Читать книгу Renaissance 2.0 - Christian Jesch - Страница 13
Kapitel 12
ОглавлениеTandra hatte sich, wie es ihr Kaziir empfohlen hatte, hingelegt. Das war auch dringend notwendig gewesen, wie sich schnell herausstellte. Die junge Renegatin hatte sich kaum in das Bett begeben, da war sie auch schon eingeschlafen. Wilde Träume jagten durch ihr Unterbewusstsein. Teile von Akeḿ manifestierten sich in sehr genauen Abläufen. Jachwey tauchte immer wieder auf. Auch diverse Renegaten, wie etwa Bela, Dahos und Endro erschienen ihr. Doch es waren nicht die Treffen, welche sie vor gut einer Woche mit ihnen hatte, sondern vollkommen andere Zusammenkünfte in denen die drei sie unvermittelt ängstlich betrachteten. Es tauchten Nachtszenen auf, in denen sie allein auf einem Dach lauerte, ein Fadenkreuz vor den Augen. Dann spürte sie plötzlich eine Hand auf der Schulter und jemand gab ihr einen Kuss auf die Wange, gefolgt von einer Stimme.
"Aufwachen, Liebling. Ich bin wieder zurück." Tandra öffnete schwerfällig die Augen und drehte verschlafen den Kopf. "Wie ich sehe, hast du meinen Rat befolgt. Wie fühlst du dich?" Langsam wurde der jungen Frau klar, dass ihre Freundin im Zimmer war. Mühsam rollte sie im Bett auf den Rücken und betrachtete die neue Suprimegeneralin, wie sie sich mit beiden Händen seitlich durch die langen rötlichen, leicht gewellten Haare fuhr. Sie sah erschöpft aus.
"Wie spät ist es?", fragte Tandra irritiert.
"Fast sechs Uhr", antwortete ihr Partnerin. "Die Gespräche haben doch um einiges länger gedauert, als ich erwartet habe. Leider haben wir bislang nur Vermutungen, wie es zu der Übernahme kommen konnte. Ich werde später in die hiesige Zentrale der ProTeq gehen und mich genauer informieren."
"Du willst zur ProTeq gehen?" Die junge Frau war jetzt hellwach und saß senkrecht im Bett. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete sie sich ihre Liebste, als hätte diese den Verstand verloren.
"Mach dir keine Sorgen. Du erinnerst dich daran, was ich dir über Elric und mich erzählt habe?"
"Elric?", fragte Tandra nachdenklich. "Ach, ja. Der Tiger. Jetzt erinner ich mich. Du hattest gesagt, ihr hättet euch bei der Ausbildung kennengelernt, als er noch ein Mensch war."
"So in etwa. Deine Zusammenfassung ist sehr kurz gehalten, aber ja, im Großen und Ganzen trifft sie zu. Wir waren zusammen in einem Programm der ProTeq Militär, welches dann vom Geheimdienst übernommen wurde. Ich bin also ein Agent der Bösen. Und als solcher sollte ich ohne Probleme an alle Informationen kommen, die wir benötigen."
"Ich mache mir trotzdem Sorgen um dich. Was, wenn sie dich als Kommandant der Renegaten in Nuhåven identifizieren?"
"Das werden sie mit Sicherheit. Aber als Agent des Geheimdienstes könnte ich dort auch einfach nur einem sehr geheimen Auftrag meiner Vorgesetzten gefolgt sein, über den es keine Aufzeichnungen gibt. Also, was sollten sie mir schon großen antun können. Die Kollegen in einer abgelegten alten Luftreinigungsanlage haben bereits sämtliche Vorkehrungen getroffen, damit ich im System echt wirke."
"Ich hoffe wirklich, dass du recht hast."
"Sollte trotzdem jemand Hand an mich legen, werden sie sich sehr schnell wünschen, sie hätten mir geglaubt."
"Bist du dir da nicht ein wenig zu sicher?", fragte ihre Lebenspartnerin sie mit einem unsicheren Gesichtsausdruck. "Da wo du hingehst befinden sich ein paar hundert Proteqtoren. Wie willst du denen entkommen, wenn sie dich erst einmal überwältigt haben?"
"Ich werde dir jetzt noch etwas über Elric und mich verraten. Etwas, das du niemand anderem sagen darfst und das ich dir auch nur deswegen sage, weil ich dir bedingungslos vertraue." Kaziir machte eine kurze Pause und schaute Tandra tief in ihre grauen Augen. Die blickte unsicher zurück. Unsicher darüber, ob sie überhaupt hören wollte, was ihre große Liebe zu sagen hatte. Doch bevor sie sich dagegen wehren konnte, sprach die Suprimegeneralin weiter. "Ich wurde zusammen mit Elric damals dem Berserkerprogramm zugeteilt, nachdem man festgestellt hatte, dass wir beide auf eine bestimmte Droge, welche die ProTeq entwickelt hatte, positiv reagierte. Was ein Berserker auszurichten mag, hast du ja im Wohnheim gesehen, als dieser Abrisstrupp plötzlich auftauchte und der Leiter der Gruppe so unvermittelt durchdrehte. Er gehört offensichtlich zu den Versuchen, die sich nicht ganz unter Kontrolle haben, aber trotzdem eingesetzt werden. Sollte man ihn bei einem seiner Ausraster erschießen, würde die ProTeq deswegen nicht in Trauer ausbrechen. Ich hingegen habe mich grundsätzlich immer unter Kontrolle." Kaziir machte eine erneute Pause, in der sie darüber nachdachte, ob sie ihrer Freundin von dem inneren Feuer berichten sollte oder nicht. Nach wenigen Sekunden entschied sie sich dagegen und beließ es bei dem, was gesagt wurde. Tandra verarbeitete schweigend das eben Gehörte. Ihre Partnerin ließ sie in Ruhe. Liebevoll, wissend, was ihr jetzt durch den Kopf ging, schaute sie das Mädchen abwartend an. Schließlich hob Tandra die Augen, um die Renegatenführerin zu betrachten.
"Da bist du dir ganz sicher?", war ihre einzige Frage.
"Hast du es schon in unserer gemeinsamen Zeit einmal erlebt, dass ich derart die Beherrschung verloren habe?", versuchte sie mit ihrer liebevollsten Stimme die junge Frau zu beruhigen.
"Nein, das hast du nie."
"Ich habe mir eine Technik angeeignet, um den Berserker zu kontrollieren. Viele derer, die an dem Programm teilgenommen habe, taten dies nicht. Sie verfielen dem Rausch. Sie fanden es großartig, dass sie Kräfte entwickelten, denen niemand etwas entgegenzusetzen hatte, dass sie eine unglaubliche Macht ausüben konnten. Das war aber nicht wirklich ihr Fehler, sondern der Fehler der ProTeq, welche die falschen Männer ausgewählt hatte. Die wenigen Frauen in dem Programm waren da ganz anders. Wir wussten um das Gute, wie auch das Schlechte. Deswegen haben wir uns nicht hingegeben. Wir waren uns im Berserkerstadium immer bewusst, was wir taten. Wir kontrollierten das Biest, damit es uns gehorchte. Und nicht anders herum." Tandra schaute Kaziir wenig überzeugt an. Angst kroch in ihr hoch. Ihre Nackenhaar stellten sich auf. Unsicherheit darüber, wie sich ihr Leben mit Kaziir weiterentwickeln würde, machte sich bei dem jungen Mädchen breit. Sie liebte diese Frau über alles, aber sollte sie unter diesen Umständen bei ihr bleiben? "Ich sehe in deinen Augen, was dir durch den Kopf geht, Liebling und ich verstehe es. Wenn du gehen musst, dann tu es. Ich werde dir nicht böse sein und ich werde dir auch nicht folgen. Natürlich wäre es mir lieber, du bleibst, um selbst festzustellen, ob ich eine Gefahr für dich oder irgend jemand anderen bin, oder nicht?"
"Es tut mir leid, Kaziir. Das ist alles eine große Veränderung, die ich erst einmal verkraften muss. Ich kenne dich schon seit so vielen Jahren, du warst immer gut zu mir. Zärtlich und liebevoll. Niemals bist du wütend geworden, ausgerastet. Und in all diesen Jahren warst du bereits aus diesem Programm ausgeschieden. Du warst bereits ein Berserker. Ich weiß im Moment einfach nicht, was ich denken oder tun soll. Ich weiß nur, dass ich dich nicht verlieren will. Lass mir bitte etwas Zeit, um über alles nachzudenken. Ein paar Stunden nur. Ich wünschte wirklich, die anderen wären hier, damit ich mit ihnen darüber reden kann."
"Nimm dir so viel Zeit, wie du benötigst, aber versprich mir, mit niemandem darüber zu reden. Auch nicht mit unseren Freunden. Ich werde jetzt der ProTeq ein Besuch abstatten und zusehen, was ich über den Regierungswechsel in Erfahrung bringen kann. Solltest du danach noch hier sein, können wir gerne noch einmal über alles reden. Wenn du gegangen bist, dann werde ich das akzeptieren." Kaziir beugte sich zu Tandra runter, die immer noch auf dem Bett saß, und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Mit einem Lächeln drehte sie sich um und verschwand durch die Tür. Die junge Frau schaute ihr noch lange nach. Bilder aus der Vergangenheit erschienen vor ihrem inneren Auge. Szenen aus glücklichen Tagen. Zeiten, die sich tief in ihr Herz eingebrannt hatten. Sie ließ sich zurück auf das Kissen sinken und schloss die Lider. Es dauerte nicht lange, da war Tandra erneut eingeschlafen. Ihre Mundwinkel wurden von einem zufriedenen, fröhlichen Lächeln umspielt.
In der Zwischenzeit betrat Kaziir die örtliche Zentrale der ProTeq, als würde ihr das Gebäude gehören. Eine aufgeregte Stimme rief hinter der Suprimegeneralin her, die sie jedoch völlig ignorierte. Dann hörte sie das Klacken der Militärschuhe, die ihr mit raschen, ausladenden Schritten folgten. Schließlich überholte der Mann sie und versuchte sich darin ihr Einhalt zu gebieten.
"Was wollen Sie?", fragte Kaziir streng
"Wer sind sie und was wollen Sie hier?", antwortete der etwa dreißig Jahre alte Soldat mit einer Gegenfrage.
"Haben sie hier das Sagen?", erkundigte sich nun wieder Kaziir fragend.
"Nein…"
"Dann gehen sie mir aus dem Weg, sonst landen sie als blutiger Fleck dort drüben an der Wand." Sie schaute den Mann durchdringend an, während ihre Iris langsam einen rötlich-goldenen Glanz annahmen. Der Soldat, ein Ferus Decem, wie sie an seinen Abzeichen erkannte, wurde nervös. Er hatte eine solche Veränderung noch nie zuvor gesehen. Hilfe suchend schaute er sich nach jemandem um, der ihm aus der Situation befreien konnte. Doch alle Anwesenden interessierten sich entweder nicht für das Geschehen oder bekamen es schlicht und ergreifend nicht mit. Als er wieder nach vorne blickte, war Kaziir aus seinem Sichtfeld verschwunden. Sie hatte sich einfach weiter auf den Weg zum Fahrstuhl gemacht. Als der Ferus Decam das erkannte, lief er erneut hinter der Frau her.
"Sagen Sie mir wenigstens, wo Sie hin wollen, damit ich Sie anmelden kann", verlangte der Mann jetzt mit ruhiger Stimme.
"Mich muss man nicht anmelden. Das sollten Sie mittlerweile mitbekommen haben. Und, wenn sie es unbedingt wissen müssen. Mein Name ist Agent Kaziir." Ein helles Ping gab die Ankunft des Fahrstuhls bekannt, den die Suprimegeneralin umgehend bestieg. Sie drückte auf den Knopf zum Schließen der Türen, um dann den für die oberste Etage folgen zu lassen. Zufrieden lächelte sie über ihren Auftritt. Auch, wenn ihr der arme Soldat ein wenig leid tat. Er konnte ja nichts dafür, dass sie sich hier so ungefragt einfach hineindrängte.
Es dauerte ein bisschen, dann hielt die Kabine im dreiundzwanzigsten Stockwerk des Gebäudes. Hier oben befanden sich die Räumlichkeiten der hochrangigen Offiziere, wie Kaziir zumindest hoffte. Andernfalls müsste sie eine weitere Person einschüchtern, ihr die passenden Informationen zu geben. Die Frau betrat den Gang, der erstaunlich ruhig war. Man hätte den Eindruck bekommen können, die Etage sei vollkommen leer und unbenutzt. Doch dann öffnete sich am anderen Ende des Ganges eine Tür, aus der eine junge Frau trat. Ohne sich die Mühe zu machen, ihr näher zu kommen, verlangte Kaziir zu erfahren, wo sie den Kommandanten finden würde. Verwundert darüber, dass jemand sich so ungebührlich benahm, blickte sie die Renegatin abfällig an.
"Wo finde ich ihn?", wiederholte Kaziir, während sie sich auf die Person zubewegte.
"Was wollen Sie von dem Kommandanten?"
"Das werde ich ihm schon sagen. Also, wo ist er?"
"Können Sie sich erst einmal ausweisen? Was machen sie überhaupt hier im Gebäude und wie sind sie hier hoch gekommen?"
"Mit dem Fahrstuhl", beantwortete Suprimegeneralin den letzten Teil der Frage, nachdem sie die Frau erreicht hatte. "Ich brauche mich nicht auszuweisen. Mein Name ist Agent Kaziir. Und jetzt sehen sie zu, dass Sie mir sagen, wo ich den Kommandanten finde.
"Was ist denn hier draußen los?", erschallte plötzlich eine weitere, tiefe Baritonstimme.
"Sind sie der Kommandant?", fragte Kaziir sofort, ohne der Frau auch nur den Hauch einer Chance zu lassen den Mann über die Situation aufzuklären.
"Der bin ich. Und sie?" Kaziir stiefelte mit großen Schritten auf den kräftigen Mann zu.
"Ich bin Agent Kaziir. Und wir werden uns jetzt einmal ausführlich unterhalten." Mit ausgestrecktem Arm schob sie den Mann wieder zurück in sein Büro und schloss die Tür. Nach kurzem Zögern setzte er sich erneut an seinen Schreibtisch und wartete ab, was sein Besucher vorzubringen hatte. "Wie Sie sich denken können, bin ich vom Geheimdienst. In dieser Position habe ich die Aufgabe von Ihnen alles über den Sturz der Regierung zu erfahren." Der Mann schaute verwirrt.
"Ich verstehe nicht. Es ist doch alles nach Plan gelaufen."
"Ist es das?", bohrte Kaziir nach. "Wir haben da etwas anderes gehört."
"Oh", brachte der Kommandant hervor. "Was genau, haben Sie denn gehört?"
"Das wissen Sie nur zu gut. Spielen Sie also keine Spielchen mit mir. Ich höre." Kaziir hatte sich groß vor dem Schreibtisch aufgebaut und blickte auf den Kraftprotz herab, der jetzt gar nicht mehr so eindrucksvoll aussah.
"Alles verlief genau, wie es von Oben geplant war. Wir stürmten den Bundessenat und nahmen alle anwesenden Politiker fest, um sie unter Hausarrest zu stellen. Doch das verweigerten diese vehement. Sie wollten nicht in ihren Häusern untergebracht werden. Mittlerweile wissen wir auch, warum. Die Politiker, die wir verhafteten waren nicht die Menschen, sondern ihre Deriwate." Kaziir riss innerlich die Augen weit auf. Das war also Mår-quells Geheimnis. Sie war in den ganzen Jahren überhaupt nicht persönlich in der Hauptstadt anwesend. Und das bedeutete, dass die Regierung überhaupt nicht gestürzt wurde, da die realen Politiker immer noch irgendwo in Freiheit waren. Das wiederum besagte, sie würden alles daran setzten, die Macht zurückzuerlangen.
"Dann stimmt das also, was wir in Erfahrung gebracht haben. Sie haben bei der Machtübernahme versagt. Können sie uns sagen, was wir Ihrer Meinung nach jetzt damit anfangen sollen. Nicht nur, dass der Widerstand mit Sicherheit mit der neuen Regierung nicht einverstanden ist und uns bekämpfen wird, nein, wir haben auch noch die alte Regierung, die alles daran setzen wird, zurückzukommen. Wie um alles in der Welt konnte ein solch eklatanter Fehler nur passieren?"