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Der Aufstieg des Nationalsozialismus und die Folgen

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Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Er und seine im Jahr 1919 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), hatten einen kometengleichen Aufstieg erlebt. Die NSDAP hatte im Reichstag von 1928 erst nur zwölf Sitze inne, verfügte aber im Juli 1932 über nicht weniger als 232 Mandate. Ironischerweise hatte Anfang 1933 die Anziehungskraft der Partei auf ihre Wähler offensichtlich abgenommen, und als Präsident Hindenburg und Ex-Kanzler Franz von Papen Hitler anboten, Reichskanzler zu werden, so geschah dies in dem Irrglauben, es würde ihnen zusammen gelingen, den Störenfried und seine Partei unter Kontrolle zu halten. Nichts hätte jedoch der Wahrheit ferner liegen können, da Hitler sehr bald begann, das demokratische System und seine Einrichtungen, die ihn selbst an die Macht gebracht hatten, zu beseitigen und ein totalitäres Regime an ihrer Stelle aufzubauen.

Das Zusammentreffen vieler Faktoren hatte zu dieser Situation geführt: der Vertrag von Versailles und die sich daraus ergebenden Gebietsverluste, die Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erlitten hatte; die durch eine rasche Abfolge kurzlebiger Regierungen verursachte Instabilität der Weimarer Republik; die Hyperinflation von 1922 bis 1923 und die Weltwirtschaftskrise ab 1929; die relative Schwäche der übrigen politischen Parteien und insbesondere die Uneinigkeit der beiden großen Arbeiterparteien, der Sozialdemokraten und der Kommunisten, angesichts der wachsenden Bedrohung durch die Faschisten; und nicht zuletzt die finanzielle Unterstützung, die Hitler von reichen deutschen Industriellen erhielt. Hitlers Hetzreden, in denen er, unter anderen Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden angriff, spielten ebenfalls eine entscheidende Rolle.

Indem er gerade die Juden zum Sündenbock für Deutschlands Probleme machte, konnte Hitler sich auf eine lange antisemitische Tradition aus religiösen, |25|kulturellen und rassischen Gründen berufen, dies schon seit vielen Jahrhunderten in Deutschland und in ganz Europa bestanden hatte. Die Situation der Juden in Deutschland hatte sich scheinbar im 19. Jahrhundert verbessert, als die bis dahin für sie geltenden gesetzlichen Beschränkungen aufgehoben wurden. Aufgrund ihrer Emanzipation waren die Juden nun in der Lage, sowohl Berufe auszuüben, die ihnen bis dahin verschlossen gewesen waren, als auch sich innerhalb der gesamten deutschen Gesellschaft zu etablieren, von der sie ein weitgehend assimilierter Teil wurden. Sie sahen sich selbst zuallererst als Deutsche: Deutsche jüdischen Glaubens. Eine große Anzahl jüdischer Soldaten, mindestens 100.000, hatten im Ersten Weltkrieg im deutschen Heer gekämpft und waren häufig für ihre Verdienste ausgezeichnet worden; über 10.000 deutsche Juden fielen im Kampf für Deutschland. Mehr als alles andere machte gerade dieser hohe Grad an Assimilierung vor 1933 den systematischen Ausschluss der Juden aus der deutschen Gesellschaft nach 1933 für sie selbst so schockierend. Dennoch war die scheinbare Assimilierung trügerisch, da sogar während der liberalen Reformen des 19. Jahrhunderts eine antisemitische Grundströmung geblieben war. Diese hatte sich als Reaktion auf die von den Antisemiten als unverhältnismäßig angesehene Prominenz der Juden in manchen Berufszweigen, im kulturellen Leben und im Finanzwesen und auf die nachfolgenden politischen und wirtschaftlichen Desaster, die den Juden ganz ohne Grund zur Last gelegt wurden, zunehmend verstärkt.

1933 lebten ungefähr 525.000 Deutsche jüdischen Glaubens überwiegend in den großen Städten: z.B. 160.564 in Berlin (oder 3,8 % der Bevölkerung), 26.158 in Frankfurt (4,7 %) und 20.202 in Breslau (3,2 %).1 Der Ausgrenzungsprozess begann frühzeitig. Bereits am 7. April 1933 schloss das sogenannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ alle „Nichtarier“ von Berufen im deutschen Staatsdienst aus. Auch Lehrer und Universitätsdozenten waren betroffen. Vergleichbare Maßnahmen, die eine Berufsgruppe nach der anderen betrafen, wurden systematisch und in schneller Abfolge erlassen.2

Gleichzeitig hatte die Verfolgung von politischen Gegnern des Regimes begonnen, und das erste Konzentrationslager wurde im März 1933 in Dachau errichtet. Sowohl politische Gefangene als auch Juden – die beiden Gruppen schlossen sich keineswegs gegenseitig aus – wurden in das Lager überführt. Obwohl Dachau und andere bald nachfolgende Lager keine „Vernichtungslager“ waren, erwies sich die Behandlung der Inhaftierten als so brutal, dass sie oft zu Selbstmord und Tod führte. Das zweite Lager, Sachsenhausen, in dem William Kaczynskis Vater später festgehalten werden sollte, wurde 1936 und das dritte |26|Lager, Buchenwald, 1937 eröffnet. Obwohl Buchenwald ausdrücklich nicht als „Vernichtungslager“ angelegt war, gab es dort dennoch eine große Anzahl an Todesfällen. Schätzungsweise 56.000 der vielleicht 250.000 Gefangenen, die dort zwischen 1937 und 1945 eingesperrt waren, starben.3

Abb. 5 zeigt eine Postkarte eines Häftlings im Konzentrationslager Buchenwald, die in der linken oberen Ecke seinen Namen, seine Nummer und seinen Block angibt. Sie wurde am 11. August 1938 aufgegeben, ein Jahr nachdem das Lager eröffnet worden war. Georg Berger schickte sie an Sidi Berger in Ratibor in Oberschlesien, ein Gebiet, das zu dieser Zeit Teil des Deutschen Reichs war, aber 1945 an Polen abgetreten wurde. Die Beschränkungen der postalischen Kommunikation in und aus dem Lager waren ziemlich streng, wie sich aus den auf der Postkarte selbst abgedruckten Bedingungen ergibt:

Jeder Häftling darf im Monat 2 Briefe oder 2 Postkarten empfangen und auch absenden. Die Briefzeilen müssen übersichtlich und gut lesbar sein. Postsendungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, werden nicht zugestellt bezw. befördert. Pakete jeglichen Inhalts dürfen nicht empfangen werden. Geldsendungen sind zulässig; es kann im Lager alles gekauft werden. Nationalsozialistische Zeitungen sind zugelassen, wenn dieselben unter Streifband direkt vom Verlag geschickt werden.

In der Zwischenzeit wurden rasch weitere, eigens gegen die Juden gerichtete Gesetze erlassen: die zwischen 1933 und 1935 verabschiedeten antijüdischen Gesetze, die die deutschen Juden ihrer Bürgerrechte beraubten, und sie zu Bürgern zweiter Klasse degradierten, wurden in den Nürnberger Gesetzen von 1935 institutionalisiert. Unter den diskriminierenden Maßnahmen, die nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze ergriffen wurden, um Juden besonders kenntlich zu machen, war eine Bestimmung, die am 17. August 1938 in Kraft trat und Juden dazu zwang, einen zusätzlichen „jüdischen Namen“, normalerweise „Israel“ oder „Sara“, anzunehmen.

Abb. 6 zum Beispiel ist ein Umschlag, der 1941 von Deutschland in die Schweiz geschickt wurde und der, wie vorgeschrieben, den Namen der Absenderin als „Friederike Sara von Cleef“ wiedergibt. Auf dem Umschlag befindet sich ebenfalls der Name eines Rechtsanwalts, der ausdrücklich „nur zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden“ zugelassen war.

Abb. 7 zeigt ein weiteres Beispiel für dasselbe Phänomen: ein Umschlag, der am 3. Oktober von zwei Leipziger Juden, Fricka „Sara“ Auerbach und Albert |28|„Israel“ Hirschfeld, nach Bolivien verschickt wurde. Beim Empfänger handelte es sich, dem Namen nach zu urteilen, sehr wahrscheinlich um einen deutschen Flüchtling. Der Brief war von zwei deutschen Zensoren geöffnet und untersucht worden.


Abb. 5


Abb. 6


Abb. 7

Sieben Wochen nach Einführung dieser Maßnahme wurde am 5. Oktober 1938 eine weitere diskriminierende Regelung erlassen, die vorschrieb, auf jüdische Pässe und Kennkarten ein großes rotes „J“ zu stempeln, wie Abb. 8 veranschaulicht. Hierbei handelt es sich um den Kinderausweis, des damals dreijährigen William Kaczynski, der am 16. Juni 1939 in Berlin ausgestellt worden war, ungefähr einen Monat bevor die Familie Kaczynski nach Großbritannien fliehen sollte. Diese Maßnahmen können als Vorläufer des berüchtigten gelben Sterns angesehen werden, der am 1. September 1941 in Deutschland zur leichteren Identifizierung der Juden eingeführt wurde.

Nicht nur Menschen wurden gezwungen, sich einem Namenswechsel zu unterziehen. In Deutschland wurde jeder jüdisch klingende Straßenname „arisiert“. Hierbei handelte es sich um das Gegenstück zu den oben beschriebenen, obligatorischen Namenszusätzen. Sogar das nach dem berühmten Begründer |29|der Hamburg-Amerika-Linie benannte Schiff Albert Ballin wurde am 31. August 1935 in Hansa umbenannt. Abb. 9 zeigt eine vom Schiff abgeschickte Postkarte aus der Zeit vor dem August 1935, die den Handstempel „Albert Ballin HAL“ trägt. Abb. 10 zeigt zwei Ansichtskarten – eine frühere und eine spätere – |30|auf denen dasselbe Schiff, jedoch mit den zwei unterschiedlichen Namen abgebildet ist.


Abb. 8


Abb. 9


Abb. 10

Interessanterweise ehrte die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1957, etwa 22 Jahre nach der erzwungenen Namensänderung, Albert Ballin durch die Herausgabe einer Briefmarke mit seinem Porträt und dem nach ihm benannten Schiff im Hintergrund (Abb. 11).

Die Verfolgung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland spitzte sich am 9. und 10. November 1938 in der „Reichskristallnacht“ zu. In dieser Nacht schrecklicher Gewalt wurden mehr als 1000 Synagogen niedergebrannt oder verwüstet und die Fenster Zehntausender jüdischer Häuser, Läden und Wohnungen eingeschlagen.4

91 Juden kamen ums Leben, während mehr als 30.000 jüdische Männer zwischen 16 und 60 Jahren, 25 % der in Deutschland verbliebenen, jüdischen Männer, |31|festgenommen und in Konzentrationslager geschickt wurden, wo Hunderte als Häftlinge starben. Abb. 12 ist ein Umschlag, der am 8. November 1938, einen Tag vor dem Pogrom, an die NSDAP in Berlin-Wilmersdorf geschickt wurde. Diese Nacht des Terrors überzeugte schließlich viele deutsche und österreichische Juden, die vorher ihr Heim und ihr Land nicht verlassen wollten, dass ihr Leben und das ihrer Familien tatsächlich in Gefahr war und ihnen nicht mehr viel Zeit zur Auswanderung verblieb.


Abb. 11


Abb. 12

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