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KAPITEL 1


WARUM ARBEITET MAN AN DER BÖRSE?

Wie kommt man auf die Idee, an der Börse zu arbeiten? Wir befragten unsere zwei Autoren direkt im Interview.

DER AKTIONÄR: Herr Stork, Herr Hechler, können Sie Ihren Lesern einen kurzen Einblick geben, warum Sie als Händler an der Börse arbeiten und wie es dazu gekommen ist?

Carsten Stork: Mich hat immer schon die Geschwindigkeit der Märkte fasziniert. Ich glaube, da ist auch viel Intuition dabei. Als ich das erste Mal auf einem Trading Floor war – das war in Wien 1995 –, war ich von der Atmosphäre fasziniert. Kaufen und Verkaufen sind ureigene Formen menschlicher Aktivität, als Händler wird die Qualität deiner Entscheidung jeden Tag durch Gewinn oder Verlust unmittelbar bewertet. Das Geschäft wurde in diesen Jahren größtenteils durch unsere physische Präsenz an den Börsen abgewickelt, erst später hat der elektronische Handel unseren Beruf immer mehr anonymisiert und wahrscheinlich auch skrupelloser gemacht. Ich habe im Sommer 1996 ein Praktikum an der Börse absolviert und damals auch meine Händlerprüfung an der Deutschen Terminbörse (DTB) abgelegt. Die ersten Jahre meiner aktiven Zeit als Händler war ich als sogenannter Marketmaker tätig, meine Aufgabe war es, verbindliche Kauf- und Verkaufskurse zu stellen und damit Geld für die Bank zu verdienen. Von Wien ging es nach Frankfurt, wo ich bei einer deutsch-englischen Bank anheuerte, damals einer der begehrtesten Arbeitgeber im Bereich Trading. Ich erinnere mich an meinen zweiten oder dritten Arbeitstag auf dem Floor in Frankfurt. Mein damaliger Chef musste beruflich verreisen und übergab mir das Optionsbuch mit der Anweisung, nichts zu handeln und ihn im Zweifel anzurufen. Einfach nichts anbrennen zu lassen und physisch präsent zu sein. Der DAX brach an diesem Tag im Vorfeld der Russlandkrise um mehrere Prozentpunkte ein, das mir übergebene Buch hatte eine ziemlich große Gamma-Long-Position, der Markt fiel immer weiter, das Buch wurde immer mehr short und nachdem ich meinen Chef nicht erreichen konnte, habe ich irgendwann zu kaufen begonnen. Dazu muss man wissen, dass eine Gamma-Long-Position in einem Optionsbuch dazu führt, dass man in einem fallenden Markt short wird, also von fallenden Kursen profitiert, und in einem steigenden Markt long wird, also bei steigenden Kursen Gewinn macht. Damals musste abends noch jeder Händler sein Gewinn/Verlust-Statement beim Leiter der Abteilung abgeben – bei mir war es an diesem Tag ein sechsstelliger Gewinn. Ich dachte, das sei für eine große deutsche Bank eine Selbstverständlichkeit – war es aber nicht, und so begrüßte mich der Abteilungsleiter am nächsten Morgen bereits mit Handschlag und kannte meinen Namen (lacht). Gelungener konnte mein Einstand eigentlich nicht laufen.

Markus Hechler: Nach der Banklehre und einer kurzen Zwischenstation im Clearing Deutsche Terminbörse (DTB) bei der Bank mit dem grünen Band der Sympathie war für mich klar, dass ich Händler werden wollte. Als Marketmaker für Optionen und später Portfolio-Trader hatte man damals schon als „Junior-Trader“ eine immense Verantwortung und bewegte teilweise dreistellige Millionenbeträge.


Quelle: Privat

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Die „gute alte Zeit“

Vergleicht man einen Handelsfloor aus den 90er-Jahren mit der heutigen Zeit, war das wahrhaftig eine andere Welt. Auf dem Trading Floor, auf dem ich damals arbeitete, ging es Tag für Tag heiß her. Alle Abteilungen saßen eng beisammen: Kundenhandel, Eigenhandel, Aktien-Sales, Derivate und Research dicht gedrängt auf einem Stockwerk – heute undenkbar! Es herrschte ein rauer Ton, viel Geschrei und Hektik, natürlich durfte auch geraucht werden. Manch ein Händler qualmte am Tag locker zwei Packungen Zigaretten. Die alten Börsianer schwebten majestätisch über den Floor, um dann gemütlich vom Bahnhofsviertel zur Frankfurter Wertpapierbörse in der Innenstadt zu schlendern. Sie hatten alle ihr Geld gemacht – Compliance gab es damals nicht wirklich. Die Musik spielte auf dem Parkett, das elektronische Handelssystem IBIS steckte noch in den Kinderschuhen und der typische Händler hätte sich schwer vorstellen können, dass sich in wenigen Jahren die Liquidität vom Parkett auf die elektronische Plattform Xetra verlagert. Vorreiter war sicherlich der Handel mit dem Bund-Future (10-jährige deutsche Bundesanleihe), einem der liquidesten und meistgehandelten Futures am Pit der Londoner Terminbörse LIFFE. Nach dem Zusammenschluss der Deutschen Terminbörse mit der Schweizer Terminbörse Soffex im Jahr 1998 wanderte immer mehr Liquidität vom Parkett zur elektronischen Plattform. Heute findet so gut wie kein Umsatz mehr auf dem tristen Parkett der ehemaligen Weltbörsen statt, sie dienen eher als Kulisse für die täglichen Börsenberichte. Der Börsenhändler von damals war sicherlich ein anderes Kaliber als heute. Das gesprochene Wort zählte, und eine gewisse Standhaftigkeit „am Glas“ in den Bars und Kneipen war auch gefragt. Zarte Charaktere und vermeintliche Schwächlinge hatten in der damaligen rauen Welt nicht viel zu lachen. Der typische Trader von heute ist ein Uni-Absolvent mit hervorragendem Abschluss, bedient die automatischen Handelssysteme, übermittelt die Ausführungen dem Kunden online und geht nach Handelsschluss in ein Fitnessstudio. Ich bezweifele, dass es heute in den Banken noch Trader gibt, die sich annähernd vorstellen können, wie es sich anfühlt, am 30.12. im „Bitburger“ zu stehen und Briefkurse auf die eigene Hose, Schuhe und Hemd stellen zu müssen. Der junge Kollege von damals musste dann nackt im Schneetreiben (die Jacke wurde ihm gelassen) über die Freßgass laufen und war um 5.000 Euro reicher. Im Jahr 2020 undenkbar!

DER AKTIONÄR: Wir werden im Laufe dieses Buches ja immer wieder einzelne Anekdoten aus Ihrem persönlichen Handelsleben hören. Bevor wir nun in die Sachthemen einsteigen, noch eine Frage: Weshalb dieses Buch, weshalb dieser Zeitpunkt?

Stork: Nach unserem Ausstieg aus der Bankenwelt haben wir uns 2013 selbstständig gemacht. Ursprünglich haben wir diskretionär gehandelt, haben aber schnell erkannt, dass es schwierig ist, zu zweit mehr als 20 Märkte gleichzeitig im Auge zu behalten. So kamen wir auf die Idee, ein mechanisches System zu entwickeln, das uns dabei hilft. In der Fachwelt werden diese Systeme Algorithmen genannt. Unser erster Algorithmus war damit geboren. Zuerst als reine Handelsunterstützung bei der Beobachtung der verschiedenen Märkte konzipiert, entwickelten wir ihn bis Oktober 2015 zu einem vollautomatischen Handelssystem weiter. Wir sind nun also seit mehr als sieben Jahren in diesem Bereich aktiv und wollen mit dem Buch unsere Erfahrungen und Erlebnisse zusammenfassen.

Hechler: Wir sind inzwischen auf allen interessanten Rohstoffmärkten unterwegs. Wir mögen Volatilität – und irgendwo in den Rohstoff-/FX-Märkten ist immer etwas los. Im Sommer 2017 haben wir angefangen, nach einem Algo zu suchen, der uns entsprechende Signale im Trendfolgebereich liefern kann. So ist dann der zweite Algorithmus entstanden: ein Trendfolgesystem, das basierend auf Chartkonstellationen, Commitments-of-Traders-Daten (CoT) und saisonalen Effekten Kauf- und Verkaufssignale auswirft, die dann aber noch einer diskretionären Überprüfung unsererseits unterzogen werden. Wir werden in unserem Buch an anderer Stelle detailliert darauf eingehen. Unser Zeithorizont hat sich hier erweitert: Positionen werden Tage, ja manchmal Wochen gehalten. Live gegangen ist das System im Mai 2018.

Seit August 2019 werden die Signale und Trade-Set-ups in einer zweiwöchentlich erscheinenden Publikation, dem ALGOreport, besprochen. Wir haben einiges richtig, aber auch vieles falsch gemacht. Dieses Buch soll eine Orientierung für Trader sein, und damit es nicht zu langweilig und sachlich wird, haben wir unsere letzten 25 Jahre an den verschiedenen Börsen noch einmal Revue passieren lassen und einige „Storys“ festgehalten.

Rohstoff-Trading mit System

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