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Kapitel 21
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"Du wolltest mich sprechen", sagte Ambisi, als sie das Büro von Marah betrat. Die schaute von hinter ihrem Schreibtisch auf und nickte kurz.
"Da hast du uns ja ganz schön was angeschleppt, mit diesen Eingefrorenen", erwiderte sie kritisch.
"Warum? Was ist mit denen? Sind es etwa keine Mutanten?"
"Doch, das sind sie schon. Nur leider sind sie weder Sturmredner, noch sind sie Sturmbringer. Sie sind Mutanten im Dienst von Mår-quell. Jedenfalls sagen sie das."
"Mår-quell?", wiederholte Ambisi amüsiert. "Na, da schau mal einer an. Hätte nie gedacht, dass sich die Alte doch auf Metamenschen eingelassen hat , nachdem sie uns alle weggesperrt hat."
"Ja. Wäre ich auch nie drauf gekommen, aber es ist so."
"Dann frage ich mich allerdings, was diese Metas so weit weg von der Hauptstadt eingefroren in einer alten, unbenutzten Solaranlage verloren hatten."
"Das habe ich sie auch gefragt. Und siehe da, Mår-quell hatte sie als eine Art Rückversicherung versteckt. Vermutlich hätte sie die Männer und Frauen erneut aufgetaut, wenn sich das Volk zu sehr gegen sie gewendete hätte , um die Menschen mit deren Fähigkeiten zu kontrollieren oder zur Raison zu bringen."
"Und da haben wir, die Jugendlichen, natürlich bei gestört. Wir hätten uns ja mit ihnen verbünden und aufzeigen können, dass ihr Weg der falsche ist."
"Oder etwas Ähnliches", bestätigte Marah. "Na, jedenfalls wollen sie nicht mit uns zusammenarbeiten, sondern lieber wieder zu ihrer geliebten Mår-quell zurückkehren, um ihr zu dienen."
" Interessiert mich schon , was diese Bundessenatorin dazu sagen würde, wenn jetzt plötzlich ihre ganz persönlich PSI-Truppe bei ihr auf der Matte steht und Hallo sagt."
"Das würde mich auch interessieren. Aber besser ist es natürlich, wenn die gar nicht erst sich auf den Weg zu der Schlampe machen, sondern sich uns anschließen."
"Ich werde mich mal mit den Leuten unterhalten. Mal sehen, was ich erreichen kann. Wo hast du sie untergebracht?"
"Sie sind in einem der Hangar auf dem Flugfeld außerhalb der Stadt. Wir haben sie dort mit Feldbetten und Essen versorgt. Es geht ihnen also gut."
"Perfekt. Dann mache ich mich mal auf und statte den Metamenschen mal einen Besuch ab. Mit etwas Glück kann ich ihnen deutlich machen, dass Mår-quell sie nur benutzt hat, wir hingegen sie jedoch als vollwertige Mitglieder unserer neuen Gesellschaft betrachten."
"Das wäre großartig, wenn du das schaffen könntest. Es sind zwar nur hundertachtzig Leute, aber wir brauchen jeden, der sich unserer Sache anschließt."
"Geht klar", bestätigte Ambisi und verließ den Raum wieder, um sich ein Gefährt zu suchen, mit dem sie die Strecke in den Außenbezirk zurücklegen konnte. Beim Hangar angekommen, erkundigte si ch das Mädchen erst einmal bei den Wachen, wie die Neuzugänge sich verhielten.
"Die sind eigentlich ganz pflegeleicht", meinte einer der Männer sofort. "Wir sehen mehrmals am Tag bei ihnen rein und fragen, ob sie etwas benötigen. Zumeist sind es nur Kleinigkeiten."
"Also ist euch auch nichts Ungewöhnliches an deren Verhalten aufgefallen oder so?"
"Nein. Es verläuft alles sehr ruhig. Warum die Fragen? Gibt es irgendwelche Befürchtungen?"
"Das weiß ich noch nicht. Die Leute haben, bevor sie in Cryostasis versetzt wurden, für Mår-quell gearbeitet, o der so ähnlich jedenfalls. Ich werde mich jetzt mit ihnen unterhalten. Bleibt in der Nähe, falls sich etwas ergeben sollte."
"Geht in Ordnung. Wir stehen bereit." Ambisi nickte dem Mann zu, der sich sofort daran machte, die übrigen Wachen zu instruieren, dann ging die Frau in das Innere des großen Gebäudes. Die Mutanten beachteten die Kommandantin der Armee zunächst nicht weiter, sodass die sich ein wenig umsehen konnte und einige Gesprächsfetzen mitbekam. Alles deutete darauf hin, dass die Männer und Frauen friedlich gesinnt waren und eigentlich nur darauf warteten, was man mit ihnen vorhatte. Ambisi stieg eine Treppe zu einem Gerüst herauf, das sich am hinteren Ende der Flugzeughalle befand. Oben angekommen postierte sie sich in der Mitte und warf einen nachdenklichen Blick über die Menge.
"Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten?", rief sie dann laut in die Halle. Für einen Moment waren die Anwesenden irritiert, bis sie dann schließlich die Quelle entdeckten, die sie angesprochen hatte. Es wurde ruhiger, biss schlussendlich alle verstummten. "Danke. Mein Name ist Ambisi. Ich bin die Kommandantin der Armee der Finsternis und stellvertretende Kommandantin der Liga des Untergangs. Ihr befindet euch hier in Ake ḿ , einer Stadt, die wir vor kurzem übernommen haben und die uns als Ausgangspunkt für unseren Mutan tenstaat dient. Und da sind wir auch schon bei dem Punkt angelangt, warum ihr hier seid. Wir, das heißt die Kommandantin der Liga, Marah und ich haben zusammen mit unserer verstorbenen, ersten Führerin Ysana den Plan gefasst, einen für Mutanten würdigen Staat zu etablieren. Soweit ich bislang weiß, sind die staatlichen Heilanstalten euch erspart geblieben, da ihr nicht zu den Jugendlichen zählt, auf die Mår-quell Jagd machte und denen sie unter allen Umständen ihre Fähigkeiten nehmen wollte. Unter allen Umständen bedeutet, auch der Tod war ihr recht. Hauptsache, wir stellten keine Gefahr mehr für sie da." Eine leichte Unruhe entstand unter den Zuhörern. Scheinbar wusste niemand von diesen Einrichtungen, was nur bedeuten konnte, dass diese erst geschaffen wurden, nachdem die Mutanten Ç apitis verlassen hatten und eingelagert wurden, oder die Anlagen vor ihnen geheim gehalten wurden . "Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr meine A ussagen anzweifelt. Das verstehe ich nur zu gut. Wer es nicht miterlebt hat, der kann unmöglich glauben, dass eine einzelne Person zu so etwas in der Lage ist. Aber, es ist so. Und hätte es nicht eine Gruppe gegeben, die sich die Sturmbringer nennt , die es sich zur Aufgabe gemacht haben, uns, die hilflosen Jugendlichen mit ihren besonderen Fähigkeiten, vor der Regierung zu retten, dann würde ich jetzt nicht hier stehen. Hätte Mår-quell uns nicht in diese Anstalten gesteckt, sondern uns einfach normal mit unseren Familien weiter leben lassen, dann wären wir auch nie auf den Gedanken gekommen, einen Mutantenstaat auszurufen und diese Frau zusammen mit ihren arroganten Mitläufern zu stürzen. Doch wer gequält, geprügelt wird und wer mit ansehen muss, wie seinen Freunde sterben, nur weil sie anders sind, der muss einfach so handeln, wie wir es tun. Und deswegen bin ich überaus neugierig, warum es mit euch anders war. Warum hat Mår-quell nicht versucht euch eure Fähigkeiten zu entreißen? Was war das Besondere an euch, dass ihr mit dieser Frau sogar zusammengearbeitet habt?" Ambisi legte eine Pause ein, in der Hoffnung, dass sich ein Sprecher der Gruppe vorstellt e und ihre Existenz erklärt e . Nach einer langen Minute ergriff ein Mann in der Mitte des Hangar das Wort. Während er sprach, kam der etwa dreißig bis vierzigjährige weiter nach vorn auf das Gerüst zu.
"Es tut mir und ich nehme an auch den anderen leid, was euch widerfahren ist. Davon wissen wir nichts. Entweder hat man es perfekt geheim vor uns gehalten oder es geschah, nachdem man uns bereits in Stasis versetzt hat ", sagte der Mann genau das, was Ambisi zuvor selber vermutet hatte. " Weswegen wir für Mår-quell gearbeitet haben, willst du wissen? Nachdem, was wir mittlerweile erfahren haben, wurden wir vor dreizehn Jahren auf Eis gelegt und zu der Zeit waren Fähigkeiten, wie wir sie haben, wir ihr sie habt, ganz normal. Man hat uns damals ausgewählt eine Para-Einheit zu bilden, die für den Schutz der Regierungspolitiker verantwortlich war. "
"Schutz wovor? ", unterbrach die Kommandantin der Armee. " Ich meine, die Regierung hatte schon immer Sicherheitsbeamte, die sich um den Schutz der Politiker kümmerten. Warum also noch eine Einheit speziell mit Mutanten?"
"Der Grund dafür lag in der Sicherheitsfirma, welche die ausgebildeten Männer und Frauen stellte. Mår-quell traute ihr nicht mehr so wirklich, besonders, wo diese Firma nach und nach sich immer mehr ausbreitete und eine Art Monopol anstrebte. Deswegen wollte sie für sich und die Regierungsmitglieder, dass wir diese Leute überwachten."
"Das ergibt sogar einen Sinn", kommentierte Ambisi nachdenklich. "Und Unrecht hatte sie damit auch nicht. Vor wenigen Tagen hat nämlich die ProTeq die Macht über das Land übernommen, nachdem diese Firma in den letzten Jahren eures Winterschlafes gewachsen ist und nicht nur die Sicherheit in diesem Land, sondern auch das Militär und vermutlich auch einen Geheimdiens t entwickelte . "
"Dann ist Mår-quell also gestürzt und festgenommen worden?"
"Sieht ganz danach aus. Aber ehrlich gesagt ist das auch nicht wirklich von Nachteil. Ihr seid vor dreizehn Jahren in Stasis versetzt worden, sagst du?", wechselte Ambisi das Thema.
"Aufgrund dessen, was uns die anderen gesagt haben und das Jahr, welches wir jetzt haben, ist das richtig."
"Die Heilanstalten wurden vor etwas mehr als neun Jahren eingerichtet. Das erklärt dann, warum ihr von der Hetzjagd nichts mitbekommen habt. Und dann habt ihr auch nicht mitbekommen, wie sich die Politik von Mår-quell gewandelt hat."
"Inwiefern hat sich die Politik geändert?", unterbrach der Mann.
"Ich habe damals noch nicht so viel davon mitbekommen, da ich noch zu jung war, aber es heißt, innerhalb weniger Wochen interessierte sich die Senatorin nicht mehr für das wohlergehen des Volkes und fing an die Reichen und Mächtigen zu bevorzugen, während die Mittel- und die Unterschicht immer weiter im Dreck versank."
"Das sind harte Anschuldigungen", dachte der Sprecher laut.
"Leider sind das keine Anschuldigungen, sondern harte Tatsachen", widersprach die Kommandantin der Armee. "Sie hat zunächst alle beseitigt oder ruhiggestellt, die ihr gefährlich werden konnten, um sich dann zusammen mit ihren reichen und mächtigen Freunden zurückzuziehen. Und scheinbar fühlte sie sich besonders von den Jugendlichen bedroht, die vermutlich am ehesten auf die Straße gehen und ihre Rechte einfordern würden. Jugendliche Mutanten waren dabei wohl ihre schlimmste Vorstellung, weswegen sie diese in Heilanstalten einweisen ließ."
"Das ist mehr als übel. Derartiges hätten wir zu unserer Zeit nie für möglich gehalten. Da war ihre Politik noch auf das Wohlergehen des Landes ausgerichtet. Und gegen Mutanten hatte sie schon erst recht nichts, zumal es Gerüchte gab, dass Mår-quell selbst einige Fähigkeiten besaß."
"Wer hat das gesagt?", unterbrach Ambisi neugierig.
"Angeblich soll ihr Mann mal eine solche Bemerkung gemacht haben. Später hat er dann aber nie wieder Fragen dazu beantwortet. Wie gesagt, alles nur Gerüchte, Hörensagen und viel Drumherum. Die Wahrheit dazu weiß nur Mår-quell."
" Du hast eben gesagt, sie soll einige Fähigkeiten besessen haben. Nehmen wir nur einmal an, dem wäre so gewesen, dann stellt sich mir eine Frage. Normalerweise haben Metamenschen, wie wir es sind, immer nur eine Fertigkeit, die wir anwenden können. Gut Ysana war eine Ausnahme. Sie besaß mehrere und eignete sich auch immer noch welche an, aber trotzdem. Solche Multimutanten sind äußerst selten. Selbst in der Armee und der Liga haben wir keinen einzigen davon. Und wir bestehen aus mehr als siebenhundert Männern, Frauen und Jugendlichen."
"Es gab da noch ein Gerücht zu unserer Zeit. Angeblich soll es neben den Metamenschen noch eine andere Gruppe ge geben haben , die uns ähnlich ist. Leider habe ich aber keine weiteren Informationen und ich halte auch diese für Geschwätz. Nachdem man vermehrt in der Bevölkerung geglaubt hatte, Mår-quell sei eine Mutantin kamen immer weitere Geschichten auf, die jedweder Grundlage entbehrten."
"Und doch heißt es, in jeder Sage liegt auch ein Körnchen Wahrheit. Wir sollten der Sache einfach mal nachgehen und schauen, was dabei herauskommt. Aber das hat Zeit. Um noch einmal auf meinen eigentlichen Besuch zurückzukommen, muss ich euch eine wichtige Frage stellen, die unser aller Zukunft bestimmt. Werdet ihr euch der Liga und der Armee anschließen oder wollt ihr euch auf den Weg machen und Mår-quell unterstützen, um sie erneut an die Macht zu bringen?"
"Nach all den neuen Fakten, die wir jetzt bekommen haben, ist das eine Entscheidung, die wir zunächst besprechen müssen. Natürlich ist es für mich, wie auch den andern eindeutig, dass man euch hintergangen hat. Dass man euch das Leben genommen hat, welches ihr hättet in Ruhe leben können. D o ch wir waren nicht dabei. Uns hat man nicht wirklich etwas angetan. Deswegen können wir nicht einfach uns in Ablehnung ergehen."
"Seid ihr euch da ganz sicher? Ich meine, welchen positiven Grund gab es für Mår-quell, euch in eine Cryostasis zu versetzen? Ich denke schon, dass sie euch aus dem Weg haben wollte. Wir wissen bis jetzt nicht, wer dieses Stasis überhaupt aufrechterhalten und welche weiteren Anordnungen diese Person möglicherweise noch hatte. Eventuell hat sie euch nur deswegen am Leben gehalten, um eure Fähigkeiten im Fall eines Bürgeraufstandes gegen das Volk zu nutzen. Mår-quell hätte euch nie an ihrer Welt teilhaben lassen. Sie hätte euch aufgetaut, benutzt und wieder eingefroren. Da bin ich mir ziemlich sicher. Hättet ihr das mitgemacht?" Unter den Anwesenden entstand eine gewisse Unruhe. Man diskutierte heftig die von Ambisi angedeutete Entwicklung. Natürlich wusste die Kommandantin ebenso gut wie die Metamenschen im Hangar, dass es sich nur um eine theoretische Zukunft handelte. Trotzdem war darin genügend Sprengstoff enthalten, um darüber nachzudenken, ob es sich lohnen würde erneut Mår-quell zu dienen. Die Kommandantin beobachtete die hundertachtzig Männer und Frauen sehr aufmerksam und stellte bald eine Tendenz fest, die ihr gefiel. Scheinbar wurden den Leuten langsam deutlich, dass sie ein Spielball der m ächtigen und reichen waren, was ihnen überhaupt nicht passte. Sie waren jederzeit dazu bereit zu gerechten Bedingungen, die auf Gegenseitigkeiten beruhten, für andere einzutreten. Doch offensichtlich hatte Mår-quell sogar noch vor der Stasis die Metamenschen nicht so gewürdigt, wie die es sich bislang eingeredet hatten. Zufrieden über den Zwiespalt, den sie gesät hatte, schritt Ambisi die Treppe herunter und mischte sich unter die Diskutierenden, bis sie den Sprecher der Gruppe erreichte. Als er sie bemerkte, hob er den Arm und bat lautstark um Ruhe.
"Wir sollten darüber abstimmen, ob wir uns der Liga und ihrer Armee anschließen oder nicht. Ich denke, wir haben genug gehört, um uns eine Meinung zu bilden. Wer dafür ist, dass wir ein neues Kapitel mit neuen Freunden beginnen, das heißt, ein Teil der Liga zu werden, der hebe jetzt die Hand." Ambisi brauchte gar nicht erst anfangen zu zählen. Ein Meer an Händen schoss in die Höhe und besiegelte den Neuzugang.