Читать книгу MEMORIAM - Auch deine Stunde schlägt - Caroline Stein - Страница 7
ОглавлениеPROLOG
»Eingemauert«. Das war das Wort, das es wohl am besten traf.
Es hatte eine Weile gedauert, bis er überhaupt in der Lage war, seine Situation zu erfassen.
Anfangs war da nur Dunkelheit gewesen – Dunkelheit in ihm und um ihn – ein Zustand der Bewusstlosigkeit, in dem er aber irgendwie in der Lage war, die Geschehnisse um sich herum wahrzunehmen, jedoch so, als wären sie in einer anderen Welt – in einer Welt weit weg – in einer Welt, in der er selbst keine Rolle mehr spielte. Das ist der Anfang vom Sterben, hatte er gedacht.
Inzwischen wusste er, dass er noch lebte. Und in dem Moment, als er das erfasst hatte und sich seiner Lage halbwegs bewusst wurde, da war in ihm das Gefühl des Bedauerns darüber aufgestiegen.
Zwischen Dunkelheit und Bewusstsein hatte er dann die Schreie gehört – dumpf und aus weiter Ferne. Es waren Schreie des Schmerzes und der Todesqual gewesen. Immer wieder – verzweifelt und schrill. Und dann Stille – für eine Weile. Bis es erneut anfing.
Auf einmal hatte er sie dann deutlicher gehört, die Schreie der Frau. Qualvoll und gepeinigt hatten sie ihn in seinen Zustand der Bewusstlosigkeit verfolgt und sich ihm, wie klamme Finger, würgend um den Hals gelegt.
Und irgendwann waren es mehrere Frauen gewesen, die sich in seiner Dunkelheit um ihn herumbewegt hatten, hilfesuchend ihre Hände nach ihm ausstreckend und verzweifelt versuchten, ihn mit sich in die endlose Finsternis zu ziehen. In die Finsternis, aus der es kein Entrinnen mehr gab.
Manchmal, wenn es still war und die Finsternis um ihn herum ihren Griff lockerte, dann nahm er jemanden wahr, der ihm Wasser aus einer Flasche einflößte. Und dann spürte er, dass es das war, wonach sein ausgetrockneter Körper gelechzt hatte. Und dieser Jemand hievte ihn auch auf einen Stuhl, in den ein Loch gesägt war, damit er dort seine Notdurft verrichten konnte.
Er konnte kein Gesicht sehen, aber dem Geruch nach war es ein Mann. Und der Geruch erinnerte ihn an etwas. Doch bevor er fähig war, einen Gedanken zu fassen, ergriff die Dunkelheit wieder Besitz von ihm und nur die leise Panik, die der Geruch in ihm verursachte, warnte ihn, dass dieser Mann kein Freund war.
Und dann, irgendwann in dieser Zwischenwelt, wurde die dunkle Seite heller und ließ zu, dass er erkannte. Aber das, was er da erkannte, war noch schlimmer als die tiefste Dunkelheit.