Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 18
Оглавление1 - 16 Der Schöpferstab -
Die Suppe war hervorragend, schlicht, doch kräftig gewürzt – und vor allem heiß.
Das Fleisch darin verfehlte seine Wirkung ebenfalls nicht. Während sie aßen, beobachtete Kmarr Anayas nachdenkliches Gesicht. Er konnte sich gut vorstellen, was ihr durch den Kopf ging. Helfen wollte er ihr allerdings nicht. Er bedauerte Drakkan dagegen jetzt schon, wenn er wirklich zwischen Anaya und Jiang geriet.
Ernsthaft besorgt war er nicht. Tödlich würde die Auseinandersetzung wohl nicht enden. Die ein oder andere Tracht Prügel für den sturen Kaltländer fand Kmarr dagegen durchaus angebracht. Wenn er nur einen Hauch weniger stur und uneinsichtig wäre, würden sich die meisten Schwierigkeiten von ganz alleine lösten. – Falls sie überhaupt entstehen würden.
„Denk nicht für mich. Mach Dir lieber Gedanken über Phyria und ihre Geschichte.“
„Glaubst Du ihr nicht? Hältst Du sie für eine Lügnerin?“
„Nicht direkt. Sie hat uns aber wichtige Teile verschwiegen.“
„Natürlich.“
Kmarr hielt Anaya die Schale hin, für eine zweite Portion: „An ihrer Stelle hättest Du noch weniger gesagt.“
„Vermutlich“, erwiderte sie und reichte ihm die gefüllte Schale zurück: „Trotzdem sollten wir versuchen, mehr herauszufinden. Da gibt es bestimmt Möglichkeiten, die ein oder andere Münze zu verdienen. Zwischen die Fronten möchte ich dabei nur ungern geraten.“
„Da besteht wohl keine Gefahr. Moraks Truppen werden uns wohl kaum anheuern. Und nach dem Massaker, das ich gesehen habe, bin ich geneigt, sie auf der Stelle zu erschlagen, anstatt ihr Gold zu nehmen.“
Schaudernd erinnerte er sich an den Leichenberg, den er erst vor ein paar Tagen entdeckt hatte. Die Toten waren grausam verstümmelt und wie Vieh geschlachtet worden, bevor Teile von ihnen gefressen worden waren.
Anaya winkte ab: „Ich habe nicht vor für jemanden zu arbeiten der versucht, mich umzubringen. Ich dachte auch eher an reiche Kaufleute, Händler, Geldwechsler und Adlige, die ihr Hab und Gut vor einer anrückenden Armee in Sicherheit bringen wollen.“
„Klingt nach einem brauchbaren Vorschlag. Aber was ist mit diesen Siegeln? Willst Du wirklich riskieren, eine Armee Dämonen zurück in die Welt zu entlassen?“
„Wenn es sie wirklich gibt: natürlich nicht. Aber was, wenn die Geschichte gar nicht stimmt? Es ist hunderte von Wintern her, seit sie verbannt worden sein sollen. Woher wissen wir, dass es wirklich eine Armee gibt? Vielleicht ist alles nur ein Märchen. Eine alte Geschichte, um Kinder zu erschrecken. Bei allem, was wir wirklich wissen ist es sogar möglich, dass dieser obskuren Orden in Wahrheit nach der Herrschaft über die Welt strebt, und dazu nur noch die sieben Siegel benötigt.“
„Hältst Du das wirklich für möglich?“
„Nicht direkt. Aber vielleicht wissen sie selbst nicht mehr, was die Siegel eigentlich genau bewirken. Es ist lange her.“
Kmarr neigte vorsichtig sein mächtiges Haupt: „Vielleicht bringt Attravals Kompass Klarheit. Irgendwie glaube ich nicht, das Droin den verloren hat.“
Anaya wirkte nicht überzeugt: „Meinst Du wirklich, der reicht so weit zurück?“
„Keine Ahnung. Einen Versuch ist es wert. Blind umher zu stolpern ist sonst auch nicht unsere Art.“
Kmarr hatte inzwischen die Schale erneut geleert und schielte nach einer weiteren Portion.
Lächelnd erfüllte Anaya ihm seinen unausgesprochenen Wunsch.
Dankbar fuhr er zwischen den Löffeln fort: „Ich bin auch froh, wenn wir wieder zu Hause sind, auch wenn ich mich manchmal wie ein Lastesel fühle.“
Die Naurimkinder des Klans ritten gerne auf seinem Rücken. Ein Gefallen, den er ihnen oft und gerne tat.
„Knurr einfach mehr.“
„Bist Du verrückt? Dann werden es nur noch mehr. Ich hoffe, ich kann die Zeit nutzen, ein paar Sachen aus dem Buch zu konstruieren und den Bolzenwerfer der Mechanikusgilde vorzulegen.“
„Deine Belohnung scheint Dir wirklich zu gefallen.“
Kmarr nickte: „Und wie. Das Buch ist unbezahlbar. Was ist denn mit Deinem? Was hast Du damit gemacht?“
Anaya deutete auf die Hülle, in der sie ihren Bogen aufbewahrte: „Nichts.“
Dem aufmerksamen Kmarr entging nicht, wie unbehaglich sie sich zu fühlen schien. Er wunderte sich, gleichzeitig seufzte er merklich auf. Heute war einer der Tage, wo er großes Talent darin bewies, die falschen Fragen zu stellen.
„Warum nicht?“
‚Was soll‘s‘, dachte er: ‚ich kann ebenso gut beenden, was ich angefangen habe.‘
„Ehrlich gesagt, mir ist der Stab unheimlich.“
„Dir? Seit wann bist Du denn abergläubisch?“
„Du hast keine Vorstellung davon was der Zirkel getan haben muss, um diese Strafe zu verdienen. Ich fürchte, etwas ist noch in dem Stab gefangen.“
Ein Schauder fuhr ihr über den Rücken.
„Bist Du sicher?“
„Ja.“
„Wie das?“
„Es ist der Stab selbst. Hast Du gesehen, woraus er ist?“
„Nein, warum? Sind es Knochen?“
„Nicht direkt. Es ist eine Dryade.“
Kmarr starrt sie an: „Du meinst er ist lebendig?“
„Ich weiß es nicht genau.“
Sie dachte einen Augenblick darüber nach: „Nein, ich glaube nicht. Ich denke, es ist der Körper eines Baumgeistes. Eben einer Dryade.“
„Willst Du damit sagen, Du trägst eine Leiche mit Dir herum?“
Er musste einmal mehr feststellen, dass es noch immer Dinge gab, die ihn überraschen konnten.
„So wie Du das sagst, klingt das besonders abscheulich. Vor allem, weil Du vermutlich damit Recht hast und auch wieder nicht.“
Sie hob frustriert die Arme: „Es ist kompliziert.“
„Warum? Sind Baumgeister denn nicht lebendig?“
Er hatte schon von ihnen gehört, allerdings waren sie sehr verstohlen und nur selten bekam sie jemand zu Gesicht. Zumeist waren es Fallensteller oder Holzfäller, die sich ihren Zorn zuzogen.
„Und wieso ist sie so klein? Ich dachte immer, Dryaden wären groß wie ich und schlank wie Du.“
Anaya nickte: „Stimmt auch. Dryaden sind das lebendige Kernholz sehr alter Bäume. – Das ist zumindest das, was die Alian über sie wissen. Es heißt, ein Druide oder Arkanist großer Macht könne sie aus dem Baum locken oder erwecken.“
„Dann sind es magische Kreaturen? Das wusste ich gar nicht.“
„Mit solchem Wissen gehen wir vorsichtig um. Wäre es nicht ohnehin in der Bibliothek von Llûn zu finden, hätte ich es Dir nicht erzählt.“
„Was ist nun mit dem Stab? Für eine Dryade ist er doch viel zu klein.“
„Irgendwie schon. Dennoch hat er ihre Form. So als hätte sie jemand ganz fest zusammengedrückt, bis sie klein und dünn geworden ist.“
Wieder schüttelte sie sich.
„Was kann der Stab denn nun? Ist er nicht eigentlich nur ein Symbol der Macht, die der mächtigste Druide eines Zirkels hält.“
Anaya sah ihn lange an, bevor sie antworte. Kmarr hatte das Gefühl, einen Test bestanden zu haben: „Ich will die Frage so beantworten, dass ich Dir hinterher nicht töten muss.“
Sie sagte das ruhig und freundlich und trotzdem spürte Kmarr plötzlich eine Bedrohung. Sie meinte jedes Wort genauso, wie sie es sagte.
„Und das, wo Du Dir so viel Mühe gegeben hast, mein Leben zu retten“, witzelte er schwach.
„Eben.“, erwiderte sie ernst.
„Also, jeder Stab ist anders. Wie jedes Schwert von einem Schmied zum anderen unterschiedlich ist.“
„Du meinst, wie er es macht und für wen?“
„Unter anderem. Außerdem woraus, wie lang, eine Schneide oder zwei, Parier, Knauf, eben alles. Jetzt stell Dir Unterschiede zwischen Axt, Schwert, Speer, Keule und auch Pflug, Rechen, Harke, Schaufel und Bogen vor.“
Er überlegte einige Herzschläge: „Alles Werkzeuge, nur jedes zu einem anderen Zweck?“
„Genau. Manche zum Bauen, andere zum Pflanzen und manche, um zu zerstören.“
„Verstehe. Und der da“, er deutete auf den Stab: „gehört zur letzten Gruppe.“
„Nein, das wäre einfach.“
Sie holte tief Luft: „Ich glaube, es ist ein Schöpfer.“
Er musste sie verständnislos angesehen haben, denn sie seufzte: „Manchmal glaube ich, mein Volk macht sich zu viel aus Geheimnissen.“
„War das nicht der Grund, warum Du gegangen bist?“
Sie streckte ihm die Zunge raus.
„Ein Schöpfer tut eben genau das.“
„Wasser schöpfen?“
„Leben erschaffen.“
„Was? Getreide? Gurken?“
Sie verdrehte die Augen: „Auch das wäre möglich. Was ich meinte ist: neues Leben.“
„Wie ein Gott“, fügte sie nach einer langen Pause hinzu.