Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra - Christian Linberg - Страница 11

- 8 Rituale und Tischgespräche -

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Langsam folgte ich dem Gewirr aus Gängen in der Nadel nach oben. Hier war die Orientierung dankenswerter Weise einfacher als im Rest der Stadt, denn es gab einen zentralen Weg, der spiralförmig nach oben führte. Ich verfolgte ihn bis ich die Hitze der Schmieden spürte und wählte dann den erstbesten Gang nach Norden.

Dort wartete ich am Rand einer Brücke, bis sich die Schreie von draußen allmählich beruhigten. Dann fand ich mich auf einer schmalen Holzbrücke wieder, die bei jedem meiner Schritte schwankte. Es kostete mich einiges an Überwindung, den unsicheren Steg zu überqueren. Höhen behagten meinem Magen einfach nicht, egal was ich ihm zu erzählen versuchte.

Ich kam gut voran da sich so gut wie niemand bislang aus seiner Deckung gewagt hatte. Auf der anderen Seite begann meine Suche nach dem kürzesten Weg zurück zu unserer Herberge. Doch nach nur drei Abzweigungen hatte ich mich mal wieder hoffnungslos verirrt.

Schließlich fragte ich eine vorbeieilende Patrouille nach dem Weg. Sie erklärten mir den Weg jedoch so umständlich, dass ich das Gefühl hatte, kein Stück näher gekommen zu sein.

Ein Träger der mich passierte half mir, wenigstens die richtige Richtung einzuschlagen. Trotzdem brauchte ich eine ganze Kerzenlänge, bis ich zumindest das Viertel der Gold- und Juwelenschmiede zu Gesicht bekam. Leider nur über eine niedrige Mauer hinweg.

Die nächste Kreuzung führte mich jedoch nicht direkt dorthin, sondern eine Ebene höher. Aus purer Verzweiflung zog ich schon den Sprung von dort hinunter in Erwägung, als ich eine kleine Treppe entdeckte, die tatsächlich seitlich von einem der Tore endete.

Nach einer intensiven Kontrolle durch die Wachen, die mein ungeordnetes Äußeres misstrauisch zur Kenntnis nahmen und mich auf die Verletzungen hinwiesen, die ich ohne es zu merken erlitten hatte, konnte ich endlich meinen Weg zum Gasthof fortsetzen. Wenigstens hatten sie von einer Durchsuchung abgesehen. Den Bogen hätte ich schlecht erklären können.

Inzwischen war die Abenddämmerung bereits hereingebrochen, die hier in dem engen Talkessel unter dem Überhang noch weitaus eher begann, als oben vor der Stadt. Die ersten Stangenlampen wurden bereits kurz nach der Mittagszeit entzündet. Bald schon würde die ganze Stadt wieder im Schein hunderter kleiner Feuer leuchten.

Ich betrat den Innenhof und verschwand sofort durch den Eingang ins Treppenhaus in unserem Trakt. Statt zuerst in mein Zimmer zu gehen, betrat ich das Speisezimmer. Jiang und Anaya standen darin mit drei Dienstmägden und zwei Schneiderinnen, und diskutierten über ein Dutzend verschiedener Stoffballen, die auf dem Tisch ausgebreitet herumlagen.

Alle blickten auf, als ich mit meinem zusammengerollten Mantel unter dem Arm und blutigen Schrammen am Körper eintrat.

„Wo hast Du denn so lange gesteckt. Beinahe hätte Meisterin Ulel deinetwegen morgen wiederkommen müssen. Und wie siehst Du überhaupt aus? Kannst Du nicht einmal einen Tag lang ohne in Schwierigkeiten zu geraten verbringen? Was denkst Du Dir nur dabei? Und jetzt komm her und stell Dich da hin, damit Meisterin Ulel Deine Maße nehmen kann.“

Statt auf Jiangs Tirade zu reagieren, wandte ich mich einfach um und schloss die Tür wieder. Dann machte ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer. Ich war gerade im Begriff mich darin zu verbarrikadieren, als Anaya hinter mir herkam.

„Du weißt doch wie sie ist.“, bemerkte sie amüsiert: „Und Du warst wirklich lange weg.“, fügte sie hinzu.

„Ich hatte auch nicht vor, so lange zu bleiben. Die untoten Bogenschützen sind mir dazwischengekommen.“, antwortete ich ihr und wickelte den Knochenbogen aus meinen Mantel aus, und schob Anaya den Tiegel mit dem Stück Haut hinüber.

Anaya machte große Augen: „Du hast einen erwischt? Dann können sie ja nicht so gefährlich sein.“

„Sehr lustig.“

Ich knallte die Tür vor ihrer Nase zu.

„So war das doch nicht gemeint.“

„Schönen Dank für Dein Vertrauen in meine Fähigkeiten. So einfach wie Du es Dir vorstellst, war es nicht.

Einen Moment war es ruhig vor der Tür.

„Das weiß ich doch. So wie Du aussiehst, war es sogar alles andere als leicht.“

Seufzend öffnete ich die Tür wieder. Anaya stand grinsend vor mir.

„Komm rein, dann erzähl ich Dir, was passiert ist. Dabei kann ich mir etwas anderes anziehen und Jiang wartet nicht länger als unbedingt nötig.“

Anaya nickte: „Du denkst ja mit. Seit wann denn das?“, wollte sie belustigt wissen.

„Sehr witzig.“

Ich schloss die Tür hinter ihr und berichtete dann davon, was passiert war.

Währenddessen untersuchte sie den Bogen: „Eine solche Waffe habe ich noch nie gesehen. Knochen kann an sich nicht so flexibel sein. Wenn er aus Horn wäre... aber das hier ist eindeutig Knochen. Mir ist es ein Rätsel, wie sie das hinbekommen haben. Daran ist eindeutig ein Ritual Schuld.“

„Nekromantie?“

Ihr grimmiger Gesichtsausdruck verriet mir bereits alles was ich wissen musste.

„Vermutlich. Jiang sollte sich das Ding mal ansehen. Sie versteht am meisten von uns davon. Aber ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich es anfasse. Eindeutig nicht gesund.“

„Also gut, lassen wir sie einen Blick darauf werfen und dann sehen wir zu, dass wir ihn loswerden.“, antwortete ich und hängte meine Rüstung über die Kleiderpuppe.

„Ist vermutlich das Beste. Aber ich bin beeindruckt von Deiner Leistung. Seit zehn Tagen versucht die ganze Stadt einen von denen zu erwischen und Du brauchst dafür nur einen Versuch.“

„Es ist ja nicht so, als würden sie nicht welche erlegen, aber bislang haben sie keinen gefangen nehmen können.“

„Wie bist Du denn so nah an ihn herangekommen?“

„Glück. Mehr nicht. Er hätte mich einige Male beinahe getroffen. Es hat nicht viel gefehlt und ich wäre gar nicht mehr nach Hause gekommen.“

Als noch größeres Glück empfand ich es, saubere Kleidung vorzufinden. Anscheinend hatten die Bediensteten meine Sachen in meiner Abwesenheit gereinigt. Jedenfalls konnte ich jetzt etwas ohne Schweiß oder Blut darauf anziehen.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, wollte ich eigentlich direkt wieder zurück zu Jiang, doch Anaya hielt mich auf und presste ihren Körper an meinen, ehe ihre Zunge einen Weg in meinen Mund fand.

Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, löste sie sich wieder von mir.

„Du hast ein großes Bett.“, flüsterte sie mir ins Ohr: „Das sollten wir nutzen.“

„Klingt verlockend.“, antwortete ich leise, ehe wir das Zimmer wieder verließen.

Jiang rümpfte die Nase, als ich sehr viel später bei ihr und den Schneiderinnen angekommen war, sagte aber dieses Mal nichts.

Ich stellte mich wie sie es vorhin gewollt hatte neben einen Hocker und die Meisterin begann in schneller Folge meine Maße zu nehmen, wobei sie auf Grund meiner Größe zwei Maßbänder und die Hilfe einer Dienerin benötigte, während sie auf dem Hocker stand.

Dabei blieb ich ruhig stehen und ließ die Prozedur reglos über mich ergehen.

„Ich nehme an, ihr kennt euch mit traditioneller Kleidung der Kaltländer aus?“, fragte ich sie.

„Selbstverständlich. Eure Konkubine hat bereits entsprechende Anweisungen erteilt.“

Anaya zog eine Augenbraue hoch und ich war ebenso überrascht über die Antwort der Schneidermeisterin. Konkubine? Das waren so etwas wie persönliche Dienerinnen, Geliebte oder Nebenfrauen, soweit ich mich erinnern konnte.

„Gut, dann möchte ich, dass ihr diesen Gürtel hier“, ich deutete auf den Gürtel mit den verborgenen Wurfsternen: „mit in die Kleidung integriert. Außerdem möchte ich verborgene Scheiden für Dolche an den Armen und in den Stiefelschäften.

„Aber mein Herr, es soll doch zeremonielle Kleidung für festliche Anlässe werden. Da ist es nicht üblich, solche Dinge zu tragen.“, protestierte Meisterin Ulel energisch.

„Das mag sein, aber wir befinden uns im Krieg und da gehe ich nirgendwohin ohne eine Waffe. Wie viele Garnituren sollt ihr mir denn anfertigen?“

„Mistress Yao hat mir aufgetragen für jeden drei anzufertigen. Jeweils einmal Seidenbrokat, Baumwollleinen und feinstes Leder.“

Ich konnte mir das verdrehen der Augen nicht verkneifen, als ich in Gedanken ausrechnete, was das wohl kosten würde. Ich seufzte: „Dann macht mir bitte einen vierten Satz in dunklen Farben, auf der Innenseite gepolstert und mit Stahlstreifen verstärkt. Besprecht euch meinetwegen mit einem Plattner. Er wird euch die Stahlstreifen machen. Oder noch besser, fragt in den Schmieden der Nadel nach Meister Dolban. Sagt ihm, ihr kämt von mir. Dann wird er Euch behilflich sein.“

„Wie ihr wünscht. Doch der letzte Auftrag wird nicht billig sein.“, sagte Meisterin Ulel zu mir, blickte dabei aber Jiang an.

„Ich bin sicher, wir werden uns einig.“, erwiderte Jiang mit einem Nicken.

„Gut, dann fehlt nur noch der Leonide. Ich muss zugeben, dass ich mich darauf freue für ihn Kleidung anzufertigen. Das ist eine neue Herausforderung, statt immer nur Dinge für Adlige zu nähen. Noch nie hatte ich dazu Gelegenheit.“

Sie schien ehrlich erfreut darüber. Das gefiel mir, denn wir waren auf jeden Fall keine gewöhnlichen Kunden.

„Ich bedanke mich für Eure Zeit und Mühe. Wenn ihr uns Gesellschaft leisten wollt, ich werde jetzt Essen für uns bestellen.“

„Oh, vielen Dank, aber wir müssen uns ans Werk machen, wenn ihr die Kleidung am Tag nach morgen haben wollt.“

So schnell? Das war vermutlich wieder besonders teuer. Ich schwor, mich mit Jiang zu unterhalten, sobald wir alleine waren. Es war eine Sache, Kleidung für uns machen zu lassen, aber eine vollkommen andere, mein Geld zum Fenster hinauszuwerfen.

„In Ordnung.“

Ich zog am Glockenstrang und nur ein paar Momente später ging die Tür auf und eine Magd erkundigte sich nach unserem Anliegen. Ich orderte ein reichhaltiges Mal für uns und bat sie auch etwas rohes Fleisch für Kmarr vorzubereiten. Falls sie diese Bestellung wunderte, ließ sie sich nichts anmerken und zog sich mit einem Knicks sofort wieder zurück. Daran konnte ich mich gewöhnen – aber vermutlich nur bis es ans Bezahlen ging.

Meisterin Ulel machte sich kurz darauf wieder auf den Weg, weil Kmarr bis dahin noch immer nicht zurückgekehrt war. Jiang versprach, dass sie ihn morgen nach dem Frühstück hier antreffen würde. Die Schneidermeisterin nickte und verabschiedete sich dann mit ihren Näherinnen. Wir waren wieder alleine.

„Kannst Du mir erklären, wieso Du so unhöflich warst, die Meisterin warten zu lassen?“, fuhr Jiang mich an, kaum dass sich die Tür geschlossen hatte.

„Das nächste Mal werde ich die Knochenjäger höflich darum bitten, mich in Ruhe zu lassen, wenn ich einen Termin für neue Kleider habe.“, antwortete ich ihr.

„Soso, Du hast Dir also wieder Streit gesucht. Kannst Du das nicht einmal seinlassen? Die Bogenschützen sind schließlich nicht Deine Angelegenheit.“, bemerkte sie säuerlich, aber ihr Tonfall war schon deutlich sanfter geworden.

„Immerhin hat er einen erwischt.“, fügte Anaya hinzu.

„Natürlich, das ist doch wohl das Mindeste.“, bemerkte Jiang, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Ich sah sie verwundert an, denn für so offensichtlich hatte ich das gar nicht gehalten.

„Und ich habe den Bogen des Schützen mitgebracht. Ich würde Dich bitten, Dir die Waffe einmal anzusehen. Anaya sagte, es sei ein nekromantisches Ritual verwendet worden um sie zu schaffen.“

Jiang sah mich neugierig an: „Das ist interessant. Hol Du den Bogen, ich hole zwei meiner Bücher und einige weitere Dinge, die mir bei der Untersuchung helfen könnten.“

Anaya blieb zurück, als ich mit Jiang zu unseren Zimmern ging.

„Wir müssen uns noch über die Sache mit der Konkubine unterhalten.“, sagte ich ihr unterwegs.

„Es ist offensichtlich, dass Anaya Deine Hauptfrau wird. Dann werde ich Deine erste Konkubine. Du wirst sehen, dass ich eine gute Frau sein werde.“, antwortete sie in sanftem Tonfall.

„Ich bin überhaupt nicht verheiratet. Und ich habe auch nicht vor, dass zu ändern. Und Anya weiß das auch.“, gab ich energisch zurück, während ich den Bogen holte. Dabei nahm ich mir an Anaya ein Beispiel und zog mir Handschuhe an, bevor ich den Bogen berührte.

„Aber Du schläfst mit ihr. Also ist sie Deine Frau, ob Du mit ihr einen Bund eingegangen bist oder nicht.“, widersprach Jiang.

Da sie hinter mir im Türrahmen stand, konnte ich ihr Gesicht bei der Antwort nicht sehen.

„Das mag in Shâo so sein, aber hier besitzt niemand eine Frau. So lange ich nicht mit Anya verheiratet bin, können wir beide tun, was wir wollen.“ entgegnete ich.

„Du erlaubst ihr, mit anderen Männern die Laken zu teilen?“, wollte Jiang wissen.

„Nein. Dafür braucht sie meine Erlaubnis ebenso wenig wie Du, Droin oder Kmarr. Ihr seid nicht mein Besitz. Also kann jeder von euch tun, was er will.“

Jiang sah mich wieder aus ihren unergründlichen, grünen Augen an.

„Ich verstehe eure Bräuche noch immer nicht richtig. In Shâo wäre ein solches Verhalten undenkbar.“

„In meiner Heimat darf jeder, der seine Prüfungen abgelegt hat und damit als Erwachsener gilt, sein eigenes Leben so führen, wie er oder sie möchte.“, erklärte ich ihr nicht halb so geduldig, wie ich mich fühlte.

„Wenn Anya also andere Männer möchte, kann sie die jederzeit haben.“

In Gedanken forschte ich nochmals nach, ob mich das besonders störte, aber es hatte sich nichts geändert. So lange sie mir die Kerle nicht vorstellte, war mir das herzlich egal.

„In Shâo braucht eine Frau einen Mann, der für sie sorgt und sie beschützt. Egal ob sie ihn heiratet oder seine Konkubine wird.“

„Und weil Du keinen Mann hast, darf Dich jeder höher gestellte Beamte oder Adlige in sein Bett zerren, und verlangen, dass Du ihm zu Diensten bist?“

Ich wollte wissen, ob ich das bescheuerte Verhalten von Jiang richtig verstand.

Ehe sie mir antwortete, schloss sie ihren Raum auf und trat ein.

„Das stimmt. Aber weil Du mich für Dich beansprucht hast, bin ich jetzt tabu für andere Männer. Ich bin Deine Konkubine. Egal ob Du Dein Bett mit mir teilst oder nicht.“

Bei ihrer Antwort stand sie mit dem Rücken zu mir in ihrem Zimmer und holte die beiden Bücher aus ihren Sachen hervor, so dass ich wieder nicht sehen konnte, was für ein Gesicht sie dabei machte. Vermutlich tat sie das mit Absicht – als ob ich wirklich aus ihrem regungslosen Ausdruck etwas ablesen könnte.

„In Ordnung. Dann habe ich es richtig verstanden. Lass uns zu Anya zurückgehen.“, erwiderte ich.

„Möchtest Du mit mir nicht das Bett teilen? Ich bin sehr talentiert, hat die Shenja mir gesagt.“, fragte sie mich, als sie mit den Büchern auf mich zu kam.

Dazu fiel mir nur eine Antwort ein: „Gahh?“

Wer zum Henker war denn das jetzt schon wieder. Keuchend rang ich nach Luft: „Wer?“

„Meine Shenja, meine Lehrerin. Sie hat mich in die Kunst eingeführt, Vergnügen zu spenden.“

„Wie soll dass denn gehen?“, wollte ich verwirrt wissen. Immerhin gab es da gewisse anatomische Unterschiede.

„Alle Frauen von Adel erlernen die wichtigen Dinge in einer Schule. Neben Lesen, Schreiben, Rechnen, Tanzen und den höfischen Umgangsformen, gehören auch die Kunst der Liebe und die Musik dazu.“, erklärte Jiang: „Da ich in den arkanen Künsten begabt war, habe ich natürlich auch darin eine Ausbildung erhalten. Ich bin schließlich eine kaiserliche Kalligraphin geworden.“

„Aha. Das habe ich verstanden. Aber wie erlernt man die Kunst der Liebe? Ich dachte, das hat etwas mit ausprobieren zu tun.“, antwortete ich verwirrt.

Jiang sah mir direkt in die Augen dann bedeutete sie mir mit einem Finger, mich zu ihr hinunter zu beugen und flüsterte mir etwas ins Ohr, das mich knallrot anlaufen ließ.

„Und das geht wirklich?“, wollte ich wissen.

„Ja. Und davon gibt es noch mehr.“, sagte sie in einem lehrmeisterlichen Tonfall, ehe sie sich umwandte und in Richtung Treppenhaus davonging.

Ich blieb einen Augenblick stehen, um mich zu fangen. Wider besseren Wissens war ich neugierig geworden. Das war etwas, das sich auszuprobieren lohnen mochte. Nun war die Frage, woher bekam man im Winter Honig und ein Dampfbad?

Als ich das Gefühl hatte, dass meine Wangen nicht mehr die Farbe frischer Erdbeeren hatten, machte ich mich auf den Weg hinter Jiang her.

Sie saß bereits mit Anaya in ein Buch vertieft am Tisch. Beide blickten kaum auf, als ich den Bogen auswickelte und vor sie legte.

Jiang legte erst ein Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor sie meine Anwesenheit überhaupt würdigte, in dem sie von dem Buch aufsah.

Sie betrachtete die Waffe eingehend. Während sie sich noch darüber beugte, klopfte es an der Tür. Wir konnten gerade noch den Mantel darüber werfen, als auch schon eine Reihe Diener eintrat und uns das Abendessen brachte.

Wir warteten ab, bis sie die Köstlichkeiten abgestellt, und sich wieder zurückgezogen hatten. Ein verführerischer Duft stieg mir in die Nase.

„Entschuldigt bitte, aber der Bogen hat doch sicher Zeit bis nach dem Essen, oder?“, fragte ich die beiden.

„Du denkst mal wieder nur ans Essen.“, antwortete Anaya und verdrehte dabei die Augen.

„Ich werde später essen. Der Bogen uns sein Besitzer sind ein interessantes Rätsel.“, ergänzte Jiang.

Ich ignorierte die Bemerkung und schaufelte mir etwas von dem dampfenden Braten mit reichlich Sauce auf einen Teller. Anaya tat es mir nach, allerdings war ihre Portion deutlich größer.

Kopfschüttelnd wandte ich mich an sie: „Was hast Du denn nun bezüglich der Wachen für die Magana und Meister Rahpenos erreicht?“

„Enid war wenig begeistert davon, dass wir eine mögliche Gefahr für ihr Haus mitgebracht haben, aber sie hat sich einverstanden erklärt, dafür zu sorgen, dass nachts und so lange wir unterwegs sind, immer zwei Wachen vor der Tür der Magana positioniert werden.

Allerdings hat sie darauf bestanden, ihre eigenen Leute dafür abzustellen. Angeworbene Söldner waren ihr nicht standesgemäß genug.“

„Wenn es sein muss.“

Es gefiel mir nicht, Enids Motive konnte ich jedoch durchaus verstehen: „Und Meister Rahpenos?“

„Er war beschäftigt, als ich dort war. Er hat verlauten lassen, dass er am Tag nach morgen bereit wäre, hierher zu kommen. - Gegen ein entsprechendes Entgelt natürlich.“

„Natürlich. - Was verlangt er?“, wollte ich wissen.

Anaya zögerte einen Augenblick: „Seine Kunst ist schwierig. Und er ist gut darin.“

„Wie viel?“, fragte ich noch einmal.

„Tausend Goldstücke.“, entgegnete Anaya unglücklich.

„Was?“, rief ich ungläubig und sprang auf: „Dafür bekomme ich an anderen Orten ein ganzes Dorf.“

Naja, nicht ganz, aber doch fast. Ich lief ein paar Schritte auf und ab. Ein unverschämter Preis.

„Und er will es im Voraus.“, fügte Anaya kleinlaut hinzu.

„Prima. Dann gib Du es ihm doch.“, antwortete ich wütend.

„Es ist Deine Verantwortung.“, ging Jiang dazwischen: „Und wenn ihr streiten müsst, dann tut das leise. Ich lese.“

Erst wollte ich auffahren und sie anschreien, doch dann wurde mir klar, dass weder Jiang noch Anaya etwas für die unverschämten Bedingungen von Meister Rahpenos konnten. Ehe ich fortfuhr atmete ich noch einmal tief durch: „Ich erwarte einen Erfolg. Sonst gehe ich mir das Gold persönlich zurückholen. Also schick einen Boten der Rahpenos mitteilt, dass wir ihn erwarten.“

Anaya nickte: „Hab ich schon getan. Uns bleibt nicht anderes übrig.“

Ich setzte mich wieder zu ihr und wir aßen eine Weile schweigend, während ich darüber nachdachte, wie viel Geld mir nach der ganzen Sache noch übrig blieb. Ich hatte einige Reserven bei Droins Klan, aber die waren im Augenblick denkbar weit weg.

Vermutlich würde mein roter Sand komplett in Kaltarra bleiben. So schnell hatte ich noch nie so viel Geld ausgegeben. Dann musste meine neue Rüstung eben noch länger warten. Ich hoffte, die Magana war es wert.

„Ich brauche eure Hilfe.“, meldete sich Jiang nach einiger Zeit: Macht Platz auf dem Boden. Räumt den Tisch zur Seite.“

Neugierig begannen Anaya und ich die Stühle und dann auch den Tisch in eine Ecke des Raums zu rücken. Sogar den Teppich mussten wir nach Jiangs Anweisungen aufrollen, damit darunter der steinerne Fußboden zum Vorschein kam. Sie verschwand unterdessen und kehrte nach kurzer Zeit mit einer Tasche aus ihrem Gepäck zurück.

Sie begann damit, mit einem ihrer Pinsel ein kompliziertes Muster um den Bogen herum zu zeichnen, den sie zu diesem Zweck auf den Boden gelegt hatte.

Es folgten kleine Objekte, die sie an verschiedene Positionen außen auf dem Kreis verteilte, den die Muster inzwischen bildeten. Ein kleiner Knochen, ein Stück einer Kerze, ein Stein, ein Holzsplitter, ein Metallplättchen und ein kurzer Rest einer Kordel wanderten nacheinander auf ganz bestimmte Stellen in der Anordnung.

Sie kniete sich in einem Saiza-Sitz mit geschlossenen Beinen und übereinander geschlagenen Füßen vor ihr Werk, ehe sie die Augen schloss und ihre Atmung beruhigte.

„Ihr müsst ruhig sein, oder rausgehen. Ich werde versuchen, etwas über den Bogen herauszufinden. Stört mich nicht oder es wird keinen Erfolg haben.“

Anaya sah mich an und verdrehte wieder die Augen. Ich musste mir ernsthaft das Lachen verkneifen. Wir setzten uns wieder an den Tisch und warteten.

Zunächst geschah eine ziemliche Weile lang gar nichts und ich wollte schon aufstehen und zu Jiang hinübergehen, um nachzusehen ob sie nicht einfach nur eingeschlafen war.

Doch dann stieg plötzlich ein grünliches Leuchten von den Symbolen auf. Nacheinander begannen sie zu glühen, bis schließlich der gesamte Kreis leuchtete. Jiang begann mit geschlossenen Augen etwas in leuchtender Schrift vor sich in die Luft zu malen. Daraufhin veränderte sich der Ritualkreis um den Bogen und das Leuchten wechselte von Grün nach Gelb und wieder zurück zu Grün. Irgendwas hatte sich verändert. Die Luft über dem Kreis begann auf einmal zu flimmern, wie an einem heißen Sommertag. Und tatsächlich wurde es wärmer im Raum. Der Kerzenrest, den Jiang vorhin auf eines der Symbole gestellt hatte, begann zu schmelzen.

„Das gefällt mir nicht.“, flüsterte mir Anaya ins Ohr.

„Mir auch nicht.“, erwiderte ich ebenso leise.

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, explodierte der kleine Stein in dem Ritualkreis, dann fing der Holzsplitter Feuer und das Stück Kordel verrottete in wenigen Herzschlägen. Das Metallplättchen rostete, ehe es zu feinem Staub zerfiel.

Ich hatte mich erhoben und eines meiner Messer gezogen. Doch noch ehe ich einen Schritt vorwärts machen konnte, löste sich der Knochensplitter plötzlich auf. An der Stelle, an der er soeben noch gelegen hatte, war jetzt ein schwarzes Loch entstanden. Ein bleiches Leuchten bildete sich daran, das langsam die Umrisse eines Körpers annahm. Es kam immer näher und wurde auch immer größer. Es schien mir wie ein Tunnel, aus dem langsam jemand ins Licht trat.

Zuerst war es weit entfernt, doch mit jedem Herzschlag wurde es größer und klarer, bis zu meinem Entsetzen erst die Hand und dann der Arm eines Skelettes aus dem Loch krochen. Die Hand tastete blind auf dem Boden umher, bis sich auch der bleiche Schädel und ein Teil der Schulter durch das Loch schoben. Die Finger schlossen sich um den Bogen.

Ich wollte mich darauf stürzen, aber Anaya hielt mich zurück. Sie deutete auf Jiang, die mit dem Pinsel einen Strich durch ihre Symbole zog und gleichzeitig mit der anderen Hand das Muster um den Kreis herum verwischte.

Ein grauenhafter Schmerzensschrei ertönte, dessen Quelle wir nicht ausmachen konnten, aber es schien mir so, als käme er direkt aus dem Ritualkreis.

Als hätte Jiang eine Kerze ausgepustet, erlosch schlagartig das grüne Leuchten. Der Skelettarm zuckte ein paar Mal und dann fielen die Knochen einfach reglos zu Boden.

Es dauerte ein paar Augenblicke, ehe wir uns von der Überraschung erholt hatten.

Anaya fand als erste ihre Sprache wieder: „Was war das denn? Und wer hat da so geschrieen?“

„Du hast es also auch gehört. Ich dachte erst, meine Sinne würden mir einen Streich spielen.“, gab ich zurück.

„Natürlich hab‘ ich das gehört. Ich bin ja nicht taub.“, antwortete sie.

„Aber nicht nur ihr.“, sagte Jiang: „Lauscht mal.“

Erst hörte ich nichts, doch dann erklangen donnernde Schritte aus dem Treppenhaus, die schnell näher kamen. Verflucht, das hatte gerade noch gefehlt.

Anaya löste sich als Erste aus der Erstarrung. In schneller Folge erteilte sie Anweisungen: „Beeilt euch. Ich rolle den Teppich wieder aus. Drakk, geh vor die Tür. Jiang, den Bogen.“

Noch während sie sprach, sprang ich zur Tür, riss sie auf und trat hindurch. Mehrere Bedienstete und Wachen der Herberge gefolgt von einem besorgten Kmarr hasteten die Treppe hinauf.

„Was ist passiert?“, wollte der erste Wächter besorgt wissen.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, was ihr meint?“, antwortete ich mit ruhiger Stimme.

„Wir haben einen lauten Schrei gehört.“, entgegnete ein zweiter Wächter.

„Ach so. Den haben wir auch gehört. Deshalb bin ich ja rausgekommen. Um nachzusehen woher der kam.“

Inzwischen umringten mich sechs Leute und Kmarr.

„Dann ist Euch nichts passiert? Auch nicht den beiden Frauen aus Eurer Begleitung? Wer hat denn dann geschrieen?“, wollte der erste Wächter wissen.

„Das kann ich Euch auch nicht sagen. Wir jedenfalls nicht.“, versicherte ich erneut.

„Majora Enid wünscht, dass wir solchen Vorfällen selbst auf den Grund gehen. Wenn Ihr uns erlauben würdet, kurz sicher zu stellen, dass wirklich niemandem etwas geschehen ist, wären wir Euch sehr dankbar.“, erwiderte er mit etwas nachdrücklicherer Stimme.

„Das kann ich durchaus verstehen, aber wir wären lieber ungestört.“, gab ich zurück.

„Wirklich, ich fürchte, wir müssen das auf jeden Fall selbst sehen.“, entgegnete er energischer.

„Nun gut, falls Euch meine Versicherungen nicht überzeugen, dann kommt mit hinein.“

In meinem Inneren betete ich dafür, dass Jiang und Anaya inzwischen den Raum aufgeräumt und die Spuren beseitigt hatten.

Betont langsam trat ich zur Seite und öffnete die Tür. Über die Köpfe der eintretenden Wachen konnte ich Anaya und Jiang sehen, die verwundert vom Essen aufsahen. Den Bogen und die Knochen konnte ich nirgendwo entdecken.

„Ja bitte?“, fragte Anaya freundlich.

„Verzeiht bitte die Störung. Wir haben einen Schrei gehört und wollten uns vergewissern, dass niemandem etwas geschehen ist.“, erklärte der Wachmann in sehr höflichem Tonfall.

„Dann habt ihr ja jetzt gesehen, dass es uns gut geht.“, bemerkte Jiang wie üblich leicht genervt. Sie machte mit ihren lackierten Essstäbchen die sie in der rechten Hand hielt eine scheuchende Geste.

„Habt Dank und lasst uns allein.“, kommentierte sie anschließend, als sie den Mund wieder leer gegessen hatte: „Ihr habt eure Aufgabe erfüllt.“

Der Wachmann nickte: „Mit euch ist alles in Ordnung, genauso wie mit eurem Begleiter. Also werden wir uns wieder zurückziehen. Entschuldigt nochmals die Störung und genießt das Abendessen.“

Die Männer und Frauen der Wachmannschaft der Herberge verneigten sich und verschwanden nach einem letzten Blick auf das Zimmer.

Kmarr, der während der Unterhaltung auf dem Gang gewartet hatte, duckte sich unter der Tür hindurch nach drinnen.

„Scheint so, als hätte ich etwas verpasst. Erklärt ihr mir, was hier los war, meine Freunde?“

Ich berichtete von meiner Auseinandersetzung mit dem Bogenschützen und der erfolgreichen Jagd, bei der ich den Bogen erbeutet hatte.

„Davon habe ich schon gehört. Scheint so, als hätte Dein Auftreten für einiges Aufsehen gesorgt. Die Leute halten Dich für eine Art Schutzengel, der den Bürgern zu Hilfe gekommen ist.“, erwiderte Kmarr ernsthaft.

„Mist.“

Das war nicht meine Absicht gewesen. Ich hatte einfach nur reagiert, nachdem der Knochenjäger versucht hatte, mich zu töten.

Ein Umstand, auf den ich äußerst ungehalten reagierte.

„Also wenn wir unauffällig bleiben wollen, solltest Du vielleicht das nächste Mal vorher darüber nachdenken.“, bemerkte Jiang spitz.

„Wie üblich. Unser Drakk hat sich mal wieder Streit gesucht. Wenn es irgendjemanden gibt, der das perfekt beherrscht, dann Du.“, fügte Anaya hinzu, wobei sie betont mit den Augen rollte.

„Ja, ja. Schon gut. Ich hab’s verstanden. Das nächste Mal werde ich den Schützen einfach bitten, auf jemand anderen zu schießen.“, antwortete ich verärgert.

Ich fand die Anschuldigungen nicht witzig, denn ich hatte wirklich nichts gemacht, als zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Auch wenn das häufiger vorkam, war es nie meine Schuld. Ich hatte einfach nur mehr Pech als andere.

„Beruhigt euch mal wieder. Das ist doch alles schon geschehen und lässt sich nicht mehr ändern.“, unterbrach Kmarr uns mit seiner tiefen Stimme: „und erzählt mir lieber mal den Rest der Geschichte.“

Jiang übernahm diesen Part der Ereignisse, bis sie schließlich zu dem Ritual kam, dass ich zwar gesehen hatte, dessen Ergebnis ich aber noch nicht kannte.

„Das Ritual, das ich angewendet habe, dient dazu, die verschiedenen Kräfte zu bestimmen, die einen Gegenstand mit arkaner Energie erfüllt haben.“, begann sie in schulmeisterlichem Tonfall.

„Es vermag außerdem den Ort der Schöpfung aufzuspüren, sofern er nicht zu weit entfernt oder zu gut verborgen ist.“

„Aber woher kam dann der Arm, der nach dem Bogen gegriffen hat?“, wolle ich neugierig wissen.

Jiang sah mich mit schräg geneigtem Kopf an, ehe sie antwortete: „Natürlich von einem anderen Arkanisten. Dummkopf. Jemand anderer hat ebenfalls nach dem Bogen gesucht. Durch mein Ritual war es ihm möglich, eine Verbindung zu der Waffe herzustellen.“

„Soll das heißen, jemand weiß jetzt, wo der Bogen steckt?“, wollte Anaya alarmiert wissen.

„Das halte ich für unmöglich.“, erwiderte Jiang: „Er hat nur bemerkt, dass jemand versucht, etwas über den Bogen herauszufinden und darauf reagiert. Hätte er mehr Zeit gehabt, wären wir jetzt allerdings in Schwierigkeiten. Zwischen der Waffe und dem Träger besteht eine arkane Verbindung. Sie gehören zusammen und können nicht lange getrennt bleiben. Deshalb hat der Nekromant reagiert, als ich das Ritual durchgeführt habe. Er wollte die Waffe zurück, damit wir ihn darüber nicht finden können.“

„Aber warum der Arm eines Skeletts?“, fragt ich sie.

„Mehr als das hier ist nicht von ihm übriggeblieben.“ Dabei deutete ich auf den Tiegel, in dem sich die Reste des Schützen befanden.

„Ich nehme an, der Schütze ist untot. Ist das nicht offensichtlich? Du sagst selbst, das Wesen, das Du verfolgt hast, hat keine Geräusche gemacht und keine Laute von sich gegeben. Es hat nicht gelacht, geschrieen oder geflucht. Und es hat Sprünge und Stürze aus großen Höhen ohne Verletzungen überlebt. Das kann kein normaler Mensch gewesen sein. Da der Arm einem Skelett gehört und der Bogen aus Knochen ist, nehme ich an, das es sich um einen Untoten handelt.“

„Aber Untote schreien doch nicht.“

„Nein, dass war der Nekromant. Als ich die Verbindung unterbrochen habe, muss er kurz gefühlt haben, wie sein Geschöpf einen zweiten Tot gestorben ist.“

„Ich hoffe es hat wehgetan.“

„Dem Schrei nach zu urteilen, bin ich mir da sicher.“

Kmarrs Einwand klang vernünftig.

„Jedenfalls hat ihn jeder im Gasthof gehört.

„Dann gehören sie sicher zur Armee von Morak.“, sagte Anaya mit deutlicher Abscheu in der Stimme: „Es ist gut, dass Du einen erledigt hast Drakk. Und wenn Du wieder einen siehst, halte Dich bitte nicht zurück.“

„Eben hast Du noch gesagt, ich solle das nächste Mal den Ärger vermeiden.“

„Da wusste ich auch noch nicht, dass es Untote sind.“, entgegnete sie.

Wir alle wussten, dass sie eine Abneigung gegen alles hatte, dass gegen die Natur war.

„Ich stimme Anaya zu.“, ließ Kmarr verlauten, der inzwischen am Tisch Platz genommen hatte. Er war gerade dabei mit einem Messer eine Lammkeule zu zerteilen.

„Wie meinst Du das?“, fragte Jiang.

„Die Menschen in der Stadt brauchten einen Erfolg. Den hat Drakk ihnen gegeben. Ihr wart nicht dabei.

Die Geschichte, wie er den Jäger besiegt hat, wird überall erzählt. Jeder will dabei gewesen sein und sie feiern und freuen sich, dass es endlich jemand mit den unheimlichen Schützen aufgenommen hat. Noch dazu hat er tatsächlich einen erwischt. Und dann kamen auch die Arkanisten der Stadt endlich und haben in den Kampf eingegriffen.

Das habe ich euch noch gar nicht erzählt, denn die Zauber, die sie eingesetzt haben, haben mindestens drei weitere Jäger beseitigt. Aber für die Leute ist der Erfolg, den Drakk erzielt hat fast noch wichtiger. Denn er sieht fast aus, wie einer aus dem Volk.

Ein Söldner zwar, aber eben ein Mann des Schwerts. Er hat drei Soldaten das Leben gerettet und dann der Stadt – wenn auch unabsichtlich – gezeigt, dass man die Knochenjäger auch besiegen kann, wenn man nicht in einer Robe herumläuft und arkane Formeln rezitiert.“

Nach dieser überraschenden Enthüllung saß ich eine Weile grübelnd am Tisch und stocherte im Essen herum, während Kmarr, Anaya und Jiang darüber redeten, ob es nun gut oder schlecht für uns war, dass ich den Jäger erlegt hatte.

Ich fühlte mich in der Rolle des Helden völlig fehlbesetzt. Unwillkürlich fragte ich mich, ob sie mich auch dann noch feiern würden, wenn sie wüssten, dass ich den Erfolg meinem dämonischen Erbe verdankte. Vermutlich würden sie mich gleich neben dem Schöpfer der Knochenjäger aufknüpfen.

Mit einem Ohr lauschte ich wie Anaya berichtete, was der Geistheiler verlangte, um die Magana zu heilen. Kmarr war ebenso entrüstet wie ich. Auch er hielt tausend Goldstücke für einen unverschämten Preis, kam aber zum gleichen Ergebnis wie wir, nämlich dass wir den Preis wohl oder übel bezahlen mussten.

Um das Thema zu wechseln, wandte ich mich an den großen Leoniden, der während der Unterhaltung die Lammkeule verspeist hatte und sich nun Brot und Käse gewidmet.

„Sag mal, hast Du Erfolg bei den Schmieden gehabt?“, fragte ich ihn.

„Teilweise“, antwortete er: „Die meisten waren dazu entweder nicht bereit oder nicht in der Lage. Oder sie hatten zu viel zu tun, als dass sie dafür Zeit aufbringen wollten. Der Meister Dolban, den Du mir empfohlen hast, war dagegen eine Goldgrube. Er hat sich ein paar der Teile angesehen und mir erklärt, dass es kein Problem wäre, sie zu fertigen. Allerdings war er sehr neugierig, was ich daraus herstellen wollte. Ich denke, wenn ich ihm zu viel zeige, wird er den Bolzenwerfer kopieren können. Und ich habe Droin das Versprechen gegeben, Klan Fenloth die Fertigung zu erlauben.“

„Und das solltest Du auch halten.“

Anaya hatte einen Apfel in schmale Spalten geschnitten und verzehrte genüsslich ein Stück nach dem anderen. Die Kerne hatte sie beiläufig aus dem Gehäuse gelöst und schob sie in eine kleine Schachtel.

Sie hob immer die Samen und Kerne der Früchte, die sie aß auf, um sie der Natur zurückzugeben.

„Natürlich werde ich mein Wort halten. Aber es ist schade, dass ich einen so begabten Schmied nicht damit beauftragen kann, alle Teile der Waffe anzufertigen. Ich muss wohl im Rest der Stadt nach anderen Schmieden suchen, in der Hoffnung einen zu finden, der die übrigen Teile herstellen kann.“, seufzte Kmarr grummelnd.

Bei ihm klang das wie das Grollen eines hungrigen Bären.

„Und Du solltest ein paar Tage hierbleiben.“, bemerkte Jiang an mich gewandt: „Es muss ja nicht jeder wissen, wo der 'Held' der Stadt wohnt.“

Sie betonte das Wort „Held“ derart spöttisch, dass ich genau wusste, was sie davon hielt.“

Anaya zog eine Augenbraue hoch und grinste: „Ja, bleib Du mal lieber hier. Jedes Mal, wenn Du irgendwohin gehst, gibt es anschließend Ärger. Und ich würde wirklich gerne ein paar Tage hier verbringen und die Annehmlichkeiten genießen, die die Herberge uns bietet. Es gibt hier nämlich ein Dampfbad und eine wirklich talentierte Masseurin.“

„Oh, davon wusste ich ja gar nichts.“, rief Jiang in ganz untypischer Weise aus.

Jetzt war es an mir, die Augen zu verdrehen. Waschen und Kleidung. Obwohl ich wusste, dass Reinlichkeit, Ordnung und edle Kleidung Bestandteil ihrer arkanen Fähigkeiten waren, fand ich ihre Neigung dies immer und überall zu betonen ziemlich übertrieben.

„Ich werde mich gleich mit Majora Enid darüber unterhalten. Entschuldigt mich bitte.“

Sie stand auf, verbeugte sich kurz und war so schnell durch die Tür verschwunden, dass keiner von uns auch nur noch ein Wort herausbrachte.

Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra

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