Читать книгу Rohstoff-Trading mit System - Carsten Stork - Страница 8
ОглавлениеKAPITEL 2
VOM PRÄSENZ-ZUM ELEKTRONISCHEN HANDEL – START DES ALGORITHMISCHEN TRADINGS
DER AKTIONÄR: Herr Hechler, zu welchem Zeitpunkt Ihrer Karriere haben Sie denn die ersten Erfahrungen mit Handelssystemen gemacht?
Hechler: Das war in den 90er-Jahren, als ich im Portfolio-Trading gearbeitet habe. Ein Fokus unserer Arbeit war damals die Arbitrage von DAX Kasse gegen den DAX-Future. Im November 1990 legte die damalige Deutsche Terminbörse, also die heutige Eurex, den DAX-Future auf (FDAX). Der DAX notierte vor 30 Jahren noch bei knapp 1.500 Punkten, jeder Punkt entsprach einem Gegenwert von 100 DM, der gesamte DAX kostete damals also rund 150.000 DM. Die Handelszeit war überschaubar: von 11:00 Uhr bis 14:00 Uhr. Wir rechneten den DAX damals in einem Excel-Sheet, das mit den Reuters-Kursen vom Frankfurter Parkett verknüpft war, manuell nach und hatten den Future parallel mitlaufen. Sobald sich eine Differenz von mehreren Punkten (konnte variabel eingestellt werden) zwischen dem FDAX und der Kasse ergab, wurde der Future verkauft (oder gekauft), und der Börsenmakler auf dem Parkett wurde angerufen und kaufte (oder verkaufte) einen von uns vordefinierten Basket der 30 DAX-Werte. Nach wenigen Minuten bekam man die Kurse vom Makler angesagt, die einzelnen Trades wurden dann von einem Junior-Trader oder einem selbst eingegeben. So konnten pro Basket, je nach Ausführungen der einzelnen Aktien auf dem Parkett, zwischen 1.000 und 5.000 DM „risikofrei“ verdient werden. Am letzten Handelstag des DAX-Futures wurden die Positionen dann wieder glattgestellt, für den Börsenmakler auf dem Parkett war das viermal im Jahr der große Zahltag. Idealerweise hatte der Makler einen Kontrahenten, der die Kasse long war, und einen Kontrahenten, der die Kasse short war, somit konnte er beide Seiten risikolos „crossen“ und kassierte zweimal die Kommission. Im Laufe der Jahre kannibalisierte sich der Arbitrage-Handel aber von allein, da immer mehr Marktteilnehmer etwas vom „free lunch“ abhaben wollten und die Margen so stark schrumpften, dass nach Kosten kaum noch ein Gewinn übrig blieb.
DER AKTIONÄR: Herr Stork, oft wird davon gesprochen, dass die Verschiebung des Umsatzes an den Börsen von den physischen Präsenzplätzen zu den elektronischen Handelssystemen den Startschuss für die Entwicklung des Algo-Tradings gegeben hat. Sehen Sie das auch so, und wenn ja, wann hat diese Entwicklung eingesetzt?
Stork: Diesbezüglich eines der einschneidendsten Erlebnisse war mein Besuch an der Londoner Börse LIFFE am 9. Oktober 1997. An diesem Tag hat die Deutsche Bundesbank den dritten Leitzins von 3 Prozent auf 3,3 Prozent erhöht. Das am meisten gehandelte Produkt der Londoner LIFFE war ein Terminkontrakt auf Bunds, die 10-jährige deutsche Staatsanleihe. Die DTB bot damals schon ein identisches Produkt an und hatte als elektronische Börse eine niedrigere Kostenbasis. Bis Ende 1996 war die LIFFE die mit Abstand größte Terminbörse in Europa, gefolgt von der MATIF in Paris und der DTB in Frankfurt. Die DTB war eine 1990 gegründete elektronische Börse und der Vorgänger von Eurex. Ich war damals genau zu dem Zeitpunkt der Zinserhöhung in der Nähe des Bund-Future-Pits. Die Präsenzbörsen waren damals noch in unterschiedliche „Pits“ unterteilt, räumlich abgetrennte Bereiche, in denen ausschließlich bestimmte Produkte gehandelt wurden. Die Reaktion war gewaltig: Innerhalb weniger Minuten wurden Millionen von Kontrakten gehandelt. Ein englischer Kollege erzählte mir damals, dass zu diesem Zeitpunkt eine massive Vergrößerung der Londoner Börse LIFFE geplant war. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass er eine Vergrößerung der Handelssäle auf die Größe von drei Fußballfeldern erwähnte.
Niemand konnte sich an diesem Tag vorstellen, dass der gesamte Umsatz in diesem Vorzeigeprodukt an die DTB wandern würde. Ich kann mich erinnern, dass ich mir im Januar 1998, circa drei Monate nach meinem Besuch an der LIFFE, den Umsatz im Bund-Future dort über Reuters angesehen habe. Schockiert nahm ich zur Kenntnis, dass die Umsätze auf wenige Tausend Kontrakte geschrumpft waren. Die LIFFE war tot – für mich eines der gravierendsten Beispiele, wie schnell Veränderung in den Finanzmärkten passieren kann.
Quelle: Shutterstock
ABBILDUNG 2.1 | LIFFE EXCHANGE LONDON 25.01.1993
Vollbesetzte LIFFE am 25.01.1993
Quelle: Shutterstock
ABBILDUNG 2.2 | LIFFE EXCHANGE LONDON 18.11.1999
LIFFE Exchange London, 18.11.1999: Der letzte LIFFE-Tag an der Cannon Bridge, bevor sie computerisiert wurde. Das Bild zeigt, wie die letzten Händler ihre Geschäfte wie gewohnt fortsetzen.
In den USA hat diese Entwicklung mit einiger Zeitverzögerung eingesetzt. Ungefähr um 2007 sind die Umsätze an den „Pits“ langsam zu den elektronischen Handelssystemen abgewandert. Man kann das übrigens wunderbar in den sogenannten „Backtests“ von Algorithmen erkennen. Viele Algos, die bis 2007 einwandfrei funktioniert haben, funktionieren danach überhaupt nicht mehr.
Quelle: Elektronischer Handel versus Präsenzhandel: Eine Untersuchung des Wettbewerbs von Terminbörsen am Beispiel des DM-Bund-Future, Prof. Dr. Wolfgang Bessler, Dr. Thomas Book, Mai 2002.
ABBILDUNG 2.3 | ELEKTRONISCHER HANDEL VERSUS PRÄSENZHANDEL
Umsatzentwicklung des DM-Bund-Future an DTB/Eurex und LIFFE (1991-1998)
DER AKTIONÄR: Wann kam die nächste große Veränderung an den Märkten und wie hat sie sich auf das Trading ausgewirkt?
Hechler: Eigentlich startete das Algo-Trading schon Ende der 90er-Jahre. Die Verlagerung der Präsenzbörsen auf elektronische Plattformen ebnete den Weg zum vollautomatischen Trading. Der Marketmaker an der Terminbörse DTB quotierte seine Kauf-und Verkaufskurse schon vollautomatisch, das elektronische Handelssystem IBIS (Integriertes Börsenhandels-und Informationssystem) wurde 1997 durch das bis heute bestehende Xetra-System abgelöst. Durch Schnittstellen-Programmierung war es nun den einzelnen Marktteilnehmern möglich, sich direkt an die Börse anzubinden und verschiedene Handelsmodelle sowie Quotierungstools live zu handeln. Sogenannte Autopiloten, die vom Händler selbst eingestellt wurden, waren nun in der Lage, größere Orders über den Tag verteilt in regelmäßigen Abständen an die Börse zu leiten. Die fortschreitende Automatisierung hatte zur Folge, dass es teilweise nicht mehr möglich war, auf die angezeigten Kurse zu handeln. Sobald man eine Aktie, die auf dem Handelsschirm mit 51,43 Euro zum Verkauf angeboten wurde, kaufen wollte, war „jemand“ schneller und schnappte einem die Briefseite vor der Nase weg. Der nächste Kurs war dann zwei Cent höher und wurde vom selben Kontrahenten, der mit 51,43 Euro gekauft hatte, mit 51,45 Euro wieder verkauft. Mit dem bloßen Auge nicht erkennbar, wurden so die ersten Erfahrungen mit dem heute sehr verbreiteten „High-Frequency Trading“ gemacht. In der heutigen schnelllebigen Börsenzeit ist der HFT-Trader, gemessen am täglichen Volumen, der größte Akteur. Diese Form des Tradings ist sicherlich eine der profitabelsten und gleichzeitig umstrittensten Arten des Handels.
Im Nanosekundenbereich kauft und verkauft der programmierte Algorithmus Futures, Aktien oder Optionsscheine an den elektronischen Börsen weltweit. Eine noch legale Form des Insider-Tradings, denn der HFT-Trader hat gegenüber den anderen Marktteilnehmern einen entscheidenden Vorteil: die Geschwindigkeit. Teilweise sind die Rechenzentren der HFT-Firmen in der Nähe der Börsen und verfügen über eine direkte Anbindung an den Börsenrechner. Trotz der hohen Kosten ist diese Form des „legalen Frontrunnings“ sehr lukrativ und beschert den Firmen satte Gewinne. Dass es zu teilweise heftigen Verwerfungen an den Börsen durch vollautomatisierte Handelsprogramme kommen kann, beweisen folgende Beispiele: der berühmte Flash Crash im Mai 2010, als der Dow Jones innerhalb von wenigen Minuten mehr als 1.000 Punkte verlor, um danach wieder auf das alte Niveau zu steigen. Im August 2012 verlor Knight Capital durch eine Panne in der Trading-Software 440 Millionen Dollar an einem Tag. Abschließend kann bemerkt werden, dass durch die fortschreitende Verbreitung des Algo-Tradings in den verschiedensten Formen der Beruf des klassischen Börsenhändlers sozusagen wegrationalisiert wurde.