Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra - Christian Linberg - Страница 10

- 7 Brückenzoll -

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Ich sehnte mich nach der Enge und Hitze nach einem Fleckchen Himmel und frischer Luft. Nachdem ich die Garküche gefunden hatte, deren Essen noch halbwegs bezahlbar war, ließ ich mir das Essen – eine Mischung aus Huhn und Akaria-Wurzeln mit einer sehr würzigen Sauce in eine Schale aus dünnem Holz füllen. Die Preise der Stadt hatten bereits die Auswirkungen des Kriegsausbruchs zu spüren bekommen. Kaum etwas, dass nicht bereits jetzt doppelt so teuer war, wie es eigentlich sein sollte.

Mit meinem Essen in der Hand schlenderte ich in Richtung einer der Brücken.

Gerade als ich sie betreten wollte, erklang von irgendwo über mir ein einzelner weit hallender Gongschlag. Die Menschen in meiner Umgebung blieben alle stehen und lauschten.

„Höret! Höret! Neuste Nachrichten! Der Magistrat gibt bekannt: Die beiden Wachfestungen im Osten und Westen stehen noch!“

Jubel brach um mich herum aus, der das widerspiegelte, was ich dachte. Droin war also noch in Sicherheit.

„Der niederträchtige Feind aus Morak konnte unsere tapferen Verteidiger noch immer nicht überwinden. Nachschub ist unterwegs zu ihnen und unsere Gebete begleiten sie. Gestern konnten die Arkanisten des Königs erneut einen der heimtückischen Knochenjäger zur Strecke bringen.“

Wieder kam Jubel auf. Doch auch wütende Stimmen waren darunter. „Nur einer?“, schimpfte eine Frau neben mir.

„So werden sie die nie erledigen.“, pflichtete ihr ein Mann bei.

„...er Magistrat erinnert alle Bürger daran, dass sie ihre Vorräte hüten sollen. Kein Bürger sollte nach Einbruch der Nacht alleine auf den Straßen unterwegs sein. Gestern sind wieder zwei unserer treuen Einwohner verschwunden. Seid wachsam! Die Stadtwache wird den Übeltäter schon bald gefangen haben.“

„Von wegen. Die fangen gar nichts. Pah!“, machte ein Händler und spuckte in den Schnee.

„Alle wehrfähigen Männer und Frauen über fünfzehn und unter vierzig Winter finden sich innerhalb dieser Woche in den jeweiligen Wachstationen ihrer Wohnviertel zur Registratur ein.“

Das war weniger gut. Generelle Mobilisierung der Bevölkerung hieß, das Land brauchte Soldaten. Und zwar dringend. Zum Glück wussten das die Einwohner nicht, sonst hätte der Aufruf wohl weniger Zustimmung geerntet, als ich von den Leuten um mich herum vernahm.

„Nicht Erscheinen wird mit Zwangsarbeit in den Minen bestraft.“, fügte der Ausrufer hinzu.

'Und hilft so dabei, ausreichend Eisenerz und Kohle für die Schmieden zu beschaffen.', fügte ich in Gedanken hinzu. Nicht dumm gedacht.

„Reichsverweser von Harden ruft alle Herbergen und Gasthäuser dazu auf, eine Liste mit ihren Gästen binnen zweier Tage bei der Stadtwache abzugeben. Verstöße werden schwer bestraft.“

Na toll. Plötzlich fiel mir wieder ein, dass von Harden ja der Onkel von Zollinspektor Oribas war. Ich fragte mich, ob ich dadurch Schwierigkeiten bekommen würde. Jedoch verwarf ich den Gedanken schnell wieder.

Mit der Bekanntmachung erfuhr er zwar, welcher Fremde wo untergebracht war, aber ich bezweifelte, dass von Harden nach mir suchen lassen würde. Dafür hatte er sicherlich keine Zeit.

Sich generell darüber zu informieren wie viele Fremde es in der Stadt gab und wo sie wohnten war hingegen ein Umstand den ich durchaus nachvollziehen konnte. Besonders im Hinblick auf die Knochenjäger. Spione waren zudem etwas sehr Gefährliches. Die Truppenstärke und Aufstellung des Feindes zu kennen, entschied Kriege – zumindest hatte ich das einmal in einem Buch darüber gelesen, dass mir Droin aufgedrängt hatte.

Der Ausrufer fügte noch eine Reihe weiterer Beschränkungen bezüglich des Konsums von Alkohol hinzu und erklärte einige Bereiche der Stadt zum Sperrgebiet für die Armee. Da mich das nicht betraf, wanderte ich langsam die Brücke entlang.

In der Mitte blieb ich stehen und warf einen Blick über das Geländer auf das Treiben unter mir. Bis zum Fluss am Grund der Schlucht waren es bestimmt noch hundert Mannslängen und das, obwohl ich mich noch nicht auf halber Höhe der Nadel befand.

Die Brücke, die ich mir ausgesucht hatte, war etwas über zwei Mannslängen breit und wurde auf beiden Seiten von hohen Steinsäulen verziert, auf denen oben verschiedene Tierstatuen standen.

Ich entdeckte einen Adler, einen Wolf, einen Bären und einen Keiler.

Das Geländer hingegen war eine einfache Steinmauer, die mir bis knapp über das Knie reichte. Dafür war sie gut zwei Fuß breit.

Dieser Umstand hatte dazu geführt, dass viele Leute sich dort hinsetzten, um etwas zu essen oder sich auszuruhen und die Aussicht zu genießen. Der strenge Wind der durch das Tal wehte schien den wenigsten dabei Probleme zu bereiten. Alle waren wie ich in dicke Felle gehüllt, die ihn abhielten. Aber der Wind hatte auch sein Gutes, denn er hielt die Brücken weitgehend schneefrei. Auf einer der Brücken ohne Geländer hätte ich nicht durch Schnee und Eis waten wollen. Ein falscher Schritt konnte einen dort direkt über den Rand befördern.

Ich genoss die Umgebung und die Aussicht auf die Menschen, die ihren alltäglichen Arbeiten nachgingen. Leider wurde das Essen ziemlich schnell kalt. Nach den letzten Tagen mit Kampf und Verletzungen tat es gut, mal ein wenig Ruhe zu bekommen.

Ich freute mich auf den Tag, an dem wir die Magana hinter uns lassen und endlich die Gefilde von Klan Fenloth erreichen würden.

Schließlich hatte ich mein Mittagessen vertilgt und erhob mich, um mich allmählich wieder auf den Rückweg zur Herberge zu machen. Besser die neue Kleidung gleich machen zu lassen, als sich vor Jiangs Eifer zu verstecken. Das machte nur ihre Laune schlecht, was wir alle zu spüren bekommen würde.

Ich warf noch einen letzten Blick über das Geländer auf das Gewimmel auf den Brücken unter mir und marschierte dann in Richtung Nadel los.

Nach einem halben Dutzend Schritte blieb ich jedoch stehen und warf wieder einen Blick über das Geländer. Irgendwas war mir am Rande aufgefallen. Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nichts erkennen. Kopfschüttelnd ging ich noch ein paar Schritte weiter.

Nur um wieder umzudrehen und bis zur Mitte der Brücke zurück zu laufen. Ich beugte mich nochmals über das Geländer, legte mich dieses Mal sogar oben drauf. Mit beiden Händen an der Kante, starrte ich angestrengt auf die Brücken unter mir.

Erst sah ich wieder nichts, doch dann entdeckte ich am Rand eines der Gebäude, die etwa zwei Seillängen schräg unter mir auf einer Brücke standen, eine einzelne Gestalt in einer roten Robe.

Ich wunderte mich, warum ich sie nicht gleich bemerkt hatte, aber sie verharrte völlig regungslos. Durch die hochgeschlagene Kapuze konnte ich nicht erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, aber sie erinnerte mich verdächtig an die Person aus meinem Traum.

Da ich nicht wusste, wie ich am schnellsten einen Weg dort hinunter finden konnte, beschloss ich, sie noch eine Weile weiter zu beobachten.

Meine Kräfte hier in der Mitte der Stadt anzuwenden, schien mir nicht besonders klug. Es konnte ja durchaus auch der Besitzer des Hauses sein, der einfach die Sonne auf seiner Dachterrasse genoss. Es wäre ziemlich peinlich gewesen, wäre ich einfach so aus dem Nichts dort aufgetaucht.

Eine Weile lag ich so auf dem Geländer der Brücke, ohne das etwas geschah. Die Gestalt unten auf dem Dach bewegte sich hin und wieder, allerdings nur sehr wenig.

„Du da, Bursche. Was machst Du da?“, ertönte eine autoritär klingende Stimme hinter mir.

Im Geiste erwiderte ich die Frage mit einer Beleidigung, verbiss mir den Kommentar dann doch im letzten Augenblick. Stattdessen rutschte ich ganz langsam vom Geländer herunter und drehte mich dann um.

Sechs Soldaten der Stadtwache hatten einen Kreis um mich gebildet und musterten mich kritisch, ihre Hände locker auf die Griffe ihrer Schwerter gelegt.

„Ich sehe über das Geländer.“, gab ich einsilbig zurück und setzte mich auf.

„Das habe ich wohl bemerkt. Aber die Frage ist, warum?“, wollte der Soldat, der mich angesprochen hatte wissen. Er trug die Rangabzeichen eines Ersten Schwertes auf der Brust.

„Ich genieße die Aussicht.“, erklärte ich ihm. Ich hatte wenig Lust, ihm zu erklären, dass ich jemanden beobachtete, der so aussah, wie eine Gestalt in einem Traum. Vermutlich hätten sie mich dann sofort mitgenommen und als wirr im Geist eingesperrt. - Und ich hätte es ihnen nicht mal verdenken können.

„Und auf WAS genießt Du die Aussicht?“, wollte der Mann genervt wissen.

„Die Brücken und den Fluss natürlich. Was sonst?“, erwiderte ich leicht amüsiert.

„Findest Du das lustig? Es gibt nämlich Spaßvögel, die gerne Dinge von einer Brücke werfen. Besonders Fremde wie Du.“, sagte er ärgerlich.

„Ich habe aber nichts hinunter geworfen. Und auch nicht hinunter gespuckt, falls das Eure nächste Frage sein sollte.“, antwortete ich säuerlich. Allmählich gingen mir seine Fragen auf die Nerven.

„Ach, und jetzt wird er auch noch frech.“

Er sagte das, zu seinen Kameraden gewandt, die plötzlich alle böse aussehende Knüppel in den Händen hielten. Dazu besaßen sie Schilde und kurze Bögen mit dazu passenden Pfeilköchern.

„Scheint so, als müssten wir ihn zum Verhör mitnehmen. Er hat sich eindeutig verdächtig verhalten.“, fuhr er fort, wobei er mich völlig ignorierte.

„Tatsächlich? Ich genieße friedlich die Aussicht und ihr stört mich dabei, statt etwas Nützliches zu tun und die Knochenjäger zu fangen.“, entgegnete ich jetzt wirklich genervt. Aber noch während ich den Satz aussprach, ging mir auf, dass das nicht unbedingt das Klügste gewesen sein mochte.

Die grimmigen Mienen der Männer und Frauen in der Patrouille verrieten mir, dass ich mit der Einschätzung richtig lag.

„Das hat mir noch gefehlt. Ein Großmaul, das glaubt, besser zu wissen, wie wir unsere Arbeit zu machen haben.“

Ich seufzte innerlich. Natürlich, ich konnte mein loses Mundwerk ja auch nicht einfach mal im Zaum halten.

„Na dann wollen wir mal. Nehmt ihn mit. Wir befragen ihn in der Kaserne.“

Zwei der Wachleute traten vor und streckten ihre Hände nach mir aus.

Aus Reflex erhob ich mich zu meiner vollen Größe und meine Hand lag schneller an der Stelle, an der sich sonst mein Schwertgriff befand, als ich mich selbst daran hindern konnte.

Sie bemerkten die Geste sehr wohl.

„Ha! Widerstand leisten bringt Dir Kerker ein. Ihr habt es alle gesehen. Er hat nach seinem Schwert gegriffen.“, bemerkte der Korporal.

Jetzt war ich in ernsten Schwierigkeiten. Ich hatte zwar nicht wirklich die Hand an die Waffe gelegt, die tatsächlich über meine Schulter ragte, aber an den meisten Orten reichte die Absicht, danach zu greifen, um mit Kerker oder Zwangsarbeit bestraft zu werden. Ich wusste auch nicht, was ich mir dabei gedacht hatte. Vermutlich hatten mich die letzten Tage etwas nervös gemacht.

Ich zwang mich die Hand wieder sinken zu lassen und ruhig stehen zu bleiben: „Ich hatte nicht beabsichtigt, jemandem zu drohen. Die letzten zehn Tage musste ich ständig um mein Leben kämpfen und bin erst gestern hier angekommen. Es war nur ein Reflex, nichts weiter.“, versuchte ich die Situation noch zu retten.

„Daran hättest Du vorher denken sollen. Jetzt ist es dafür zu spät. Wir nehmen Dich mit. Vielleicht hat der Wachhabende ja Verständnis dafür. Abführen!“, befahl der Korporal.

Da war wohl nichts mehr zu machen. Ergeben ließ ich mir die Waffen abnehmen, und war erneut dankbar für den Gürtel mit den Wurfsternen, die nur wie aufwändige Verzierungen wirkten und nicht den Eindruck von Waffen machten.

Einer der Soldaten trat vor, um meine Hände in eiserne Fesseln zu legen, damit ich nicht doch noch beschloss, Dummheiten zu machen. Eine Schelle hatte er gerade geschlossen, da traf mich plötzlich ein Schwall warmer Flüssigkeit im Gesicht.

Erst war ich nur überrascht, doch dann blickte ich in das ungläubige Gesicht des Soldaten und auf den Pfeil, der aus seinem Mund ragte. Röchelnd brach er zusammen.

Einen Herzschlag später erklangen plötzlich von überall her Schreie. Panik breitete sich wie eine Woge über die Brücke aus. Menschen liefen kopflos umher und suchten Deckung hinter den Geländern. Doch die Pfeile fanden sie mit erschreckender Genauigkeit.

Hektisch sah ich mich in alle Richtungen um. Für den Moment schenkte mir keiner der Soldaten Beachtung. Einer beugte sich zu seinem getroffenen Kameraden hinunter, um zu sehen, ob er noch zu retten war, die anderen hatten ihre Schilde gehoben und sahen sich ebenso wie ich nach den Schützen um.

Ich erblickte auf Anhieb erst drei dann fünf der bleich gekleideten Gestalten auf den Dächern der Häuser auf beiden Seiten der Brücke. Und wir standen genau in der Mitte.

Dieses Mal hatte ich die Chance, einen genaueren Blick auf sie zu werfen. Angewidert erkannte ich, dass sie nicht bleich gekleidet waren, sondern dass das, was ich für Kleidung gehalten hatte, in Wahrheit Haut war, die straff über ihre skelettartigen Körper gespannt war.

Pfeile zischten heran und ein weiterer Soldat wurde getroffen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht brach er zusammen. Der Pfeil ragte aus seiner rechten Schulter.

Wenn wir nicht schnellstens hier verschwanden, waren wir alle so gut wie tot. Von der offenen Brücke würden wir es rennend nie in Sicherheit schaffen. Die Bogenschützen würden uns einen nach dem anderen mit Pfeilen spicken, ehe wir auch nur die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten.

„Was tun wir jetzt?“, wollte einer der Männer verängstigt wissen. Seine Stimme verriet mir, dass er kurz vor einer Panik stand.

Der Korporal sah sich nach allen Seiten um: „Wir schaffen es nie von der Brücke runter.“

„Hier bleiben können wir aber auch nicht.“, jammerte einer der Soldaten.

„Sie werden uns alle tö....arrrgh.“, weiter kam er nicht, dann durchbohrte ein Pfeil seinen Hals. Er hustete noch ein paar Mal, dann lag er still.

Ich traf die Entscheidung ohne groß darüber nachzudenken. Ich packte einen von den Männern und seine Kameradin daneben und schubste sie zu dem Verwundeten.

Ich legte einem die noch offene Handschelle um das Handgelenk, dann griff ich die anderen beiden so gut es ging mit meinen Händen und sog arkane Kraft aus der Quelle in meinem Inneren.

Energie durchströmte mich von Kopf bis Fuß. In Gedanken stellte ich mir einen offenen Torbogen vor, auf dessen anderer Seite der Eingang zur Nadel lag. Ich stellte mir vor, wie ich zusammen mit den Dreien hindurch schritt. Kälte, Druck und unbeschreibliche Dunkelheit stürzten auf mich ein. Ich hatte kurz das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen, spürte, wie ich in die Länge gezogen wurde wie ein Stück Teig. Meine Arme fühlten sich an, als würden sie gleich ausgekugelt, aber ich ließ die drei nicht los, denn aus Erfahrung wusste ich, wenn ich sie nicht festhalten konnte, waren sie in der Zwischenwelt verloren, durch die es mir möglich war, die beiden Orte miteinander zu verbinden.

Kaum hatte ich den Gedanken beendet, waren wir auch schon im Tunnel. Der verletzte Soldat stöhnte, sein Kamerad übergab sich, nur die Soldatin, deren Hand ich mit der Schelle an mich gefesselt hatte, lehnte sich schwer an die Wand, schien aber ansonsten unversehrt.

„Wie? Was? Wie habt ihr das gemacht?“, brachte sie schließlich hervor.

„Zauberei.“, gab ich zurück. Und wie. es hatte mich einiges an Kraft gekostet, die drei mit mir zusammen durch das Portal zu bringen.

„Aber ich habe Dich gar keine Formel oder einen Stab benutzen sehen.“, widersprach sie.

„Und, wie gut kennst Du Dich damit aus? Es gibt noch viele andere Formen der Magie. Nur weil Du sie nicht kennst, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt.“

„Dann geh sofort zurück und hol den Korporal!“, verlangte die Soldatin.

Ich wandte mich um und blickte in Richtung Brücke. Doch noch ehe ich etwas dazu sagen konnte, geschweige denn genügend Kraft sammeln, um mich zu ihm zu bringen, zuckte er von zwei Pfeilen getroffen und brach über den beiden Leichen zusammen.

Wütend fuhr mich die Soldatin an: „Du hast ihn mit Absicht zurückgelassen! Wir wollten Dich festnehmen, und da hast Du die Gelegenheit genutzt und ihn auf der Brücke gelassen. Du hast ihn genauso sicher getötet, wie die Pfeile.“

„Wenn ich euch hätte töten wollen, hätte ich auch einfach alleine verschwinden können. Ich habe nur zwei Hände und ohne die Handfessel hätte ich nicht drei, sondern nur zwei von euch mitnehmen können. Dann würden wir jetzt nicht streiten, sondern Du würdest dort draußen auf der Brücke liegen und Deinen Kameraden Gesellschaft leisten.“, gab ich ebenso wütend zurück: „Und jetzt nimm mir die bescheuerte Kette ab, ich werde mir einen der Schützen schnappen.“

„Unsere gesamte Wache hat es kaum geschafft, mehr als drei zu erlegen, wie willst Du da erfolgreich sein?“, wollte sie wissen und riss an der Kette.

„Mach sie ab Lissa.“, ging ihr unverletzter Kamerad dazwischen: „Soll er doch sein Glück versuchen. Immerhin hat er uns gerade das Leben gerettet.“

Mit diesen Worten reichte er mir meine Dolche und mein Schwert zurück. Lissa war zwar noch immer wütend, aber sie folgte dem Vorschlag ihres Kameraden und kette mich los. Wenn auch äußerst widerwillig. Der Soldat, der mir die Waffen gereicht hatte, zog seinen Bogen und legte einen Pfeil auf. Er hielt Ausschau nach den Knochenjägern, schoss jedoch nicht.

Noch immer drangen Schreie von überall her zu uns in den Tunnel. Im Hintergrund wurden Glocken geläutet und an allen Brückenaufgängen tauchten Trupps aus Soldaten auf. Ich musste mich beeilen, wenn ich einen der Schützen erwischen wollte, ehe sie verschwanden.

Geduckt tastete ich mich direkt an den Rand der Brücke vor. Dabei nutzte ich die Säule mit dem Keiler obendrauf als Deckung.

Irgendwo über mir musste ein Jäger stehen. Jedenfalls zuckten von dort immer wieder Pfeile auf die wehrlosen Ziele auf der Brücke. Den würde ich mich schnappen.

Ich rannte ein paar Schritte raus aus der Deckung des Tunnels und wandte mich dann um. Wie erwartet stand der Schütze nur zwei Ebenen höher auf dem Dach eines Hauses. Wieder öffnete ich die Kraftquelle in meinem Inneren, um durch ein Tor neben ihn zu gelangen.

Doch noch bevor ich genügend Energie gesammelt hatte, sah ich, wie er seinen Bogen auf mich richtete. Da ich die erschreckende Treffsicherheit bereits gesehen hatte, legte ich keinen besonderen Wert darauf, es am eigenen Leib zu erfahren. Ich änderte mein Ziel und nahm stattdessen ein Dach eine Ebene weiter unten, auf halbem Weg zwischen ihm und mir. Kaum war es offen, warf ich mich auch schon hindurch. Ich spürte ein kurzes Ziehen, dass mir neu war. Dann war ich auch schon am Zielort. Leider hatte ich mich ein wenig verschätzt, und so stand ich mit den Zehenspitzen auf der Dachkante, mit dem Rücken zum Abgrund gewandt. Der Rest von mir hing in der Luft. mit rudernden Armen gelang es mir gerade noch, das Gleichgewicht zu halten, dann stolperte ich vorwärts.

Das Dach, auf dem ich gelandet war, entpuppte sich als eine kleine quadratische Fläche deren hintere Kante direkt an den Fels der Nadel grenzte. Es gab eine Treppe, die an der Steinwand entlang nach unten führte. Nach oben kam ich nur kletternd.

Der Knochenjäger war nur eine Seillänge von mir entfernt. Schräg über mir. Aus der Nähe betrachtet, wirkte er noch abstoßender als vorher. Kaltes, grünes Licht leuchtete aus seinen Augen, blutige Fleischfetzen hingen von seinem Körper herab und Blut lief an ihm herunter. Der Geruch von Verwesung wehte zu mir herüber.

Er hatte mich noch nicht bemerkt, also beschloss ich, meinen Vorteil auszunutzen. Dieses Mal lenkte ich die arkanen Ströme in die Handfläche meiner linken Hand, so dass sich ein schwarz violettes Leuchten darum bildete. Krachend entlud sich der Blitz in seine linke Seite. Oder jedenfalls dachte ich das.

Einen Herzschlag, bevor ich ihn traf, sprang er einfach vorwärts in den Abgrund.

Ich machte zwei schnelle Schritte, um festzustellen, ob er wirklich nach unten gestürzt war. Zu meiner Überraschung stand er kaum fünf Mannslängen tiefer auf dem nächsten Dach. Als er mich erblickte, schoss er sofort. Nur weil ich mich rückwärts warf, entging ich dem Pfeil. Kaum war ich gelandet, rollte ich mich wieder nach vorne zum Rand des Dachs.

Ich sammelte dabei wieder Kraft für einen neuen Blitz. Als ich die Kante erreicht hatte, lugte ich vorsichtig nach unten und feuerte ohne zu zögern auf den Knochenjäger. Doch der rannte bereits das Dach entlang und so verfehlte ich ihn um Haaresbreite. Er sprang zum nächsten Dach, das dieses Mal zu einem Haus gehörte, das auf einer der Brücken stand. Mir war schleierhaft, wie es ihm gelungen war, den Sprung unbeschadet zu überstehen.

Ich öffnete ein Tor direkt zu der Stelle, an der der Schütze stand. Kaum war das Gefühl von Kälte und Druck vergangen, da schlug ich auch schon mit dem Schwert nach meinem Gegner. Leider warf dieser sich bereits rückwärts und so streifte ich nur seine knöcherne Rüstung.

Er fiel erneut. Dieses Mal landete er geschmeidig auf einer Brücke, eine Seillänge weiter unten. Soldaten von beiden Seiten stürmten sofort auf ihn zu, doch er legte ruhig einen Pfeil auf die Sehne und schoss einen davon nieder. Dann lief er leichtfüßig auf die andere Gruppe zu. Ich rannte von einem Dach zum nächsten, parallel zu dem Untoten. Er war unglaublich schnell, so dass ich Mühe hatte, ihm zu folgen.

Die Soldaten warteten in einer Reihe mit gezogenen Waffen auf den Angriff.

Kurz bevor der Bogenschütze sie erreichte, sprang er plötzlich auf die Brüstung und von dort mit einem gewaltigen Satz weiter auf eine schmale Holzbrücke, die sich weiter unten befand und im spitzen Winkel in eine andere Richtung davon führte. Ich konnte das hintere Ende der Holzkonstruktion gerade noch erkennen und beschloss, ihm zu folgen.

Ich öffnete ein neues Tor genau dorthin und hechtete hindurch. Damit stand ich ihm genau im Weg. Er hielt auf der Stelle an, riss den Bogen hoch und schoss - und hätte mich auch getroffen, wenn ich nicht damit gerechnet hätte und statt zu laufen gesprungen wäre. So tauchte ich mitten in einer Rolle vorwärts auf und der Pfeil streifte mich nur an der Schulter. Meine Schwertklinge zu einem geraden Stoß vorgestreckt, kam ich wieder auf die Füße. Der Jäger schob meine Waffe mit dem Bogen zur Seite und machte dann einen seitlichen Radschlag über den Rand der Brücke. Seine Gelenke knirschten und die Haut spannte sich unnatürlich über den Knochen. Blutspritzer landeten auf meiner Rüstung.

Ich blickte ihm hinterher und dieses Mal war der nächste Übergang nur knapp fünf Schritte unter mir. Spontan trat ich an den Rand und sprang hinterher. Ich kam hart auf und rollte mich sofort vorwärts ab.

Der Untote – denn nur darum konnte es sich handeln – war bereits zwei Dutzend Schritte wieder in Richtung der Nadel gerannt, doch auch dort befanden sich Soldaten, die mir eine Warnung zu brüllten. Ich ließ mich sofort fallen und fühlte noch zwei Bolzen knapp über mir vorbeizischen. Dann war ich wieder auf den Beinen und sprintete hinter dem Jäger her, der wie durch ein Wunder nicht worden war. Er schoss kurz auf einen der Soldaten, dann hechtete er über die Brüstung.

Fluchend sahen ihm die Soldaten nach. Ich folgte ihren Blicken und entdeckte ihn zwei Seillängen weiter unten auf dem Dach eines Brückenhauses, wie er gerade wieder einen Pfeil in meine Richtung abschoss. Statt mich fallen zu lassen, sprang ich kurzerhand hinterher.

Im Fallen öffnete ich mich meiner Quelle und ließ ein Tor direkt neben ihm entstehen. Während der Pfeil mich passierte, streckte ich die Klinge vor mir aus. Zwei Mannslängen ehe ich auf dem Pflasterstein der Brücke aufschlug, konnte ich den Schritt durch das arkane Tor machen. Ich stolperte mit Schwung hindurch und krachte mit meinem gesamten Körpergewicht, das Schwert voran in den Knochenjäger. Ich spürte, wie die Klinge in seinen Körper drang. Die Haut zerriss wie nasses Pergament.

Dabei wurde er rückwärts geschleudert, während ich hinter ihm her stolperte. Beinahe wurde mir bei seinem Sturz das Schwert aus der Hand gerissen. Ich konnte es gerade noch festhalten. Die Verletzung blutete kaum, dafür traf mich eine Welle aus Verwesungsgestank.

Mein Gegner hatte den Bogen verloren, kniete aber unmöglicherweise noch immer auf einem Bein vor mir. Er versuchte sogar, sich mühsam in die Höhe zu stemmen. Doch dazu gab ich ihm keine Gelegenheit. Ich schmetterte ihm mein Schwert auf den Kopf und bohrte ihm die Klinge direkt durch die Brust, genau dorthin, wo sein Herz sein sollte.

Schwach griffen seine Hände danach, dann sackte er in sich zusammen. Ich riss die Waffe zurück und wollte sie an seinem Mantel abwischen, doch es war kein Blut daran. Und er gab auch keine Laute von sich.

Ich zögerte, ihm die Kapuze vom Kopf zu ziehen, weil ich erkannte, dass sie aus menschlicher Haut gemacht worden war.

Bevor ich mich überwinden konnte, um einen Blick auf sein Gesicht zu werfen, ging eine seltsame Veränderung mit ihm vor. Sein Körper fiel plötzlich in sich zusammen. Als wäre es nur eine leere Hülle, sackte alles nach innen. Dann stieg ein feiner knochenfarbener Nebel vor mir in die Höhe und wurde vom Wind davon geweht. Zurück blieben nur ein schleimiger Haufen stinkender Hautfetzen um den sich eine Blutpfütze bildete, und der Bogen.

Keuchend blieb ich stehen. Erst jetzt drangen Schreie und Rufe wieder zu mir hinüber und ich erkannte, dass die Angriffe der Knochenjäger noch immer nicht vorbei waren.

Ich sah dieses Mal jedoch auch Feuerkugeln, Blitze und eisige Lanzen durch die Luft fliegen. Offensichtlich hatten die Arkanisten Kaltarras in die Jagd auf die Schützen eingegriffen. Ob es Wirkung zeigte, konnte ich aus meiner Position nicht beurteilen. Aber das war mir auch egal. Für einen Tag war das mal wieder mehr Aufregung, als ich gebraucht hätte.

Ich schnitt angewidert ein Stück von der Haut ab und verstaute es in einem kleinen Tiegelchen. Dann wickelte ich den Bogen in meinen Mantel und lief so schnell ich auf den rutschigen Dächern konnte, zur Nadel hinüber. Dort nahm ich eine schmale Treppe, die mich eine halbe Etage nach oben führte und betrat einen kleinen Tunnel, in dem sich ängstlich einige Passanten versteckten.

Mein Auftauchen erschreckte sie so sehr, dass sie schreiend auseinander liefen. Ich nutzte die Aufregung und verschwand über eine seitliche Treppe nach oben.

Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra

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