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Kapitel 1

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Lediglich der Mond schaut zu, als Kaleb seine Hände um Katis zierliche Hüften legt und sie mit Schwung auf den kleinen Holzsteg hebt, der sich am Rand eines idyllischen Waldsees befindet, um dann selbst mit einem gekonnten Sprung hinterher zu kommen. Gleichzeitig produziert Kati mit ihren Füßen einzelne Wasserspritzer, die sich bis zur angrenzenden Liegewiese verteilen.

An der Stelle, an der die beiden sich befinden, gibt es durch die schnellen Bewegungen im Wasser kleine Kreise, die eine langsam auf das Ufer zutreibende Welle verursachen. Auf diesem aus Lärchenbrettern zusammengezimmerten Steg drückt Kaleb sie mit dem Rücken ganz sanft an die dunklen, vom Wind gegerbten Holzplanken und fängt an, Kati vom Knöchel aufwärts zu küssen. Als seine Lippen ihr Knie berühren, spürt er, wie Kati beginnt, mit einer Hand in seinem Haar zu wühlen, mit der anderen Hand streichelt sie sich selbst über ihren glatten, wunderschönen Bauch. In der Krone der Birke, die direkt am See steht, heult ein Uhu, aus dem angrenzenden Wald ist das Klopfen eines Spechts zu hören und im Licht des Mondes huscht der Schatten einer vorbeifliegenden Fledermaus vorüber. Langsam wird ihr Atem gleichmäßiger und seine Küsse wandern langsam ihr linkes, vom Schwimmen noch feuchtes Bein hinauf. Ab und zu kneift Kaleb zärtlich in ihre von der Sonne gebräunte Haut. Am Ende des Beines verweilt er mit seinen Küssen etwas länger, bevor diese ihren unaufhaltsamen Weg nehmen. Kati hat inzwischen ihre Hände auf seinen Rücken gelegt, ihr Atem ist ruhig und flach und die Finger ihrer Hände bohren sich in seinen durchtrainierten, muskulösen Rücken. Keiner der beiden achtet darauf, was um sie herum passiert. Die Frösche stellen aus Ehrfurcht das Quaken ein und der große wuschelige Biber, mit seinem braunen Fell, bringt seine Biberkinder in den Bau, da sie noch zu jung sind, um so etwas zu sehen. Kaleb und Kati bekommen von alledem jedoch nichts mit, sie bewegen sich inzwischen in einem Rhythmus, der wie der Schwanentanz von Tschaikowski mal langsam, fast schon stillstehend ist und dann wieder wie das Brausen des Meeres anschwillt, bis sie sich ganz der Leidenschaft zweier sich Liebender hingeben.

Es ist schon weit nach Mitternacht, als sie Hand in Hand über den Schotterweg zurück zu seinem dunkelblauen Coupé, den er am Waldrand geparkt hatte, gehen.

„Du bist ­–“

Kaleb hielt inne, was sollte er sagen. „Du bist wunderschön“ – das wäre eine gnadenlose Untertreibung gewesen; kein Vergleich und kein Kompliment hätte auch nur annähernd ihre Schönheit beschreiben können.

Sollte er sagen: „Ich liebe dich“? Diese drei Worte wurden viel zu oft gesagt, ohne darüber nachzudenken, was sie bedeuten. Mancher Mann sagt sie morgens zu seiner Frau, um sie anschließend in der Mittagspause mit seiner Sekretärin zu betrügen. Diese drei Worte konnte er ihr nicht sagen. Das, was er für Kati empfand, war weit mehr als Liebe, die doch oft von Selbstsucht gekennzeichnet ist.

Immer noch hatte er seinen Satz nicht beendet. Vielleicht merkte Kati ja, was in seinem Kopf vorging, denn sie drückte seine Hand und küsste ihn.

„Du brauchst nichts zu sagen. Es war wie immer wunderschön mit dir.“

Vor ihnen tauchte das kleine Kassenhäuschen auf, in dem tagsüber ein Rentner einen viel zu hohen Eintritt kassierte. Aber dafür konnte der Mann in dem Häuschen ja nichts. Er war sicher froh, in seinem Ruhestand etwas zu tun zu haben und für ihn war es eine Möglichkeit, ab und zu aus dem Haus zu kommen.

Hinter der Schranke, die für Autos die Zufahrt zum See blockierte, erblickte Kaleb sein Schmuckstück auf vier Rädern.

Autos waren neben Frauen seine große Leidenschaft. Bevor er Kati kennenlernte, hatte er seine Autos immer besser gepflegt als seine Freundinnen. In der Regel hatte er seine Autos auch länger. An seinem Coupé angekommen, machte Kaleb zuerst die Beifahrertür auf und ließ Kati als Erste einsteigen. Kurz zuckte sein rechter Backenmuskel. In der Ferne war das Quaken der Frösche zu hören und alles schien ruhig zu sein. Kalebs Instinkte jedoch rieten ihm zur Vorsicht. Die Ausbildung in einer Spezialeinheit des BND hatten seine Sinne extrem geschärft. Sein Gehör glich dem einer Fledermaus und seine Augen waren so scharf wie die einer Eule. Mit diesen durchsuchte er den vor ihm liegenden, nur vom Mond und den Sternen erleuchteten Wald.

Das Geräusch war jedoch nicht von vorne gekommen, sondern hatte eher wie das Spannen einer Armbrust in einiger Entfernung hinter ihm geklungen. In seinem Kopf spielten sich nun in rasender Geschwindigkeit die Möglichkeiten ab, die ihm zur Wahl standen. Er hätte das Handschuhfach öffnen, seinen geladenen Revolver herausholen, mit einem Satz über die Motorhaube springen und hinter dem Auto Deckung suchen können. Dies wäre wohl die beste Wahl gewesen. Allerdings hätte das einige Sekunden gedauert, und wenn er hinter dem Auto Deckung gefunden hätte, wäre Kati die Augenblicke, in denen er über die Motorhaube gesprungen wäre, wie auf dem Präsentierteller gewesen. Selbst wenn er die Tür zugeworfen und ihr zugerufen hätte, sie solle sich flach ins Auto legen, wäre es für einen Stahlpfeil oder einen Bolzen aus einer Armbrust dennoch kein Problem gewesen, eine Autotür zu durchschlagen und anschließend den Brustkorb seines Ziels zu durchbohren. Bei vielen Personen wäre ihm das egal gewesen. Die Ledersitze und das Auto wären von innen gereinigt und die Sache unter dumm gelaufen abgehackt worden. Bei Kati war es ihm jedoch nicht egal. Sie war nicht nur wunderschön, hatte endlos lange Beine und Brüste, die dazu einluden, sein Gesicht darin einzugraben. Er dachte an ihre leidenschaftlichen Küsse und die Liebesnächte, in denen sie sich liebten, bis die Sonne im Osten den Horizont in purpurrotes Licht tauchte. Er liebte ihre ganze Art, ihre Lebensfreude, ihr Umgang mit Kindern und die Art, wie sie zusammen lachten. Nein, für diese Frau wäre er eher gestorben, als sie der Gefahr des Todes auszusetzen.

Die zweite Möglichkeit und für ihn wesentlich gefährlichere war, mit einer Handbewegung den Revolver aus dem Handschuhfach zu holen und sich im gleichen Moment umzudrehen. Dann wüsste er zwar nicht, wohin er schießen musste, aber er konnte hoffen, dass derjenige, der dort im Wald war, noch ein Geräusch verursachen und ihm dadurch zeigen würde, in welche Richtung er zu schießen habe. Aber wie sollte er Kati erklären, dass er ein geladenes Schießeisen dabei hatte und mit dieser auch noch umgehen konnte? Sie waren seit zehn Jahren ein Paar. Nachdem sie gemeinsam von Deutschland nach Amerika ausgewandert waren, hatten sie hier in Louisiana einen Ort gefunden, wo sie sich wirklich wohlfühlten. In all den Jahren war er für sie immer der erfolgreiche, von vielen Zeitungen begehrte Reporter gewesen.

Vor seiner Ausreise in die USA und während seiner Zeit beim BND war er schon durch unzählige Verhöre gegangen, bei denen er nackt mit auf den Rücken gefesselten Händen auf einem Stuhl gesessen hatte und ein Strahler von mindestens fünfhundert Watt zehn Zentimeter vor seinem Gesicht eine größere Hitze verbreitete als die Sonne in der Sahara. Aber Scheiße, er könnte ihr sagen, was er wollte, letzten Endes würde er es ihr nicht wirklich erklären können. Kaleb entschied sich somit für die, wenn man das Lehrbuch für solche Fälle betrachtet, wohl dümmste Variante. Er tat so als habe er nichts gehört, lächelte Kati an, machte ihre Tür zu und schritt langsam um das Auto herum, immer bereit, falls er das Klicken des Abzugs hören sollte, einen Sprung auf die andere Seite des Wagens zu machen. Bei jedem Schritt spielte sich das Szenario in seinem Kopf ab. Als er an der Fahrertür angekommen war, wanderten seine Augen noch einmal durch den Wald. Aber da er nichts sah und hörte, steckte er den Schlüssel in die Zündung, trat die Kupplung und legte den ersten Gang ein.

„War was?“ fragte Kati.

Sie hatte ein gutes Gespür für gefährliche, nicht alltägliche Situationen. Kaleb schüttelte den Kopf, lächelte sie liebevoll an, aber gab ihr darauf keine Antwort.

Als sie auf der von Straßenlaternen beleuchteten Hauptstraße ankamen, legte sich seine innere Anspannung. Kati hatte den Sitz nach hinten gedreht und war mit einem Lächeln im Gesicht eingeschlafen. Wenn sie von seiner Vergangenheit erfahren würde, wüsste sie, dass es eine Menge Menschen gab, die schon lange Zeit auf der Suche nach ihm waren und kein Problem damit gehabt hätten, ihn oder sonst jemanden aus seinem näheren Umfeld zu töten.

Nach einer halben Stunde Fahrt waren sie an dem einsam gelegenen Landhaus, in dem Kati wohnte, angekommen. Er hatte sie schon oft noch mit hineinbegleitet, dort waren sie dann gemeinsam eingeschlafen oder hatten noch lange über Gott und die Welt geredet. Den folgenden Tag begannen sie dann immer mit einem gemeinsamen Frühstück, bevor Kati zur Arbeit in die städtische Verwaltung und er – zu seinem Job in dem örtlichen Verlag ging. Aber heute Nacht nicht, dachte er. Am Haus angekommen zwickte er sie sachte in den Bauch. Natürlich fragte sie ihn, ob er noch mit hineinkommen wollte. Diese Frage gehörte an das Ende eines solchen Abends, wie das Amen in der Kirche.

Aber irgendetwas drängte Kaleb, heute Nacht lieber in seine Mietwohnung in der Stadt zu fahren.

„Nein, heute nicht, ich muss morgen früher raus und mich auf meinen Artikel im Feuilleton vorbereiten.“

Kati schaute etwas überrascht, da es ganz selten vorkam, dass er nicht mehr mit hineinkam und vor allem nach dem, was eben passiert war, hätte sie es erwartet. Aber sie konnte ihn ja auch nicht zwingen, noch mit hineinzukommen.

„Schade, ich hätte gerne morgen früh da weiter gemacht, wo wir eben am See aufgehört haben, aber wenn du nicht kannst, ...“

Sie küsste ihn, dann ging sie ins Haus.

Normalerweise dachte Kaleb bei der Rückfahrt an Kati und dass er im Leben noch nie so einer Frau begegnet war. Aber heute drehten sich seine Gedanken darum, ob sein Gehör ihm einen Streich gespielt hatte und er sich das Spannen der Sehne einer Armbrust oder eines Sportbogens nur eingebildet hatte. Eigentlich war dies nahezu unmöglich, denn sein Hörsinn war der Schärfste seiner Sinne. Aber wenn dort im Wald jemand gestanden und auf ihn gezielt hatte, wieso hatte er dann nicht geschossen? Oder war gar nicht er, sondern Kati das Ziel und wenn ja, wieso?

In seiner Wohnung befestigte er von innen die drei zusätzlichen Ketten an der Tür und kippte das Wohnzimmerfenster. Die Fenster öffnen wollte er nicht, dann hätte das schusssichere Glas, das er sich extra anfertigen ließ, keinen Sinn mehr gehabt. So stand er am gekippten Fenster, rauchte genüsslich seine Zigarette und dachte darüber nach, was zu tun sei, falls jemand aus seiner längst vergessenen Vergangenheit ihn gefunden hätte. Aber das konnte und wollte er einfach nicht glauben.

Schattenwende

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