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Sachverstand und Skandale
ОглавлениеZum Witwensitz wählte sich die Zweiundzwanzigjährige das Gut Stepperg bei Neuburg an der Donau, weit genug von den Kontrollinstanzen der Landeshauptstadt, aber nahe an der Neuburger Residenz, wo ein flirrendes Hofleben herrschte: Bälle, Gesellschaften, Liebhaber. Ein uneheliches Kind, nach sehr unwahrscheinlichen Spekulationen war es der berühmte Kaspar Hauser, musste sie auf Betreiben des Wiener Hofes im abgeschiedenen Laibach (heute Ljubljana) zur Welt bringen, damit nur ja niemand etwas mitbekam.
Die energiegeladene Witwe sanierte ihren Besitz mit Sachverstand und Verantwortungsbewusstsein, half verschuldeten Gütlern mit Renten und Spenden, war sich nicht zu schade, beim Kartoffelsammeln und bei der Heuernte selbst Hand anzulegen. „Müßiggang ist die Mutter der Langweile“, sagte sie, „und diese Krankheit wäre mein Tod.“
Powerfrau: Kurfürstin Maria Leopoldine
Der nächste Skandal ließ freilich nicht lange auf sich warten. 1804, sie war jetzt fünf Jahre Witwe, heiratete sie zum zweiten Mal – und suchte sich ausgerechnet den Sohn des prominenten Sprechers der bayerischen „Landschaft“ aus, also der Ständevertretung, der die politische Opposition gegen ihren Gatten, den Kurfürsten Karl Theodor, angeführt hatte: Graf Ludwig von Arco, nur drei Jahre älter als sie, Jurist, Hofrat, ein hervorragender Verwaltungsbeamter. Pikant, dass sie mit seinem älteren Bruder Carl bereits zu Lebzeiten Karl Theodors ein Verhältnis gehabt hatte. Und ganz unmöglich für damalige Begriffe, dass sie es war, die dem Auserwählten einen Heiratsantrag gemacht hatte, statt umgekehrt.
Richtig glücklich wurde sie auch diesmal nicht; die beiden Ehegatten waren zu verschieden. Maria Leopoldine interessierte sich immer stärker für ihre Güter und sämtliche landwirtschaftliche Detailfragen, sie machte aus ihrer Verachtung für höfisches Getändel kein Hehl und vernachlässigte demonstrativ ihre Toilette: „Stinkbüchslein“ wurde sie von der scharfzüngigen Erzherzogin Sophie genannt, weil sie sich nicht immer sauber wusch. Ihr Mann, Graf Arco, hingegen liebte den Hauch der großen weiten Welt an der Münchner Residenz, die Kunst und die Jagd.
Ihren beiden Söhnen – Louis und Max hießen sie – widmeten sich die Ehegatten gleichwohl mit großem Pflichtbewusstsein. Sie schätzten einander und fanden einen anständigen Weg, „als Freunde in der Welt zu leben“ (Maria Leopoldine), ohne sich gegenseitig mit unerfüllbaren Forderungen auf die Nerven zu fallen. Sie ging ganz in ihren Gütern und Geschäften auf, er weilte meist in München, unterzeichnete seine Schriftstücke bescheiden als „Obersthofmeister Ihrer Königlichen Hoheit der Kurfürstin Witwe“, und wenn sie sich in Gesellschaft zufällig trafen, gingen sie respektvoll distanziert miteinander um wie entfernte Verwandte.
Ein rundes Jahrzehnt nach Karl Theodors Tod kehrte Maria Leopoldine vom Gut Stepperg in die Landeshauptstadt zurück. Und sogleich zerriss man sich wieder die Mäuler über das abwechslungsreiche Liebesleben der Kurfürstinwitwe. Wie sie es wohl geschafft hatte, sich durch die Kirchenbehörde von der Gehorsamspflicht gegenüber ihrem Gatten dispensieren zu lassen? Man schätzte sie aber auch als „beste aller Mütter“. Es schien so, als suche sie an ihren beiden legitimen Söhnen gutzumachen, was sie an dem ersten, unehelichen Kind gesündigt hatte. Angeblich ist es bei einer Försterfamilie im Berchtesgadener Land aufgewachsen.
Jedenfalls ging Maria Leopoldine mit ihrem Nachwuchs erheblich aufmerksamer und herzlicher um, als es damals in ihren Kreisen üblich war. Für die Kindergeburtstage und Faschingskinderbälle engagierte sie Zauberer und lud – zum Ärgernis der vornehmen Gesellschaft – auch Handwerkerkinder ein, die sie mit Schweinsbraten und Bier bewirtete. Mit der leeren Hektik des Münchner Hoflebens konnte die Kurfürstinwitwe wenig anfangen:
Arme Sterbliche, die sich Prinzen und Prinzessinnen nennen! Ich bemitleide sie inmitten ihrer Reichtümer, von Ehren umgeben, die Langweile überwältigt sie und sie verlieren das einzige wahre Glück des Lebens, das nichts zu ersetzen vermag, wenn man dessen beraubt ist, das sind die wirklichen Beziehungen wahrer, aufrichtiger, selbstloser Freundschaft, die nur auf gleichgestellter Basis bestehen können.“
Wie es sie anödete, das Leben bei Hofe, „das alle Einfälle erstickt und den Mund nur öffnen lässt, um eine Schmeichelei oder einen Gemeinplatz zu sagen!“ Maria Leopoldine dagegen liebte es, ihre Meinung unbekümmert um gesellschaftliche Konventionen kundzutun. August Graf von Platen, Page am Königshof und Schöpfer melancholischer Sonette, schwärmt von ihrem ungezwungenen, absolut unaffektierten Benehmen.