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Wahl der Weibchen
ОглавлениеWir haben nun eine Erklärung dafür, dass bei vielen Tierarten die Männchen größer als die Weibchen und für den Wettkampf mit ihren Rivalen bestens gerüstet sind, doch das Rätsel des Pfauenrads ist damit noch nicht gelöst. Denn die Pfauenmännchen bekriegen einander kaum. Es muss noch etwas anderes eine Rolle spielen. Darwin führte als Erklärung eine zweite Form der sexuellen Selektion an: die Weibchenwahl (female choice). Das Weibchen wählt sich denjenigen zum Geschlechtspartner, der den größten Eindruck auf sie macht. Es findet zwar noch immer ein Wettbewerb zwischen den Männchen statt, aber er wird nicht mehr mit Waffen ausgetragen, sondern mit prächtigen Farben, spektakulären Balztänzen und süßem Gezwitscher. Es sind die Weibchen, die schließlich dem Schaulaufen ein Ende bereiten und sich für einen Partner entscheiden. Der weibliche Geschmack hat noch merkwürdigere und extremere Körper- und Verhaltensmerkmale hervorgebracht als die erste Form der sexuellen Selektion, denn die Eigenschaften der Männchen und die Vorlieben der Weibchen verstärken einander. Die Söhne erben die Merkmale des Vaters und die Töchter die Präferenz der Mutter. Auf diese Weise können die fantastischsten Ornamente entstehen, wie das Federkleid und der Schwanz des Pfauenmännchens. Was als bescheidener Modegag beginnt, kann durch den Selektionszyklus immer eigenwilligere Formen annehmen. Schon in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts berechnete der Mathematiker und Genetiker R.A. Fisher, dass die geringfügige, zufällige Vergrößerung eines Merkmals wie die Länge der Schwanzfedern sich rasend schnell in einer Population ausbreiten kann. Die Eskalation wird erst dann gestoppt, wenn die Nachteile eines Ornaments die Vorteile überwiegen.
Übrigens meinte Darwin, dass sich die Pfauenhenne von ästhetischen Erwägungen leiten lasse. In Die Abstammung des Menschen schreibt er (1. Teil, 2. Kapitel): „Wenn man sieht, wie männliche Vögel mit Vorbedacht ihr Gefieder und dessen prächtige Farben vor dem Weibchen entfalten [...] kann man unmöglich zweifeln, dass die Weibchen die Schönheit ihrer männlichen Genossen bewundern.“ Diese Sichtweise hat einiges für sich. Nicht nur Pfauen, sondern auch andere Vogelarten scheinen tatsächlich einen raffinierten Geschmack zu besitzen. Die männlichen Laubenvögel Australiens und Neuguineas können es, was das Aussehen betrifft, nicht mit dem Pfau aufnehmen, stattdessen fertigen sie Installationen, die den Kunstwerken eines Yves Klein in nichts nachstehen. Die Hennen begutachten die Kreationen wie wahre Kunstkenner. Moderne Biologen halten allerdings die Annahme eines Kunstsinns bei Tieren für wenig überzeugend. Die Pfauenhenne wählt den Hahn mit dem prächtigsten Gefieder und den meisten Augenflecken nicht wegen seiner Schönheit, sondern wegen seiner „guten“ Gene. Wer in der Lage ist, mit einer so lästigen Verzierung herumzustolzieren, wird gesund sein und nicht unter Parasiten leiden. Das Pfauenrad ist ein Fitness-Indikator. Die Henne lässt sich also nicht von ästhetischen Überlegungen leiten, sondern von ihrem Instinkt. Auf den Zusammenhang zwischen Evolution und Ästhetik kommen wir im dreizehnten Kapitel ausführlicher zurück.
Darwin war seiner Zeit voraus, doch in einem irrte er: Die sexuelle Selektion ist nicht, wie er meinte, eine gesonderte evolutionäre Kraft, sondern ein Spezialfall der natürlichen Selektion. Auch die Mitglieder derselben Art sind Teil der Lebenswelt einer Population. Es sind daher allmähliche Anpassungen an diese „Umwelt“ zu erwarten. Organismen passen sich im Lauf der Evolution nicht nur an das Gelände, das Klima, an ihre Beutetiere oder ihre Fressfeinde an, sondern auch an die männlichen und weiblichen Artgenossen. Wie verhält es sich nun mit dem Menschen? Hat die sexuelle Selektion auch bei seiner Entwicklung eine Rolle gespielt?