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Die Galapagos-Finken

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Im September 1831 erhielt der 22-jährige Darwin, der gerade sein Theologiestudium in Cambridge abgeschlossen hatte, überraschend die Einladung, sich als unbesoldeter Naturforscher einer Weltreise mit dem Vermessungsschiff HMS Beagle anzuschließen. Dem Studium der Natur galt Darwins eigentliches Interesse. Schon als Junge sammelte er Insekten, Muscheln und Vogeleier. Während seines Studiums in Edinburgh und Cambridge besuchte er in seiner Freizeit Vorlesungen über Geologie, Botanik und Zoologie. In Cambridge freundete er sich mit dem Botanikprofessor John Henslow an, mit dem er mehrfach an Feldexkursionen teilgenommen hatte. Henslow empfahl ihn Robert Fitzroy, dem Kapitän der Beagle. Der erst 27-jährige, streng gläubige Fitzroy war anfangs nicht von Darwins Eignung überzeugt. Als Anhänger der damals beliebten Physiognomik hatte er Zweifel, ob jemand mit einer so großen Nase, wie sie Darwin hatte, genug Energie und Willenskraft für die Reise besaß. Schließlich und endlich ließ er sich überreden.

Die Beagle, ein bescheidener Dreimaster, stach am 27. Dezember 1831 zu einer fünfjährigen Weltreise von Plymouth aus in See. Sie hatte den Auftrag, für die englische Admiralität die Küsten von Südamerika zu kartieren. In seiner Autobiographie sollte der alte Darwin später schreiben, diese Reise sei das „weitaus wichtigste Ereignis“ seines Lebens gewesen. Während die Kartographen ihre Arbeit machten, ging Darwin an Land und studierte die Flora und Fauna. Die denkwürdigsten Erkundungen fanden im Zeitraum zwischen dem 15. September und dem 20. Oktober 1835 statt, als die Beagle bei den Galapagos-Inseln vor Anker lag, einem tausend Kilometer westlich vor Ecuador in Äquatornähe im Pazifik gelegenen vulkanischen Archipel, deren ursprüngliche Pflanzen- und Tierwelt – unter anderem Riesenschildkröten (galápago ist das spanische Wort für Schildkröte) und Meeresleguane – bei Darwin einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ.

Auf seinen Erkundungen war Darwin durchaus nicht abgeneigt, für seine Sammlung interessante Tiere abzuschießen – er war ein begeisterter Jäger – oder mit seinem geologischen Hammer zu erschlagen. Dieses Schicksal ereilte auch viele Vögel der Inselgruppe, die Darwin für die lange Rückreise nach England präparierte. Anfangs vermutete er, er habe auf den Inseln unter anderem Drosseln, Amseln und Zaunkönige gefangen, erst nach seiner Rückkehr nach England stellte sich heraus, dass er sich geirrt hatte. John Gould, der Ornithologe der Londoner Zoological Society, entdeckte, dass es sich fast ausschließlich um Finkenarten handelte. Leider hatte Darwin die Vögel nicht nach Inseln klassifiziert, sondern alle auf einen Haufen geworfen. Gould brachte Ordnung in das Chaos. Die Galapagos-Finken sowie unzählige andere Exemplare lebender und fossiler Organismen, die Darwin auf seiner Reise gesammelt hatte, sollten ihren letzten Ruheplatz im Londoner Natural History Museum finden. Dort werden die Präparate heute in Gläsern, Vitrinen und Schubladen, weit entfernt vom großen Publikum, wie Kronjuwelen gehütet.


Abb. 1.1.: Einige von John Gould gezeichnete Darwinfinken. Jede Art besitzt einen an die Nahrung wie Samen oder Insekten angepassten Schnabel.

Die Bedeutung der Finken lag in der Tatsache, dass sie Darwin einen Hinweis gaben auf die Veränderlichkeit der Arten. Die Tiere und Pflanzen auf den Galapagos-Inseln waren nämlich in mancherlei Hinsicht einzigartig. Viele Arten kamen nirgendwo sonst auf der Welt vor, manche sogar nur auf einer einzigen Insel des Archipels. Am deutlichsten zeigte sich das bei den Finken. Auch sie waren von Insel zu Insel verschieden. Vor allem Form und Größe der Schnäbel variierte stark. Auf einer Insel waren sie lang und spitz, auf einer anderen kurz und dick. Darwin erkannte, dass diese Unterschiede mit dem spezifischen Nahrungsangebot auf den einzelnen Inseln zu tun haben mussten, von denen manche an die hundert Kilometer voneinander entfernt sind. Die Finken hatten sich nach und nach an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst, und durch die geographische Trennung waren im Lauf der Zeit verschiedene Arten entstanden. Die Vögel mit einem langen, spitzen Schnabel waren spezialisierte Insektenfresser und Nektartrinker, während sich diejenigen mit einem kurzen, dicken Schnabel auf das Knacken von Nüssen und Samen verlegt hatten (Abb. 1.1). Es gab auch spechtartige Finken, die ihren starken Schnabel als Schlagbohrer einsetzten, wieder andere stocherten mithilfe eines Kaktusstachels nach Larven im morschen Holz. Spätere Forscher entdeckten sogar einen „Vampirfinken“, der mit seinem spitzen Schnabel die Haut anderer Tiere aufpickt und ihr Blut trinkt.

Heute unterscheidet man insgesamt dreizehn als „Darwinfinken“ bezeichnete Arten. Ihre Vielfalt zeigt, dass neue Arten relativ schnell entstehen können. Genetische Untersuchungen ergaben, dass die Arten nah miteinander verwandt und also auf dem Archipel evolviert sind, möglicherweise in einem Zeitraum von nur wenigen zehntausend Jahren. Irgendwann einmal muss ein Sturm oder eine kräftige Brise einige Individuen vom Festland zum Archipel getragen haben. Auf den Inseln entwickelten sie sich zu verschiedenen Arten, jede mit eigener Nahrungsvorliebe und einem speziell dafür ausgerüsteten Schnabel. Evolutionsbiologen nennen ein solches Phänomen „adaptive Radiation“, die Aufspaltung einer Stammart in neue Arten durch geographische Trennung und Besetzung neuer ökologischer Nischen. Auf seiner Reise mit der Beagle waren Darwin die Implikationen seiner Entdeckungen noch nicht bewusst, erst später sollten die Finken ein wichtiger Trumpf bei der Verteidigung seiner Evolutionstheorie werden.

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