Читать книгу Bayerische Charakterköpfe - Christian Feldmann - Страница 18
Оглавление„Bernauerin auf dem Wasser schwamm, Maria Mutter Gottes hat sie gerufet an“
„Darum hat sie ertränkt werden müssen“
Warum die unglückliche Liebe zwischen Agnes Bernauer (um 1410–1435) und dem Herzogssohn Albrecht ein schreckliches Ende fand
Als sie die zierliche Frau ins Wasser warfen, von der alten Donaubrücke in Straubing, gelang es ihr mit der Kraft der Verzweiflung, ihre Beinfesseln zu lösen und in die Nähe des Ufers zu schwimmen, wobei sie mit heiserer Stimme schrie: „Helft, helft!“ Unter den zahlreichen Zuschauern erhob sich ein Murren gegen die grausame Justiz. Eilig lief der Folterknecht, der die Verurteilte von der Brücke gestürzt hatte und den Zorn seines herzoglichen Auftraggebers fürchtete, herzu und drückte die sich Aufbäumende mit einer langen Stange so lange unter Wasser, bis sie tot war.
So schildert der Chronist Andreas von Regensburg das elende Sterben der „Bernauerin“ am 12. Oktober 1435. Ansonsten sind nicht viele geschichtliche Tatsachen von Agnes Bernauer überliefert. Nur die Kunde von ihrer bezaubernden Schönheit und von ihrer unglücklichen Liebesbeziehung zu Albrecht, dem Sohn des Bayernherzogs Ernst, hat die Jahrhunderte überdauert. Das Volk – das zeigen die landauf, landab bekannten Lieder und Festspiele – hat der damals im Interesse kühler Erbfolgepolitik als Hexe und Kupplerin verurteilten „Bernauerin“ immer die Treue gehalten.
Heuchlerische Doppelmoral
Die Geschichte der um 1410 geborenen Agnes Bernauer beginnt in einer Augsburger Badstube, und die meisten Historiker halten sie für eine Baderstochter – manche aber auch für die aus Biberach stammende Magd des Baders. Sie muss eine strahlende Schönheit gewesen sein, mit einer makellosen Figur, feinen Gesichtszügen und prächtigen blonden Haaren. Der Chronist Veit Arnpeck macht ihr das fantasievolle Kompliment: „Man sagt, dass sie so hübsch gewesen sei, wann sie roten Wein getrunken habe, so habe man den Wein in ihrer Kehle hinab fließen gesehen.“
Justizopfer: Agnes Bernauer
Dort in der Badstube haben sie sich vermutlich kennen gelernt, Agnes und der bayerische Thronfolger Albrecht III., der einzige Sohn des Herzogs Ernst von Bayern-München, und das wäre noch kein Problem gewesen, denn die hohen Herren hielten sich gern Geliebte aus niederem Stand. Aber das ungleiche Paar wollte seine Verbindung legalisieren, und das war für die höfische Gesellschaft mit ihrer heuchlerischen Doppelmoral eine Todsünde.
Die Badstuben – Vorstufen unserer Saunen – waren damals im 15. Jahrhundert äußerst beliebt als Stätten der Erholung und Lust. Stundenlang plätscherten, spielten, musizierten, aßen und tranken die Gäste beiderlei Geschlechts im warmen Wasser, bedient von liebreizenden „Bademädchen“. „Willst du einen Tag fröhlich sein? Geh ins Bad!“, hieß es in einer frühen Reklame. Die Kirche lief Sturm gegen das Badewesen, das freilich sehr gut in eine Zeit der Extreme passte, in der sich härteste Askese mit ausschweifender Maßlosigkeit paarte, streng bemessene höfische Minne mit dumpfer Erotik.
Irgendwie passt Agnes, die von den Chronisten immer wieder als zurückhaltender, auf die eigene Ehre bedachter „Engel“ geschildert wird, nicht recht in dieses Ambiente – ebenso wenig wie der Herzogssohn Albrecht, der als mutig, gerecht, sensibel, fromm beschrieben wird, als Gegner brutaler Strafen und als Freund der kleinen Leute. Das alles zählte nicht; wer in einer Badstube arbeitete, gehörte automatisch zur niedrigsten Schicht und zu einem verfemten Beruf.
Und ob Agnes und Albrecht 1432 tatsächlich heimlich heirateten, wie viele Forscher annehmen, oder ob Agnes immer nur die Geliebte des Thronfolgers blieb, in den Augen der feinen Gesellschaft war diese Beziehung indiskutabel, und vor allem stellte sie eine politische Gefahr dar. Eine derartige „morganatische“ Ehe zwischen völlig unebenbürtigen Partnern schloss die übliche Erbberechtigung für Gemahlin und Kinder aus (deshalb übereignete Albrecht seiner Agnes einen Bauernhof in Niedermenzing als Absicherung); mögliche Nachkommen hätten den Herzogsstuhl Bayern-München also keinesfalls übernehmen dürfen.
Blamage beim Turnier
Die eigentliche Gefahr lag woanders: Die Bindung an eine derart unmögliche Partnerin – sei es nun eine Gattin oder eine Geliebte – führte ja dazu, dass sich der bereits dreiunddreißigjährige Herzogssohn mit keiner Fürstentochter verehelichen konnte. Was sämtliche politischen Strategien durcheinander brachte und die bayerische Führungsschicht – Ratsherren, Beamte, Patrizier – derart verärgerte, dass Albrecht 1434 auf einem Turnier in Regensburg „angegriffen und geschlagen“ wurde. So formuliert es der Geschichtsschreiber Andreas; es bleibt offen, ob es sich um einen tätlichen Angriff von Standesgenossen handelte oder um den Ausschluss vom Turnier, wie ihn die „Stechordnungen“ für Ritter mit einem offen unmoralischen Lebenswandel vorsahen.
Beides war jedenfalls eine fürchterliche Blamage für das Herrscherhaus. Herzog Ernst hielt seinem Sohn eine gewaltige Standpauke und entzog ihm die Verwaltungsaufgaben in der Straubinger Nebenresidenz, wo er bisher tätig gewesen war. Urkunden und Briefe mit Albrechts Siegel stammen in der nächsten Zeit nur mehr aus dem Grafenschloss in Vohburg, wo er jetzt mit der schönen Agnes lebte. Doch Albrecht dachte nicht daran, sich von der „Badhur“, wie man sie boshaft nannte, zu trennen. Er hatte immer schon seinen eigenen Kopf gehabt und war bemüht gewesen, ein eigenes politisches Profil gegenüber dem sehr konservativen Vater zu gewinnen.
Um das Problem endgültig zu lösen, ließen sich Herzog Ernst und die höfische Elite eine teuflische List einfallen: Als Albrecht gerade in Landshut weilte und Agnes in Straubing, wurde sie verhaftet und vor dem herzoglichen Gericht in einem Eilverfahren der Zauberei und des versuchten Giftmords an Herzog Ernst angeklagt. Das Urteil stand von vornherein fest, die Zeugen sagten aus, was die Richter hören wollten. Entscheidend war aber nach Aussage der Chronisten, dass sich die Bernauerin „stolz und übermütig“ benahm, dass sie „den Herzog Ernst nicht als ihren Richter und Herrn anerkennen wollte, da sie selbst Herzogin zu sein angab“, und dass sie erklärte, „dass sein Sohn ihr Gemahl sei und sie mit keinem anderen eine Ehe eingehen wollte“.
Damit habe sich die unbeugsame Frau in den Augen ihrer Verfolger „an der Weltordnung versündigt“, fasst der Bernauer-Forscher Werner Schäfer zusammen und zitiert den Chronisten Clemens Sander: „Da sie nun durch den Henker gebunden war, um ins Wasser geworfen zu werden, sagte der Henker zu ihr, wenn sie frei bekennen wolle, dass Herzog Albrecht nicht ihr Ehemann sei, so wolle er sie nicht töten, sondern frei gehen lassen. Das wollte sie nicht tun, sondern sie sagte frei, er sei ihr ehelicher Gatte. Darum hat sie ertränkt werden müssen.“
32 000 Ave Maria wider den Bürgerkrieg
Albrecht reagierte auf den schlecht bemäntelten Mord zunächst mit blinder Wut und Putschplänen gegen den Vater. In München bestellte der Rat bei den Armen im Heiliggeistspital und bei den Klosterschwestern „32 000 Ave Maria“ – gegen großzügige Geld- und Weinspenden, versteht sich –, um den drohenden Familien- und Bürgerkrieg abzuwenden. Irgendwann siegte aber dann offenbar die Staatsraison; Vater und Sohn versöhnten sich, Albrecht heiratete brav und standesgemäß die sechzehnjährige Herzogstochter Anna aus Braunschweig. Seine Tochter Sibylla aus der Verbindung mit Agnes wuchs wohlversorgt auf, und Herzog Ernst stiftete reumütig eine wunderschöne Grabkapelle für Agnes im Straubinger Friedhof St. Peter, einem idyllischen Kirchhof mit romanischer Kirche und spätgotischem Karner.
Später ließ Albrecht seine Agnes in das Straubinger Karmelitenkloster überführen, wo ihr Grab angeblich vor einem knappen Jahrhundert im Kreuzgang wiederentdeckt wurde; der Fund wurde geheim gehalten, um keinen aufrührerischen Kult entstehen zu lassen.
Volkslieder, Dramen, Musikwerke hielten das Andenken an die Bernauerin lebendig. „Was vom Geschick bestimmt, getrennt zu bleiben, beglückend wird’s hienieden nie vereint“, reimte melancholisch der kunstsinnige Bayernkönig Ludwig I., „in das Verderben immer muss es treiben, wenn’s gleich im Augenblick besel’gend scheint.“ Otto Ludwig, Friedrich Hebbel, in jüngster Zeit Franz Xaver Kroetz brachten das traurige Geschehen auf die Theaterbühne; Carl Orff widmete der unglücklichen Herzogin ein „bairisches Stück“ mit atemlosen Stakkato-Texten und den archaischen Klängen von Trommeln, Becken, Pauken und Holzratschen; Michael Boisrond ließ das Liebespaar in seinem Episodenfilm „Les amours célèbres“ von Brigitte Bardot und Alain Delon verkörpern, das Drehbuch schrieb Jacques Prévert.
Das sehr heroische Freilichtspiel aus der Feder des völkischen Dichters Eugen Hubrich (1935) ist seither durch mehrere Neubearbeitungen ersetzt worden, die alle sachlicher und doch anrührend klingen. Alle vier Jahre werden das kurze Glück und der bittere Tod der Bernauerin im Straubinger Herzogsschloss mit zweihundert Laiendarstellern in historischen Kostümen in Szene gesetzt, und es kommen bis zu zwanzigtausend Zuschauer.
Der Herzog ist mein
Und ich bin sein;
Sind wir gar treu versprochen, ja versprochen.
Bernauerin auf dem Wasser schwamm,
Maria Mutter Gottes hat sie gerufet an,
Sollt’ ihr aus dieser Not helfen, ja helfen.
(…) Es stund kaum an den dritten Tag,
Dem Herzog kam eine traurige Klag:
Bernauerin ist ertrunken, ja ertrunken.
Auf rufet mir alle Fischer daher,
Sie sollen fischen bis in das rote Meer,
Dass sie mein feines Lieb suchen, ja suchen.
(…) So wollen wir stiften eine ewige Mess,
Dass man der Bernauerin nicht vergess,
Man wolle für sie beten, ja beten.“
Lied von der schönen Bernauerin, Autor und Entstehungsdatum unbekannt