“, fragte Ismee leise und Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln.

„Es geht ihm gut, meine Königin, doch Ihr müsst Euch ausruhen, damit dies so bleibt“, antwortete Finea und streichelte die zarte kalte Hand, die sie hielt.

Ismee nickte und ein tiefes Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Einen Moment lang schwiegen sie. Dann, mit einem leisen Anflug von Hoffnung in der Stimme, fragte die Königin: „Kann es nicht sein, dass das Blutsiegel sich getäuscht hat? Ich meine, es wird doch schon einmal vorgekommen sein, oder?“ Flehend brannte sich ihr Blick in den Fineas. Schweren Herzens schüttelte diese den Kopf. „Noch nie, Majestät. Leider ... .“

Ismee presste die Lippen zusammen und nickte stockend. Dann wandte sie ihr Gesicht ab und weinte lautlos in die Kissen. Finea ließ sie in Ruhe, hielt jedoch weiterhin ihre Hand.

Am nächsten Morgen erwachte sie von einem Sonnenstrahl, der ihr direkt ins Gesicht schien. Sie saß noch immer am Bett der Königin und war, vornübergebeugt, an deren Seite eingeschlafen. Als sie sich aufrichtete, brauchte es eine Weile, eh ihr die steifen Glieder wieder vollkommen zu Willen waren. Eilig goss sie Wasser in eine Waschschüssel und machte sich frisch. Dann verließ sie kurz das Zimmer, um neue Waschutensilien zu holen und ein leichtes Frühstück zu ordern.

Als sie zurückkehrte, war Ismee gerade dabei aufzuwachen. Vorsichtig trat Finea an sie heran. „Wie fühlt Ihr Euch, Hoheit?“, fragte sie leise.

Dieser stiegen sofort wieder die Tränen in die Augen, was Antwort genug war.

„Wenn das Kind nicht wäre, dann würde mich hier nichts mehr halten“, flüsterte sie etwas später.

„Aber das Kind ist nun mal in Euch, Hoheit! Und es lebt. Ihr müsst stark sein und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um euch dabei zu helfen“, versprach Finea mit fester Stimme.

Ein trauriges Lächeln umspielte für einen kurzen Moment die Lippen der Trauernden. „Ich danke Euch!“

Willenlos ließ sie sich waschen. Währenddessen brachte eine dralle Magd das Frühstück herein. Besorgt schaute sie zu ihrer Gebieterin hinüber und verließ leise wieder den Raum. Leider konnte Finea Ismee zu nicht mehr als drei Löffeln Haferbrei überreden. Selbst die Mahnung: „Denkt an Euer Kind!“, half nicht wirklich weiter.

So verbrachte sie auch die nächsten beiden Tage und alles schien, den Umständen entsprechend, gut zu verlaufen … bis sie in der dritten Nacht von Ismees Schreien geweckt wurde. Nachdem sie die Schwangere kurz untersucht hatte, ließ sie eilig nach Sina schicken. Die Situation war sehr ernst.

Das Blutsiegel von Isfadah

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