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3 Artbildung
Mysterium der Mysterien
Wie wir im ersten Kapitel sahen, wurde das Rätsel des Artenwandels von Darwin und Wallace bearbeitet. Pflanzen- und Tierarten bestehen aus Populationen von Organismen. In einer Population herrscht fast immer eine Variationsbreite, das heißt, die Individuen unterscheiden sich voneinander, und diese Unterschiede sind oft erblich. Vorteilhafte Variationen werden durch die natürliche Selektion „belohnt“ und nachteilige „bestraft“. Der Prozess ist demzufolge kumulativ: Eigenschaften und Merkmale, die Überlebensvorteile verschaffen, werden über viele Generationen weiterentwickelt und verfeinert, nachteilige Eigenschaften und Merkmale werden allmählich aussortiert. Hierdurch verändert sich der Genbestand der Population. Unter dem Selektionsdruck entwickelt sie sich in eine bestimmte Richtung, wodurch die Individuen angeblich besser an eine (sich verändernde) Umgebung angepasst sind. Als Beispiel könnte man wieder die Birkenspanner aus dem vorigen Kapitel anführen.
Arten können sich also langsam verändern. Doch wie und wann entsteht eine neue Art? Und welcher Mechanismus ermöglicht die Artbildung? Lange Zeit war dies ein großes Rätsel. 1836 nannte der britische Physiker und Philosoph John Herschel die Entstehung neuer Pflanzen- und Tierarten das „Mysterium der Mysterien“. Er hatte sich offenbar also schon vor Darwin von der Idee abgewandt, Arten seien unveränderlich. Doch noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte allgemein die Auffassung, Gott habe die Pflanzen und Tiere auf der Erde geschaffen, und die Arten seien seit diesem Schöpfungsakt konstant und unverändert geblieben. Die Individuen einer Art können sich zwar voneinander unterscheiden, doch Gattungen und Arten sind von Gott geschaffene Einheiten mit bestimmten unveränderlichen Wesensmerkmalen, die auch jedem einzelnen Organismus der betreffenden Art eigen sind. Zweifel an dieser Vorstellung begannen sich erst zu regen, als immer mehr Fossilien von Pflanzen und Tieren zutage kamen, die völlig anders waren als diejenigen, die die Erde bevölkerten. Offenbar hatte es einmal Lebewesen gegeben, die nun ausgestorben waren. Manche Naturforscher erklärten dies mit katastrophalen Ereignissen wie der Sintflut – die vor einigen Jahrtausenden stattgefunden habe –, doch dem widersprach eben, dass die Versteinerungen viele Millionen Jahre alt waren.
Man möchte meinen, dass Darwin dieser ganzen Verwirrung ein Ende bereitete. Doch obwohl schon der Titel seines Hauptwerks versprach, die Entstehung der Arten zu erklären, gelang ihm dies gerade nicht. Er beschrieb zwar ausführlich den Prozess des Artenwandels durch natürliche Selektion (phyletische Evolution), doch auf die Frage, wie und warum eine neue Art entsteht, musste er die Antwort schuldig bleiben. Darwins Vermutung, auf den Galapagos-Inseln hätten sich durch geographische Trennung neue Finkenarten entwickelt, war richtig, doch er verfügte noch nicht über die modernen genetischen Methoden, mit denen man eine solche Verbreitungsgeschichte untersuchen kann.
Erst mit der Populationsgenetik und der Synthese der Evolutionsforschung in den Dreißiger- und Vierzigerjahren des vorigen Jahrhunderts konnte diese Frage geklärt werden. Primär verantwortlich für Artbildung oder Speziation (vom lateinischen Wort species = Art) ist demnach die reproduktive Isolation, wodurch Populationen sich unabhängig voneinander weiterentwickeln. Die Unterschiede können zu einem bestimmten Zeitpunkt so groß werden, dass man von zwei verschiedenen Arten sprechen kann. Bevor wir näher auf die Einzelheiten der Artbildung eingehen, müssen wir uns jedoch erst die Frage stellen, was eine Art eigentlich ist oder allgemeiner, wie die Natur geordnet ist. Sobald man sich nämlich mit Biologie und Evolution beschäftigt, stellt sich die grundsätzliche Frage, wie man die Natur einteilen soll. Was gehört zusammen und was nicht? Mit der Klassifizierung der Lebewesen beschäftigt sich die Taxonomie (griechisch taxis = Ordnung) oder die biologische Systematik.