Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 16

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1 - 14 Liebesdinge -

Anaya erwachte als Erste. Sie war sich nicht sicher, wie lange ihre Bewusstlosigkeit gedauert hatte. Sie lag auf schlammigem Untergrund. Ein Gewitter war aufgezogen, das noch immer andauerte. Es hatte das Feuer gelöscht und den Boden aufgeweicht.

Zum Glück hatte sie Kmarr auf eine Plane aus grobem, geöltem Zeltleinen gebettet, so dass er weitgehend trocken geblieben war.

Das erkannte sie aber erst, nachdem sie das Feuer neu entfacht hatte. Im flackernden Schein konnte sie sich auch ein Bild der Wunden machen. Die Verbände waren jeweils an einer Stelle von der Größe ihrer Hand durchgeblutet.

Wäre Kmarr kein Leonide gewesen, hätte sie sich Sorgen gemacht. So beschloss sie, sich erst um Trinkwasser und ein dichteres Dach zu kümmern, bevor sie die Verbände wechselte.

Dabei lauschte sie auf die Kreischlaute der Blutbäume und das Donnergrollen des Gewitters. Sie machte sich Sorgen um die Anderen. Die Gewalt der Flut ließ es als reinen Zufall erscheinen, dass Kmarr und sie und wohl auch Phyria überlebt hatten. Sie hoffte inständig darauf, dass es weitere Überlebende gab.

Jiang war wie eine Schwester für sie und Droin war ein unerschütterlicher Fels, an dem sie sich alle orientieren konnten.

Und dann war da noch Drakkan.

In vielerlei Hinsicht versuchte sie noch immer, sein Wesen zu enträtseln. Er schien so stur und grob, immer mit dem Kopf durch die Wand, ständig mit mehr Problemen, als ein Tempelhändler aus Ho‘teh Münzen besaß. – Und alle Welt wusste, dass niemand reicher war.

Kopfschüttelnd fragte sie sich, wieso sie sich die Schwierigkeiten aufbürdete. Im Grunde kannte sie die Antwort schon: Es war aufregend.

Das Spiel mit dem Feuer. Die Abwechslung, die Ungewissheit. Kein langweiliges Dasein als Eheweib des Bäckers von Rotlehm oder Waldwinkel oder wie die winzigen Siedlungen mit ihrer winzigen Bedeutung allenthalben hießen.

Als Aliana und Druidin war es ohnehin wenig wahrscheinlich, so zu enden, doch einen heiligen Hain zu beschützen, war in ihren Augen kein ungleich bedeutsameres Schicksal. Immerhin war sie genau wegen dieser Aussicht aus Galladorn fort gegangen.

Ob sie allerdings bereit war, Drakkan mit Jiang zu teilen, wusste sie nicht genau. Vor allem hätte sie die Bitte um Erlaubnis der kleinen Shâi nicht gebraucht. Das machte die Sache so offiziell. Als hätte man sie um den Segen zu einer Heirat gebeten.

„Hätte sie sich nicht einfach nehmen können, was sie will?“, schimpfte Anaya leise vor sich hin: „Weshalb soll ich das entscheiden?“

„Weil die Shâi ein seltsames Gefühl von Ehre haben. Du hast die älteren Rechte“, erwiderte Kmarr kaum hörbar: „Danke, dass Du mein Leben gerettet hast. Selbst wenn es sich gerade nicht so anfühlt“, fügte er nach einer Pause hinzu.

Anaya sah ihn verblüfft an. Dann begann sie zu lachen. Teils aus Erleichterung, teils weil er Recht hatte.

„An Dir ist ein großer Denker verloren gegangen.“

„Um zu wissen, was in Dir vorgeht, brauche ich meinen Kopf nicht.“

Anaya ließ sich neben dem Feuer nieder: „Sag das mal Drakk. Manchmal glaube ich, sein Helm übernimmt bei ihm das Denken.“

„Wenn Du auf sein Feingefühl anspielst, da kannst Du lange warten. Er hat keins“, entgegnete Kmarr noch immer, ohne die Augen zu öffnen: „Kannst Du mir etwas Wasser reichen? Dann verwest meine letzte Mahlzeit wieder dort, wo sie hingehört“, bat er sie, während sie ihm schon einen Wasserschlauch reichte.

„Das war nötig. Danke. Jetzt schmeckt es nur noch scheußlich. Drakk hat für Gefühle anderer ungefähr so viel Verständnis, wie ein Zaunpfosten für eine Weide. Und Jiang macht es ihm nicht gerade leicht.“

„Aber sie hat es ihm doch gesagt.“

Nun öffnete Kmarr doch träge ein Auge: „Jetzt sag mir nicht, Du hast auch nichts davon gewusst.“

Beinahe hätte er den Fehler gemacht und den Kopf geschüttelt: „Ich glaube es nicht. Du bist ebenso blind, wie er. Droin und ich haben sogar gewettet, ob er es merkt, bevor sie es ihm sagt. Jetzt bin ich einen Platinwürfel reicher.“

„Wann habt ihr gewettet?“

„Letzten Winter – nein, vorletzten, als wir die Laternenfischer gejagt haben.“

Die schleimigen Kreaturen hatten Ähnlichkeit mit großen Schnecken, die ihre Körper zum Leuchten bringen konnten. Sie lebten in den Höhlen unter dem Immerscheingebirge, die noch tiefer reichten als die Behausungen der Naurim. Das Licht lockte Beute an, die sie mit langen, klebrigen Fühlern ertasteten. Außerdem verspuckten sie lähmendes Gift.

Anaya schüttelte den Kopf: „So lange schon? Ich war tatsächlich blind. Und sie hat mich noch gefragt, ob er gut beim Bettsport sei.“

Kmarr hustete, als er sich am Wasser verschluckte.

Anaya war sich nicht sicher, ob er sie gerade auslachte.

„Wenn Du schon alles weißt, kannst Du mir auch sagen, was Jiang jetzt von mir erwartet.“

Kmarr ließ sich mit der Antwort so lange Zeit, dass Anaya schon glaubte, er wäre wieder eingeschlafen: „Die Alian leben mehr wie Tiere, was nicht heißen soll, dass ihr keine Kultur hättet, sondern dass ihr mehr nach dem Recht des Stärkeren oder Schnelleren handelt. Für die Shâi steht die Harmonie über allem. Die Ehre der Beteiligten ist wichtiger als alles andere. Sie nähern sich einander nur, wenn der andere offensichtlich Interesse hat oder sie glauben, sein Interesse wecken zu können.

Du warst schneller und könntest daher die älteren Rechte geltend machen, obwohl sie ihn länger kennt als Du.

Da ihr aber offensichtlich kein festes Paar seid, hat sie beschlossen, sein Interesse zu wecken. Und sie hat sich Mühe gegeben. Weil Drakk aber nun mal feinfühlig ist, wie eine Axt, hat er ihre Anstrengungen glatt übersehen.“

Während er erklärte, hatte Anaya einen Kessel über das Feuer gehängt, um zunächst Tee und später eine Suppe zu kochen.

„Womit hat sie angefangen?“

Ihre Gedanken kreisten um die kleine Shâi, die sie als Freundin betrachtete. Eigentlich sollte sie keine Eifersucht verspüren, doch das funktionierte erheblich schlechter als bislang. Sie fragte sich warum, während Kmarr anscheinend überlegte, wie er die Frage beantworten sollte.

Sie empfand auch sein Verhalten als ungewöhnlich. Sonst hatte er selten Mühe damit, sich gewählt auszudrücken. Das Thema berührte anscheinend auch die Anderen.

„Sie hat sich angemalt. Lippen, Wangen, Augen.“

„Was?“

„Angemalt.“

„Diese alberne Verkleidung?“, fragte sie ungläubig, als sie sich daran erinnerte, in welche unmöglichen Gewänder sich Jiang eine Zeitlang gekleidet hatte.

Zu lange Ärmel, weiße Farbe im Gesicht, sogar falsche Fingernägel und verrückte Haartürme.

„Genau, und Drakk hat genauso reagiert, wie Du.“

„Vielleicht war es nicht klug, ihm nach einer Nacht mit Droin im Zenethak ihre Aufwartung zu machen.“

Sie erinnerte sich daran, wie Droin und Drakk sturzbetrunken nach einer wüsten Schlägerei inmitten einer Horde bewusstloser Naurim am einzig heil gebliebenen Tisch in der Bar gesessen hatten, als Jiang in einer rot-grünen Seidenrobe erschienen war.

Das Gelächter ihrer beiden Freunde hatte ihr die ganze Nacht im Schädel gedröhnt, als sie auf dem Boden der Kneipe aufgewacht war.

„Er hatte auch völlig Recht. Sie sah wirklich blöd aus. Sie hat es gar nicht nötig, sich wie eine Hure zurecht zu machen und…“

Sie unterbrach sich selbst: „Götter, das hat er ihr auch gesagt, oder?“

„Genau. In einem Satz hat er ihr erst gesagt, ihre Mühe wäre vergeblich, um dann zu sagen, dass sie ihm gefällt.“

„Kein Wunder, dass sie das verwirrt hat. Aber jetzt ich weiß noch immer nicht, was ich ihr sagen soll.“

„Was sagt Dir Dein Herz? Und was Dein Verstand?“

Jetzt war es an ihr, eine lange Pause zu machen.

Kmarr konnte es hinter ihrer Stirn arbeiten sehen. Fast wäre er wieder eingeschlafen, so lange brauchte sie für eine Antwort. Die Unterhaltung hatte ihn erschöpft.

„Ich…ich…ach verdammt, ich weiß es nicht!“

„Da hast Du Deine Antwort.“

„Danke. Nur hilft mir das nicht.“

„Natürlich nicht. Ich will die Antwort auch nicht für Dich finden. Das ist Deine oder eure Sache. Aber am Ende weißt Du schon, was passieren wird.“

„Ja“, antwortete sie so leise, dass er sie beinahe nicht verstanden hätte.

Er beneidete sie nicht. Drakkan war ein freier Geist, der sich nicht binden lassen würde.

Auch nicht von Anaya oder Jiang. Vielleicht von beiden zusammen, doch er würde sich hüten, diesen Gedanken laut auszusprechen. Ein Harem war bei den Leoniden normal, daher fand er nichts bei der Vorstellung, mehrere Frauen zu haben.

Drakkan natürlich auch nicht. Nur ob es ausgerechnet diese beiden sein mussten, darüber war er sich nicht so ganz im Klaren.

Jetzt stand jedoch vor allem die Frage ihres Überlebens im Raum. Und dazu war die Suppe genau richtig, deren Duft so verführerisch in seine Nase stieg.

Mit Ausnahme von Drakkan, dessen Kochkünste sogar ein Schwein verschmähte, konnten alle ein schmackhaftes Mahl aus den einfachsten Zutaten herstellen.

Anaya rührte gedankenverloren im Topf herum. Sie war wütend auf sich selbst und gleichzeitig ratlos. Bis Jiang sie gefragt hatte, ob es ihr etwas ausmachen würde, Drakkan zu teilen, hatte sie nie Probleme damit gehabt.

Jetzt empfand sie eine gewisse Eifersucht. Ein Gefühl, das ihr überhaupt nicht gefiel. Sie genoss ihre Freiheit und hatte auch nicht vor, sie für den großen Kerl aufzugeben.

Und Jiang? Sie war eine gute und treue Freundin, die lange Jahre zugesehen und vermutlich auch zugehört hatte, was sie mit Drakkan trieb. Ein wenig Toleranz von ihr, war das Mindeste, was sie ihrer Freundin schuldig war.

„Was ist eigentlich mit unseren Nachbarn? Meinst Du, wir werden sie irgendwie los?“, unterbrach Kmarr ihre Gedankengänge.

Dankbar für die Ablenkung überlegte sie nicht lange: „Solange sie Blut riechen, werden sie bestimmt nicht verschwinden. Deshalb werden wir unseren Geruch hier zurücklassen. Sobald Deine Wunden nicht mehr bluten, brechen wir auf. Sonst kommt am Ende noch der Hexer mit seiner Flut zurück, wenn er merkt, dass wir nicht so leicht umzubringen sind.“

„Danke, einmal hat mir gereicht.“

„Mir auch. Das ist ein Gegner, dem wir nicht gewachsen sind.“

„Wohl war. Also was ist jetzt mit der Suppe? Willst Du sie noch länger rühren oder füllst Du meine Schale?“

Auf getrennten Wegen

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