Читать книгу Auf getrennten Wegen - Christian Linberg - Страница 3
Оглавление1 - 1 Ein Bad im Sumpf -
Im ersten Moment war alles falsch herum.
Außerdem stank es nach totem Fisch. Spontan beschloss er, sehr flach zu atmen. Seine Anstrengungen wurden damit belohnt, dass er nur wenig Wasser schluckte. Hustend hob er den Kopf – oder versuchte es zumindest.
Er hing in einem Seil fest, in das er sich hoffnungslos verheddert hatte.
Bei dem Versuch, den Helm abzunehmen, musste er darüber hinaus feststellen, dass die Schnalle fest gerostet war.
Fluchend riss er daran, bis sie sich mit einem Ruck löste. Der Helm rutschte gehorsam vom Kopf und versank platschend im Wasser.
„Das darf doch nicht wahr sein!“, schimpfte er – worauf hin er von einem neuerlichen Hustenanfall ergriffen wurde.
Nur allmählich gelang es ihm, seine Atmung zu beruhigen. Immerhin konnte er ohne den Helm wenigstens etwas erkennen. Die Sonne unter ihm nach zu urteilen, war es spät am Tage. Es war kalt und windig. Jetzt fiel ihm auch auf, dass er kopfüber in einem Seil gefangen, knapp über der Wasseroberfläche eines Sees mit dem Rücken auf einer Ölplane lag.
Nur: wo war er gerade? Droin, der stets pragmatisch dachte, sah sich gründlich um, soweit er das in seiner misslichen Lage konnte.
Worauf immer er lag, es war uneben, aber stabil. Zudem gab es einen metallischen Klang ab, als er mit den Knöcheln dagegen klopfte.
Wenigstens Etwas.
Er lag nur eine Handbreit über der Wasseroberfläche, des wohl am übelsten stinkenden Sees, den er je zu riechen das Missvergnügen gehabt hatte.
Sein Körper meldete so viele blaue Flecken und Prellungen, dass er sich nicht sicher war, ob es dazwischen überhaupt noch Lücken gab.
Er spürte nichts, das ihm nicht wehtat.
Sehr vorsichtig tastete er sich ab. Zum Glück fand er keine Brüche, dafür aber schmerzte seine Brust bei jedem Atemzug wegen des Wassers, dass er geschluckt hatte.
Mit einiger Anstrengung gelang es ihm schließlich, seinen rechten Arm soweit aus dem Seilgewirr zu befreien, dass er seinen Dolch am Gürtel erreichen konnte.
Nachdem er das Seil an mehreren Stellen zerteilt hatte, konnte er sich endlich aufrichten. Ein Schwindel erfasste ihn, als das Blut langsam aus seinem Kopf zurück in den Körper floss.
Sein Magen meldete Hunger, doch seine Nase wandelte das in Übelkeit, so dass er zunächst die Fische fütterte, obwohl er ernsthaft bezweifelte, dass es in diesem Gewässer welche gab.
Behutsam rutschte er auf seinem unbequemen Sitz herum, um die Umgebung gründlich in Augenschein zu nehmen.
Er befand sich in der wohl trostlosesten Landschaft, die er je gesehen hatte. Ein eintöniges Sumpfgebiet in Grau- und Brauntönen. Nirgends war ein grüner Halm zu entdecken, geschweige denn ein Baum oder Strauch.
Das Wasser war verdorben, kein Vogel zeigte sich am Himmel. Seine Sitzgelegenheit war nicht größer als ein Schritt im Rund und sorgfältig verpackt. Zum Glück ragte sie aus dem Wasser heraus, ohne dass Droin sagen konnte, wie oder warum.
Während er darüber nachgrübelte, wie er wohl ans Ufer kam, stellte er sich erneut die Frage, wo er überhaupt war.
Vorsichtig wandte er sich auf seiner winzigen Insel herum, bemüht, einen Anhaltspunkt dafür zu finden.
Dem Sonnenstand nach verlief der See von Ost nach West. In der Ferne konnte er Berge erkennen, das war nicht seine Heimat, die musste weiter im Norden liegen. Die genaue Richtung ließ sich nur mit einer Sonnenuhr oder einem…
Beinahe wäre er vor Schreck ins Wasser gestürzt.
Er saß auf Attravals Kompass. Dem wertvollsten und seit langem verschollenen Artefakt seines Volkes.
Und dies hier war Narfahel. Die verlorene Provinz, auch Land der Toten genannt. – Einer der gefährlichsten Landstriche der bekannten Welt.
Er war mit Drakkan, Jiang, Kmarr und Anaya, Phyria und Shadarr hierher gekommen, um den Kompass vor dem ausbrechenden Krieg im Bergreich von Kalteon in Sicherheit zu bringen, dessen Bergspitzen sich am Horizont zeigten.
Hier hatten sie eines der sieben Siegel aufgespürt, dass seit Jahrhunderten eine Armee von Dämonen gefangen hielt.
Phyria, die als Hüterin der Flamme einem geheimen Orden angehörte, der die Siegel bewahrte, hatte sie angeführt. Es war ihr mit Drakkan, Jiang und Anaya zusammen gelungen, den Siegelstein mit neuer Kraft zu speisen, so dass er ein weiteres Jahrhundert das Gefängnis verschließen würde. Bis zu diesem Moment hatten sie Erfolg gehabt.
Narfahel wurde jedoch nicht umsonst als „verloren“ bezeichnet.
Einst hatte es zum Imperium gehört, aber die nördlichen Provinzen Orenoc, Denelorn, Morak und Narfahel hatten sich vor Jahrhunderten losgesagt.
Der Krieg um ihre Unabhängigkeit war lang, blutig und letztlich für die Provinzen auch erfolgreich gewesen. – Nur Narfahel war dabei dauerhaft verändert worden. Sein erster Regent, Fern Tarn hatte einen Fluch gewirkt, der das gesamte Land betraf. Alles wurde feindlich, giftig oder verdorrte – manchmal auch alles auf einmal.
Hier gab es kein Wasser, keine essbaren Pflanzen, keine Nahrung. Nur Raubtiere und Geister der einstigen Bewohner.
Daher war Droin nicht unbedingt scharf darauf, einen Schwimmversuch zu machen.
Bleiben konnte er an Ort und Stelle aber auch nicht.
Langsam, um nicht zu früh ein Bad zu nehmen, legte er seine Rüstung ab. Mit dem Rest des Seils band er sie zu einem ordentlichen Bündel zusammen.
Wenn er nun das längste Seilstück um seine Hüfte knotete, sollte er den Kompass hinter sich her ziehen können. Er hoffte inständig, dass das Artefakt nicht beschädigt worden war.
Noch mehr Sorgen machte er sich dabei um seine Gefährten, von denen er nirgends etwas entdecken konnte.
Die riesige Flutwelle, die sie alle hinweg gefegt hatte, hatte sie zugleich auch in alle Winde verstreut. – Zumindest hoffte er, dass sie lediglich einige Meilen voneinander entfernt gelandet waren.
Wäre es nur die Welle gewesen, hätte er sich keine größeren Sorgen gemacht.
Doch er hatte das vor Wut verzerrte Gesicht gesehen, dass sich im Wasser gezeigt hatte, kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte. – Und er hatte die Stimme gehört.
Vermutlich war er der Einzige gewesen, denn die Sprache, in der sie gesprochen hatte, war längst untergegangen.
Droin war über dreihundert Winter alt. In seiner Jugend hatte es sie noch in vielen Teilen der Welt gegeben: Imperyal, die alte Sprache des Imperiums.
„Raus aus meinem Land!“, hatte sie gebrüllt.
Viel half ihm dieses Wissen allerdings nicht. Besonders nicht dabei, seine Gefährten zu finden, denn zunächst blieb das Problem, wie er zum Ufer kam.
Strömung gab es keine, ein Ruder hatte er nicht und auch nichts, aus dem er eines hätte bauen können. Sein Speer wäre eine Hilfe gewesen. Leider war der irgendwo in den schlammigen Fluten versunken. Naurim waren einfach nicht für das Wasser gemacht.
Es blieb also wirklich nur die bei weitem unangenehmste Form, sich aus der Lage zu befreien: Schwimmend. Auch wenn er bereits vor einer Weile schon zu dieser Erkenntnis gekommen war, zögerte er lange, ehe er sich langsam in die eisigen Fluten sinken ließ.