Читать книгу Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra - Christian Linberg - Страница 7

- 4 Die Herberge Zum roten Baum -

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Hinter der Mauer begann eine andere Welt. Die Häuser waren riesig.

Zwei oder drei, manchmal sogar vier Stockwerke hoch, mit Säulenkolonnaden und Wasserspeiern verziert.

Hier gab es auch Gärten mit sorgfältig gepflegten Büschen und Bäumen, umgeben von schmiedeeisernen Zäunen, die oft kunstvolle Figuren darstellten. In den Gärten gab es Springbrunnen und Statuen, kleine Pavillons und Teiche.

Da sich das Gebiet vollständig unter dem Felsüberhang befand, lag hier fast kein Schnee. Im Licht der kunstvoll verzierten Stablaternen konnten wir daher die bunt angemalten und mit goldenen Mustern verzierten Gebäude bewundern. zwischen den Häusern fanden sich Bänke und kleine Parks die für die Allgemeinheit zur Verfügung standen.

Es war niemand zu sehen, lediglich bei den größten Anwesen entdeckte ich im Vorbeireiten Wachen, die innerhalb der Umfriedung ihre Runden drehten. Sie beäugten uns misstrauisch, ließen uns aber ansonsten in Frieden, da wir keine Anstalten machten, uns dem Grundstück welches sie bewachten, zu nähern.

Es dauerte nicht mehr lange und unser eigentliches Ziel kam in Sicht.

Es war mit Abstand das Größte von allen und bestand gleich aus mehreren Gebäuden.

Jedes war drei Stockwerke hoch und besaß ein spitzes Dach aus kleinen Schieferplatten. Keines der Häuser hatte im untersten Stockwerk Fenster, erst weiter oben gab es schwere hölzerne Läden. Das gesamt Anwesen wurde von einer Mauer umschlossen, indem sich nur ein hölzernes Tor befand, auf dessen Torflügel ein roter Baum gemalt worden war. Die Mauer war weiß gekalkt und wurde von drei Reihen roter Eisenspitzen bewehrt, die so angeordnet waren, dass ihre Spitzen in unterschiedlichen Winkeln nach außen zeigten.

Die Fläche musste gut fünfmal fünf Seillängen durchmessen, wenn nicht noch mehr. Für Kaltarra eine geradezu unverschämte Platzverschwendung. Die Zimmer würden ein Vermögen kosten.

Ich seufzte in stillem Gedenken an meinen einstigen Reichtum und widmete mich dann wieder der Betrachtung der Anlage.

Ungefähr eine Etage unterhalb des Dachs gab es über dem Innenhof eine Art Steg. Er verband alle Gebäude miteinander und erlaubte es, von einem zum anderen zu gehen, ohne dazu über den Hof zu müssen, der von den Gebäuden umschlossen wurde. Der Steg wurde von zwei Reihen schlanker Säulen aus rosanem Marmor getragen, zwischen denen es einen Wandelgang gab.

Mehr konnte ich über die Mauer hinweg noch nicht erkennen. Das Ganze wirkte sauber und freundlich, war aber im Grunde tatsächlich wie eine Festung konstruiert, die von außen sehr schwer zu erobern war.

Als wir am Tor ankamen, verabschiedete sich der Soldat mit einem zackigen Salut. Anaya, die hier bereits einmal zu Gast gewesen war, trat vor, um zu klopfen.

Noch bevor ihre Hand den Seilzug für die Glocke berühren konnte, mit der man sich hier ankündigen konnte, wurde das Tor geöffnet.

Eine in eine grüne, pelzgefütterte Seidenrobe gekleidete Frau in mittlerem Alter trat heraus. Der Rote Baum war in klein überall auf ihre Robe gestickt und auch auf die Haube, und den Hut, den sie darauf trug: „Ich bin Enid, Majora der Herberge zum Roten Baum. euer Besuch wurde uns bereits angekündigt. Die Räume stehen zur Verfügung, doch ehe ich euch willkommen heißen kann, muss ich einiges mit euch besprechen. Folgt mir bitte, wir wollen dies in angenehmer Atmosphäre tun.“

Sie machte eine einladende Geste und verschwand wieder durch das Tor.

Ich war angenehm überrascht. Mit einem freundlichen Empfang hatte ich gar nicht gerechnet nachdem uns bislang überall nur Misstrauen oder Ablehnung begegnet war. Wir folgten Enid in den Hof der Herberge, der tatsächlich drei oder vier Seillängen durchmaß.

„Lasst mich reden, ich kenne mich hier aus.“, flüsterte Anaya uns kurz zu: „Und bitte halt Dich zurück Drakk.“, fügte sie an mich gewandt hinzu. Ich machte ein unschuldiges Gesicht: „Hey, ich kann mich benehmen“, gab ich zurück.

Hinter mir hörte ich das Kichern von Jiang und ein unterdrücktes Schnauben von Kmarr, konnte aber gerade nichts darauf erwidern, da wir nicht alleine waren.

In einer Art weitem Spalier standen dort ein Dutzend und vier Männer und Frauen in diskreter, grüner Uniform mit dem allgegenwärtigen roten Baum darauf. Die Hälfte trug Säbel und Schilde und war unter der Kleidung in Kettengeflecht gerüstet. Die andere Hälfte hatte Bögen und einen Köcher mit Pfeilen. Alles was ich erkennen konnte, war von makelloser Sauberkeit und selbst die runden Messingknöpfe am Kragen glänzten im Feuerschein wie frisch poliert - was sie vermutlich auch waren.

Im Hintergrund standen zwei in wallende ebenfalls grünliche Roben gekleidete, ältere Männer, die unbewaffnet zu sein schienen. Der eine hielt ein Buch, während der andere eine kleine Schale mit Wasser vor sich auf dem Boden abgestellt hatte.

So wie sie uns musterten, glaubte ich sie als Arkanisten zu erkennen. Einen Augenblick später wurde meine Vermutung bestätigt, als sich ihre Augen bei meinem Anblick misstrauisch verengten. Sie nahmen mit Sicherheit meine unreine, dämonische Herkunft war.

Sie sagten nichts, allerdings bemerkte ich, wie der eine etwas in seinem Buch notierte. Darüber würde ich mir später Gedanken machen.

Enid führt uns in ein Nebengebäude, in dem wir beim Eintreten einen großen runden Tisch vorfanden um den herum genau so viele Stühle bereitstanden, wie wir benötigen würden. Auf dem Tisch standen Krüge mit warmem Gewürzwein und passende Becher dazu.

„Bitte nehmt Platz, eure Reittiere werden unterdessen versorgt werden.“, lud sie uns ein: „Und keine Sorge, wir wissen, dass es Nachtmahre sind. Wir werden uns entsprechend um sie kümmern. Das Kargat sollte uns allerdings besser Gesellschaft leisten. Derart exotische Tiere haben wir nur äußerst selten zu Gast.“

Ich fragte Enid nach Shadarr, sobald ich Platz genommen hatte.

Lächelnd schüttelte sie den Kopf: „Nein, wir hatten noch kein Kargat hier zu Gast, aber viele andere Wesen, so dass wir wissen, das viele davon gefährlich und oft auch unberechenbar sind. – Auch wenn ich zugeben muss, dass diese gewöhnlich in Käfigen sitzen. Das ist auch ein Grund von mehreren, warum ich erst mit Euch sprechen möchte, ehe ich entscheide, ob wir euch Gastrecht gewähren, oder nicht.“

Wir machen überraschte Gesichter. Dies war vermutlich der einzige Gasthof, in dem man tatsächlich wusste, was Shadarr war und in dem vielleicht sogar schon mal jemand ein Kargat gesehen hatte.

Wir setzten uns um den Tisch herum und sogar Kmarr konnte sich über einen typischen Stuhl seines Volkes freuen. Er bettete jedoch zuerst die Magana vorsichtig auf einen Stapel Felle, die er auf dem Boden ausgebreitet hatte und deckte sie sorgsam zu, ehe er sich darauf niederließ.

„Ehe wir beginnen: Darf ich erfahren, was es mit der bewusstlosen Magana auf sich hat? Braucht sie Heilung? Wie ist es dazu gekommen?“, wollte Enid wissen.

Anaya berichtete in groben Zügen, was passiert war und woher die Magana stammte. Die Majora hörte interessiert zu.

„Da habt ihr ja eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen. Und eine beachtliche Leistung vollbracht, indem ihr eine Fremde unbeschadet bis hierhergebracht habt. Noch dazu eine selbstlose Tat für eine Unbekannte. Ich hoffe für euch, dass sie es euch danken wird.“

Gute Taten bleiben selten unbestraft, dachte ich wohl wissend, dass wir in diesem Fall bereits mehr Schwierigkeiten erlitten hatten, als es die Mühe wert war.

Sie macht ein sorgenvolles Gesicht: „Und für meine Heimat sind dies wahrlich düstere Aussichten. Krieg mit einem fremden Land, über das wir nichts wissen. Ich hoffe, ihr kommt wieder, wenn hier statt Armeen nur Händler zu Gast sind.“

„Auch uns tut leid, dass wir nicht in Friedenszeiten nach Kalteon kommen konnten, auch wenn wir alle in der Vergangenheit den ein oder anderen Aufenthalt hier hatten.“, antwortete Kmarr.

„Dann kennt ihr unser Land Talia sei Dank, auch während anderer Tage. Wir müssen einige Sorgen besprechen, die ich mir mache und die euren Aufenthalt in unserem Haus verhindern könnten. Nur wenn ihr sie alle zu meiner Zufriedenheit ausräumen könnt, werde ich Euch erlauben, hier Zimmer zu bewohnen.“

Anaya nickte: „So soll es sein. Ich war bereits Gast in Eurem Haus und kenne Eure Regeln. Aber vielleicht seid ihr so gut und erklärt sie meinen Freunden. Wir hatten bisher keine Gelegenheit, darüber zu sprechen.“

„Ihr seid Anaya'Saar. Natürlich weiß ich, dass ihr hier schon zu Gast wart. Ein Argument, dass für euch spricht.“, erklärte Enid: „Unser Haus hat eine lange Tradition als Herberge für wichtige Persönlichkeiten, Adlige und reiche Händler. Wir haben auch schon den König von Orenoc hier beherbergt und andere, fast ebenso wichtige Besucher. Daher ist es für uns besonders wichtig, dass unsere Gäste stets unter ihresgleichen bleiben und nicht durch gewöhnliche Reisende gestört werden.“

„Bitte, das ist keine Beleidigung, die gegen euch gerichtet ist“, ergänzte sie, als sie merkte, dass ich aufbegehren wollte: „sondern eine Betrachtung, wie sie unsere sonstigen Gäste teilen. Ihr seid – verzeiht mir bitte die Worte – Söldner oder Abenteurer.“

„Kopfjäger“, warf ich säuerlich ein.

Sie nickte, als sie fortfuhr: „Keine Personen von Stand oder besonderer Macht. Ihr seid praktisch, aber nicht verschwenderisch gekleidet. Damit fallt ihr unter den übrigen Gästen auf. Darüber hinaus stört ihr möglicherweise ihre Ruhe. Sie könnten sich von euch bedroht oder belästigt fühlen.“

Anaya hob die Hand: „Bitte, ich denke, wenn die Kleidung ein Grund für den Anstoß ist, so werden wir dem Abhilfe schaffen können, indem wir uns Euren übrigen Gästen anpassen. Es ist nicht so, dass wir noch nie in höfischer Gesellschaft verkehrt hätten. Im Gegenteil, einige von uns sind dort sogar beinahe zu Hause.“

„Vielleicht seid Ihr so freundlich und weist uns den Weg zu einem angemessenen Schneider.“, fügte Jiang hinzu.

Oh Mist, dachte ich, weil das bedeutete, dass ich ihre Kleider bezahlen durfte. Irgendwie hatte ich gehofft, davon verschont zu bleiben.

Enid nahm die Antwort sichtlich erfreut zur Kenntnis, da wir anderen zustimmend genickt hatten. „Das erleichtert mir die Entscheidung, doch es gibt noch weitere Faktoren, für die ich zusammen mit euch eine Lösung finden muss.“

Sie deutete auf unsere zahlreichen Waffen, die wir trugen: „Ihr seid für einen Krieg gerüstet. Obwohl ich natürlich weiß, dass wir uns im Krieg befinden, könnt ihr derart bewaffnet nicht in unserem Haus wohnen.“

Jetzt musste ich mich doch einmischen: „Aber was ist mit den Bogenschützen? Ihr erwartet doch nicht, etwa, dass wir uns ohne Waffen nach draußen wagen?“

„Was Drakkan damit sagen will ist, dass wir tatsächlich in der Lage sein wollen, uns selbst zu verteidigen. Wenn ihr jedoch darauf besteht, dass wir unsere Waffen abgeben, fürchte ich, wird es schwierig werden, zu einer Einigung zu finden.“

Enid überlegte eine Weile, ehe sie antwortete: „Ich kann verstehen, dass ihr in diesen Zeiten nicht darauf verzichten wollt, aber unsere übrigen Gäste könnten sich dadurch bedroht fühlen und das kann ich nicht erlauben. Ich will euch gestatten, die Waffen mit auf die Zimmer zu nehmen, wenn ihr mir bei eurer Ehre schwört, sie nur dort oder außerhalb unserer Mauern zu führen.“

„Das wollen wir gerne tun.“, erwiderte Anaya: „Wenn ihr im Gegenzug für unsere Sicherheit garantiert und die Nutzung der Waffen zur Selbstverteidigung davon ausgenommen ist.“

„Seht ihr das alle ebenso?“, fragte Enid mit Blick auf mich.

Das gefiel mir überhaupt nicht, und so zögerte ich einen langen Augenblick, ehe ich nickte. Auf meine Ehre schwören? Von mir aus. Ich hatte keine.

„Die beiden Männer in den Roben, die ihr im Hof bemerkt haben, sind Arkanisten, die mir berichtet haben, dass wenigstens zwei von euch über arkane Kräfte verfügen. Ich muss darauf bestehen, dass ihr diese nicht innerhalb der Mauern der Herberge anwendet.“

Jiang und ich stimmten ihr zu, sofern wiederum erlaubt war, dass wir uns selbst verteidigten. Ich war erstaunt darüber, dass sie Anayas Fähigkeiten nicht entdeckt hatten. Aber gleichzeitig war ich äußerst froh darüber. Das konnte ein Trumpf sein, den wir noch gut gebrauchen konnten.

„Dann will ich nur noch zwei Dinge mit euch besprechen. Das eine betrifft euer Kargat.“, sagte sie zu mir gewandt: „Das Tier ist extrem gefährlich und wir müssen es einsperren, so lange ihr hier seid. Ich kann euch unmöglich erlauben, es frei herumlaufen zu lassen.“

Shadarr knurrte dabei böse, so dass sich Enid erschrocken herumdrehte.

„Das wird nicht notwendig sein.“, widersprach Anaya, die mir damit zuvorkam: „Shadarr ist kein Tier. Er ist ebenso intelligent wie wir und wird selbstverständlich niemandem etwas antun.“

Enid sah nicht überzeugt aus.

„Ich bürge für Shadarr. Er wird niemandem etwas tun, wenn er nicht selbst zuerst bedroht wird. Seht ihn als zusätzlichen Schutz für Eure Herberge an.“

„Ich weiß nicht.“, gab Enid zurück: „Er muss auf jeden Fall für unsere Gäste unsichtbar bleiben. Ich möchte niemanden verängstigen. Aber gut, wenn er im Stall bleibt, soll das in Ordnung gehen. Sollte sich jedoch jemand beschweren, muss entweder er gehen oder ihr alle.“

Ich nickte und Shadarr schnurrte sanft wie eine Katze. Enid blickte ihn überrascht an: „Ich glaube wirklich beinahe, er versteht uns.“

‚Shadarr schlau.’

‚Ich weiß’, gab ich zurück.

Laut sagte ich: „Ja, in der Tat, das tut er. Und er spricht auch mit mir.“

Enid sah überrascht aus: „Sollte das wirklich die Wahrheit sein, dann entschuldigt bitte meine Ablehnung bei ihm.“

‚Shadarr nicht böse’, knurrte er leise.

„Er ist nicht böse. Ich denke das bedeutet, er nimmt Eure Entschuldigung an“; übersetzte ich für ihn.

„Dennoch können wir ihn nur im Stall unterbringen, denn ich fürchte, unsere Räume sind für seine Bedürfnisse einfach nicht geeignet.“

„Das sollte kein Problem sein, sofern er nicht wie ein normales Reittier eingesperrt wird.“

‚Außerdem würde das eh nicht nutzen’, dachte ich. Überrascht empfing ich von Shadarr ein amüsiertes Gefühl, das ich von ihm so nicht kannte. Leider hatte ich gerade keine Zeit, ihn danach zu fragen.

„Es wäre sinnvoll, wenn seine Unterbringung nicht direkt neben den Pferden läge. Wenn sie ihn wittern, drehen sie durch.“, fügte ich laut hinzu: „oder er frisst sie.“

„Wir werden ihn in einem separaten Stall einquartieren, ebenso wie die Nachtmahre. Das sollte keine weiteren Schwierigkeiten bereiten. Bitte sorgt jedoch dafür, dass er nicht über den Hof läuft und Gäste erschreckt.“

Ich nickte zustimmend und auch Shadarr grollte leise, was Enid einen beunruhigten Blick entlockte. Ich konnte es ihr nicht verdenken, auch wenn sie sich gut unter Kontrolle hatte.

„Dann wäre da noch ein letzter Punkt.“, fuhr Enid fort: „Unser Haus ist nicht billig. Ich nehme an, das wisst ihr, doch ich muss wissen, ob ihr unsere Preise bezahlen könnt.“

Das war leicht. Ich seufzte, als mich die anderen ansahen. Da ging er hin, mein Reichtum. Vorsichtig holte ich einen kleinen Beutel aus meinem Gepäck hervor. Ich legte ihn auf den Tisch und öffnete die Knoten, die ihn geschlossen hielten. Dann zog ich die Enden auseinander, so dass Enid einen Blick auf den roten Sand darin werfen konnte, der wie immer strahlend funkelte.

Sie machte große Augen: „Oh, das ist natürlich etwas anderes. Dann ist das geklärt. Ich freue mich, euch in der Herberge Zum roten Baum willkommen zu heißen. Genießt euren Aufenthalt so lange ihr in unserem Hause weilt. Wir gewähren euch das Gastrecht und hoffen, ihr fühlt euch hier wohl.“

„Wir brauchen sechs Zimmer und ich denke, auch einen privaten Speisesaal. Zumindest bis unsere Kleidung fertig ist. Drei Plätze für die Nachtmahre im Stall und ein Quartier für Shadarr.“

„Ihr erwartet noch weitere Gäste?“, wollte Enid verwundert wissen: „Aber warum für ein leeres Zimmer bezahlen. Wir werden auf jeden Fall genügend Platz für einen weiteren Gast mit seinem Reittier haben. Macht euch keine Sorgen.“

„Also gut, dann fünf Zimmer und zwei Stallplätze.“, sagte Anaya freundlich: „Oh und falls ihr wisst, wie wir Meister Rahpenos am besten erreichen können, wären wir dankbar, wenn ihr einen Boten entsenden würdet.“

Enid verzog nachdenklich das Gesicht: „Da kann ich euch tatsächlich weiterhelfen. Auch wenn sein Besuch nicht billig werden wird. Aber ihr habt Glück, denn die Gäste unseres Hauses haben Zugang zu allen wichtigen Einrichtungen und Persönlichkeiten der Stadt. Ihr genießt bevorzugte Behandlung und Privilegien in allen Teilen der Stadt.“

Das klang gut, denn so würden wir sogar noch Zeit sparen. Ich nickte Anaya zu, um ihr zu signalisieren, dass ihre Entscheidung diese Herberge zu wählen die Richtige gewesen war.

Sie lächelte sanft.

„Noch ein paar Dinge, die ihr über die Lage in der Stadt wissen müsst.“, begann Enid: „Seit wir im Krieg sind, hat es hier einige Schwierigkeiten gegeben. Die Knochenschützen sind nicht das einzige Problem, dass wir haben.“

Wir sahen sie alle misstrauisch an. In Gedanken betete ich schon für einfache Dinge wie Lebensmittelknappheit oder Preisanstiege. Leider waren es bedeutend ernstere Dinge, die sie uns erzählte.

„Einige Monde bevor wir den ersten Bogenschützen zu Gesicht bekamen, wurde ein grausamer Mord verübt.“

Anaya räusperte sich: „Aber ein Mord ist doch sicher auch in Kaltarra nichts Ungewöhnliches. In Städten neigen die Menschen dazu, sich besonders häufig gegenseitig das Leben zu nehmen. Häuser machen sie offensichtlich weich im Kopf.“

Enid nickte: „Da habt ihr sicher Recht. Aber es war auch nicht die Tat an sich, sondern die Umstände. Der Leiche fehlten sämtliche Knochen.“

„Ihr wollt sagen, jemand hat ihn aufgeschnitten und die Knochen entfernt? Alle?“

Das konnte ich mir nicht so richtig vorstellen.

„Nein, sie waren einfach nicht mehr da. Als hätten sie sich einfach in Luft aufgelöst.“

„Unmöglich.“, widersprach Anaya. Niemand kann einem anderen alle Knochen stehlen.“

„Offensichtlich doch.“, wandte Jiang ein.

Auf Anayas fragendes Gesicht hin zog sie nur eine Augenbraue hoch: „Wenn es nicht möglich wäre, hätten sie hier auch keine Leiche in diesem Zustand gefunden.“

Gegen diese Art Gedanken konnte auch Anaya nichts einwenden. „Aber wie soll das möglich sein?“

„Nekromanten haben viele schreckliche Geheimnisse. Vergiss nicht, wir haben auch Dämonen und Totlose in den Reihen der Moraner gesehen.“

Enid lauschte interessiert.

„Wollt ihr mir davon berichten, bevor ich wieder zu meinen Pflichten zurückkehren muss?“

Dieses Mal übernahm Jiang ausführlich die Beschreibung der Kreaturen, denen wir bislang begegnet waren.

„Könnte nicht ein Dämon dafür verantwortlich sein?“

„Alles ist möglich.“, erwiderte Kmarr.

„Wir wissen es nicht, und Ihr auch nicht. Seid lieber auf alles gefasst.“

„Das erscheint mir ein weiser Rat.“, gab Enid zurück: „Ich fürchte, jetzt muss ich jedoch wieder zurück an die Arbeit. Wir werden sicher Gelegenheit finden, noch mal miteinander zu sprechen, solange ihr hier zu Gast seid.“

Sie erhob sich und lies uns grübelnd zurück. Während sie noch zur Tür ging, hatte ich bereits den Eindruck, sie hatte es verdächtig eilig. Ihr Verhalten wirkte auf mich so, als gäbe es ein ganz bestimmtes Ziel, dass sie von hier aus auf direktem Wege ansteuern wollte. Doch ich konnte sie leider nicht verfolgen, ohne neue Fragen über unsere wahren Absichten aufzuwerfen.

Enid hatte uns nach der Besprechung verlassen, um unsere Zimmer vorzubereiten und das restliche Personal der Herberge darüber zu informieren, dass wir ab jetzt zu den Gästen gehörten. Sie ließ eine einfache aber hervorragend zubereitete Mahlzeit bringen, die wir alle bis auf den letzten Krümel verzehrten. Anaya entschuldigte sich kurz um nach den Nachtmahren zu sehen und nahm auch gleich Shadarr mit, der sein neues Quartier beziehen und ebenfalls etwas fressen wollte. Besonders nachdem er den kalten Braten gerochen hatte, den wir gerade verspeist hatten.

„Was haltet ihr von der Geschichte, die Enid uns erzählt hat?“, fragte Kmarr in seiner tiefen, rumpelnden Stimme.

„Wir haben die Bogenschützen selbst gesehen.“, kommentierte Jiang: „Warum sollte der Rest da gelogen sein?“

„Naja, aber wer stielt schon Knochen?“, entgegnete ich: „Weiß jemand von euch von einem Wesen oder Dämon, der Knochen raubt?“

Kmarr und Jiang brauchten nicht lange zu überlegen, sie schüttelten die Köpfe.

„Das dachte ich mir. Auch ich habe bislang nie Geschichten dieser Art gehört. Egal wo ich gewesen bin.“, gab ich zurück.

„Was passiert dann hier?“, wollte Kmarr wissen.

Enid hatte uns berichtet, dass seit ungefähr einer Woche immer wieder Leute verschwanden. Zuerst hatte sich niemand darüber gewundert, weil vor allem aus den ärmeren Stadtteilen solche Berichte verbreitet wurden. Als dann aber auch von anderen Ebenen der Stadt Menschen spurlos verschwanden, wurden die Einwohner allmählich nervös.

Kurze Zeit später war der erste Bogenschütze aufgetaucht. Erst war es nur einer gewesen, inzwischen war es mindestens ein Dutzend geworden. Genau konnte das niemand sagen, denn sie tauchten immer an unterschiedlichen Orten auf und verschwanden wieder ehe sie die Stadtwache zu fassen bekam. Und seit dem Tag vor gestern waren auch einige der verschwundenen Menschen wieder aufgefunden worden. - Oder das, was von ihnen übrig war. Grotesk verzerrte Hüllen, ohne einen einzigen Knochen im Körper. Keine der Leichen wies auch nur eine einzige Verletzung auf, und niemand konnte sich vorstellen, wie es den Mördern gelungen war, die Knochen aus den Körpern zu entfernen. Im Gegensatz zu den Bogenschützen waren sie jedoch tatsächlich tot.

Jeder vermutete einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen, aber die Vermutungen reichten von schwarzer Magie bis zu freiwilligen Opfern eines fanatischen Kults.

„Das hier verbotene Künste am Werk sind, ist offensichtlich.“, merkte Jiang an: „Kein kaiserlicher Kalligraph würde je in die Abgründe der Kunst steigen, um solch ein Werk zu vollbringen.“, fügte sie hinzu.

„Unter bestimmten Druidenzirkeln wäre das durchaus denkbar.“, entgegnete Anaya beim Eintreten von draußen: „Es hinge davon ab, welchem Zweck es diente.“

„Wie meinst Du das?“, wollte ich neugierig wissen. Es gefiel mir nicht, dass sie so etwas tatsächlich für möglich hielt. Vor allem war ich auf eine Erklärung gespannt.

„Außerdem, hast Du nicht eben noch gesagt, Du wüsstest nichts darüber?“

„Da war Enid auch noch im Raum. Ich hatte nicht vor, sie in die Geheimnisse meines Volkes einzuweihen. Aber um Deine erste Frage zu beantworten: Wenn es als Strafe für die Opfer vor ihrem Tod gedacht wäre. Oder als Warnung für andere. Oder wenn damit ein Frevel an der Natur bestraft werden sollte. Aber niemand würde die Knochen verschwinden lassen oder Untote damit erwecken.“

„Grausame Strafen. Warum nicht einfach die Täter richten?“, fragte Kmarr.

Bei den Leoniden war die Gerechtigkeit eine gradlinige Angelegenheit. Strafen wurden verhängt und sofort umgesetzt. Ein Mörder wurde geköpft, ein Dieb wurde um seinen eigenen Besitz gebracht. Körperverletzung wurde mit Prügel bestraft. Folter oder Verstümmelungen gehörten niemals zu den angewandten Strafen. Daher lehnte er alles ab, was langes Leiden bewirkte.

„Ich weiß, für Dich scheint es über Gebühr grausam. Doch mache Verbrechen verdienen solche Strafen.“, widersprach Anaya energisch.

„Das glaube ich nicht. Es ist einfach nicht richtig, ein anderes Wesen zu quälen, um eine Tat zu bestrafen. Es macht sie nicht ungeschehen und sorgt nur dafür, dass der Täter mit dem Wissen an die Qualen Groll und Hass gegen seine Folterknechte entwickelt.“, entgegnete Kmarr.

„Und was ist mit den Opfern? Sie müssen auch mit dem Wissen an das, was ihnen angetan wurde leben. Haben sie nicht verdient, dass ihre Peiniger das gleiche Schicksal erleiden?“, fragte Anaya zurück.

„Das bringt uns hier nicht weiter.“, ging ich dazwischen. Ich konnte beide Standpunkte verstehen und war deshalb nur froh, dass ich nicht über die Strafe eines Verbrechers entscheiden musste.

„Was haltet ihr von den Ereignissen? Dass sie mit dem Krieg gegen Morak zusammenhängen, halte ich für offensichtlich.“, erläuterte ich meine Überlegungen.

„Fall ich Dir zu nahegetreten bin, entschuldige ich mich dafür, Anya.“, bemerkte Kmarr mit ruhiger Stimme: „Und was Deine Vermutung betrifft Drakk, so stimme ich Dir zu. Ich glaube auch, dass die Quelle der Bogenschützen und der Morde und Entführungen etwas mit Morak zu tun hat. Immerhin paktieren sie mit Dämonen.“

„Was geht uns das an?“, fügte Jiang hinzu: „Wir wollen hier Heilung für die Magana suchen und auf Droin warten. So lange die Bogenschützen uns nicht direkt angreifen ist mir egal, was sie mit der Stadt anstellen. Ich möchte viel eher wissen, warum wir Enid nicht gesagt haben, dass wir Söldner für den Schutz der Magana anwerben wollen?“

Letzteres war an Anaya gerichtet.

„Ich hatte befürchtet, dass sie uns dieses Vorhaben verweigert und wir dann tatsächlich heute Nacht noch eine andere Herberge hätten suchen müssen.

Lieber einen Schritt nach dem anderen.

Außerdem habt ihr die Wachen der Herberge ja gesehen. Sie sind durchaus nicht unfähig. Für heute Nacht sollten sie genügen. Morgen können wir mit Enid noch mal über zusätzlichen Schutz sprechen. Vielleicht hat sie ja eine Lösung für dieses Problem.“

„Darauf sollten wir uns konzentrieren. Die Bogenschützen sind nicht unser Problem.“, ergänzte Jiang nickend.

„Also gut. Wie sehen unsere Pläne für morgen dann aus?“

Für den Moment ließ ich das Thema auf sich beruhen.

„Enid wird uns den Schneider schicken, der unsere Maße für neue Kleidung nehmen wird. Außerdem sendet sie einen Boten zu Meister Rahpenos, um ihn darüber zu informieren, dass wir seine Dienste benötigen.“, zählte Anaya auf.

„Ich werde mit Enid über den zusätzlichen Schutz sprechen.“

„Ich werde mich auf die Suche nach geeigneten Schmieden für die einzelnen Teile meines Bolzenwerfers machen.“, fügte Kmarr hinzu.

„Und ich werde einkaufen gehen.“, verkündete Jiang: „Ich brauche Stoff für neue Kleider. Das Angebot der Schneider hier ist nicht ausreichend. Ich brauche einen guten Tucher oder Tuchhändler.“

Dann blieb ich wohl alleine zurück.

„Was ist mit Dir Drakk? Was wirst Du machen?“, fragte Kmarr.

„Ich glaube, dass entscheide ich morgen. Heute bin ich dazu zu müde.“

Tatsächlich konnte ich kaum noch die Augen aufhalten. Seit dem Essen nahm meine Aufmerksamkeit ständig ab.

„Wir sollten alle zu Bett gehen.“, erklärte Kmarr und gähnte so laut und lange, dass ich schon Angst hatte, die Wachen der Herberge würden jeden Moment durch die Tür stürmen. Doch nichts dergleichen passierte.

Nur eine Dienstmagd erschien, um uns darüber zu informieren, dass unsere Zimmer nun bereitstanden.

Kmarr hob die Magana auf und ich sammelte die Felle ein. Dann folgten wir ihr dankbar durch eine zweite Tür hindurch und eine Treppe hinauf.

Oben erwartete uns ein kurzer, zwei Schritt breiter Gang von dem links und rechts jeweils vier Türen abzweigten. Am Ende des Ganges gab es eine weitere Tür, die jedoch verschlossen war.

„Eure Zimmer sind links und das Erste auf der rechten Seite.

Wenn ihr durch das Treppenhaus hindurchgeht, findet ihr auf der anderen Seite einen privaten Speiseraum, wie den, in dem ihr gerade gesessen habt.

Die Majora Enid hat ihn für euch reserviert. Die Tür am Ende des Ganges führt weiter in das Haus hinein. So lange bis die Majora euch das Einverständnis gibt, benutzt sie bitte nicht. Falls ihr etwas wünscht, findet ihr in jedem Zimmer ein Glockenband. Zieht daran und es wird in der Küche läuten. Solltet ihr das Gasthaus verlassen, nehmt bitte jeder einen Siegelstein mit, den ihr in der Schublade des Schreibtisches findet. Er weist euch als Gäste unseres Hauses aus. Ohne ihn könnte es schwierig für euch werden, wieder zurück hierher zu kommen.“

Nach der Erklärung knickste die Magd und verabschiedete sich.

Der Flur war so hoch, dass sogar Kmarr darin stehen konnte, ohne sich den Kopf zu stoßen.

Alles war in weiß gekalktem Stein gehalten und kleine Bilder mit Szenen aus der Stadt hingen in dunklen Rahmen daran. Von der Decke verbreiteten gläserne Kugeln, ein sanftes, blaues Licht. Der Boden war von einem weichen, roten Läufer bedeckt. Auf kleinen Podesten ruhten Skulpturen und Büsten aus Marmor, die die Helden Kalteons darstellten, wie uns kleine Messingplaketten daran verrieten.

Die erste Tür auf der linken Seite war fast so hoch wie Kmarr und gut fünf Fuß breit. Offensichtlich der Raum für ihn. Die anderen Türen waren alle gleich groß und damit etwas zu niedrig für mich. Alle waren aus massiver Eiche gefertigt und besaßen ein kompliziertes Schloss. Jeder Raum maß großzügige drei mal vier Schritte und hatte ein großes, gemütlich aussehendes Bett, einen Schrank, einen kleinen Schreibtisch, auf dem ein Spiegel, eine Waschschüssel und sogar ein Tintenfass und einige Bögen Papier lagen.

Unter dem Fenster gab es eine kleine Ablage und darunter eine abschließbare Truhe in deren Schloss auch der Schlüssel steckte. Eine Kleiderpuppe in der Ecke neben dem Nachtisch vervollständigte die Einrichtung. Alles war von erlesener Qualität und mit kunstvollen Schnitzereien verziert, die geschickt bemalt worden waren.

Nur Kmarrs Raum und der Raum gegenüber waren größer, sie hatten eine Fläche von sechs mal vier Schritten und verfügten über riesige Betten, groß genug für mich und Kmarr.

Ich beschloss spontan diesen zweiten großen Raum zu nehmen. Keiner protestierte und so verschwand ich kurz darin. Überrascht stellte ich fest, dass mein gesamtes Gepäck bereits dort lagerte. Als ich wieder auf den Gang trat hörte ich, wie die Anderen erfreut die gleiche Feststellung machten.

Wie es aussah, hatte Enid erwartet, dass wir ihre Bedingungen erfüllen würden. Sie hatte auch bei der Wahl der Zimmer richtig gelegen. Die Maganerin bekam den Raum neben Kmarr, dann folgten Anaya und Jiang.

Ich musste die Maganerin durch die Tür tragen, weil Kmarr dafür praktisch auf alle Viere hätte gehen müssen. Wir machten es ihr so gemütlich wie möglich. Dann verriegelten wir das Fenster sorgfältig.

Anaya trat mit ausgestreckten Händen zu den hölzernen Läden. Sie legte ihre Handflächen genau auf die schmale Ritze zwischen den beiden Hälften. Ein schwaches grünes Glühen entstand. Als sie ihre Hände wieder wegnahm, war aus den zwei Läden ein einzelnes Brett geworden, dem man die Ritze nirgends ansehen konnte.

Jiang platzierte noch kleine rötliche Steine in den Ecken des Fensterbretts. Jeder Einbrecher würde einen magischen Alarm auslösen, sollte er einen Stein bewegen über ihn hinweg oder zwischen ihnen hindurch klettern.

Anaya blieb alleine zurück, um die Pfeilwunde der Maganerin gründlich zu versorgen. Nachdem sie fertig war, würde sie die Tür gründlich versperren, indem sie das Holz der Tür darum bat, sich mit dem Türrahmen zu verbinden.

Nur mit äußerster Anstrengung würde man sie dann überhaupt noch bewegen können.

Ihre Kräfte waren für andere oft mit denen eines Arkanisten gleich, doch sie wies uns immer wieder darauf hin, dass sie nur die Natur formte, keine neuen Dinge erschuf.

Unsere eigenen Zimmer konnten wir von innen mit einem Riegel zusätzlich gegen unbefugtes Eindringen sichern.

Ich verabschiedete mich von den anderen, zog die Tür zu und warf mich auf das Bett. Ich schaffte es gerade noch, meine Rüstung abzulegen und das Fenster zu verriegeln, ehe ich einschlief.

Die sieben Siegel der Dakyr - Band 2 - Kaltarra

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