Читать книгу Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy - Страница 85
1. Wirtschaftsstraftäter im Unternehmen
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Da die Kriminologie sich vornehmlich um menschliches Fehlverhalten dreht und das Individuum im Zentrum der Aufmerksamkeit (wirtschafts-)kriminologischer Forschung steht, stellt sich als erstes die Frage nach der Wirkung des Unternehmens auf den darin integrierten Menschen. Die kriminelle Verbandsattitüde[1] oder die organisierte Unverantwortlichkeit[2] – als die prominentesten kriminalpolitischen Argumente – implizieren zunächst einen kriminogenen Kontext, der dann dem Unternehmen aus verschiedenen Gründen zurechenbar sein könnte.
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Diesen Wirkmechanismen des Unternehmens auf das Individuum und das Unternehmen als kriminogenen Kontext in Erwägung zu ziehen bedeutet eine Abwendung von der individuumzentrierten Herangehensweise hin zur Untersuchung makrokrimineller Zusammenhänge. Schon nach den bisherigen Betrachtungen ist die Beeinflussung des Individuums im Unternehmen plausibel. Es würde gleichwohl eine kaum überzeugende phänomenologische Reduktion der Unternehmenskriminalität darstellen, aus dem Umstand, dass Mitarbeiter von „ihrer Firma“ sprechen,[3] eine arbeitsvertragliche Unterordnungspflicht besteht und festgestellt wurde, dass Wirtschaftsstraftaten überwiegend im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit begangen werden, auf eine kriminogene Wirkung der Eingliederung in das Unternehmen zu schließen. Braithwaites Annahme, dass Unternehmenskriminalität nicht mit perversen Persönlichkeiten der handelnden Individuen erklärt werden könne, und seiner Forderung, den Faktoren Aufmerksamkeit zu widmen, die „gewöhnliche Menschen“ verleiteten „außergewöhnliche Dinge“ zu tun, werden im Folgenden besondere Aufmerksamkeit geschenkt.[4] Zur Ergänzung der frühen kriminologischen Untersuchungen Sutherlands, die zwar im Unternehmenskontext erfolgten, aber eine allgemeine Theorie zur Erklärung von individueller Kriminalität nach sich ziehen sollten, wird der Bogen zunächst sehr weit gespannt und theoretische Konzepte der Makrokriminalität betrachtet. Ineinandergreifende Lern- und Neutralisierungsmechanismen spielen im Zusammenhang mit Kriegen, Staats- und Gruppenterrorismus oder totalitärer Herrschaft eine Rolle; sie waren Gegenstand intensiver sozialpsychologischer Studien. Diese Erkenntnisse, die den Aktionszusammenhang, in dem die individuelle Tat gesehen werden muss, in den Mittelpunkt stellen, sollen auch hier fruchtbar gemacht werden,[5] denn in beiden Kriminalitätszusammenhängen steht ein Kollektiv – und nicht ausschließlich das Individuum – im Zentrum der Aufmerksamkeit und desweiteren nicht die Abweichung des Individuums, sondern die Konformität desselben als der wesentliche Kriminalitätsfaktor.