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Die moderne Synthese

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In den Zwanziger- und Dreißigerjahren meldete sich eine neue Generation zu Wort, die die Annäherung der beiden Lager ernsthaft in Angriff nahm. Neue experimentelle und theoretische Forschungen sollten die Animosität in den Hintergrund drängen und die Reihen wieder schließen. Die Zusammenführung des Darwin’schen und des Mendel’schen Modells ist größtenteils zwei aufeinander folgenden Dreigespannen zu verdanken. Ihr Einsatz führte schließlich zur Entstehung der modernen Evolutionsbiologie, auch als Neodarwinismus oder „moderne Synthese“ bezeichnet. In den Zwanzigerjahren bestand das erste Dreigespann aus dem britischen Mathematiker und Biologen Ronald A. Fisher, dem britischen Genetiker John B. Haldane und dem amerikanischen Biologen Sewall Wright. Ihr größtes Verdienst war, dass sie die Evolutionsbiologie mathematisch untermauerten, wozu bereits Mendel den Anstoß gegeben hatte. So entstand eine neue Disziplin innerhalb der Biologie: die Populationsgenetik. Hauptsächlich Haldane und Fisher waren für diese mathematische Wendung in der Evolutionsbiologie verantwortlich. Fisher zeigte unter anderem durch mathematische Analysen, dass sich ein Gen, das einen kleinen Vorteil bietet, sehr schnell durch natürliche Selektion in einer Population ausbreiten kann. Auch der Spezialfall der natürlichen Selektion, nämlich die sexuelle Selektion, kann einen eskalierenden Prozess in Gang setzen. Nach Ansicht Fishers und Haldanes ist Evolution eigentlich nichts anderes als Veränderung in der genetischen Ausstattung einer Population. Wrights Beitrag bestand unter anderem darin, dass er die evolutive Bedeutung kleiner Populationen entdeckte. Die Zusammensetzung des Genbestands einer kleinen Population kann sich durch Zufallsschwankungen viel schneller ändern als die einer großen Population. Wright nannte diese zufällige Änderung „Gendrift“. Gendrift, auch Sewell-Wright-Effekt genannt, spielt bei der Entstehung neuer Arten eine wichtige Rolle. Durch Haldane, Fisher und Wright emanzipierte sich die Evolutionsbiologie. Wie Physiker und Astronomen konnten Biologen künftig die exakte Sprache der Mathematik handhaben.

In den Dreißigerjahren wurde die Synthese der Darwin’schen und der Mendel’schen Erkenntnisse von einem Dreigespann vollendet, das aus dem amerikanisch-russischen Genetiker Theodosius Dobzhansky, dem amerikanischdeutschen Zoologen Ernst Mayr und dem amerikanischen Paläontologen George S. Simpson bestand. Der in Kiew ausgebildete Dobzhansky machte nach seiner Emigration in Amerika bahnbrechende genetische Forschungen über die Taufliege (Drosophila). Sein 1937 veröffentlichtes Buch Genetics and the origin of species verkörpert vielleicht mehr als jedes andere Werk die Verschmelzung von Darwins und Mendels Theorien. Dobzhansky wies unter anderem nach, dass es in jeder Population ein unermessliches Reservoir an Variationen gibt und natürliche Selektion daher ein ununterbrochener Prozess ist. Variation sei die Regel, nicht die Ausnahme, meinte er ganz im Sinne Darwins. Neue biologische Merkmale entstehen nicht nur durch gelegentliche Mutationen, sondern vor allem durch Rekombination (Umgruppierung) genetischer Faktoren als Folge sexueller Fortpflanzung. Dobzhansky war, gemeinsam mit Mayr, auch der geistige Vater des biologischen Artkonzepts (Biological Species Concept oder BSC): Arten entstehen vorwiegend durch genetische Isolation. Mayr legte dar, dass einige wenige Pioniere wie die Galapagos-Finken an der Wiege einer neuen Art stehen können. Im dritten Kapitel gehen wir darauf näher ein. Der Paläontologe Simpson schließlich konzentrierte sich auf die Langzeitwirkung der Evolution. Der Fossilienbestand weise keinen abrupten Übergang von einer Art zur anderen auf. Das Tempo der Evolution könne fluktuieren, doch im Allgemeinen verlaufe sie graduell. Obwohl diese Ansicht von manchen seiner Kollegen bestritten wurde, stimmte sie doch mit dem überein, was Darwin zeitlebens behauptet hatte. Ironischerweise stand die Evolutionsbiologie durch die Anstrengungen einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern den ursprünglichen Ideen Darwins nun viel näher als in der Periode davor.

Die synthetische Theorie der Evolution wurde 1942 symbolträchtig abgeschlossen mit dem Buch Evolution, the modern synthesis des englischen Biologen Julian Huxley, Thomas Huxleys Enkel und Bruder des Schriftstellers Aldous. Es bildete sowohl den Abschluss einer bewegten Zeit wie die Ankündigung eines Neuanfangs. Die moderne Synthese, der Neodarwinismus, bedeutete in gewissem Sinn die Vollendung der wissenschaftlichen Revolution, die im 16. Jahrhundert eingesetzt hatte. Übernatürliche Ursachen wurden allmählich durch natürliche ersetzt, die von der Wissenschaft erforscht werden konnten. Das Weltbild wurde mechanisiert: Im Prinzip gibt es keine Phänomene, die sich der wissenschaftlichen Analyse völlig entziehen. Seit Darwin wissen wir, dass dies auch für die lebende Natur gilt. Um die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten zu erklären, brauchen wir weder einen Schöpfergott noch geheimnisvolle Ursachen in Anspruch zu nehmen. Dadurch hat sich unsere Vorstellung von uns selbst und von unserem Platz im Universum grundlegend geändert. Hundertfünfzig Jahre nach der Veröffentlichung der Entstehung der Arten sind die vielen Implikationen des neuen Weltbilds noch lange nicht absehbar. Es steht jedoch außer Zweifel, dass die Begründung des evolutionären Paradigmas ein unauslöschliches, unumkehrbares Ereignis in der Geschichte der Wissenschaft darstellt.

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