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Fall 2

Sachverhalt

Olaf (O) ist wütend auf Theo (T), da dieser am letzten Wochenende auf einer Party einen Witz auf seine Kosten gemacht hat, über den alle herzlich gelacht haben. Als er T eine Woche später zur Rede stellt, ergibt sich ein hitziges Streitgespräch, infolge dessen T plötzlich ausrastet und O von vorne am Hals packt, gegen die Wand drückt und würgt. O, der kaum mehr Luft bekommt, versucht, um der brenzligen Lage zu entkommen, mit mehreren Tritten T im Unterleib zu treffen. Um nicht einen solchen Tritt abzubekommen, versetzt T dem O nun einen heftigen Faustschlag gegen die Schläfe. Dabei weiß er, dass die Möglichkeit besteht, dass ein solcher Faustschlag gegen die Schläfe tödlich sein kann. Dennoch findet er sich mit diesem Risiko ab. Schwer getroffen sinkt O zu Boden und erleidet ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, an dem er kurze Zeit später auch stirbt.

Aufgabe

Prüfen Sie gutachterlich die Strafbarkeit des T durch den tödlichen Faustschlag. § 211 StGB ist nicht zu prüfen.

Lösungsskizze

Strafbarkeit des T nach § 212 Abs. 1 StGB?

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Handlung (+)

b) Erfolg: Tod eines anderen Menschen (+)

c) Kausalität (+)

d) Objektive Zurechnung (+)

2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (+)

II. Rechtswidrigkeit

Notwehr für T gemäß § 32 StGB?

1. Notwehrlage

a) Angriff (+)

b) Gegenwärtig (+)

c) Rechtswidrig

Notwehr für O gemäß § 32 StGB?

aa) Notwehrlage

(1) Angriff (+)

(2) Gegenwärtig (+)

(3) Rechtswidrig (+)

bb) Notwehrhandlung

(1) Verteidigung (+)

(2) Erforderlichkeit (+)

(3) Gebotenheit (+)

cc) Subjektives Rechtfertigungselement (+)

Zwischenergebnis 1: Notwehr für O gemäß § 32 StGB (+)

Zwischenergebnis 2: Notwehr für T gemäß § 32 StGB (–)

III. Schuld (+)

Ergebnis: Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB (+)

Ausformulierte Lösung

T könnte sich wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er O einen Faustschlag gegen die Schläfe verpasste.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

Fraglich ist, ob der objektive Tatbestand erfüllt ist.

a) Handlung

Die Handlung liegt in dem Schlag mit der Faust gegen die Schläfe.

b) Erfolg: Tod eines Menschen

O ist tot.

Klausurhinweis: Selbstverständlich ließe sich auch eine Definition für das Tatbestandsmerkmal „Tod eines Menschen“ finden (z. B. Ein Mensch ist tot, wenn lebensnotwendige Körperfunktionen unwiderruflich erloschen sind). Da sich dieses Tatbestandsmerkmal aber in aller Regel unproblematisch bereits aus dem Sachverhalt ergibt, sollte hier lediglich eine ganz kurze Feststellung erfolgen, die auch keiner weiteren Begründung bedarf.

c) Kausalität

Fraglich ist, ob die Handlung des T kausal für den Erfolg war. Eine Handlung ist kausal für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele („conditio-sine-qua-non“-Formel).7 Der Schlag des T mit der Faust gegen die Schläfe von O kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass das tödliche Schädel-Hirn-Trauma des O entfiele. Folglich war die Handlung des T kausal für den Tod des O.

d) Objektive Zurechnung

Zu prüfen ist, ob der Erfolg T auch objektiv zuzurechnen ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen hat, das sich im tatbestandsmäßigen Erfolg niedergeschlagen hat.8 T hat durch den Faustschlag ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen, das sich auch im tatbestandsmäßigen Todeserfolg niedergeschlagen hat. Folglich ist der Erfolg T auch objektiv zurechenbar.

Somit ist der objektive Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

S müsste auch den subjektiven Tatbestand erfüllt haben.

Hierfür müsste er vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.9 Vorliegend wusste T um die Möglichkeit, dass sein Faustschlag gegen die Schläfe tödlich sein könnte. Gleichwohl hat er sich mit diesem Risiko abgefunden und es somit zumindest billigend in Kauf genommen. Damit hat er zumindest mit Eventualvorsatz und damit vorsätzlich gehandelt.

Der subjektive Tatbestand ist somit erfüllt.

II. Rechtswidrigkeit

Fraglich ist, ob T rechtswidrig gehandelt hat. Rechtswidrig handelt, wer sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann.

T könnte vorliegend in Notwehr gemäß § 32 StGB gehandelt haben.

1. Notwehrlage

Dafür müsste eine Notwehrlage bestanden haben.

a) Angriff

Zu prüfen ist, ob ein Angriff auf T vorlag. Ein Angriff ist jedes willensgetragene Verhalten eines Menschen, das ein rechtlich geschütztes Interesse zu verletzten droht.10 Vorliegend versuchte O, den T mit Tritten im Unterleib zu treffen. Dies stellt ein willensgetragenes menschliches Verhalten dar, welches die körperliche Unversehrtheit des T zu verletzten drohte. Demnach lag ein Angriff vor.

b) Gegenwärtig

Fraglich ist, ob der Angriff auch gegenwärtig war. Gegenwärtig ist der Angriff, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert.11 Die Tritte von O in Richtung des Unterleibes des T fanden gerade statt bzw. dauerten noch an. Demnach war der Angriff gegenwärtig.

c) Rechtswidrig

Der Angriff des O müsste auch rechtswidrig gewesen sein. Das wäre der Fall, wenn er nicht seinerseits durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt gewesen wäre.12

In Betracht kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr gemäß § 32 StGB.

Klausurhinweis: An dieser Stelle gilt es nun, den Überblick nicht zu verlieren, denn innerhalb der Notwehrprüfung des T wird nun eine Notwehrprüfung des O vorgenommen (sog. Inzidentprüfung oder Schachtelprüfung). Dies wird durch eine konsequente Gliederung erleichtert.

aa) Notwehrlage

Zu prüfen ist, ob für O eine Notwehrlage vorlag.

(1) Angriff

Fraglich ist, ob ein Angriff auf O vorlag.

Klausurhinweis: Definitionen müssen nicht ständig wiederholt werden, wenn diese bereits einmal wiedergegeben worden sind. Allenfalls ist auf die bereits erfolgte Definition hinzuweisen.

T hat O gegen die Wand gedrückt und gewürgt, so dass dieser kaum noch Luft bekam. Dies stellt ein willensgetragenes menschliches Verhalten auf das Individualrechtsgut der Gesundheit und des Lebens von O dar. Demnach lag ein Angriff des T auf O vor.

(2) Gegenwärtig

Der Angriff des T müsste auch gegenwärtig gewesen sein. Das Würgen des O durch T fand gerade statt und dauerte noch an. Demnach war der Angriff des T auch gegenwärtig.

(3) Rechtswidrig

Fraglich ist, ob der Angriff des T auch rechtswidrig war. Für den Angriff des T durch das Drücken gegen die Wand und das Würgen sind jedoch keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Insbesondere liegt allein in einem Streitgespräch kein Angriff vor. Demnach war der Angriff des T auch rechtswidrig.

Somit lag für O eine Notwehrlage vor.

bb) Notwehrhandlung

Es müsste auch eine Notwehrhandlung vorgelegen haben.

(1) Verteidigung

Zu prüfen ist, ob eine Verteidigung vorlag. Verteidigung ist jedes Verhalten, das sich gegen die Rechtsgüter des Angreifers richtet.13 Vorliegend richteten sich die Tritte des O gegen die Rechtsgüter des Angreifers T. Demnach lag eine Verteidigung vor.

Klausurhinweis: Der Prüfungspunkt der Verteidigung kann in Fällen, in denen sich diese – wie hier – offensichtlich gegen Rechtsgüter des Angreifers richtet, auch gänzlich weggelassen werden.

(2) Erforderlichkeit

Die Verteidigung müsste auch erforderlich gewesen sein.

Dies setzt zunächst voraus, dass die Verteidigung geeignet war, den Angriff abzuwehren. Dies wäre der Fall, wenn sie hierzu förderlich gewesen wäre. Die Tritte waren zur Abwehr des Angriffs förderlich. Demnach war die Verteidigung geeignet.

Zudem dürfte kein milderes Mittel zur Verteidigung existieren, welches zur Abwehr des Angriffs gleich wirksam gewesen wäre.14 Vorliegend wurde O von T gegen die Wand gedrückt und gewürgt, so dass O keine Luft mehr bekam. Mildere Mittel als die versuchten Tritte in den Unterleib, die angesichts der Situation des O gleich wirksam zur Beendigung des Angriffs geführt hätten, waren vorliegend nicht ersichtlich. Demnach war die Verteidigung insgesamt auch erforderlich.

Klausurhinweis: Im Gegensatz zu einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist bei der Notwehr keine Güterabwägung (entsprechend der eingriffsrechtlichen Angemessenheit) vorzunehmen.15

(3) Gebotenheit

Die Verteidigung in Form der versuchten Tritte müsste auch geboten gewesen sein. Geboten ist eine Verteidigung, wenn diesbezüglich keine sozialethischen Einschränkungen des Notwehrrechts bestehen.16 Solche Einschränkungen waren vorliegend nicht ersichtlich. Demnach war die Verteidigung des O auch geboten.

Klausurhinweis: Keinesfalls ist es im Rahmen der Gebotenheit angebracht, die Fallgruppen, bei denen sozialethische Einschränkungen in Betracht kommen, vollständig aufzuzählen, wenn für deren Vorliegen – wie hier – keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Nur wenn ernstlich eine Einschränkung der Notwehr in Betracht kommt, ist dies vertieft anhand der bekannten Fallgruppen zu erörtern.

cc) Subjektives Rechtfertigungselement

Letztlich müsste zudem das subjektive Rechtfertigungselement vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn O in Kenntnis der Notwehrlage und mit Verteidigungswillen gehandelt hätte. O handelte vorliegend in Kenntnis der Notwehrlage und um sich gegen das Würgen des T zu verteidigen. Demnach liegt auch das subjektive Rechtfertigungselement vor.

Zwischenergebnis 1

Demnach hat O bei der Ausführung der Tritte in Notwehr gehandelt. Sein Angriff auf T war daher nicht rechtswidrig.

Zwischenergebnis 2

Mangels eines rechtswidrigen Angriffs durch O bestand für T somit keine Notwehrlage. Also hat T vorliegend nicht in Notwehr gemäß § 32 StGB gehandelt. Demnach kann T sich nicht auf einen Rechtfertigungsgrund berufen.

T handelte rechtswidrig.

III. Schuld

Auch Entschuldigungsgründe kommen vorliegend nicht in Betracht. T handelte folglich auch schuldhaft.

Ergebnis

T hat sich wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er O einen Faustschlag gegen die Schläfe verpasste.

Klausurhinweis: Sofern sich eine Inzidentprüfung in der Klausur durch eine chronologische Prüfungsreihenfolge vermeiden lässt (insbesondere wenn nach der Strafbarkeit aller Beteiligten gefragt ist), sollte dieser Weg gewählt werden, da dann ein Verweis auf die bereits erfolgte Prüfung möglich ist.

Fälle und Lösungen im Strafrecht für die Polizeiausbildung

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