Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 17

Оглавление

1 - 15 Schilf -

Bislang hatte Shadarr sich immer für unglaublich aufmerksam gehalten. Seinen Sinnen entging nichts. Er war schnell, zugleich aber stark und leise. Hier im hohen Schilfgras in Narfahel musste er erkennen, dass es andere gab, die darin ebenso gut waren, sich verborgen zu halten.

Seine Angreifer fielen ihm erst auf, als die winzigen Blasrohrpfeile von seiner harten Haut abprallten, ohne ihn zu verletzen.

Die Wesen waren schlank, kaum dicker als ein kleines Bündel Schilf, hatten längliche Köpfe wie ein Rohrkolben und ebenso dunkel. Sonst waren sie von der Farbe trockenen Grases. Sie hatten vier Arme, die wohl nicht kräftiger wirkten, als ein einzelner Halm und in zarten Blütentrieben endeten, mit denen sie die Schilfblasrohre hielten.

Ihre Münder waren schmale, senkrechte Schlitze, wie bei den Blutbäumen. Ihre Augen, von denen sie vier besaßen, waren dunkle Löcher. Fast jeder hielt ein oder zwei Dolche in den freien Händen, die von Form und Material an lange Blätter erinnerten, offensichtlich aber härter und schärfer waren.

Zu hören war nur das Rascheln von Schilf im Wind, in dem das trockene Husten der Blasrohre kaum auszumachen war.

Einen Geruch hatten sie ebenso wenig.

Alles, was Shadarr roch, waren die Pflanzen und der schlammige Untergrund. Er überlegte kurz, ob es sich lohnte, ein paar von ihnen zu erlegen, doch dazu hätte er Jiang ablegen müssen.

Es war nicht so, dass er Angst verspürte, doch auch er konnte bei all seiner Stärke und Schnelligkeit nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein. Also schwenkte er sein mächtiges Haupt nur einmal hin und her, dann preschte er geradewegs auf die größte Gruppe zu. Die kleinen Viecher verschwanden raschelnd im Schilfmeer, ohne Spuren zu hinterlassen.

Obwohl er versuchte, einige unter seinen Klauen zu zermalmen, war er sich fast sicher, dass er nur ein paar Halme geknickt hatte.

Hierher musste er unbedingt zurückkehren. Die Jagd versprach, interessant zu werden.

Jetzt war Eile wichtiger. Besonders, weil er fühlte, wie Jiang sich regte. Irgendwie hatte sie ein kleines Fläschchen von ihrem Gürtel gelöst, und schluckte gerade die beißend riechende Flüssigkeit daraus hinunter.

Der Bambuswald war endlos. Seltsamerweise waren die Stämme kleiner als sie und stachelig. Kleine Dämonen mit langen Nasen spuckten sie an, während sie an ihnen vorbei glitt, ohne einen Schritt zu tun. Sie schwebte auf einer stacheligen Sänfte vorbei.

Blicke aus tausend Augen begleiteten sie, sich stachen wie Nadeln nach ihr, gleichzeitig brannten sie wie Feuer unter der Haut. Was als leichtes Kribbeln begonnen hatte, wurde unerträglich, als die Krämpfe einsetzten.

Dunkel erinnerte Sie sich an eine grünhäutige Dämonin mit Hörnern und Hufen, die etwas über einen Trank gesagt hatte, der alle Schmerzen fraß. – Wenn man ihn überlebte.

Kaum einen Lidschlag, nachdem der letzte Tropfen ihre Kehle passiert hatte, setzten die Krämpfe ein. Es war als würden alle Muskeln gleichzeitig angespannt. Sie biss sich beinahe die Zunge ab, während sich ihr Rücken durchbog, als wolle ihr Rückgrat brechen.

Ihr war so, als versuche jemand ihr den Magen durch die Nase zu ziehen. Ihr Körper zitterte und schüttelte sich. Ihre Haut begann zu bluten, ihre Augen, ihre Nase, sogar ihre Oren und ihre Brustwarzen. Das Blut, welches austrat, war ölig und schwarz.

Shadarr schmeckte Aas und andere Dinge, die sich noch weniger zum Essen eignete.

Er spuckte Jiang kurzerhand aus.

Sie landete steif wie ein Brett im Schilf, den Rücken angespannt wie ein Bogen, Arme und Beine weit gespreizt. Sogar die Finger und Zehen.

Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Haut zitterte in Wellen, Schaum hatte sich vor Mund und Nase gebildet.

Die Bläschen blubberten mit der Atmung. Nicht nur der Geschmack war widerlich, auch der Gestank war kaum auszuhalten.

Shadarr wurde zwei Schritte zurückgetrieben.

Er blickte sich um, sicher dass die kleinen Kreaturen noch in der Nähe waren, doch obwohl er sich gründlich umblickte, konnte er keine mehr entdecken.

So, wie sie aufgetaucht waren, so waren sie auch wieder verschwunden. Er war sich sicher, dass er sie nicht zum letzten Mal gesehen hatte.

Unterdessen hatten Jiangs Krämpfe und das Zittern aufgehört, dafür erbrach sie sich nun, während sich ihr Körper gleichzeitig auch auf andere Weise entleerte.

Sie schaffte es irgendwie, sich auf die Seite zu rollen, um nicht in ihren Exkrementen liegen zu bleiben.

Interessiert beobachtete Shadarr, wie um sie herum das Schilf verwelkte. Alles an Jiang war also giftig. Schlecht zu fressen.

Er hielt sich auf der Windabgewandten Seite, denn der Geruch, den sie verströmte, war sogar für Ihn fürchterlich abstoßend.

Eine Mischung aus süßlicher Fäule, Blut, saurer Milch und Tod.

Immerhin schien es so, als hätte sie bis hierhin überlebt, doch es war noch ein weiter Weg aus dem Schilf. Es war eisig kalt und der Untergrund nicht besonders trocken.

Was das Gift nicht vermocht hatte, konnte der einbrechende Winter noch erreichen.

Da ihm Warten nicht sinnvoll und zudem langweilig erschien, beschloss er stattdessen einige von den Grasmännchen zu fangen, die immerhin versucht hatten, ihn zu verletzen.

Beinahe lautlos verschwand er im Schilf, ohne sich nochmal umzusehen.

Hätte er es getan, hätte er bemerkt, wie sich Jiang schwach zu regen begann. Sie fühlte sich entsetzlich. Ihre Muskeln brannten wie nach einem langen Tag voller harter Feldarbeit.

Ihre Haut hatte überall kleine rote Punkte wie Mückenstiche, die schmerzten, als hätte jemand sie mit Nadeln gefoltert, wie sie feststellte, als sie endlich mühsam ihre Augen aufgezwungen hatte. Ihre Eingeweide quälten sie mit Krämpfen, während sie sich zugleich leer anfühlten.

Blut verklebte ihre Augen und Ohren, doch das schlimmste war der Geruch.

Obwohl sie nicht über Shadarrs Nase verfügte, so war das, was sie da riechen konnte, dennoch unerträglich widerlich.

Zu allem Überfluss war ihr auch noch kalt. So kalt, dass sie ohne Feuer sterben würde. Das einzig Gute war, dass das Fieber und die Träume verschwunden und ihr Kopf wieder frei waren.

Wie ein altersschwacher Greis wälzte sie sich auf die Stelle zu, an der Shadarr ihren Rucksack fallengelassen hatte. Ihre Hände zu gichtigen Klauen gekrümmt, zog sie sich Fingerbreite um Fingerbreite voran.

Die Schnallen ihres Rucksacks waren zum Glück so geformt, dass sie sich mit einer Hand öffnen ließen. Trotzdem brauchte sie mehrere Versuche, bei denen ihr zwei Fingernägel abbrachen, als wären sie aus trockenem Reisig. Hätte sie Kraft zum Fluchen gehabt, sogar Drakkan wäre beeindruckt gewesen.

So mühte sie sich einfach weiter, bis sie schließlich eine Phiole mit Höllenfeuer befreit hatte. Satt es sorgfältig auszupacken, zog sie den Korken mit den Zähnen heraus. Sie begrüßte den sauren Geschmack, weil er um vieles besser war als der von Erbrochenem.

Sie schüttete das Pulver auf eine Handvoll Kohle, die sie ungeschickt auf dem Boden ausgebreitet hatte.

Ein kleiner Funke hätte genügt, um es zu entzünden, doch so elend, wie sie sich fühlte, konnte sie die nötige Konzentration einfach nicht aufbringen. Daher musste sie es auf herkömmliche Weise versuchen. – Mit Feuerstein und Stahl.

Sie benötigte mehr Anläufe, als sie Finger und Zehen hatte, mehrfach fiel ihr sogar der Feuerstein aus den zitternden Fingern.

Als sie schließlich Glück hatte, und der ersehnte Funke gelang, seufzte sie erleichtert auf.

Das Pulver fing fauchend Feuer.

Eine gleißende Stichflamme schoss daraus hervor.

Jiang wusste, dass das Feuer heiß genug wurde, um sogar Stahl zu schmelzen. Das Schilf darunter löste sich deshalb einfach auf, ohne die Umgebung in Brand zu setzen.

Der Boden wurde trocken, rissig und begann schließlich zu qualmen. Jiang quälte sich unterdessen aus dem verdreckten Kimono, ihrem Seidengewand, das sie kurzerhand ins Feuer warf.

Mit dem eisigen Rest Wasser aus ihrem Wasserschlauch und einem abgerissenen Ärmel säuberte sie sich so gut es ging, bevor sie sich zitternd in eines ihrer älteren Gewänder und eine Felldecke hüllte, die sie ebenfalls in Kaltarra erworben hatte. Anschließend sank sie völlig erschöpft mit brennenden Muskeln, Krämpfen und wie von tausend Nadelstichen schmerzender Haut neben dem Feuer zusammen. Von den kleinen Schilfwesen, die aus allen Richtungen auf sie zu schlichen, bemerkte sie nichts.

Auf getrennten Wegen

Подняться наверх