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Kapitel 20
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Seit dem Gespräch mit Misuk war der Junge kaum aus der Bibliothek herausgekommen. Auf dem von ihm eingerichteten Arbeitsplatz stapelten sich die Bücher und losen Blattsammlungen. Gerade war er dabei, einen weiteren Tisch an den bereits überfüllten heranzustellen, als ihn der Bibliothekar dabei unterbrach. Kopfschüttelnd wollte er wissen, was Thevog da machte und was er eigentlich vorhatte.
"Die halbe Bibliothek liegt schon auf dem einen Tisch und jetzt holst du dir noch einen zweiten dazu. Was suchst du eigentlich, mein Junge?"
"Ich versuche den genauen Ort zu finden, an dem die Magus leben. Misuk hat mir einige Hinweise hinterlassen, von denen sie mal gehört hat. Sie kann aber nicht einmal sagen, ob es sich um echte Anhaltspunkte oder nur Gerüchte handelt. Das macht die Suche nur um so komplizierter."
"Die Magus, sagst du", wiederholte der ältere Mann nachdenklich. "Ja, das ist nicht ganz einfach. Derer gibt es viele. Versprengt in Gruppen, teilweise mit vollkommen unbekannten Aufenthaltsorten. Nach welchen Magus suchst du denn genau?"
"Was soll das heißen?", erkundigte sich Thevog verzweifelt. "Ich dachte, es gibt nur eine Gruppe Magus."
"Das war einmal so, vor vielen Jahren. Dann gab es da ein Ereignis, was sie auseinandergetrieben hat. Ich weiß gerade nicht, worum es sich dabei handelte. Seit dem gibt es aber mehrere Gruppen, die alle für sich handeln. Wir sind auch eine davon. Allerdings hatten wir uns schon vor dem Ereignis abgespalten."
"Moment, die Templar gehören ebenfalls zu den Magus und das sagen Sie mir so, als wäre das nichts Besonderes ?"
"Wusstest du das noch nicht? Na, wenn du das noch nicht einmal wusstest, dann kannst du aber noch sehr viel lernen."
"Wenn Sie mir jetzt auch noch sagen können, wo sich dieses Blatt der Alten und der Fluss der Lebenden und Toten befinden, dann brauche ich nicht mehr weitersuchen." Der Bibliothekar stutzte einen Moment, da er die Anspielung nicht sofort verstand. Dann begriff er doch noch.
"Ach, die Magus meinst du", erwiderte der alte Mann und verzog das Gesicht. "Nein, über die kann ich dir nichts sagen. Aber es heißt nicht der Fluss der Lebenden und Toten, sondern, der Fluss der lebenden Unt oten. Und ganz ehrlich, wenn du diese Magus suchst " , er betonte dabei das Wort diese sehr deutlich, " solltest du das niemand anderem gegenüber erwähnen."
"Ich verstehe nicht recht. Was ist mit diesen Magus?", erkundigte sich Thevog irritiert, wobei er ebenfalls das Wort diesen überdeutlich aussprach.
"Genaugenommen gehören sie nicht wirklich zu uns. H aben sie nie. Nein, nein. Sie besitzen nur dieselben Fähigkeiten, wie wir. Aber das ist auch schon alles. Was sie definitiv nicht mit uns gemein haben, ist ihre Moral. Warum suchst du überhaupt nach denen? Willst du sie beauftragen?"
"Ich vermute, das meine Freundin bei ihnen ist", erklärte sich der Junge jetzt unsicher.
"Wurde sie von denen entführt?"
"Nein. Sie hat ein Portal geöffnet und ist dann verschwunden. Sie meinte nur noch, sie müsste Bericht erstatten."
"Deine Freundin ist also eine Frau?", vergewisserte sich der Bibliothekar. "Das würde natürlich passen."
" Natürlich ist sie eine Frau. " Thevog wurde von Sekunde zu Sekunde verwirrter. Warum erklärte der alte Mann ihm nicht einfach, um was es ging.
"Ja. Die Magus, die keine sind und nach denen du suchst, bestehen nur aus Frauen. Und worüber wollte sie Bericht erstatten?"
"Das hat sie nicht gesagt. Aber ich glaube, das Letzte, über das wir davor gesprochen hatten, war der Tod von Jachwey, ihrem Vater."
"Einen Moment. Wer ist Jachwey? Und welche Verbindung hat er zu den Magus?" Der Bibliothekar wurde langsam neugierig.
"Jachwey übernahm vor einiger Zeit die Verwaltung über Ake ḿ und entwickelte von dort aus eine neue Staatsgewalt, die dann mit den umliegenden Stadtstaaten und Kleinprovinzen Verträge einging, um daraus einen Gegenregierung zu Mår-quell zu bilden. Leider konnte er das Projekt nicht mehr beenden, da er von einer Mutantin angegriffen wurde und mit schweren Verbrennungen in Sicherheit gebracht werden musste. Später ist er dann bei einem Hoverabsturz ums Leben gekommen. Das wollte Shilané berichten."
"Das sind aber keine Informationen, für die sich die se Magus interessieren. Dann suchst du vermutlich in der falschen Richtung."
"Wer sind die se Magus, die keine sind und von denen Sie reden? "
"Du wirst in unseren Chroniken nichts über sie finden und das ist vielleicht auch besser so. Sie sind ein Schandfleck in unserer Gesellschaft auch, wenn sie älter sind als dieje nigen, die sich die Magus nennen. Sie haben Kriege mitgeführt und für andere gewonnen. Dann haben die ihre Tribute eingefordert von denen, die si e unterstützt und beraten haben. Diese Frauen haben aus allem immer ihren persönlichen Vorteil für die Schwesternschaft gezogen. Und haben sie einmal ein Kind, ein Mädchen, entdeckt, dass besondere Fähigkeiten hatte, dann haben sie es den Eltern abgekauft oder weggenommen und in ihrem Kloster ausgebildet. Bis dann der eine Tag kam, an dem sie den Bogen überspannt hatten. Es war nicht besonders schwer, ihre Anlage ausfindig zu machen und zu vernichten. Leider wurde dabei die Schwesternschaft nicht ausgelöscht, sondern nur ihr Domizil. Heute eine Ruine in den Bergen, hinter dem Fluss der lebenden Unt oten. Angeblich soll en da noch heute die wenigen Seelen derer spuken, die bei dem Angriff getötet wurden. Aber wer weiß, was da wirklich hinter den Mauern der Klosterruine vor sich geht."
"Woher wissen Sie das alles, wenn es nicht in den Büchern steht?", fragte Thevog bewundernd.
"Ich bin so etwas wie eine lebende, wandelnde Chronik, wenn du so willst. Ich kenne viele Geschichten, die nicht in den Büchern stehen. Deswegen gebe ich sie alle an meinen Nachfolger weiter, damit sie nicht vergessen werden."
"Aber ich bin nicht Ihr Nachfolger", gab der Junge zu bedenken.
"Du könntest es aber werden, wenn du magst. Dein Interesse für alle möglichen Dinge, deine Neugierde sind die besten Voraussetzungen. Und abgesehen davon, diese Geschichten sind nicht wirklich Geheimnisse. Der Volksmund erzählt sie sich schon seit Jahrhunderten. Nur erkennt man diese nicht immer, da die Namen und Orte häufig geändert wurden."
"Und Sie kennen aber die richtigen Namen und Orte?"
"Die meisten." Der Mann machte eine kurze Pause, in der er Thevog verschmitzt ansah. "So, deine Freundin heißt also Shilané. Ein schöner Name. Ich glaube sogar ihn schon einmal gehört oder gelesen zu haben. Lass mich mal kurz darüber nachdenken." Der Bibliothekar verstummte erneut. Nach einiger Zeit schien er wie aus einem Traum zu erwachen. "Oh, ja. Jetzt erinner ich mich. Sie hatte etwas mit dem Ereignis zu tun. Naja, nicht direkt, aber über ihren Vater."
"Jachwey?", unterbrach der Junge aufgeregt.
"Nein, nicht Jachwey. Den Namen habe ich noch nie zuvor gehört. Leto, so hieß ihr Vater."
"Dann muss es eine andere Shilané gewesen sein."
"Nein, das glaube ich nicht. Ich muss das Ereignis noch einmal aus den Büchern heraussuchen, dann kann ich dir mehr sagen. Oder aber, du suchst es dir selber heraus. Lass uns gemeinsam in der Datenbank nach der entsprechenden Chronik suchen, dann kannst du sie dir holen. Wenn sie nicht schon auf deinem Tisch irgendwo unter den anderen Büchern liegt", fügte er noch hinzu und verwies mit einer Handbewegung auf die Stapel, die Thevog angehäuft hatte. "Komm, lass uns gehen und nachsehen." Thevog folgte dem alten Mann durch die Gänge bis in dessen Büro.
Zehn Minuten später standen beide wieder an Thevogs Tisch. Der Bibliothekar hatte einen Rollwagen mitgebracht, auf den er nun alle von dem Jungen nicht mehr benötigte Manuskripte und Bücher packte , um sie wieder in die Regale einzuordnen. Schließlich waren die beiden damit fertig und der alte Mann zog von dannen. Shilanés Freund hingegen setzte sich mit dem noch übrig gebliebenen dicken Wälzer in seinen Stuhl, wo er umgehend anfing zu lesen. Das Ereignis war über eine Vielzahl an Seiten ausführlich beschrieben, inklusive aller Details und Namen. Als der Junge endlich fertig war, klappte er die Chronik mit einem lauten, dumpfen Geräusch zu. Jetzt war ihm plötzlich einiges sehr deutlich geworden , was sich in den letzten Wochen abgespielt hatte. Und zu allem war Jikav der Schlüssel. Ungläubig saß er noch lange da, während er versuchte, das Gelesene zu verdauen. Er hatte vieles erwartet, aber das wäre ihm niemals in den Sinn gekommen.
"Hier steckst du" riss ihn die Stimme von Misuk aus den Gedanken. "Das hätte ich mir ja denken können."
"Was machst du denn hier? Ist deine Mission für deinen Vater schon beendet?"
"Die ist beendet. Aber wir haben einen neue Mission, wenn du mitkommen willst."
"Worum geht es denn?"
"Kaziir hat mich gebeten ihr bei der Suche nach Jikav zu helfen. Wir werden uns zunächst an die Stelle begeben, wo ich ihn zuletzt lokalisiert habe. Dort werden wir dann in die Vergangenheit reisen und beobachten. Ich hoffe, wir können herausfinden, warum er für mich an diesem Ort so spurlos verschwunden ist. Und wenn wir das können, dann werden wir so gut es geht folgen, in der Hoffnung ihn endgültig auftreiben zu können."
"Das klingt nach einer interessanten Abwechslung. Ich kann dir dann auch auf dem Weg erzählen, was ich bislang herausgefunden habe."
"Ich habe schon gehört. Kein einziges Blatt Papier war vor dir sicher. Der Bibliothekar wird Wochen brauchen, um alles wieder an Ort und Stelle zu bringen", lachte das Mädchen laut auf.
"Tja, so etwas passiert, wenn man mich mit derart vielen Informationen allein lässt", grinste Thevog zurück.
"Gut, dann lass uns deine Sachen holen. Kaziir wartet schon auf mich. Eigentlich wollte sie schon längst unterwegs sein, aber ich konnte ihr noch etwas Zeit abschwätzen, um dich zu holen. Jetzt sollten wir sie aber nicht länger als unbedingt nötig warten lassen."
"Warum? Du kannst doch in der Zeit zurückspringen", argumentierte der Junge vollkommen ernst.
"Klar kann ich das, aber was hast du denn noch vor, das unbedingt erledigt werden muss?"
"Zum Beispiel die Chronik wieder an ihren Platz stellen, damit der alte Mann das nicht machen muss. Der hat schon genug zu tun." Er blickte Misuk todernst an, bevor dann beide in schallendes Gelächter verfielen.
Kaziir sch a ute gerade auf die Uhr, als die beiden Jugendlichen aus dem Nichts materialisierten. Ein leichter Lufthauch, wie er immer entstand, wenn ein Teleporter erschien und die Luft um sich herum verdrängte, wehte durch ihre rötlichen, langen Haare. Elric, der sich noch immer nicht ganz an seine neuen Freunde gewöhnt hatte, zuckte bei dem unerwarteten Auftauchen der beiden Menschen zusammen. Mutanten waren ihm noch ein Buch mit sieben Siegeln, das er vermutlich selbst nach dem Öffnen nicht verstehen würde.