Читать книгу Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy - Страница 78
Anmerkungen
Оглавление„Rationale Überlegung“ heißt im vorliegenden Fall nicht „objektiv rational“ im Sinne einer auf vollständigen Informationen basierenden Entscheidung, sondern eine subjektive Einschätzung des Individuums bezüglich seines durch legale oder illegale Mittel befriedigten Eigeninteresses (Erreichung seiner Ziele) in Hinblick auf die durch die Entscheidung für den illegalen Weg drohenden Sanktionen.
Vgl. hierzu v. Hayek ORDO 1947, 19 (33).
Vgl. hier auch Schneider NStZ 2007, 555 (559), der von einer „culture of competition“ als strukturelle Rahmenbedingungen des Wirtschaftslebens spricht.
Damit wird im Wesentlichen einem Menschenbild gefolgt, das auch dem Erklärungsversuch Lees zugrunde liegt, der ebenfalls Neutralisierungstechniken im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität aus soziologischer Perspektive betrachtete; es ist im Wesentlichen von drei Merkmalen bestimmt: (1) Der Mensch ist ein egoistisches Wesen. Ihm wohnt von Geburt an ein instinktives Verlangen inne, durch das er sich um sich selbst und um sein Überleben kümmert. Bereits der Embryo nimmt von seiner Mutter soviel Nahrung, wie er braucht, selbst wenn es dadurch der Mutter an Nahrung mangeln würde. Dieses instinktive Verlangen bleibt in der Entwicklung des Menschen erhalten, auch wenn es in der Erscheinungsart freilich variiert. Ein Kleinkind entwickelt neben Nahrungsbedürfnissen auch solche nach Anerkennung, oftmals in Konkurrenz zu Geschwistern, und erhebt Anspruch auf seinen Besitz. Zwar werden diese Verhaltensweisen im Laufe der Sozialisation zurückgedrängt und verlieren ihre teils primitive oder sichtbare Ausprägung, gehen jedoch nicht vollständig verloren. (2) Der Mensch ist imstande, rational zu denken. In einer späteren Lebensphase und durch die Sozialisation gefördert entwickelt der Mensch die Fähigkeit des rationalen Denkens, welche das Bindeglied zwischen Ziel und Handlung darstellt. Die Konzeption des Menschen als einem, der rational im Sinne des eigenen Interesses handelt, wurde schon in der „Theorie des homo oeconomicus“ entworfen und unter Rn. 125 relativiert. Schließlich ist er gleichzeitig (3) ein soziales Wesen, das sich normalerweise normentsprechend verhält. Vgl. im Einzelnen Lee Soziale Probleme 1995, 25 (45 ff.).
Vgl. die Ergebnisse unter Rn. 58.
Auch Lee beschreibt diese Situation ausführlich, in der das individuelle Anliegen der Vermehrung von Lust und der Vermeidung von Unlust, welche durch das Erreichen oder Verfehlen der oben angeführten Ziele ausgelöst werden. Spannungssituationen sind als eine Art von intrapsychischen Prozessen anzusehen, die innerhalb des Menschen ablaufen. Sie führen nicht unmittelbar zu kriminellen Handlungen, weil Menschen kraft des oben beschriebenen Normbewusstseins davon abgehalten werden können; jedoch sind es Momente, in denen die Menschen leichter als sonst zu Kriminalität motivierbar sind. Vgl. Lee Soziale Probleme 1995, 25 (46).
Vgl. hierzu die Sachverhaltsdarstellung in der „Ledersprayentscheidung“ in BGHSt 37, 106. Vgl. auch die Beobachtungen von Wells Corporations and Criminal Responsibility, S. 67 in Bezug auf corporate crime.
Der Delinquent verschiebt seine Aufmerksamkeit von seinen eigenen abweichenden Akten auf die Motive und das Verhalten derjenigen, die seine Verfehlungen missbilligen.
Sykes/Matza American Sociological Review 1957, 664 (666)
Vgl. Coleman American Journal of Sociology 1987, 406.
Vgl. Cressey Other people's money, S. 96 ff. und ausführlich zu den Überlegungen Colemans in diesem Zusammenhang: Schneider NStZ 2007, 555 (560 ff.).
Coleman American Journal of Sociology 1987, 406 (409 ff.)
Unter Normbewußtsein wird hier mit Lee „eine Art von intrapsychischer Kontrollinstanz, die infolge der Verinnerlichung sozialer Normen und Werte im Verlaufe des Sozialisationsprozesses entsteht, Individuen ermöglicht, Handlungen und Einstellungen zu bewerten, und die darüber hinaus die Individuen von negativ einzuschätzenden Handlungen abhält“, verstanden; vgl. im Einzelnen Lee Soziale Probleme 1995, 25 (45).
Vgl. oben Rn. 79 ff.
Zu diesen arbeitsplatzbezogenen Subkulturen vgl. Coleman American Journal of Sociology 1987, 406 (422); sich hierauf ebenfalls beziehend: Schneider/John/Hoffmann Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen, S. 6. Vgl. im Kontext der Kriminalität der Mächtigen und dem ElfAquitäne Skandal Schmitt-Leonardy MschrKrim 2011, 34 (45 ff.).
Sykes/Matza in: Kriminalsoziologie, S. 360 (360 ff.)
Dem begegnet Schneider mit seinen Forschungen zum Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen, die er in seinem Leipziger Verlaufsmodell zu einem theoretischen Konzept verdichtete, um später eine Tätertypologie in die Diskussion einzuführen. Nach Schneider sind folgende idealtypischen Konstellationen zu unterscheiden: (1) Täter mit „wirtschaftskriminologischem Belastungssyndrom“, (2) Krisentäter, (3) Abhängige und (4) Unauffällige. Vgl. im Einzelnen Schneider/John/Hoffmann Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen, S. 14 und Schneider NStZ 2007, 555 (559 ff.).
Coleman in: White-Collar Crime, Classic and Contemporary Views, S. 360 (363); ausführlich auch in Coleman American Journal of Sociology 1987, 406 (406 ff.).