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I. Begriffliche Distinktion
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Es ist zu beobachten, dass die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kriminalität aus dem Unternehmensbereich auf einem unübersichtlichen semantischen Feld geführt wird. Die Begriffe Unternehmen, Verband, Unternehmensträger, Körperschaft, Organisation und juristische Person werden nebeneinander oder synonym verwendet und selten ist dabei zu erkennen, inwiefern sie voneinander abgegrenzt werden oder jeweils begrifflich konturiert sind. Diese Entwicklung der Diskussion ist insofern folgenreich, als die hier genannten Begriffe als Ausgangspunkte dogmatischer Überlegungen m. E. in vollkommen unterschiedliche Richtungen führen.[1] Erwägt man die Strafbarkeit juristischer Personen, entfernt man sich von einem empirischen Bezugspunkt, der jedoch für das Verständnis der Kriminalität, auf die das Strafrecht eine Antwort finden will, unerlässlich ist. Eine rein theoretische Auseinandersetzung mit der Frage, ob juristische und natürliche Personen im Strafrecht gleichgestellt sind oder eine Analogie konstruierbar ist, erscheint erschöpfend erwogen und angesichts des oftmals apodiktisch angeführten gewichtigen Kriminalitätsproblems,[2] das die Unternehmenskriminalität darstellen soll, zumindest auch „l'art pour l'art“ zu sein. Es ist eine rechtlich spannende Auseinandersetzung mit einem möglichen Unternehmensträger, aber es bleibt eine rein rechtliche Diskussion.
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Fällt die Begriffswahl auf Kollektive, Körperschaften oder Verbände,[3] wird zwar an die soziale Einheit – und damit auch an die kriminologisch relevante Grundlage – angeknüpft, jedoch wird damit das Problem sogleich am Spezifikum Organisation verortet. Dies mag eine abstraktere, und damit weite, Herangehensweise sein, die den Blick sogleich auf Mechanismen der Verantwortungsdiffusion lenkt. Ihr ist auch abzugewinnen, dass sie die Metaebene strafrechtlich zu greifen versucht und rechtliche Überlegungen an den Besonderheiten einer Entität anknüpfen und damit an Plausibilität und Konsistenz gewinnen. Allerdings wird dadurch der Blick von wesentlichen Aspekten der Wirtschaftskriminalität abgewendet, die – auch für die abstrakt anknüpfenden Ansätze[4] – a priori als übergeordneter oder zumindest involvierter Topos gilt. Insbesondere der Aspekt der Profitmaximierung oder Gewinnerzielungsabsicht geraten dann als vorpositive Momente in den Hintergrund. Dies mag innerhalb eines Ansatzes, der konsequenterweise von Verbandskriminalität in gleicher oder ähnlicher Form im Wirtschafts- wie im non-profit-Bereich ausgeht,[5] kohärent sein, jedoch bleiben jedenfalls der Einzelunternehmer und die Zwei-Personen-Konstellationen außer Betracht. Zudem ist diesen Überlegungen zur Verbands- und Kollektivstrafbarkeit gemeinsam, dass sie die Kriminalität ausschließlich als aus der Entität als solcher herrührend betrachten und damit nicht offen sind für Differenzierungen, die sich daraus ergeben, dass Entitäten auch ein Kontext für Mikrokriminalität sein können bzw. es schlicht Gruppenprozesse sein könnten, die Rechtsverletzungen bedingen und diese womöglich nicht dem Kollektiv zuzurechnen sind.
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Aus diesen Gründen wird für die vorliegende Untersuchung das Unternehmen als Ausgangspunkt gewählt und damit einerseits das Kollektiv als möglicher Straftäter in den Blick genommen, andererseits aber auch das Individuum innerhalb eines bestimmten Kontextes beobachtet und schließlich die Wechselwirkung zwischen Mikro-, Makro- und Mesoebene[6] thematisiert. Durch diese Begriffswahl wird also eine rechtsformübergreifende Problemsicht versucht, dabei jedoch in Rechnung gestellt, dass diese vorpositiven Aspekte ihren Ausdruck im Recht gefunden haben müssen, um für dogmatische Konsequenzen überhaupt relevant zu werden.
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Zu klären ist zunächst, was im Recht unter „Unternehmen“ verstanden wird. Einen ersten Anhaltspunkt bietet hier die zivilrechtliche Dogmatik, die die Abgrenzung der Begriffe juristische Person, Verband und Unternehmen bereits ausführlich thematisiert.[7] Eine allgemeingültige Definition hat sich jedoch auch hier nicht herausgebildet.[8] Es besteht lediglich Einigkeit darüber, dass der Begriff im jeweiligen Normzusammenhang zu interpretieren[9] ist und im Kern drei wesentliche Merkmale des Unternehmens herausgearbeitet werden können: ein Mindestmaß an sachlichen und persönlichen Mitteln, ein Mindestmaß an organisierter Einheit und das äußere Auftreten am Markt.[10]
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Das „Unternehmen an sich“ galt bislang lediglich als Rechtsobjekt, jedoch mehren sich die Ansätze, die es als „soziale Realität“ und Rechtssubjekt in Betracht ziehen,[11] als „weitgehend vollzogene Loslösung des Unternehmens von seinen Anteilseignern“ oder als „volkswirtschaftliche Größe“ erwägen. Dies schien zunächst zur Klärung der begrifflichen Frage und ohne Differenzierung von juristischer Person, Unternehmensträger und Unternehmen zu erfolgen, jedoch „vergegenständlichte“ dieser Diskurs die „Trennung von Kapital und Herrschaft [als] unmittelbarer Ausdruck der gewandelten Machtverhältnisse“ – vor allem bezüglich der Aktiengesellschaft – und führte Rathenaus Gedanken vom modernen Großunternehmen letztlich weiter.[12]
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Das „Unternehmen an sich“ zu thematisieren bedeutet zum ersten Mal das Anknüpfen an das soziale Phänomen und nicht lediglich an die rechtliche Einheit juristische Person. Und dies nicht aufgrund einer, für die kriminologischen Überlegungen interessanten, phänomenologischen Herangehensweise. Grund hierfür ist vielmehr, dass juristische Personen – solange es sich um Verbände handelt – grundsätzlich[13] einen Verbandszweck verfolgen, der im Betreiben eines Unternehmens liegen kann.[14] Das Spannungsverhältnis zwischen dem für das Handelsrecht traditionell bedeutsamen Gewerbe, in dem das Kaufmannsrecht entscheidend war, und dem modernen Außenprivatrecht, das im Handels- und Gesellschaftsrecht gespiegelt wird, prägt die Begriffsbildung. Es wird versucht die soziale Realität des Unternehmens als wirtschaftliche und soziale Einheit abzubilden, wenn die Integration der organisatorischen Elemente als selbständige, anbietende und entgeltliche rechtsgeschäftliche Tätigkeit am Markt, die sich durch Planmäßigkeit und Ausrichtung auf Dauer auszeichnet, Definitionskern wird.[15]
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Allerdings ist diese Definition für das Handelsrecht problematisch, denn hier spielt insbesondere – und anders als im Konzern-, Arbeits- und womöglich auch Strafrecht – die Bewertung innerer Strukturen und Vorgänge eine dominante Rolle. Trotz der im Zivilrecht zu beobachtenden Entwicklung, die soziale und sogar politische Dimension der Unternehmen zu berücksichtigen, ist die Rechtsfähigkeit dieser Einheit hier elementar. Zwar wird auch auf der abstrakten Ebene der Rechtsfähigkeit kontrovers diskutiert, ob diese ungeteilt und umfassend begründet werden muss oder eine gestufte Zurechnungsfähigkeit und damit relative Rechtsfähigkeit begründbar ist. Jedoch hat sich die Notwendigkeit eines eindeutig bestimmbaren und rechtsfähigen Unternehmensträgers als Bezugspunkt durchgesetzt. Notwendig ist dies vor allem, weil eine wirtschaftliche Betrachtungsweise stets dem Vorwurf der weichen Abgrenzung oder gar Willkür aufgrund der Konturlosigkeit ihrer Definition ausgesetzt ist und eine Abgrenzung der nach außen auftretenden Entität zur nicht-rechtsfähigen Innengesellschaft nicht geleistet werden kann. Dies ist jedoch relevant, weil der zivilrechtliche Verband auf der Grundlage gegenseitiger Schuldverhältnisse im Innenverhältnis funktioniert, die zwar darüber hinaus einem Verbandszweck dienen und daher eine Verbandsstruktur herausbilden, jedoch das Unternehmen nicht an einer Außengrenze konturieren. Ohne den Unternehmensträger, der sowohl Einzelkaufmann als auch Aktiengesellschaft sein kann, wären also Fragen der Vermögenszuordnung und innergesellschaftlichen Haftung nicht zu lösen.
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Die Interdependenz zwischen sozialer Einheit Unternehmen einerseits und Unternehmensträger andererseits wirkt auch in umgekehrter Richtung: so wird überwiegend angenommen, dass der Verbandszweck – welcher meistens im Unternehmensbetrieb zu sehen sein wird – konstitutive Bedeutung für die juristische Person hat und Unternehmensmäntel, also „leere“ Gesellschaften ohne Geschäftsbetrieb, dogmatisch abzulehnen sind. Zwar sind diese Mantelgesellschaften in der Praxis verbreitet und Rechtsprechung, sowie Literatur, halten ein vollständiges Verbot insbesondere aus praktischen Gründen nicht für durchsetzbar; sie sind bei genauerer Betrachtung aber lediglich rein äußerliche, auf ihre Geschäftsanteile reduzierte und damit nicht mehr lebensfähige Formen einer Gesellschaft.[16] Insofern besteht im Zivilrecht zwar keine der ultra vires doctrine[17] vergleichbare Verwebung von Verbandszweck und Rechtsfähigkeit des Unternehmens, jedoch ist durchaus eine Interdependenz zu bejahen, die dazu führt, dass man Unternehmen und Unternehmensträger nicht vollkommen losgelöst voneinander betrachten kann. Denn: Rechtsfähigkeit setzt Identität und Publizität des Subjekts voraus, welches Eigenschaften sind, die nur dem Menschen von Natur aus zukommen. Bei Unternehmen bzw. Verbänden im Allgemeinen kann jedoch Identität und Publizität nur sichergestellt werden, indem durch staatliche Verleihung der Unternehmensträger kreiert wird. Identität und Publizität des Unternehmens werden also über ihre Unternehmensträger verwirklicht und dies dank – zum einen – dem verfassungsrechtlich geschützten System freier Körperschaftsbildung, – zum zweiten – dem Konzessionssystem, welches über die Registergerichte die Publizität gewährleistet und – zum dritten – dem System der Normativbestimmung, die das Gesellschaftsrecht gestaltet.[18] Die Versuche,[19] den Gegensatz von Kapital und Arbeit zu überwinden und das Unternehmen als übergeordnete Instanz mit Rechtsfähigkeit auszustatten, haben sich daher im Zivilrecht nicht durchsetzen können. Vor allem der Gesichtspunkt, dass der innerhalb der Zivilrechtsordnung stattfindende Rechtsverkehr nicht auf abgegrenzte Zurechnungssubjekte verzichten kann, steht einem alleinigen Anknüpfen an die wirtschaftlich-organisatorische Einheit im Weg.[20]
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Dieses vorläufige zivilrechtliche Fazit spricht jedoch nicht gegen eine Berücksichtigung des Faktischen in Strafrecht und Kriminologie; im Gegenteil: Es wurde herausgearbeitet, dass der Unternehmensträger aufgrund des Regelungskontextes des Zivilrechts ebenfalls maßgeblich für die Definition des Unternehmens sein muss. Die zivilrechtliche Herangehensweise würde jedoch – auf das Strafrecht übertragen – die Gefahr bergen, dass ein Einzelunternehmer – als Unternehmensträger – unter dem Schutzmantel seines Unternehmens eine individuelle Haftung umgehen kann bzw. Handlungen von Unternehmensbeauftragten ihm – als einzigem Unternehmensträger – zugerechnet werden. Er „als Unternehmen“ müsste dann für solche Verfehlungen mittelbar haften, auch wenn ihn keine Schuld trifft. Für die Qualifizierung als strafrechtliches Verhalten kann jedoch nicht die positiv-rechtliche Zuteilung entscheidend sein.
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Insofern muss sich das Strafrecht der sozialen Realität zuwenden und tut es auch. Der Terminus Unternehmen ist bereits im Strafrecht integriert. Allerdings kann nicht ohne Weiteres festgestellt werden, ob an die soziale Entität angeknüpft wird, da man auch hier auf ein unübersichtliches terminologisches Feld trifft: Im Zusammenhang mit der Zurechnung von Verantwortung in § 14 StGB und § 9 OWiG spricht man von „Unternehmen“ ohne eine nähere Umschreibung zu geben[21] und stellt im — in § 14 StGB und § 9 OWiG gleich lautenden — Abs. 2 S. 3 die Begriffe „Unternehmen“ und „Betrieb“ auf eine Bedeutungsebene. Dies zielt normhistorisch wohl darauf ab, klarzustellen, dass kein Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereichs von Abs. 2 steht,[22] zeigt aber auch, dass es – ohne tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Begriff – um die primäre Bedeutung des Begriffs als „wirtschaftende Einheit“[23] geht. Anders wird der Begriff im Tatbestand des Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) gebraucht, wo in Abs. 6 unter „Betriebe oder Unternehmen“ unstreitig auch öffentliche Unternehmen hinzugezählt werden.[24] Dem steht wieder das Merkmal „Betriebe oder Unternehmen“ des § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB gegenüber, das nur solche „Betriebe und Unternehmen“ umfasst, die „unabhängig von ihrem Gegenstand nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern“.[25] In § 5 Nr. 7 StGB wiederum scheint der Gesetzgeber von einer unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe auszugehen, allerdings könnte sich das Nebeneinanderstellen von „Betrieb“ und „Unternehmen“ auch als rein sprachliches Mittel interpretieren lassen, um die Wiederholung des Wortes „Unternehmen“ zu vermeiden.[26]
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Der strafrechtliche Gesetzgeber scheint die Begriffe „Betrieb“ und „Unternehmen“ also nur teilweise synonym zu verwenden, im Wesentlichen aber keine einheitliche Linie zu verfolgen. Anders die Literatur, die eine allgemein akzeptierte Definition[27] des Begriffs „Unternehmen“ hervorbrachte, die auf dem allgemeinen Sprachverständnis, dass ein „Unternehmen“ stets ein „Mehr“ als der „Betrieb“ darstellt, beruht.[28] Nach überwiegender Ansicht[29] ist hier also ein Betrieb oder Unternehmen eine planmäßig und meist auch räumlich zusammengefasste Einheit mehrerer Personen und Sachmittel zur Erreichung des auf eine gewisse Dauer gerichteten Zwecks, Güter oder Leistungen materieller oder immaterieller Art hervorzubringen oder zur Verfügung zu stellen. Ein Unternehmen kann mehrere Betriebe erfassen. Das Unternehmen wird also überwiegend als die rechtlich-wirtschaftliche Einheit verstanden, während der Betrieb die technisch-organisierte Einheit darstellt.[30] Der Unternehmensbegriff ist also aus strafrechtlicher Perspektive rechtsformübergreifend und auch nicht auf eine bestimmte Organisationsform beschränkt. Er ist weit gefasst, an das wirtschaftsrechtliche Verständnis angelehnt und umfasst sämtliche kaufmännischen und nicht kaufmännischen Gewerbebetriebe, den gesamten Bereich der Urproduktion sowie den der freien Berufe. Keine Unternehmen sind danach private Haushalte, die gesamtwirtschaftlichen Verbraucher und die Träger von hoheitlicher Gewalt im Rahmen ihrer Ausübung.[31]
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Unternehmen sind also zuvörderst selbstständige Produktionseinheiten. Damit begreift dieser Ansatz Unternehmen als Einrichtung, die als solche eine bestimmte gesamtwirtschaftliche Aufgabe, nämlich die Gütererzeugung, erfüllen kann. Gerade in dieser Definition tritt die Unterscheidung zwischen dem Subjekt Unternehmensträger und dem Objekt, also dem im handelsrechtlichen Unternehmensbegriff erfassten Konglomerat aus Sachen, Rechten und sonstigen Beziehungen, in den Hintergrund und ermöglicht eine selbstständige Bedeutung, aber auch eine selbstständige Verantwortung des Unternehmens.[32] Das Unternehmen als „sozialer Verband, der in ihm durch Kapitalbeiträge oder personalen Leistungen kooperierenden Rechtssubjekte und als Institution der Wirtschaftsverfassung“[33] wird in eine rechtlich bedeutsame Position gehoben, ohne dabei die Position der Rechtsträger zu berühren. Diese, ursprünglich wirtschaftsrechtliche, Überlegung soll für das Strafrecht unter der Prämisse gelten, dass der Verhaltensbefehl an die jeweiligen Rechtsträger durchgeleitet wird.[34]
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Das Strafrecht entfernt sich also bereits in seiner Begriffsbildung um einen Schritt vom Zivilrecht, das das Unternehmen als Gegenstand des rechtsgeschäftlichen Verkehrs kennt. Denn zum einen lässt es begrifflich die Möglichkeit des Unternehmens als Rechtssubjekt zu, es gibt zudem aber auch einer wirtschaftlichen Einheitsbetrachtung den Vorzug, die beispielsweise im Sachenrecht nur sehr begrenzt möglich erscheint.[35] Dem ist auch, unabhängig von noch zu erörternden Fragen der Normadressateneigenschaft oder der Tauglichkeit als Strafrechtsperson,[36] zuzustimmen. Im Hinblick auf den Gegenstand vorliegender Untersuchung erschiene es nämlich durchaus problematisch, den Unternehmensbegriff auf ein gegenständliches Substrat wie z. B. das Unternehmensvermögen zu reduzieren. Abgesehen von den erörterten Andeutungen durch Gesetzgeber, Rechtsprechung und Literatur, die auf die Rezeption des Unternehmens als „wesensmäßige Gesamtheit“[37] und Rechtssubjekt im Strafrecht schließen lassen, fehlt diesem Begriff noch die entscheidende Kontur. Die dargestellte praxisorientierte, den Bedürfnissen des Wirtschaftsrechts angepasste Definition umgeht nämlich beispielsweise die bedeutsame Frage, ob das Wesen der Korporation die bloße Addition der Einzelmitglieder ist oder ein sich davon abhebendes eigenständiges Gebilde darstellt. Inwiefern Struktureigenschaften des Unternehmen, die vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig sind, eine Rolle spielen und ob das Unternehmen in seiner „realen“ – also nicht nur normativ fingierten – Existenz als Adressat von strafrechtlichen Pflichten innerhalb der Rechtsgemeinschaft anzusehen ist, wird also Gegenstand weiterer Überlegungen sein; hierbei wird auch die gesamtwirtschaftliche Funktion des Unternehmens eine Rolle spielen.[38] Relevant wird zudem, inwieweit die „funktionalen Grenzen der Organisationsmodelle Hierarchie und Vertrag“[39] die im Gesellschaftsrecht unverzichtbar sind, um über die Leitungs-, Kontroll- und Mitbestimmungsbefugnisse zu entscheiden, für das Strafrecht eine Rolle spielen. Es ist offensichtlich, dass schon die Haftungsfrage anders zu beurteilen ist, je nachdem, ob ein gefährliches Produkt durch ein Vertragsnetzwerk, durch einen korporativen Akteur Unternehmen oder durch eine ausgegliederte, schwach kapitalisierte Tochtergesellschaft verursacht wird; dies gilt erst recht für strafrechtliche Folgerungen. Für die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wird bedeutsam sein, inwiefern die „Eigentümer“ – also die Anteilseigner – einzubeziehen sind,[40] ob ein „System“ aus sich heraus auf die Unternehmensmitglieder wirken kann, inwiefern bestimmte Unternehmensmechanismen überhaupt beherrschbar sind und welchen Zwängen das Unternehmen als korporativer Akteur bzw. seine Mitglieder unterliegen. Wird das Unternehmen – wie bislang von der Rechtsprechung[41] – als hierarchisch-strukturierte Einheit mit regelhaften Abläufen verstanden, leiten sich hieraus andere Prämissen ab als von der Vorstellung einer heterarchen oder flexiblen Struktur.
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An dieser Stelle ist somit festzuhalten: Lediglich der Begriff Unternehmen stellt einen geeigneten sprachlichen Kontext für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand dar. Mit ihm wird deutlich, dass ein Tat- und nicht nur ein Täterstrafrecht Bezugsrahmen ist und entsprechend der topos der Wirtschaft(skriminalität) entscheidende Bedeutung gewinnen kann; die Begriffe Kollektiv[42] und Verband[43] erwiesen sich insofern als untauglich. Der Begriff Unternehmen trägt aber auch dem Gedanken Rechnung, dass die Gründe, die für oder gegen eine Unternehmensstrafe sprechen, mitunter in der spezifischen Differenz zwischen Verband und Mensch liegen; ein Umstand, der über den Begriff „juristische Person“ nicht zu erfassen ist. Schließlich ist der begriffliche Rahmen weit genug, um unterschiedliche Kriminalitätsfaktoren in die Untersuchung einzubeziehen, denn als große Produktionsstätte und wirtschaftlicher Kontext kann das Unternehmen auf den einzelnen neutralisierend wirken ebenso wie es als Organisationseinheit dem Einzelunternehmer entgleiten kann oder als Wirtschaftsakteur womöglich selbst kriminogen wirkt. Die Konturen des Begriffes wurden aber bislang lediglich skizziert, die Schattierungen werden im Laufe der folgenden Überlegungen zu erarbeiten sein.[44]