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Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › A. Einführung

A. Einführung

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Blackstone scheint in obigem Zitat ein anderes Unternehmen vor Augen gehabt zu haben als dasjenige, das Anlass für eine nicht abreißende Kontroverse über die Unternehmensstrafbarkeit ist. Das Unternehmen, dem lediglich eine Hilfsfunktion bei der Bewältigung komplexer gesellschaftlicher Aufgaben zukam um die gesellschaftliche Prosperität zu erhöhen, kann heute global player sein. Als corporate citizen spielen Unternehmen eine gesellschaftlich sogar so herausragende Rolle, dass ihre Macht mit der von Staaten oder Religionen verglichen wird.[1]

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Die Geburt des modernen Unternehmens im industriellen Zeitalter[2] ließ kaum vermuten, was aus dieser Schöpfung des Wirtschaftslebens erwachsen würde: Unternehmen waren anfangs in ihren Interaktionsmöglichkeiten sehr beschränkt, da sie, mit einem konkreten Unternehmenszweck ausgestattet, nur für eine mit dem Zweck in Zusammenhang stehende, begrenzte Zeit existierten, die Höhe der Kapitalisierung festgeschrieben und die persönliche Haftung der Anteilseigner vorgesehen war. Mit Vordringen der Idee einer „beschränkten Haftung“ der Anteilseigner[3] entwickelte sich eine auf Dauer angelegte, organisierte Wirtschaftseinheit, die durch Anerkennung als juristische Person an Interaktionsmöglichkeit gewann und eine immer größer werdende Akkumulation an Kapital und Information darstellte.[4] Die Träger dieser Einheiten waren ursprünglich die Unternehmer, also jene im 18. und 19. Jahrhundert noch als „Fabricanten“ oder „Entrepreneur“ bezeichneten Menschen, die neben der Bereitstellung des notwendigen Kapitals auch die Verwaltung der Mittel für geschäftliche Zwecke, den Entwurf des Betriebsplans und die Beaufsichtigung der Erwerbsgeschäfte zur Aufgabe hatten. Aus diesen „heroischen Erneuerern“,[5] die nach dem Ideal des ehrbaren Kaufmanns oder umsichtigen Buchhalters das Gemeinwohl förderten und als treibende Kraft einer Gesellschaft galten, wurden Ende des 20. Jahrhunderts Mehrheiten von Anteilseignern. Damit ging eine Veränderung der Kernkompetenzen des Unternehmers vom lenkenden Eigentümer zum angestellten Manager einher, die einen veränderten Unternehmertyp hervorbrachte.[6] Die Annahme des Unternehmens als eigenes Rechtssubjekt bis hin zur Anerkennung als Person, die ideologisch aufgeladen werden kann, waren schließlich die Folge des Wunsches einer leichteren Interaktion auf dem Markt.[7] Und die so entwickelte, effektive und flexible Institution scheint der Gesellschaft nun auch Schaden zufügen zu können.[8]

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Die vorliegende Arbeit setzt an diesem Paradoxon an und stellt trotz einer Fülle von systematischen Überlegungen im thematischen Umfeld „Unternehmen und Strafrecht“ die Frage nach Unternehmenskriminalität neu, um zu wenig beachtete Zusammenhänge zu berücksichtigen. Insbesondere die Prämisse, dass Unternehmen Täter – und damit Kriminelle – sein können, scheint noch nicht ausreichend beleuchtet. Allein die Tatsache, dass Unternehmen als komplexe Organisationen ein größeres Machtpotential in sich vereinigen, bedeutet noch nicht, dass sie dieses Machtpotential bewusst zur Deliktsbegehung einsetzen. Gleichwohl ist zu beobachten, dass Unternehmen zunehmend Adressat gesellschaftlicher Erwartungen werden[9] und die Gesellschaft ihnen zunehmend Verantwortung für Rechtsgutsverletzungen und komplexe Risikoverwirklichungen zuschreibt, die jedenfalls im Zusammenhang[10] mit der Unternehmenstätigkeit stehen.

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Die folgenden Überlegungen münden also nicht in einem Bekenntnis für oder gegen den vielfach zitierten Satz societas delinquere non potest, sondern gehen seinen Kernprämissen auf den Grund: die implizite Vorstellung, dass Unternehmen „sich vergehen“ können, dass tatsächlich sie es sind, die sich vergehen und dass sie es in einem strafrechtlich relevanten Sinne auch können.

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Bei dieser Herangehensweise gilt es besonders, zwischen Sein- und Sollensaussagen zu unterscheiden,[11] da gerade hier der Hang zum „anthropomorphen Denken“[12], das die juristische Person und ihre Organe hervorbrachte, zu naturalistischen Fehlschlüssen und einem „Aufdrängen“ der individualstrafrechtlichen Strukturen auf ein viel komplexeres Phänomen führt, das damit letztendlich eben jene Strukturen schwächt. Andererseits scheint die Gefahr des normativistischen Fehlschlusses, also einer Argumentationsweise, die von normativen Prämissen vorschnell zu Gestaltungsempfehlungen gelangt, ohne dass den empirischen Bedingungen hinreichend Beachtung geschenkt wurde, in letzter Zeit unterschätzt worden zu sein.[13] Aus positivistischer Sicht ist es ohne weiteres möglich, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens zu statuieren.[14] Positivistische Freiheit allein ist jedoch ein schwaches Argument, denn obgleich das Recht seine Richtigkeit niemals beweisen kann, scheint Legalverhalten stabiler, wenn es aus Einsicht in die Rechtsordnung erfolgt, mithin eine Internalisierung der Rechtsnormen wahrscheinlich ist. Hieraus folgt, dass die Wirklichkeit berücksichtigt werden muss. Kriminalpolitische Entscheidungen müssen nicht nur ihre Gerechtigkeit gewährleisten, sie müssen auch „rechtfertigen, dass sie ihrem Gegenstand angemessen sind, dass sie ihn zur Kenntnis genommen und verstanden haben“.[15]Hassemer ist zuzustimmen, dass nicht nur eine normative, sondern auch eine empirische Aufgabe zu erfüllen ist und beide ernst genommen werden müssen.[16] Desweiteren schließt die Trennung zwischen Sein und Sollen keineswegs aus, empirische Befunde – nach Maßgabe rechtlicher Zwecke – zu berücksichtigen.[17] Normen des positiven Rechts sind zwar „beliebig bestimmt, aber nicht beliebig bestimmbar“,[18] denn nur so werden „die nötige Bodenhaftung“ und vor allem „pragmatische Grenzen“ für normative dogmatische Konzeptionen gewährleistet, die in der Gesellschaft verständlich sein müssen, um operabel und akzeptabel zu sein.[19]

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Es wird vorliegend also nicht dem rechtspolitischen „Megatrend“ gefolgt, der sich hinsichtlich der Unternehmensstrafe von der Frage des „ob“ zunehmend auf die Frage des „wie“ verlagerte.[20] Es wird mit dem „ob“ angefangen. Ein Ziel der Untersuchung ist es daher herauszufinden, welche Rationalität dem Unternehmen tatsächlich unterstellt werden kann und welche Konsequenzen sich daraus für eine strafrechtliche Bewertung der Unternehmenskriminalität ergeben. Dabei wird zunächst das Phänomen der Unternehmenskriminalität konkretisiert und die strafrechtsrelevanten Aspekte identifiziert. In einem nächsten Schritt werden die gewonnenen Erkenntnisse in Beziehung gesetzt zu den Regelungsstrategien, die das Strafrecht de lege lata aufweist, aber auch zu den Konzepten, die neue strafrechtliche Wege in Richtung eines Unternehmensstrafrechts vorschlagen. Schließlich soll in einem letzten Schritt eine eigene Konzeption entworfen werden, die insbesondere der Wechselwirkung zwischen den Ebenen des Individuums und der Entität Rechnung trägt und sie auf Sanktionsebene berücksichtigt. Für ein so komplexes Untersuchungsziel, das sowohl kriminologische Begriffsklärung als auch dogmatische Grundfragen und schließlich praktische Konsequenzen mit einbeziehen soll, müssen insbesondere soziologische und ökonomische Erkenntnisse berücksichtigt werden, um weder die kriminologische Analyse noch die strafrechtliche Bewertung „an der Komplexität des Unternehmens vorbei“ zu entwerfen. Der aktuelle kriminalpolitische Druck bleibt dabei zweitrangig, denn trotz aller Modernitätsansprüche[21] und dem Bemühen um pragmatische Ergebnisorientierung:[22]Hefendehl ist durchaus darin zuzustimmen, dass das, „was das Strafrecht in den Augen der Allgemeinheit oder der Rechtspolitik leisten soll und was es tatsächlich leisten kann“, unter Umständen stark divergieren kann.[23]

Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?

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